Urteil des LSG Sachsen vom 23.02.2009

LSG Fss: einkommen aus erwerbstätigkeit, entschädigung, sozialhilfe, vergütung, zivilprozessordnung, unterkunftskosten, lfg, form, integration, begünstigung

Sächsisches Landessozialgericht
Beschluss vom 23.02.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Chemnitz S 3 AS 1246/06
Sächsisches Landessozialgericht L 3 B 138/07 AS-PKH
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 19. Februar 2007 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe:
Die zulässige Beschwerde, die sich gegen die Festsetzung einer Ratenzahlungspflicht in Höhe von 15,00 EUR im
Beschluss des Sozialgerichtes vom 19. Februar 2007 wendet, ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat zu Recht
Prozesskostenhilfe mit der Maßgabe einer monatlichen Ratenzahlung in Höhe von 15,00 EUR bewilligt.
Gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i. V. m. § 114 der Zivilprozessordnung (ZPO) erhält
ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht,
nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte
Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichend Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Die
Bewilligung der Prozesskostenhilfe erfolgt für jeden Rechtszug besonders (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 119
Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Hieran gemessen war Prozesskostenhilfe mit einer Ratenzahlungsverpflichtung in der festgelegten Höhe zu
bewilligen.
Gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 115 Abs. 1 Satz 1 ZPO hat die Partei ihr Einkommen einzusetzen. Zum
Einkommen gehören alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 115 Abs. 1 Satz 1
ZPO). Die Klägerin bezieht Arbeitslosengeld II in Höhe von monatlich 588,61 EUR. Sie erhält ferner eine
Mehraufwandsentschädigung aus einem sogenannten 1-Euro-Job gemäß § 16 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 des Zweiten
Buches Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) in Höhe von durchschnittlich 120,00 EUR
im Monat. Insgesamt erzielt sie danach Einkommen in Höhe von 708,61 EUR.
Von diesem Einkommen sind Beträge nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 115 Abs. 1 Satz 3 ZPO abzusetzen,
wobei die Beträge, die zum Zeitpunkt der Bewilligung der Prozesskostenhilfe gelten, maßgebend sind (§ 73a Abs. 1
Satz 1 SGG i. V. m. § 115 Abs. 1 Satz 4 ZPO). Dies sind vorliegend der eigene Unterhaltsfreibetrag in Höhe von
380,00 EUR (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 Buchst. a ZPO i. V. m. Nr. 2 der
Bekanntmachung des Bundesministeriums der Justiz zu § 115 der Zivilprozessordnung
(Prozesskostenhilfebekanntmachung 2006 – PKHB 2006) vom 6. Juni 2006 [BGBl I S. 1292]) sowie die tatsächlichen
Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 295,28 EUR (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 115 Abs. 1 Satz 3
Nr. 3 ZPO). Dies ergibt einen Gesamtabzugsbetrag in Höhe von 675,28 EUR.
Hingegen war vom Einkommen der Klägerin nicht gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1
Buchst. b ZPO i.V.m. § 28 Abs. 2 Satz 1 des Zwölften Buch Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe - (SGB XII) der
Erwerbstätigkeitsbonus in Höhe von damals 173,00 EUR (vgl. Nummer 1 PKHB 2006) abzusetzen. Denn § 115 Abs. 1
Satz 3 Nr. 1 Buchst. b ZPO stellt auf "Parteien, die ein Einkommen aus Erwerbstätigkeit erzielen," ab. Die Klägerin,
die auf Grund ihres sogenannten 1-Euro-Jobs eine Mehraufwandsentschädigungen gemäß § 16 Abs. 3 Satz 2
Halbsatz 1 SGB II erhält, ist nicht im Sinne dieser Vorschrift erwerbstätig.
Der Bergriff der Erwerbstätigkeit ist weder in § 115 ZPO noch an anderer Stelle in der Zivilprozessordnung definiert.
Es ist deshalb auf den Sprachgebrauch, wie er in anderen Normen seinen Niederschlag gefunden hat, abzustellen.
Weil die Prozesskostenhilfe eine Form der Sozialhilfe ist (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO (67.
Aufl., 2009), Übers. § 114 Rdnr. 1, m. w. N.), ist zur Auslegung des Erwerbstätigkeitsbegriffes in erster Linie auf das
Sozialhilferecht zurückzugreifen,
Unter Geltung des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) wurde der Begriff der Erwerbstätigkeit weit verstanden. Das
Bundesverwaltungsgericht beschrieb sie als Tätigkeit, "die zu Erträgen zur Bestreitung des Lebensunterhalts führt"
(so zu § 88 Abs. 2 Nr. 4 BSHG: BVerwG, Urteil vom 19. November 1992 – BVerwG 5 C 15.84 – BVerwGE 91, 173
[175]; BVerwG, Urteil vom 21. Juli 1994 – 5 C 32/91 – BVerwGE 96, 246 [248]). Unter einem Erwerbstätigen verstand
es demzufolge "jemanden, der - sei es als Selbständiger, sei es als unselbständig Beschäftigter - eine wirtschaftlich
verwertbare Leistung gegen Entgelt erbringt, um damit seinen Lebensunterhalt zu verdienen" (BVerwG, Urteil vom 21.
