Urteil des LSG Sachsen vom 12.08.2008
LSG Fss: rücknahme der klage, verwaltungsakt, vergütung, gebühr, vergleich, behörde, chancengleichheit, abweisung, mitwirkungshandlung, disposition
Sächsisches Landessozialgericht
Beschluss vom 12.08.2008 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Chemnitz S 28 SF 42/08 AS-F
Sächsisches Landessozialgericht L 6 B 327/08 AS-KO
Auf die Beschwerde der Rechtsanwältin wird der Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 02.04.2008 abgeändert.
Die der Rechtsanwältin aus der Staatskasse zustehende Vergütung wird auf 610,86 EUR festgesetzt.
Gründe:
I.
Streitig ist die Höhe der im Rahmen der Prozesskostenhilfe aus der Staatskasse zu zahlenden Vergütung für das
Ausgangsverfahren X gegen ARGE Zwickau-Stadt (Sozialgericht Chemnitz, Az. S 28 AS 1769/07). In jenem
Verfahren war ein Sanktionsbescheid gemäß § 31 Abs. 2 SGB II streitig; hätte dieser Bescheid Bestand gehabt, so
hätte sich daraus eine Absenkung des Arbeitslosengeldes II in den Monaten März 2007 bis Mai 2007 um jeweils
35,00 EUR monatlich, insgesamt also um 105,00 EUR ergeben. In der mündlichen Verhandlung vom 19.02.2008
wurde seitens der Beklagten der klägerische Anspruch, diesen Sanktionsbescheid zurückzunehmen, anerkannt, das
Anerkenntnis wurde – mit prozessbeendigendender Wirkung (§ 101 Abs. 2 SGG) – durch die Prozessbevollmächtigte
des Klägers und Beschwerdeführerin in diesem Verfahren angenommen. Mit Beschluss vom 24.10.2007 war dem
Kläger für das Klageverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der Beschwerdeführerin bewilligt worden.
Diese machte nun nach Prozessbeendigung wie folgt ihre Vergütung geltend:
1. Verfahrensgebühr VV 3102 250,00 EUR Terminsgebühr VV 3106 200,00 EUR Einigungs-/Aussöhnungsgebühr VV
1002, 1005 190,00 EUR Postgebührenpauschale VV 7002 20,00 EUR Zwischensumme 660,00 EUR Umsatzsteuer
VV 7008 125,40 EUR Gesamtsumme 785,40 EUR.
Die zuständige Kostenbeamtin setzte die Vergütung auf 460,14 EUR fest; die Tätigkeit der Rechtsanwältin im
Verfahren sei als unterdurchschnittlich zu bewerten, es erscheine daher die Ansetzung einer Verfahrensgebühr in
Höhe von 166,67 EUR als angemessen. Dies entspreche 2/3 der Mittelgebühr. Eine Einigungs-/Erledigungsgebühr sei
nicht entstanden, denn die Rechtsanwältin habe an der nichtstreitigen Erledigung nicht mitgewirkt. Eine besondere,
über die allgemeine Verfahrensförderung hinausgehende Mitwirkung sei nämlich nicht zu ersehen. Die dagegen
eingelegte Erinnerung hat das Sozialgericht mit Beschluss vom 2. April 2008 zurückgewiesen. Die Erledigungsgebühr
sei nicht entstanden, denn die Annahme eines Anerkenntnisses stelle keine Mitwirkungshandlung dar, weil auch ein
im Falle einer Nichtabgabe der Erklärung ein Anerkenntnis zu erlassen gewesen wäre, welches im Übrigen auch
entbehrlich sei, da aus einem abgegebenen Anerkenntnis auch ohne Annahmeerklärung vollstreckt werden könne. Es
sei auch nur eine Verfahrensgebühr in Höhe von 2/3 der Mittelgebühr entstanden, denn die Rechtsanwältin habe in
einem Schriftsatz vom 04.09.2007 im Wesentlichen nur Prozesskostenhilfe beantragt und darüber hinaus zur Sache
nur 22 Zeilen ausgeführt.
