Urteil des LSG Sachsen vom 26.04.2001
LSG Fss: ddr, psychovegetatives syndrom, versorgung, facharzt, entschädigung, körperschaden, maurer, neurologie, psychiatrie, staat
Sächsisches Landessozialgericht
Urteil vom 26.04.2001 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Chemnitz S 5 VG 6/97
Sächsisches Landessozialgericht L 1 VG 1/00
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 25.05.2000 wird zurückgewiesen. II.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Entschädigung nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer
von Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz - OEG).
Der im Dezember 19 ... geborene Kläger fuhr am 15. April 1985 mittags mit einem Moped auf einem Weidegelände
einer LPG in O ... bei Zwickau, zuletzt auf einem Feldweg. Zwei Mitarbeiter der LPG arbeiteten zu dieser Zeit an
einem Weidezaun. Als der Kläger die Mitarbeiter passierte, warf ihm einer der Mitarbeiter, der den Kläger zur Rede
stellen wollte, aus geringer Entfernung eine Wasserpumpenzange nach, weil dieser nicht anhielt, und verletzte den
Kläger dadurch an der rechten Kopfseite, der dabei einen offenen Schädeldachbruch am Scheitelbein rechts erlitt. Mit
Urteil des Kreisgerichts Zwickau-Land vom 05.02.1987 (Az.: 21 S 6/87) wurde der Schädiger wegen schwerer
Körperverletzung (Vergehen nach § 116 Abs. 1 StGB) auf Bewährung verurteilt, wobei die Bewährungszeit auf ein
Jahr festgesetzt wurde.
Nach eigenen Angaben hat der Kläger den Beruf eines Maurers oder Ofensetzers angestrebt. Von diesem
Berufswunsch sei ihm selbst und den Eltern dringend abgeraten worden, weil mit Schwindelerscheinungen und
Unsicherheit habe gerechnet werden müssen. Mit Hilfe der Sonderberufsberatung habe er den Aushilfeberuf eines
Instandhaltungmechanikers erlernt. Dieser Berufszweig sei nicht mehr gefragt, er sei arbeitslos. Gerade infolge der
schweren Schädigung habe sich die Arbeitssuche als nahezu aussichtslos gestaltet. Dr. K ..., Kreisgutachter der
Kreisstelle für ärztliches Begutachtungswesen Zwickau-Land, teilte dem Kreisgericht Zwickau Land unter dem
14.03.1988 mit, nach Eingang der aufgrund eines chirurgischen Gutachtens veranlassten HNO-ärztlichen
Begutachtung vom 04.02.1988 und eines neurologischen Zusatzgutachten vom 01.03.1988 (Gutachten Prof. Dr. L ...
vom 26.02.1988: Körperschaden i. H. v. 40 %) ergäbe sich unter Berücksichtigung der Schwere der Verletzung ein
Gesamt-Körperschaden von 40 %, wobei HNO-ärztlicherseits keine unfallbedingten Folgen nachweisbar seien. Es
handele sich um einen Dauerzustand.
Der Beklagte erließ am 16.09.1993 einen Bescheid nach dem Schwerbehindertengesetz, mit dem er als
Behinderungen einen knöchernen Defekt des Schädels mit Hirnverletzung sowie ein psychovegetatives Syndrom als
Behinderung feststellte. Der Grad der Behinderung (GdB) betrage 30.
Unter dem 27.09.1995 stellte der Kläger bei dem Beklagten einen Antrag auf Beschädigtenversorgung nach dem
OEG. Mit Bescheid vom 05.03.1996 lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers ab. Da die Schädigung vor dem
03.10.1991 eingetreten sei, sei § 10a OEG anzuwenden. Danach erhielten Personen auf Antrag Versorgung, solange
sie allein infolge dieser Schädigung schwerbeschädigt seien. Die geltend gemachten Gesundheitsstörungen bedingten
keine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von mindestens 50 v.H. Es habe daher ungeprüft bleiben können, ob der
Tatbestand des § 1 Abs. 1 OEG erfüllt sei, keine Ausschlussgründe gemäß § 2 OEG gegeben und ob er bedürftig sei.
Dagegen legte der Kläger am 15.03.1996 Widerspruch ein. Er sei am 15.04.1985 das Opfer einer vorsätzlichen
schweren Körperverletzung geworden. Unter den Nachwirkungen der Gewalttat habe er heute noch zu leiden.