Juli 1994 - 5 C 32/91, a. a. O.). Hiervon ausgehend wurden zu den Erwerbstätigen auch Personen gerechnet, die einer
nicht sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit nachgehen wie Freiberufler, solche, die nur geringfügig, kurz, oder
unregelmäßig arbeiten, Auszubildende mit Ausbildungsvergütung oder behinderte Menschen, die vom Werkstattträger
eine Vergütung erhalten (vgl. Brühl, in: LPK-BSHG [6. Aufl., 2003], § 76 Rdnr. 84 ff., m. w. N.;
Schellhorn/Jirasek/Seipp, BSHG [15. Aufl., 1997], § 76 Rdnr. 44, m. w. N.). Hingegen wurden Personen
ausgenommen, die sich in einer Schul-, Aus- oder Fortbildung ohne Vergütung vom Arbeitgeber befanden; die
Behandlung von Personen in einer Umschulung war streitig (vgl. Brühl, a. a. O., Schellhorn/Jirasek/Seipp, a. a. O.).
Bei Beschäftigte in gemeinnütziger Arbeit (§§ 19, 20 BSHG) wurde differenziert: Wenn sie Arbeitsentgelt bezogen,
wurden die Erwerbstätigkeit bejaht, wenn sie Hilfe zum Lebensunterhalt zuzüglich einer angemessenen
Entschädigung für Mehraufwendungen erhielten, wurde dies verneint (vgl. Brühl, a. a. O., § 76 Rdnr. 86).
Dieser Verständnis der Erwerbstätigkeit, dem die eingangs beschriebene Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichtes zugrunde liegt, blieb nach dem In-Kraft-Treten des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch –
Sozialhilfe – (SGB XII) unverändert (vgl. zu § 90 Abs. 2 Nr. 5 SGB XII: Brühl, in: LPK-SGB XII [7. Aufl., 2005], § 90
Rdnr. 38; Schellhorn, in: Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII [17. Aufl., 2006], § 90 Rdnr. 49).
Auch die Erwerbstätigkeitsbegriffe im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch, insbesondere in § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 SGB
II und § 30 SGB II, werden in diesem Sinne verstanden (vgl. Mecke, in: Eicher/Spellbrink, SGB II [2. Aufl., 2008], §
11 Rdnr. 126 und § 30 Rdnr. 11 ff.; Hasske, in: Estelmann [Hrsg.], SGB II [Stand: 16. Erg.-Lfg., Dezember 2008], §
11 Rdnr. 89; Löschau, in: Estelmann, SGB II [Stand: 16. Erg.-Lfg., Dezember 2008], § 30 Rdnr. 11: anders Birk, in:
LPK-SGB II [2. Aufl., 2007], § 30 Rdnr. 5, der die Abgrenzung von Erwerbseinkommen zu sonstigem Einkommen
nach Maßgabe der Einkunftsarten des Steuerrechts vornehmen will
Auf der Grundlage dieser sozialrechtlichen Terminologie übt die Klägerin im Rahmen ihres 1-Euro-Jobs, für den sie
eine Mehraufwandsentschädigung nach § 16 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 SGB II erhält, keine Erwerbstätigkeit im Sinne
von § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 Buchst. b ZPO aus (vgl. Mecke, a. a. O., § 11 Rdnr. 126; im Ergebnis ebenso zum
Erwerbstätigkeitsbegriff in § 17 des Gesetzes über die Vergütung von Sachverständigen, Dolmetscherinnen,
Dolmetschern, Übersetzerinnen und Übersetzern sowie die Entschädigung von ehrenamtlichen Richterinnen,
ehrenamtlichen Richtern, Zeuginnen, Zeugen und Dritten [Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz – JVEG]:
OLG Dresden, Beschluss vom 29. Mai 2006 – 3 Ws 17/06 -, das u. a. auf den Erwerbstätigkeitsbegriff in § 2 Abs. 2
des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet
[Aufenthaltsgesetz – AufenthG] abstellt).