Gegen den am 08.04.2008 zugestellten Beschluss richtet sich die am 18.04.2008, mithin rechtzeitig (§ 56 Abs. 2 i. V.
m. § 33 Abs. 3 Satz 3 RVG), beim Sozialgericht Chemnitz eingegangene Beschwerde, welcher dieses nicht
abgeholfen hat. Die Beschwerde wird damit begründet, dass die Erledigungsgebühr sehr wohl angefallen sei,
schließlich habe sowohl das schriftsätzliche Vorbringen als auch der mündliche Vortrag im Erörterungstermin zur
Streitbeilegung ohne Urteil beigetragen. Die Kürzung der Verfahrensgebühr auf 2/3 der Mittelgebühr sei nicht
gerechtfertigt. Es habe Einsicht in die zwei Bände umfassende Leistungsakte genommen werden müssen, der
Sachverhalt habe mit dem Mandanten besprochen werden müssen. Schließlich erscheine es auch so, dass das
Gericht denjenigen Klägervertreter mit der Kürzung der Verfahrensgebühr strafen wolle, der sich in seinen
Schriftsätzen kurz und knapp äußere, anstatt beispielsweise zur Seitenfüllung den Gesetzeswortlaut zu zitieren.
Der Bezirksrevisor ist der Beschwerde entgegengetreten. Die Kürzung der Verfahrensgebühr sei gerechtfertigt. Ein
AS-Verfahren, in dem nur eine Rechtsfrage streitig ist, könne nicht dem Vergleich mit einem durchschnittlichen – die
Mittelgebühr rechtfertigenden – Rentenverfahren standhalten. Auch sei eine Gebühr nach Nr. 1006 VV RVG
(Erledigungsgebühr) nicht entstanden. Um die Erledigungsgebühr zu verdienen, müsse der Anwalt ein besonderes
Bemühen – z. B. durch Einwirkung auf die Mandantschaft oder die Beklagte – erkennen lassen (BSG, Urteile vom
07.11.2006, Az. B 1 KR 13/06 R, B 1 KR 22/06 R, B 1 KR 23/06 R).
II.
Die zulässige Beschwerde ist in dem einen Punkt begründet, in dem anderen nicht.
Die Erledigungsgebühr nach VV RVG 1006, 1005, 1002 ist entstanden. Die Beschwerdeführerin hat durch die
Annahme des Anerkenntnisses an der nichtstreitigen Erledigung mitgewirkt. Der Nachweis eines besonderen
Bemühens, der dann im Vergütungsfestsetzungsverfahren möglicherweise mit Zeugenbeweis zu führen wäre, ist nicht
erforderlich. Die Urteile des BSG vom 07.11.2006 betreffen, wie auch die in diesen Urteilen genannten weiteren
Entscheidungen, ausnahmslos im Vorverfahren entstandene Gebühren. In dieser Situation fordert das BSG zu Recht
ein Tätigwerden, das über die reine Widerspruchseinlegung und -begründung hinausgeht. Dem Widerspruchsverfahren
ist es eigentümlich, dass es sich schon gesetzmäßig auf die eine oder andere Weise "erledigt", sei es durch den
Erlass eines den Widerspruch zurückweisenden Bescheides, sei es durch die Kombination von Teilabhilfe und
Widerspruchsbescheid, sei es durch volle Stattgabe (mit oder ohne dies noch einmal ausdrücklich bestätigenden
"Widerspruchsbescheid" genannten Verwaltungsakt). Es versteht sich von selbst, dass das Entstehen der
Erledigungsgebühr nicht von dem Ausgang des Verfahrens, auf den der Anwalt ja keinen Einfluss hat (sieht man
einmal von seinem Argumentationsgeschick ab), abhängen kann. Die Erledigungsgebühr ist keine "Erfolgsprämie"
bzw. ein verdecktes Erfolgshonorar. Aus der Verwandtschaft zur Einigungsgebühr nach VV Nr. 1000 oder
Aussöhnungsgebühr nach VV Nr. 1001 sowie zum ehemaligen § 24 BRAGO folgt, dass eine vertragsähnliche
Einigung zwischen den Parteien stattgefunden haben muss, dass es also zur Beilegung des Widerspruchsverfahrens
gekommen ist und dieses Verfahren gerade nicht bis zu seinem Ende durchgefochten wurde.
