Urteil des LSG Sachsen vom 20.07.2005

LSG Fss: altersrente, untätigkeitsklage, arbeitslosigkeit, drittwirkung, erlass, anhörung, form, ehepartner, bfa, niedersachsen

Sächsisches Landessozialgericht
Urteil vom 20.07.2005 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Chemnitz S 14 KN 404/03
Sächsisches Landessozialgericht L 6 KN 94/04
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 11. Mai 2004 wird
zurückgewiesen. II. Die Beteiligten haben sich auch im Berufungsverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu
erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen die Nichtbescheidung eines Antrages auf Feststellung von Berücksichtigungszeiten
wegen Kindererziehung vom 1. Dezember 1993 durch die Be-klagte.
Der am ... 1933 geborene Kläger beantragte am 1. Dezember 1993 eine Altersrente wegen Arbeitslosigkeit und
Vollendung des 60. Lebensjahres bei der Beklagten. Gleichzei-tig stellte er den Antrag auf Feststellung von
Kindererziehungszei-ten/Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung auf dem Vordruck der Beklagten mit der Nr.
22640 für seine Söhne T. S. , geboren am ... 1961, U. S ..., geboren am ... 1962 und C. S ..., geboren am ... 1971
und begehrte eine Zuordnung dieser Zeiten.
Mit Schreiben vom 18. Januar 1994 "widerrief" der Kläger die beantragte Zuordnung von Kindererziehungszeiten und
erklärte, dass eine Zuordnung bei seinem Ehepartner erfolgen solle. Das Schreiben vom 18. Januar 1994 hat
folgenden Wortlaut: "Sehr geehrte Damen und Herren, die im Rentenantrag vom 1. Dezember 1993 geltendge-machte
Zuordnung von Kindererziehungszeiten (Vordruck 22640) wird hiermit widerru-fen. Eine Zuordnung soll bei meinem
Ehepartner erfolgen!".
Mit Bescheid vom 2. August 1994 gewährte die Beklagte dem Kläger ab dem 1. Oktober 1993 Altersrente wegen
Arbeitslosigkeit in Höhe von monatlich 2.536,74 DM. Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger keinen Widerspruch.
Mit Schreiben vom 20. August 1997 und 28. Oktober 1997 beantragte der Kläger die Überprüfung des Bescheides
vom 2. August 1994. Eine Nichtberücksichtigung von Kindererziehungszeiten bzw. Berücksichti-gungszeiten machte
er hierbei jedoch nicht geltend. Auch in einem weiteren Überprü-fungsantrag vom 25. Oktober 1998 fand den Bescheid
der Beklagten vom 2. August 1994 sowie den zwischenzeitlich am 14. Januar 1998 erlassenen
Rentenneufeststellungsbescheid betreffend, die Berücksichtigung von Kindeserziehungszeiten keine Erwähnung. Die
Ü-berprüfungsanträge lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 31. März 1999 ab.
Erstmals im Jahr 2000 führte der Kläger aus, dass ihm Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung zuzuordnen
seien. Über diesen Antrag auf Neufeststellung der Altersrente unter Anrechnung von Berücksichtigungszeiten wegen
Kindererziehung traf die Beklagte durch Bescheid vom 09. April 2002, der dem Kläger am 11. April 2002 zugegangen
ist, eine Entscheidung.
Am 13. August 2003 hat der Kläger vor dem Sozialgericht Chemnitz (SG) Untätigkeits-klage erhoben und sein
Begehren auf Bescheidung seines Antrages auf Feststellung von Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung
vom 1. Dezember 1993 gegenüber der Beklagten weiterverfolgt. Er hat vortragen lassen, dass die Beklagte bis zum
heutigen Tage nicht über seinen Antrag vom 1. Dezember 1993 entschieden habe. Mit Schreiben vom 18. Januar
1994 habe er sei-nen Antrag lediglich eingeschränkt; eine Entscheidung über den Antrag auf Feststellung von
Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung gemäß § 57 SGB VI sei von dem Widerruf im Schreiben vom 18.