Die Regelung betreffend den Erwerbstätigkeitsbonus ist auch nicht in analoger Anwendung des § 115 Abs. 1 Satz 3
Nr. 1 Buchst. b ZPO auf Personen, die im Rahmen eines 1-Euro-Jobs eine Mehraufwandsentschädigung erhalten,
entsprechend anzuwenden. Denn es liegt keine einer Analogie zugängliche Regelungslücke vor.
Mit der Regelung in § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 Buchst. b ZPO über den Erwerbstätigkeitsbonus wird der Zweck
verfolgt, das für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu Grunde zu legende Einkommen der Partei um diese
anfallenden "Unkosten" der Berufstätigkeit zu vermindern (LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 27. Juni 2007 –
9 Ta 8/07 – JURIS-Dokument Rdnr. 19). Dem liegt zugrunde, dass ein Erwerbstätiger aus seinem Einkommen seine
sämtlichen Ausgaben zu bestreiten hat, das heißt seinen Lebensunterhalt, seine Unterkunftskosten, aber auch seine
mit der Einkommenserzielung verbundenen Aufwendungen. Demgegenüber stellen sich die finanziellen
Rahmenbedingungen bei einem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, der einem 1-Euro-Job nachgeht, grundlegend anders
dar. Dessen Aufwendungen für den Lebensunterhalt und die Unterkunftskosten werden über das Arbeitslosengeld II
gedeckt (vgl. § 19 Satz 1 SGB II). Hinzu kommt die Mehraufwandsentschädigung nach § 16 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1
SGB II. Mit dieser Entschädigung soll nicht ein Anreiz zur Aufnahme der Tätigkeit geschaffen werden, sondern es soll
auch der Mehrbedarf für Fahrkosten, Arbeitskleidung, und Ernährung berücksichtigt werden (vgl. Eicher, in:
Eicher/Spellbrink, SGB II [2. Aufl., 2008], § 16 Rdnr. 230). Diese wird nicht auf das Arbeitslosengeld II angerechnet,
sondern wird "zuzüglich" geleistet.
Da die Klägerin ihre mit dem 1-Euro-Job verbundenen Mehraufwendungen bereits direkt über finanzielle Leistungen
abgedeckt erhält, bedarf es somit bei ihr im Gegensatz zu Erwerbstätigen nicht des Umweges über Regelungen zur
Absetzbarkeit von Ausgaben vom Einkommen. Eine analoge Anwendung der Regelung über den
Erwerbstätigkeitsbonus auf 1-Euro-Job-Fälle würde vielmehr zu einer doppelten Begünstigung führen, weil für
dieselben Aufwendungen nicht nur finanzielle Leistungen in Form der Mehraufwandsentschädigung erbracht würden,
sondern die Aufwendungen auch nochmals vom Einkommen abgesetzt werden könnten. Dies wäre gegenüber
Erwerbstätigen eine nicht mit Artikel 3 Abs. 1 des Grundgesetzes zu vereinbarende Besserstellung.
Soweit die Klägerin höhere Aufwendungen geltend macht, die ihr im Zusammenhang mit dem 1-Euro-Job entstünden,
ist dies nicht im prozesskostenhilferechtlichen Verfahren zu verfolgen. Vielmehr ist sie insoweit darauf zu verweisen,
dass die Angemessenheit der Mehraufwandsentschädigung, mithin auch ein etwaiger Anspruch auf eine höhere
Entschädigung, in einer Klage vor dem Sozialgericht geltend gemacht werden kann (vgl. Eicher, a. a. O.; Niewald, in:
LPK-SGB II [2. Aufl., 2007], § 16 Rdnr. 57).
Entsprechend den vorstehenden Ausführungen sind vom Einkommen der Klägerin auch nicht gemäß § 73a Abs. 1
Satz 1 SGG i. V. m. § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 Buchst. a ZPO die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen
Ausgaben im Sinne von § 82 Abs. 2 Nr. 4 SGB XII, mithin auch nicht die Pauschbeträge aus § 3 Abs. 4 bis 6 der
Verordnung zur Durchführung des § 82 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch, abzusetzen. Denn diese Ausgaben
werden über die Mehraufwandsentschädigung nach § 16 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 SGB II abgedeckt.
Ausgehend von einem monatlichen Einkommen in Höhe von 708,61 EUR verbleibt nach Abzug des
Gesamtabzugsbetrages in Höhe von 675,28 EUR ein Betrag in Höhe von 33,33 EUR. Aus diesem auf 33,00 EUR
abzurundenden, einzusetzenden Einkommen hat die Klägerin gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 115 Abs. 2
ZPO Monatsraten in Höhe von 15,00 EUR aufzubringen.
Dieser Beschluss ergeht gerichtskostenfrei (§ 183 SGG). Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens
sind nicht erstattungsfähig (§ 202 SGG i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO)
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).