Urteil des LSG Sachsen vom 22.10.2004
LSG Fss: reformatio in peius, rechtsschutzversicherung, fahrzeug, nebenkosten, beitrag, anschaffungskosten, pflege, sozialhilfebehörde, missverhältnis, verfügung
Sächsisches Landessozialgericht
Beschluss vom 22.10.2004 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Chemnitz S 5 SB 33/04
Sächsisches Landessozialgericht L 6 B 140/04 SB-PKH
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 07.07.2004 wird zurückgewiesen.
Gründe:
I.
Im Hauptsacheverfahren ist der Grad der Behinderung streitig. Gleichzeitig mit der Klage beantragte die Klägerin
Prozesskostenhilfe. In der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse gab die Klägerin unter
anderem an, dass die Miete monatlich 500 EUR betrage, zusammen mit Nebenkosten seien 700 EUR zu leisten. Sie
zahle auf diese Summe den Betrag von 300 EUR, ihr Ehegatte den Betrag von 400 EUR. Ihre eigene Altersrente gab
sie mit 892 EUR, die des Ehegatten mit 966,32 EUR an. Auf Grund des vorgelegten Rentenbescheides setzte das
Sozialgericht eine (Netto-) Rente von 837,97 EUR an und ermittelte abzüglich des Unterhaltsfreibetrages von 364
EUR, den Mietkosten in Höhe von 250 EUR sowie von Versicherungskosten in Höhe von 20,10 EUR und
Bausparbeiträgen in Höhe von 10,00 EUR sowie eines "ernährungsbedingten Mehrbedarfs" in Höhe von 100 EUR (ein
ärztliches Attest hatte eine "Hyperlipoproteinämie mit Steatosis hepatis" bescheinigt) ein einsetzbares Einkommen
von 93 EUR und setzte die Raten auf 30 EUR fest (Beschluss vom 27.04.2004).
Auf die Beschwerde der Klägerin, mit welcher vor allem vorgebracht wurde, es sei zu Unrecht lediglich die Kaltmiete
in Abzug gebracht worden und außerdem seien die KFZ-Versicherungskosten noch in Abzug zu bringen, half das
Sozialgericht mit Beschluss vom 07.07.2004 der Beschwerde insoweit teilweise ab, als die Monatsraten auf 15 EUR
festgesetzt wurden.
Das Sozialgericht hatte nach umfangreichen Ermittlungen und der Vorlage diverser Belege anteilige Kosten für
Unterkunft und Heizung in Höhe von 312,43 EUR ermittelt. Hierbei waren die monatlichen Kosten für Festbrennstoff
(Holz) mit 55,01 EUR, die Grundsteuer mit 0,29625 EUR, die Schornsteinfegerkosten mit 2,4354 EUR und die
Abfallentsorgungsgebühren mit 1,4233 EUR monatlich in Ansatz gebracht worden, wobei davon ausgegangen worden
war, dass von den nachgewiesenen Kosten jeweils die Hälfte auf die Klägerin entfalle. Die Klägerin hat daraufhin die
Beschwerde nicht für erledigt erklärt.
Der Bezirksrevisor beim Sächsischen Landessozialgericht hat im Gegensatz zum Sozialgericht die
Versicherungskosten nicht mit 20,10 EUR monatlich, sondern mit 26,16 EUR monatlich angesetzt, wobei diese
Differenz darauf beruht, dass - vermutlich versehentlich - die Kosten für die Rechtsschutzversicherung nicht geteilt
wurden, sondern voll umfänglich als Ausgaben der Klägerin angesehen wurden. In diesem Zusammenhang wurde
darauf hingewiesen, dass der Senat zu prüfen habe, ob die Rechtsschutzversicherung nicht vielleicht doch - entgegen
den Angaben der Klägerin in der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse - für den
vorliegenden Rechtsstreit einstandspflichtig sei. Außerdem ermittelte der Bezirksrevisor im Gegensatz zum
Sozialgericht Kosten für das Brennholz in Höhe von monatlich nur 50,00 (statt 55,01) EUR. Den Hauptunterschied in
dieser Berechnung macht jedoch die Ermittlung der Mietkosten aus. Nach Auffassung des Bezirksrevisors ist eine
Kaltmiete von 500 EUR bei einer Wohnungsgröße von 68 Quadratmetern (7,35 EUR pro Quadratmeter) überhöht. Die
Mietzahlung sei damit nicht mehr angemessen. Es müsse eine Kaltmiete von 5 EUR je Quadratmeter angenommen
werden. Bei einer so erreichneten Kaltmiete von 340 EUR ergebe sich für die Klägerin ein Beitrag von 170 EUR, der
sich unter Berücksichtigung der laut Mietvertrag in der Gesamtkaltmiete von 500 EUR enthaltenen 71,79 EUR für
Gebäudeversicherung noch einmal um (71,79:24=) 2,99 EUR erhöhte. Somit ergibt sich aus Sicht des Bezirksrevisors
ein einsetzbares Einkommen von 202,99 EUR, welches eine Ratenzahlung von 75 EUR monatlich als zutreffend
erscheinen lasse.