Insbesondere klage er über Konzentrationsschwäche, geringe Belastbarkeit und ständig rezidivierende
Kopfschmerzen, die wiederholt zur Arbeitsunfähigkeit geführt hätten. Wegen der Folgen der Gewalttat befinde er sich
in ständiger ärztlicher Behandlung. Er habe den Beruf eines Maurers oder Ofensetzers angestrebt. Von diesem
Berufswunsch habe er wegen der Folgen der Schädelverletzung Abstand nehmen müssen. § 30 Abs. 2
Bundesversorgungsgesetz (BVG) sei daher bei der Bemessung der MdE zu berücksichtigen.
Der Beklagte zog daraufhin Akten von der Staatsanwaltschaft Zwickau bei. Er holte Befundberichte von Dr. W ...,
Facharzt für Allgemeinmedizin in Mülsen St. J ..., und von Dipl. - Med. S ..., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie
in W ..., ein.
Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 03.06.1997). Eine höhere MdE als 30 v. H. könne gemäß
versorgungsärztlicher Aussage für die von ihm geltend gemachte Gesundheitsstörung nicht vergeben werden. Er sei
somit nicht schwerbeschädigt (MdE 50 v.H.), so dass die Härteregelung des § 10a OEG bei ihm nicht zur Anwendung
komme. Im vorliegenden Fall seien die Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs. 1 OEG zwar erfüllt, eine
Versorgung nach dem OEG sei aber allein schon aus den o.g. Gründen abzulehnen.
Der Kläger erhob am 18.06.1997 beim Sozialgericht Chemnitz (SG) Klage.
Das SG hat Beweis erhoben durch Beiziehung von Krankenunterlagen des Klägers vom Krankenhaus Lichtenstein,
durch Einholung von Befundberichten bei Dipl.-Med. S ... und Dr. W ..., Auskünfte von der Innungskrankenkasse
Chemnitz und von Dr. U ..., Facharzt für Allgemeinmedizin in Ortmannsdorf eingeholt und die Gerichtsakte des
Kreisgerichtes Zwickau-Land (Az.: 21 Z 105/87), die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen des Klägers
gegen den Schädiger betreffend, vom Amtsgericht Zwickau beigezogen.
Von Dr. H ..., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie und Chefarzt der Klinik für Neurologie und Psychiatrie des H ...
Klinikum A ..., hat das SG ein neurologisches Fachgutachten erstellen lassen. In seinem Gutachten vom 26.02.1999
führte er im Wesentlichen aus: Neurologischerseits handele es sich um einen Folgezustand mit rechtshirniger
kontusioneller Läsion 1985 (Kontusio = Hirnquetschung) mit verbliebener leicht hirntraumatisch bedingter
Leistungsminderung. Die geltend gemachten Gesundheitsstörungen, wie Konzentrationsschwäche, verminderte
Belastbarkeit, Kopfschmerzen und Schwindelerscheinungen seien auf das schädigende Ereignis vom 15.04.1985
zurückzuführen. Allerdings müsse auch erwähnt werden, dass eine tendenzielle Überbewertung mit entsprechendem
Entschädigungsbegehren und Wunsch nach sozialer Absicherung unverkennbar sei. Die geklagten
Schwindelerscheinungen seien organisch nicht zu untermauern. Von einer Verschlimmerung könne ebenfalls keine
Rede sein, eher von einer Besserung. Die MdE betrage nervenärztlicherseits 30 v. H. Die empfohlenen 40 % im
neurologischen Vorgutachten vom 26.02.1988 (Prof. L ...) beinhalteten noch einen chirurgischen Körperschaden und
gingen von einem damals noch pathologischen EEG (= Hirnstrombild) aus. Außerdem seien die rechtlichen
Voraussetzungen der damaligen Begutachtung anders gewesen. Der Kläger sei aufgrund anzuerkennender
Schädigungsfolgen nicht gehindert gewesen, den Beruf eines Ofensetzers oder eines Maurers zu erlernen. So habe
das EEG niemals Hinweise auf erhöhte zerebrale Anfallsbereitschaft ergeben; mit dem Auftritt epileptischer Anfälle
und damit verbundener Untauglichkeit für Tätigkeiten auf Leitern und Gerüsten sei nicht zu rechnen gewesen. Der
geklagte Schwindel habe auch kein organisches Korrelat. Die Vestibularisprüfung (= Prüfung des Gleichgewichts)
habe unauffällige Befunde ergeben (HNO-Gutachten vom 04.02.1988/Chefarzt Dr. B ...). Der Kläger habe den Beruf
des Instandhaltungsmechanikers erlernt. Dieser Beruf habe ein höheres Anspruchsniveau als der eines Ofensetzers
bzw. Maurers. Er habe noch 1991 einen Schweißerlehrgang erfolgreich absolviert. Auch dieser Tatbestand spreche
seines Erachtens für die berufliche Einsatzfähigkeit.
