Urteil des LSG Sachsen vom 23.06.2005
LSG Fss: erlass, notlage, ermessen, dringlichkeit, rechtsschutz, post, behörde, untätigkeitsklage, form, beamtenverhältnis
Sächsisches Landessozialgericht
Beschluss vom 23.06.2005 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Leipzig S 14 AS 9/05 ER
Sächsisches Landessozialgericht L 3 B 55/05 AS
I. Der Beschluss des Sozialgerichts Leipzig vom 15.03.2005 wird aufgehoben. II. Die Beschwerdegegnerin hat der
Beschwerdeführerin deren außergerichtliche Kos-ten für das unter dem Az: S 14 AS 9/05 vor dem Sozialgericht
Leipzig geführte Antragsverfahren zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten um die Erstattung von außergerichtlichen Kosten, die der Be-schwerdeführerin (Bf.) in einem
Verfahren auf Erlass auf einstweilige Anordnung mit dem Ziel der vorläufigen Bewilligung von Arbeitslosengeld II
entstanden sind.
Die Bf. stand bis Anfang Dezember 2004 als Rechtsreferendarin im Beamtenverhältnis. Am 14.12.2004 beantragt sie
bei der Beschwerdegegnerin (Bg.) die Bewilligung von Ar-beitslosengeld II. Im Antrag gab sie an, über keinerlei
Einkünfte zu verfügen. Als Vermö-genswerte gab sie ein Girokonto mit 445,75 EUR Guthaben, ein Sparbuch mit 8,52
EUR Gutha-ben, ein weiteres Sparbuch als Mietkaution und eine Lebensversicherung mit einem Rück-kaufwert von
zurzeit 364,00 EUR an. Des Weiteren sei jeweils sie zu einem Achtel Miteigen-tümer eines bebauten und eines
unbebauten Grundstücks mit einer Gesamtfläche von 3.250 qm.
Mit Bescheid vom 16.12.2004 lehnte die Bg. die Bewilligung von Arbeitslosengeld II un-ter Hinweis auf den
Miteigentumsanteil an den beiden Grundstücken ab. Hiergegen legte die Bf. am 27.12.2004 Widerspruch ein.
Bereits am 21.12.2004 beantragte sie beim Sozialgericht Leipzig den Erlass auf einstweili-ge Anordnung mit dem Ziel
der vorläufigen Bewilligung von Arbeitslosengeld II ab dem 01.01.2005.
Mit Bescheid vom 27.01.2005 half die Bg. dem Widerspruch ab und bewilligte der Bf. ab dem 01.01.2005
Arbeitslosengeld II in Höhe von 529,89 EUR monatlich. Daraufhin erklärte die Bf. das Verfahren für erledigt und
beantragte eine Entscheidung über die Erstattung der außergerichtlichen Kosten.
Mit Beschluss vom 15.03.2005 hat das Sozialgericht den Antrag der Bf. auf Erstattung ihrer Kosten für das
Eilverfahren abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, dass die Bf. nur unzureichend zur Eilbedürftigkeit vorgetragen
habe. Es sei insbesondere nicht darge-tan, warum ihr ein Abwarten auf die Entscheidung im Widerspruchsverfahren,
die zeitnah herbeigeführt worden sei, nicht zuzumuten war.
Gegen den ihr am 21.03.2005 zugestellten Beschluss hat die Bg. am 30.03.2005 Be-schwerde erhoben, der das
Sozialgericht nicht abgeholfen hat.
Die Beschwerdeführerin beantragt, den Beschluss des Sozialgerichts Leipzig vom 15.03.2005 aufzuheben und die
Beschwerdegegnerin zu verpflichten, ihr die außergerichtlichen Kosten für das unter dem Az.: S 14 AS 9/05 vor dem
Sozialgericht Leipzig geführte Antragsverfahren zu erstatten.
Die Beschwerdegegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Bg. ist der Ansicht, dass keine Kosten zu erstatten seien, weil keine Untätigkeit vorge-legen habe. Denn sie habe
über den Widerspruch innerhalb einer angemessenen Frist im Sinne des § 88 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes
(SGG) entschieden.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug
genommen.
II.
Die Beschwerde ist statthaft; sie ist auch form- und fristgerecht erhoben (§§ 172, 173 Sozi-algerichtsgesetz [SGG]).
Sie ist auch begründet.
Der Beschluss des Sozialgerichts war aufzuheben, weil es zu Unrecht die Erstattung der außergerichtlichen Kosten
der Bf. durch die Bg. abgelehnt hat. Die Kostenerstattung für das Antragsverfahren entspricht vielmehr billigem
Ermessen.