II.
Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet.
Geht man bei den verschiedenen in diesem Verfahren angestellten Berechnungen jeweils von dem für die Klägerin
günstigerem Ansatz aus, so liegt das einzusetzende Einkommen gleichwohl nicht unter der Grenze von 15 EUR, so
dass also eine ratenfreie Bewilligung nicht in Betracht kommt. Die Klägerin, Sozialgericht und Bezirksrevisor stimmen
darin überein, dass der aktualisierte Rentenbetrag von 830,28 EUR zu Grunde zu legen und hiervon der
Unterhaltsfreibetrag in Höhe von 364 EUR sowie für den Bausparvertrag 10 EUR abzuziehen sind. In dem
Abhilfebeschluss hatte das Sozialgericht Mietkosten in Höhe von 312,43 EUR (Warmmiete einschließlich
Nebenkosten) angesetzt. Die Obergrenze des berücksichtigungsfähigen Betrages bildet jedoch der Betrag, der von
der Klägerin in ihrem Antrag als eigener Beitrag angegeben wurde: dies sind 300 EUR. Geht man weiterhin davon aus,
dass tatsächlich, wie vom Bezirksrevisor angenommen, die Rechtsschutzversicherung als eigene Ausgabe der
Klägerin anzusehen ist (Versicherungskosten also 26,16 statt 20,10 EUR) und bewilligt man außerdem den vom
Sozialgericht pauschal angenommenen ernährungsbedingten Mehraufwand von 100 EUR, so ergibt sich gleichwohl ein
einzusetzendes Einkommen von 30 EUR, welches nach der Tabelle zu § 115 Abs. 1 Satz 4 ZPO Monatsraten in
Höhe von 15 EUR rechtfertigt.
Es muss jedoch in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen werden, dass ein pauschaler ernährungsbedingter
Mehrbetrag wegen erhöhter Blutfettwerte bei Fettleber kaum zu rechtfertigen ist.
Die Rechtsprechung hat in der Vergangenheit bei der Erforderlichkeit einer Zuckerdiät solche Pauschalen
angenommen (OLG Braunschweig, Beschluss vom 05.07.1988 - 1 WF 73/88 -: 100 DM). Inzwischen dürften aber am
ehesten die Sächsischen Sozialhilferichtlinien ein Anhaltspunkt dafür sein, welche Beträge nach § 23 Abs. 4 BSHG
bzw. 30 Abs. 5 SGB XII für den krankheits- bzw. ernährungsbedingten Mehrbedarf anzusetzen sind. So sehen die
Sozialhilferichtlinien bei Hyperlipidämie einen Mehrbedarf von 35,79 EUR vor. Im Übrigen können auch bei der
Entscheidung über den Mehrbedarfszuschlag die "Empfehlungen für die Gewährung von Krankenkostzulagen in der
Sozialhilfe" des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge herangezogen werden (vgl. OVG Lüneburg,
Beschluss vom 13.10.2003 - 12 LA 385/03 -).