Auf die mündliche Verhandlung vom 25.05.2000 hat das SG die Klage durch Urteil abgewiesen. Der Bescheid des
Beklagten in der Fassung des Widerspruchsbescheides sei rechtmäßig, so dass der Kläger durch ihn nicht
ungerechtfertigt beschwert sei. Auf den hier zu entscheidenden Fall sei die Härteregelung des § 10a OEG
anzuwenden. Gemäß § 31 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 BVG sei derjenige schwerbeschädigt, dessen MdE 45 v. H. erreiche
oder übersteige. Diese Voraussetzung liege nach Auffassung der Kammer bei dem Kläger nicht vor. Nach dem
Gutachten Dr. H ... seien die festgestellten gesundheitlichen Schädigungen mit einer MdE von 30 v. H. zu beurteilen.
Dies erscheine unter Zugrundelegung der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen
Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz von 1996 angemessen. Die
Schwerbeschädigteneigenschaft sei auch nicht unter Berücksichtigung einer besonderen beruflichen Betroffenheit zu
begründen. Der Kläger sei nicht gehindert gewesen, infolge der Schädigung seinen nachweisbar angestrebten oder
sozial gleichwertigen Beruf auszuüben. Er sei infolge der Schädigung auch nicht gehindert, seinen erlernten und
ausgeübten Beruf weiter auszuüben. Der Kläger sei in seinem angestrebten oder ausgeübten Beruf durch die Art der
Schädigungsfolgen nicht in einem wesentlich höheren Grade als im allgemeinen Erwerbsleben erwerbsgemindert. Eine
Hinderung am weiteren Aufstieg in seinem Beruf infolge der Schädigung sei bei den festgestellten gesundheitlichen
Beeinträchtigungen ebenfalls nicht anzunehmen. Das Gericht habe auch keinen weiteren, nicht vom § 30 Abs. 2 Satz
2 BVG erfassten Fall erkennen können, der eine besondere berufliche Betroffenheit bedinge. Die Härtefallregelung
gemäß Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet K Abschnitt III Nr. 18 Einigungsvertrag in Verbindung mit § 10a OEG sei
nach Auffassung des Gerichts verfassungskonform und verstoße nicht gegen das Grundgesetz. Unter
Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesozialgerichts (Urteil vom 18.06.1996, Az. 9 RVg 2/95) liege keine
verfassungswidrige Ungleichbehandlung vor. Das Gericht sei von der Verfassungskonformität der angegriffenen
Regelung überzeugt. Eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht scheide somit aus.
Gegen das dem Kläger am 21.06.2000 zugestellte Urteil hat er am 19.07.2000 beim Sächsischen Landessozialgericht
Berufung eingelegt.
Der Kläger trägt vor, die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 18.06.1999 sei zeitlich vor der Entscheidung
des Bundesverfassungsgerichts vom 14.03.2000 (Az. 1 BvR 284/96 und 1659/96) ergangen. Der Einigungsvertrag sei
wie ein "Grundgesetz" behandelt worden. Seit der zitierten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sei diese
Rechtsauffassung nicht mehr aufrecht zu erhalten. Ein voller Rechtsschutz nach dem OEG bestehe für die Bürger der
ehemaligen DDR erst ab 03.10.1990. Für den Zeitraum vor dem 03.10.1990 bestehe nur Anspruch auf einen
Härteausgleich. Die Ungleichbehandlung mit Bürgern des Bundesgebietes ohne das Beitrittsgebiet sei offensichtlich.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Grundrente nach dem BVG müsse auch für die Grundrente
nach dem OEG gelten. Das SG habe sich ausschließlich auf das nervenärztliche Gutachten Dr. H ... vom 26.02.1999
gestützt. In dem Gutachten Prof. Dr. L ... vom 26.02.1988 werde jedoch eine MdE von 40 v. H. befürwortet. Es
entspreche nicht den Grundzügen des sozialen Entschädigungsrechts, dass jeweils der geringste MdE-Wert
festgesetzt werde. Auch müssten die geklagten Schwindelerscheinungen berücksichtigt werden. Sein Berufswunsch
Ofensetzer bzw. Maurer habe er sich wegen der Schädigungsfolgen nicht erfüllen können. Die Arbeitsmarktchancen
im erlernten Beruf als Instandhaltungsmechaniker seien deutlich schlechter. Seine langdauernde Arbeitslosigkeit sei
nicht auf den Arbeitsmarkt, sondern auf die Behinderung in Verbindung mit dem speziellen Beruf zurückzuführen.