Januar 1994 nicht erfasst. Der streitige Bescheid hätte dar-über hinaus eine Drittwirkung gegenüber der
miterziehenden Kindesmutter entfaltet und hätte dieser gegenüber bekannt gegeben werden müssen. Als
Drittbetroffene stünde ihr ein eigenes Recht der Anfechtungsklage zu. Da eine vorgeschriebene Anhörung der Kindes-
mutter vor Erlass des Rentenbescheides unterblieben sei, führe dieser Verstoß bereits zu einem Aufhebungsanspruch
gegenüber dem Kläger.
Die Beklagte hat dargetan, dass sie auf Grund des Antrages vom 1. Dezember 1993 mit Datum vom 2. August 1994
den Bescheid über die Gewährung der Altersrente wegen Ar-beitslosigkeit ab dem 1. Oktober 1993 gemäß § 38 SGB
VI erlassen habe. Gegen diesen Bescheid sei der Kläger nicht in Widerspruch gegangen, so dass der Bescheid
Bestands-kraft erlangt habe. Erstmals mit Schriftsatz vom 23. November 2000 habe der Kläger bei der Beklagten den
Antrag auf Neufeststellung einer Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit gemäß § 44 SGB X
gestellt. Mit Bescheid vom 9. April 2002 habe die Beklagte über den Antrag des Klägers auf Neufeststellung der
Altersrente ent-schieden. Den Erhalt dieses Bescheides habe die Prozessbevollmächtigte des Klägers be- stätigt. Die
Beklagte könne daher nicht erkennen, dass sie noch nicht über den Antrag auf Feststellung von
Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung entschieden haben soll. Darüber hinaus stelle sich die Frage, wieso
der Kläger selbst, insbesondere im Zeitrahmen nach Erlass des Ursprungsbescheides vom 2. August 1994 bis zum
Zeitpunkt der Beantra-gung der Neufeststellung der Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeit-arbeit,
das Verfahren im Jahr 2000 wegen Anrechnung von Berücksichtigungszeiten nicht weiterbetrieben habe und nunmehr
nach über 9 Jahren eine Klage wegen angeblicher Untä-tigkeit einreiche.
Das SG hat nach Anhörung der Beteiligten die Klage mit Gerichtsbescheid vom 11. Mai 2004 abgewiesen und
ausgeführt, dass die formgerecht eingelegte Klage unzulässig sei. Nach § 88 Abs. 1 SGG sei eine
Verpflichtungsklage in der Form der Untätigkeitsklage zulässig, wenn die Behörde auf einen Antrag auf Vornahme
eines Verwaltungsaktes ohne zureichenden Grund in angemessener Frist nicht entschieden habe.
Zulässigkeitsvoraussetzung einer Klage nach § 88 Abs. 1 SGG sei daher zunächst ein An-trag auf Vornahme eines
Verwaltungsaktes (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 7. Aufl., § 88 Rz. 3). An einem solchen Antrag fehle es hier. Zwar habe
der Kläger den Antrag auf Feststel-lung von Kindererziehungszeiten/Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung
(Vor-druck Nr. 22640 der Beklagten) im Rahmen seiner Rentenantragstellung ausgefüllt und zum Bestandteil seines
Rentenantrages gemacht. Durch den Schriftsatz vom 16. Januar 1994 sei dieser Antrag aber zurückgenommen
worden. Entgegen der Auffassung des Klägers handele es sich hierbei nicht um eine Einschränkung des Antrages
vom 1. Dezember 1993 dahingehend, dass die Beklagte (nur) noch über Be-rücksichtigungszeiten wegen
Kindererziehung gem. § 57 SGB VI entscheiden solle. Viel-mehr habe der Kläger zum Ausdruck gebracht, dass der
gesamte Antrag vom 1. Dezember 1993 auf dem Vordruck Nr. 22640 zurückgenommen werde solle. Es habe auch
kein An-lass bestanden, etwa durch eine Nachfrage bei dem Kläger eventuelle Unrichtigkeiten zu beseitigen oder den
Kläger auf eine sachdienliche Antragstellung hinzuweisen. Der Kläger habe vielmehr durch die Formulierung, dass
eine Zuordnung bei seinem Ehegatten erfol-gen solle, eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass er an seinem
ursprünglichen Begehren, für die Erziehung seiner drei Söhne Berücksichtigungs- bzw. Anrechnungszeiten feststel-len
zu lassen, nicht mehr festhalte. Nach § 57 SGB VI sei die Zeit der Erziehung eines Kindes bis zu dessen vollendeten
zehnten Lebensjahr bei einem Elternteil eine Berücksich-tigungszeit, soweit die Vorsaussetzungen für die Anrechnung
einer Kindererziehungszeit auch in dieser Zeit vorliegen. Eine gesonderte Entscheidung zu Berücksichtigungszeiten
wegen Kindererziehung gem. § 57 SGB VI sei damit unter keinen Umständen mehr in Be-tracht gekommen. Ein
Zuordnungsantrag hätte nur Sinn gemacht, wenn die Zurechnung bei dem anderen Ehegatten nicht erfolgen sollte.