Übertragen auf das Klageverfahren bedeutet dies, dass die Erledigungsgebühr nicht schon dann entsteht, wenn sich
die Meinungsverschiedenheit durch ein vollständiges oder teilweises Nachgeben der Behörde vollständig oder
teilweise "erledigt". Das Verfahren – und das ist in diesem Zustand das Klageverfahren – hat sich dadurch nämlich
noch nicht erledigt. Hilft die Behörde der Beschwer ab, indem sie den begehrten Verwaltungsakt erlässt oder den
angefochtenen Verwaltungsakt selbst aufhebt, so riskiert der Kläger, jedenfalls insofern Deckungsgleichheit mit dem
von ihm gestellten Antrag besteht, eine Abweisung seiner Klage als unzulässig. Entscheidet er sich deswegen in
dieser Situation – in Einvernehmen mit seinem beigeordneten Anwalt –, die Klage ganz oder teilweise
zurückzunehmen, so wurde eine Erledigungsgebühr nicht verdient. Entsprechendes gilt, wenn die Beklagte ein
Anerkenntnis abgibt, welches nicht angenommen wird. Denn auch in diesem Fall erledigt sich das Gerichtsverfahren
keineswegs. Der Umstand, dass aus einem nicht angenommenen Anerkenntnis vollstreckt werden kann, ändert daran
nichts. Nur das angenommene Anerkenntnis erledigt den Rechtsstreit in der Hauptsache (§ 101 Abs. 2 SGG), wird die
Annahme nicht erklärt, so bleibt der Rechtsstreit so lange anhängig, bis er sich auf andere Weise (z. B.
Anerkenntnisurteil, Abweisung der Klage als unzulässig, nachdem das Anerkenntnis bereits vollzogen wurde,
Vergleich, Klagerücknahme) erledigt. Das angenommene Anerkenntnis nach § 101 Abs. 2 SGG stellt eine
Besonderheit in den deutschen Prozessordnungen dar. Es ist nicht umsonst in dem Paragrafen geregelt, der auch den
Vergleich regelt. Allgemein gilt, dass beispielsweise im Zivilprozess ein bloßes Anerkenntnis eine Einigungsgebühr
nach Nr. 1000 VV RVG nicht auslösen kann, da es kein Vertrag ist (vgl. Gerold/Schmidt-von Eicken RVG, 17.
Auflage 2006, Nr. 1000 VV, Rdnr. 27). Das angenommene Anerkenntnis nach § 102 Abs. 2 SGG ist aber aus
mehreren Gründen vertragsähnlich: Grundsätzlich ist gemäß § 95 SGG der "ursprüngliche Verwaltungsakt in der
Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat" Gegenstand der Klage. Im Sozialgerichtsprozess
besteht allerdings die Möglichkeit, den Prozess wirksam zu beenden, ohne tatsächlich eine Regelung über alle
streitgegenständlichen Fragen gefunden zu haben. Ein Beispiel hierfür ist § 130 Abs. 1 Satz 1 SGG, der ein
streiterledigendes Grundurteil auch dann erlaubt, wenn eine Leistung dem Grunde und der Höhe nach streitig ist. Im
Rahmen des § 101 Abs. 2 SGG hat es der Kläger in der Hand, durch eine entsprechende Antragstellung den
Streitgegenstand anders zu umreißen, als er an sich nach § 95 SGG vorgegeben ist. Ein vom Kläger gestellter Antrag
ist stets Voraussetzung für ein Anerkenntnis nach § 101 Abs. 2 SGG. Anerkannt werden kann jeweils nur ein konkret
umrissener geltend gemachter Anspruch. Hat der Kläger also einen solchen Antrag gestellt, der mit dem
Verfahrensgegenstand nach § 95 SGG nicht identisch ist, und wird dieser angenommen, so liegt es in der Disposition
des Klägers, ob er sich damit zufrieden gibt. Nimmt er das Anerkenntnis an, so ist der Rechtsstreit damit ohne
Weiteres erledigt, auch wenn Teile des angefochtenen Verwaltungsaktes nicht behandelt wurden. Eine gesonderte
Erledigungserklärung oder Rücknahme der Klage im Übrigen ist dann nicht mehr erforderlich. Auch im umgekehrten
Falle, also im Falle des Hinausgehens über den ursprünglich streitgegenständlichen Verwaltungsakt, ist keine
Klageerweiterung erforderlich: Wenn der Kläger einen bestimmten Antrag als "den Klageantrag" stellt und er das
Anerkenntnis dieses Anspruches annimmt, kann die Beklagtenseite nachträglich nicht mehr damit gehört werden,
dass sie etwas anerkannt habe, was gar nicht streitgegenständlich gewesen sei.