Das Gericht hat auch in einem Antragsverfahren nach § 86b SGG in entsprechender An-wendung des § 193 SGG
über die Erstattungspflicht der Beteiligten untereinander nach billigem Ermessen zu entscheiden. Bei Erledigung des
Rechtstreites ohne Urteil sind die Erfolgsaussichten des Begehrens vor dem erledigenden Ereignis unter
Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitestandes und aller Umstände des Einzelfalles maßgeblich (vgl.
Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, § 193, Rz. 13f.). Dem Antrag auf Erlass der begehrten Regelungsanordnung
war aber vor Erlass des Abhilfebescheides Erfolgsaussicht zuzumessen.
Für die Bf. waren sowohl eine Anordnungsanspruch als auch ein Anordnungsgrund vor-handen. Eine einstweilige
Anordnung ist zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Be-zug auf ein streitiges Rechtsverhältnis nur zulässig,
wenn eine solche Regelung zur Ab-wendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint, § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG. Die
Rege-lungsanordnung erfordert somit einen der Durchsetzung zugänglichen materiell-rechtlichen Anspruch des
Antragstellers und eine besondere Dringlichkeit der Entscheidung (Berlit, Vorläufiger gerichtlicher Rechtsschutz im
Leistungsrecht der Grundsicherung für Arbeits-suchende - Ein Überblick, in: info also 2005, Seiten 3ff., insbs. Seite
7).
1. Die Bf. hatte bereits zum 01.01.2005 einen Anspruch auf Arbeitslosengeld II, wie sich nicht zuletzt aus dem
Abhilfebescheid vom 27.01.2005 ergibt.
2. Es lag auch ein Anordnungsgrund vor. Insofern verkennt das Sozialgericht den existenzsi-chernden Charakter des
Arbeitslosengeldes II. So war für Hilfen nach dem Bundesso-zialhilfegesetzes, an deren Stelle mittlerweile die
Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II getreten ist, allgemein anerkannt, dass ein anerkannter Bedarf
grundsätz-lich auch die besondere Dringlichkeit der begehrten vorläufigen Regelung begründet, weil der Bedürftige zur
Sicherung seiner wirtschaftlichen und sozialen Existenz auf sofortige Hilfe angewiesen ist (Beschluss des
Oberverwaltungsgerichtes Mecklenburg-Vorpommerns vom 23.11.1999, Az: 1 M 81/99, abgedruckt in: info also 2000,
Seite 228; Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes vom 20.04.2004, Az: 10 TG 532/04, abgedruckt in:
info also 2004, Seiten 171ff.). Der Sachstand des Verfahrens bot keinerlei Anhaltspunk-te dafür, welche anderen ?
liquiden! ? Mittel die Bf. zur Sicherung ihrer Existenz hätte in Anspruch nehmen können. Unerheblich ist in diesem
Zusammenhang auch, dass die Bg. nach Ansicht des Sozialgerichts zeitnah entschieden hat. Denn zum einen
bestand bereits vor der Abhilfeentscheidung die oben skizzierte akute Notlage; zum anderen ist eine solche ex-post-
Betrachtung unzulässig, weil die Erfolgsaussichten ? wie bereits ausgeführt ? nach dem Sachstand vor dem
erledigenden Ereignis zu beurteilen sind.
Vollkommen fehl geht auch der Hinweis der Bg. auf die Untätigkeitsfristen des § 88 Abs. 2 SGG. Hiernach ist eine
Untätigkeitsklage auf Erlass eines Widerspruchsbescheides unzulässig, wenn seit Erhebung des Widerspruchs noch
keine drei Monate verstrichen sind. Hieraus lassen sich für die vorliegende Entscheidung keine Schlussfolgerungen
zie-hen. Denn im vorliegenden Verfahren hat die Bf. ganz offensichtlich nicht die Untätigkeit der Bg. gerügt, sondern
eine Regelungsanordnung begehrt, weil ihr durch die ihrer Ansicht nach rechtswidrige Ablehnung von Arbeitslosengeld
II eine akute Notlage drohte. Zweck der Untätigkeitsfristen des § 88 SGG ist es dagegen, der Behörde eine
angemessene Zeit für Entscheidungen einzuräumen und verfrühte Klagen zu vermeiden (Meyer-Ladewig, aaO., § 88,
Rz. 5a). Unerheblich ist insoweit, ob dem Widerspruchsführer durch weiteres Zuwarten noch zusätzlich wesentliche
Nachteile erwachsen.
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG endgültig.