Ausweislich seines Schreibens vom 18. Januar 1994 habe der Kläger jedoch eine Zurechnung bei seiner Ehegattin
gewollt. Mangels eines Antrages auf Vornahme eines Verwaltungsaktes sei die Untätigkeitsklage bereits deswegen
als unzulässig abzuweisen. Die Klage sei überdies auch unzulässig, weil die Beklagte durch Bescheid vom 9. April
2002, dem Kläger am 11. April 2002 zugegangen, über die Anrechnung von Berücksichti-gungszeiten wegen
Kindererziehung entschieden habe. Die Klage wäre auch als unzulässig abzuweisen gewesen, wenn die Beklagte den
Bescheid vom 9. April 2002 nicht erlassen hätte. Die Klageerhebung sei rechtsmissbräuchlich, da der Kläger sein
Klagerecht verwirkt habe. Werde Untätigkeitsklage sehr spät, unter Um-ständen erst nach Jahren erhoben, müsse das
Gericht prüfen, ob die Klageerhebung rechtsmissbräuchlich und das Klagerecht verwirkt sei (vgl. Begr. zum
Gesetzentwurf, BT-Drucks. 7/4224 S.13, Meyer-Ladewig, a.a.O., § 88, Rz. 13). Eine solche Verwirkung setzte neben
dem Zeitmoment auch ein Umstandmoment voraus. Nach Ablauf von über 9 Jahren sei das Zeitmoment offensichtlich
gegeben. Daneben lägen auch besondere Umstände vor, die die Klage als rechtsmissbräuchlich erscheinen liesen.
Zum einen sei, wie bereits darge-legt, der Antrag vom 1. Dezember 1993 durch Schreiben vom 18. Januar 1994
zurückge-nommen worden. Überdies sei von der Beklagten am 2. August 1994 ein Bescheid über die Gewährung der
Altersrente wegen Arbeitslosigkeit am 1. Oktober 1993 erlassen und erst-mals im Jahr 2001 ein neuer Antrag auf
Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten vom Kläger gestellt worden. Schließlich wäre die Klage auch deshalb
unbegründet, da das Recht auf Bescheidung nicht Selbstzweck sei, sondern der Durchsetzung materiellrechlticher
Ansprüche diene, so dass mangels Vorliegen eines solchen Anspruches die Klage abzuweisen sei (vgl. Meyer-
Ladewig, a.a.O., § 88, Rz. 9; Landessozialgericht für das Land Niedersachsen, Urteil vom 26. November 1997, Az.: L
4 Kr 99/96). Trotz mehrfacher Hinweise des Gerichts, dass eine Bescheidung für den Kläger keinerlei materiell-
rechtliche Ansprüche sichern würde, habe der Kläger weiterhin auf einer Entscheidung bestanden.