Indem die Beschwerdeführerin im Erörterungstermin am 19.02.2008 das Anerkenntnis namens und auftrags des
Klägers angenommen hat, hat sie also schon allein hierdurch an der nichtstreitigen Erledigung mitgewirkt. Denn diese
Annahme war kausal für die nichtstreitige Erledigung (vgl. Hessisches Finanzgericht E 11 G 82, 155; FG Berlin E 11
G 89, 537). Völlig unangemessen wäre es für die "Mitwirkungshandlung" des Anwalts ein zur Schau getragenes
Engagement zu fordern. Wird der Sozialgerichtsprozess durch angenommenes Anerkenntnis erledigt, wird in der
Regel auch die Erledigungsgebühr verdient. Ein zur Schau getragenes Engagement ist auch nicht für die Frage, in
welcher Höhe die Verhandlungsgebühr festzusetzen ist, zu fordern. Die Beschwerdeführerin hat völlig zu Recht darauf
hingewiesen, dass die Länge der Schriftsätze nicht der Anknüpfungspunkt dafür sein kann, ob die Mittelgebühr oder
eine darunter bzw. darüber liegende Gebühr verdient wurde. Der Bezirksrevisor hat seinerseits zu Recht darauf
hingewiesen, dass die Mittelgebühr für den statistischen Durchschnittsfall bei Sozialgerichten gedacht ist und dies ist
der existenzsichernde Rentenfall (Rente wegen Erwerbsminderung). Der Kostensenat des Sächsischen
Landessozialgerichts bestimmt die innerhalb des Gebührenrahmens festzusetzende Gebühr nach einem
Punktesystem, welches nach Verfahrenstypen differenziert. Ausgangspunkt ist stets die Mittelgebühr, die mit 100
Punkten anzusetzen ist. Ist – wie hier – nur eine Rechtsfrage streitig, so findet eine Herabsetzung um 20 Punkte
statt, eine weitere Herabsetzung um 20 Punkte ergibt sich aus dem Umstand, dass keine Beweisaufnahme (im Sinne
von § 31 Abs. 1 Ziff. 3 BRAGO) stattgefunden hat. Die Festsetzung der Verhandlungsgebühr in Höhe von 2/3 der
Mittelgebühr ist daher für den zu Grunde liegenden Verfahrenstyp angemessen. Im Rahmen der Prozesskostenhilfe
spielt der allgemeine Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG eine ganz dominierende Rolle; ebenso wie überhaupt das
Rechtsinstitut der Prozesskostenhilfe durch die Intention der Chancengleichheit vor Gericht auf diesen
Verfassungsgrundsatz zurückgeht, muss auch generell auf Klägerseite gelten, dass die durch den Staat finanzierte
Anwaltsdienstleistung sich vom Umfang her nach gleichmäßigen Kriterien bemisst, m. a. W. nicht jede mögliche
Mühewaltung des Anwaltes kann abgerechnet werden, sondern nur die im Rahmen der Chancengleichheit nötige und
diese lässt sich grundsätzlich, wenn nicht bestimmte Ausnahmetatbestände gegeben sind, nach einem
standardisierten Schema abschätzen.
Es wurde also eine Verhandlungsgebühr in Höhe von 2/3 der Mittelgebühr verdient, dies sind 166,67 EUR. Die
Einigungsgebühr bemisst sich nach denselben Kriterien, sie beträgt ebenfalls 2/3 der Mittelgebühr, dies sind 126,66
EUR. Die Terminsgebühr bemisst sich grundsätzlich nach der Dauer des Termins, die Mittelgebühr ist für den
durchschnittlichen Termin von einer halben Stunde Dauer anzusetzen. Der Erörterungstermin dauerte zwar 45
Minuten, allerdings ist zu berücksichtigen, dass in diesem Termin drei Rechtssachen verhandelt wurden, es erscheint
deswegen vertretbar, für das isolierte Verfahren mit dem Aktenzeichen S 28 AS 1769/07 die Mittelgebühr mit 200,00
EUR anzusetzen.
Somit ergibt sich folgende Berechnung:
Verfahrensgebühr VV 3102 166,67 EUR Terminsgebühr VV 3106 200,00 EUR Erledigungsgebühr VV 1006, 1002
126,66 EUR Postpauschale VV 7002 20,00 EUR Zwischensumme 513,33 EUR Mehrwertsteuer VV 7008 97,53 EUR
Gesamtsumme 610,86 EUR.
Dieser Beschluss ergeht gemäß § 56 Abs. 2 RVG i. V. m. § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG durch den Einzelrichter des
zuständigen Kostensenats. Das Verfahren ist gebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Satz 2 und 3
RVG).