Gemäß § 115 Abs. 1 Ziff. 1 ZPO i.V.m. § 76 Abs. 2 Nr. 3 BSHG sind vom Einkommen Beiträge zu privaten
Versicherungen abzusetzen, soweit diese Beiträge gesetzlich vorgeschrieben sind. Unbeschadet dieser Formulierung
gilt allerdings auch hier der Grundsatz, dass nur Ausgaben für sozialhilferechtlich notwendige Versicherungen
berücksichtigt werden können (vgl. Schellhorn BSHG § 76 Rd.-Nr. 37). Haftpflichtversicherungsbeiträge für
Kraftfahrzeuge können daher nur dann abgesetzt werden, wenn die Haltung des Fahrzeugs zum Beispiel für Fahrten
zur Arbeitsstätte notwendig ist (vgl. OVG Lüneburg, FEVS 42, 104). Nur wenn das Kraftfahrzeug zu
sozialhilferechtlich relevanten Zwecken benötigt wird, können die damit in Zusammenhang stehenden Kosten auch im
Rahmen der Prozesskostenhilfe einkommensmindernd berücksichtigt werden (vgl. Senat, Beschluss vom 05.06.2003
- L 6 B 80/03 KN-PKH). Die Schwelle zum sozialhilferechtlich nicht Notwendigen ist nicht erst dann überschritten,
wenn das Halten des Kraftfahrzeuges sozialhilferechtlich als unwirtschaftliches Verhalten im Sinne des § 25 Abs. 2
Nr. 2 BSHG angesehen werden muss. Sozialhilferechtlich gibt es auf der einen Seite den Extremfall, dass eine
Obliegenheit bestünde, das Fahrzeug stillzulegen; der andere Extremfall ist der, dass die Sozialhilfebehörde
verpflichtet wäre, dem Hilfesuchenden ein Fahrzeug zur Verfügung zu stellen. Nur in dem letzteren Fall können die
anfallenden Kosten auch im Rahmen der Prozesskostenhilfe geltend gemacht werden. In der - hier gegebenen -
"weder/noch - Konstellation" wird davon ausgegangen, dass die Fahrzeughaltungskosten vom eigenen
Unterhaltsbetrag mit abgedeckt sind. Sozialhilferechtlich kann die Beschaffung eines Kraftfahrzeuges vor allen Dingen
in Betracht kommen, wenn dies zur Erreichung der Arbeitsstätte notwendig ist (§ 30 BSHG bzw. § 40 Abs. 1 Nr. 3
BSHG i.V.m. § 8 EinglHVO). Für Pflegebedürftige kann ein Kraftfahrzeug im Rahmen der Hilfe zur Pflege als
atypisches Hilfsmittel im Sinne des § 68 BSHG nur in besonderen Ausnahmefällen gewährt werden
(Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 27.10.1977 - V C15/77 - ZfSH 1978, 220). Entsprechendes gilt auch für die
Übernahme der Anschaffungskosten für ein Kraftfahrzeug der Pflegeperson (BVerwG, a.a.O.). Eine hausärztliche
Bescheinigung des Inhaltes, dass die Klägerin auf Grund zum Teil körperbehindernder chronischer Erkrankungen auf
das ständige Vorhandensein eines Privat-PKW zur regelmäßigen und kurzfristigen Inanspruchnahme der
Einrichtungen des Gesundheitswesens angewiesen ist, kann daher die sozialhilferechtliche Notwendigkeit eines
Kraftfahrzeuges nicht begründen.
Der Vollständigkeit halber wird darauf hingewiesen, dass der Ansicht des Bezirksrevisors, es müsste eine fiktive
marktübliche Miete angesetzt werden, nicht gefolgt wird. Nicht absetzbar sind die Mietkosten ausnahmsweise dann,
soweit sie in auffallendem Missverhältnis zu den Lebensverhältnissen des Antragsstellers stehen. Dies ist nur dann
der Fall, wenn sie, gemessen an seinem gesamten Lebenszuschnitt, ohne verständlichen Grund außerordentlich
überhöht sind (Thomas-Putzo-Reinhold, § 115 ZPO Rd.-Nr. 12 m.w.N.). Eine solche Situation ist ersichtlich nicht
gegeben, wenn ein Ehepaar in einer Wohnung von 68 Quadratmetern wohnt. Der Umstand, dass der Vermieter der
Sohn der Klägerin ist, eröffnet nicht die Möglichkeit einer Fiktivberechnung. Eine dem § 134 Abs. 2 Ziff. 1 SGB III
entsprechende Vorschrift ist im Recht der Prozesskostenhilfe nicht vorgesehen. Allenfalls im Falle - nachgewiesenen
- kollusiven Zusammenwirkens - wäre daran zu denken, denjenigen Teil der Mietzahlungen, die fälschlich als
Mietzahlung deklariert wurden, in Wahrheit jedoch einem anderen Zweck dienen oder überhaupt nicht geleistet werden,
in Abzug zu bringen.
Die in den PKH-Akten befindliche Quittung über "435 EUR für 3mal 7000 Quadratmeter Wiese mähen und Gras
abtransportieren" ist, wie es offenbar auch die Prozessbevollmächtigte der Klägerin sieht, prozesskostenhilferechtlich
ohne Belang.
Auf Grund des auch im PKH-Beschwerdeverfahrens geltenden Verbots der Reformatio in peius (vgl. Senat, Beschluss
vom 05.06.2003, L 6 B 80/03 KN-PKH, Thüringer LSG SGb. 2003, 578) kann es dahinstehen, ob bei korrekter
Berechnung höhere Ratenzahlungen zu erbringen wären; fest steht jedenfalls, dass die von der Beschwerdeführerin
beabsichtigte ratenfreie Bewilligung unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt denkbar ist.
Dieser Beschluss ist nicht weiter anfechtbar, § 177 SGG.