Hiergegen richtet sich die am 21. Juni 2004 beim Sächsischen LSG eingelegte Berufung des Klägers, die er damit
begründen lies, dass das SG den Sachverhalt nicht hinreichend gründlich von Amts wegen erforscht und
insbesondere nicht die Verwaltungsakte der Ehe-frau des Klägers von der BfA beigezogen habe. Ferner habe die
Beklagte den Kläger im Hinblick auf die ihr obliegenden Beratungspflicht nach § 16 Abs. 3 SGB I nicht hinreichend
über die Widersprüchlichkeit seiner Angaben und Erklärungen aufgeklärt und auf sachdienliche Anträge hingewirkt.
Auch hätte im Rahmen des Rentenverfahrens des Klägers eine Beteiligung der Kindsmut-ter erfolgen müssen, die von
der Beklagten zu veranlassen gewesen wäre, da es sich um einen Verwaltungsakt mit Drittwirkung handele. Eine
solche Beteiligung sei nicht erfolgt und der nachgehend erlassenen Rentenbescheid vom 2. August 2004 auf Grund
des Ver-stoßes gegen § 42 S. 2 SGB I rechtswidrig. Der Kläger habe bereits aus diesem Grunde einen
Aufhebungsanspruch.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 11.05.2004 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den
Antrag auf Feststellung von Berücksichtigungszei-ten wegen Kindererziehung vom 01.12.1993 zu bescheiden sowie
dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie bezieht sich auf ihr erstinstanzliches Vorbringen und auf die ihrer Ansicht nach zutref-fenden Gründe der
erstinstanzlichen Entscheidung.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die beigezogene Verwaltungsakte
verwiesen, die Gegenstand des Rechtsstreites gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 Sozialge-richtsgesetz -SGG-) ist nicht
begründet.
Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen, weil im Ergebnis ein Anspruch des Klägers auf Verbescheidung seines
am 1. Dezember 1993 gestellten Antrages nicht besteht.
Gemäß § 88 Abs. 1 Satz 1 SGG ist eine Untätigkeitsklage nach Ablauf von sechs Monaten zulässig, wenn ein Antrag
auf Vornahme eines Verwaltungsaktes ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht beschieden
wurde.
Es kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger mit der Erhebung der Untätigkeitsklage am 13. August 2003 hinsichtlich
der Verbescheidung seines Antrages aus dem Jahre 1993 sein Klagerecht auf Untätigkeit verwirkt hat, denn die
Untätigkeitsklage ist bereits mangels eines Antrages unzulässig. Zwar hat der Kläger am 1. Dezember 1993 einen
Antrag auf Feststellung von Kindererziehungszeiten gestellt und den entsprechenden Vordruck Nr. 22640 ausgefüllt.
Dabei hat der Kläger jedoch lediglich Angaben hinsichtlich der Zuord-nung von Kindererziehungszeiten zum Vater
gemacht (Punkt 16.1 bis 16.3 des Antrages ausgefüllt), jedoch nicht zur Zuordnung von Berücksichtigungszeiten
wegen Kindererzie-hung (Punkt 16.4 des Antrages nicht ausgefüllt). Damit hat der Kläger am 1. Dezember 1993
keinen Antrag gestellt, der unbeschieden geblieben wäre. Die Untätigkeitsklage scheitert daher bereits daran, dass
kein Antrag vom 1. Dezember 1993 (und nur dessen Bescheidung ist nach der unmissverständlichen Antragstellung
begehrt) existent ist. Es kann somit auch dahingestellt bleiben, ob die weiteren ergangenen Rentenbescheide etwa
wegen der von der Bevollmächtigten vorgetragenen vermeintlichen Verletzung von Ver-fahrensrecht (insbesondere im
Hinblick eines Verwaltungsaktes mit Drittwirkung) nicht wirksam wurden. Im Rahmen der Prüfung eines
sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs gibt es keinen An-haltspunkt, dass der Kläger sich mit einem
Beratungsersuchen an die Beklagte gewandt. Ferner bieten die eindeutigen Willenserklärungen des Klägers keinen
Anlass für eine Spontanberatung der Beklagten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG; Gründe für die Zulassung der Revi-sion (§ 160 Abs. 2 SGG)
liegen nicht vor.