Der Kläger beantragt,
1. das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 25.05.2000 sowie den Bescheid vom 05.03.1996 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 03.06.1997 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm wegen der Folgen der
Gewalttat vom 15.04.1985 Versorgung nach den OEG zu gewähren,
2. hilfsweise, den Rechtsstreit auszusetzen und nach Artikel 100 Abs. 1 Grundgesetz die Sache dem
Bundesverfasssungsgericht zur verfassungsrechtlichen Prüfung des § 10a OEG vorzulegen, soweit der Kläger
danach von Entschädigungsleistungen nach dem OEG auf Dauer ausgeschlossen ist,
3. weiter hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die Begründung des angefochtenen Urteils für zutreffend. Das Begehren des Klägers sei in der Vorinstanz
eingehend geprüft und gewürdigt worden. Er verweise auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 18.06.1996. Es
werde angemerkt, dass die Einschätzung eines Körperschadens in der ehemaligen DDR anderen Kriterien gefolgt sei
als die Festsetzung der MdE nach heute geltenden Regelungen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Rechtszüge und der Verwaltungsakten
der Beklagten (B-Akte und Schwerbehinderten-Akten), die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind,
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen. Der Kläger hat weder
einen Rechtsanspruch auf Gewährung einer Entschädigungsversorgung nach dem noch war eine Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts zu der Regelung des § 10a OEG einzuholen. Der Bescheid des Beklagten vom
05.03.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.06.1997 ist rechtmäßig.
Wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines
vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige
Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen
auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes, § 1 Abs. 1
Satz 1 OEG.
Das am 16.05.1976 im alten Bundesgebiet in Kraft getretene OEG ist mit dem Gesetz zu dem Vertrag vom
31.08.1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die
Herstellung der Einheit Deutschlands - Einigungsvertragsgesetz - und der Vereinbarung vom 18.09.1990 (EinigVtr) auf
das Beitrittsgebiet erstreckt worden, Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet K Abschnitt III Nr. 18 zum EinigVtr (EinigVtr Nr.
18). Das OEG ist im Beitrittsgebiet am 01.01.1991 in Kraft getreten (EinigVtr Nr. 18 Buchstabe g). Nach Buchstabe c
galt es zunächst nur für solche Taten, die nach dem 31.12.1990 begangen worden sind. Durch Artikel 2 des Zweiten
Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Entschädigung von Opfer von Gewalttaten vom 21.07.1993 (BGBl. I
1262) erfolgte eine Änderung dahingehend, dass bereits Taten ab dem 03.10.1990 erfasst wurden. Nach EinigVtr Nr.
18 Buchstabe c Satz 2 und Buchstabe d in der Fassung durch Artikel 2 des Zweiten Gesetzes zur Änderung des
Gesetzes über die Entschädigung von Opfer und Gewalttaten vom 21.07.1993 ist § 10a OEG sinngemäß auf
Personen anzuwenden, die in der Zeit vom 07.10.1949 bis zum 02.10.1990 geschädigt worden sind. Nach § 10a Abs.
1 Satz 1 OEG erhalten auf Antrag Versorgung Personen, die in der Zeit vom 23.05.1949 bis 15.05.1976 geschädigt
worden sind, solange sie 1.) allein infolge dieser Schädigung schwerbeschädigt sind, 2.) bedürftig sind und 3.) im
Geltungsbereich dieses Gesetzes ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben.
Diese Härteregelung kommt dem Kläger, der - zwischen den Beteiligten unstreitig - Opfer einer Gewalttat im Sinn des
§ 1 Abs. 1 Satz 1 OEG gewesen ist, jedoch nicht zugute, weil er nicht schwerbeschädigt im Sinne des § 10a Abs. 1
Nr. 1 OEG in Verbindung mit § 31 Abs. 3 BVG ist. Schwerbeschädigt ist, wer in seiner Erwerbsfähigkeit um
mindestens 45 v. H. gemindert ist (§ 31 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 2 BVG). Der Kläger erlitt im Rahmen der tätlichen
Auseinandersetzung am 15.04.1985 eine offene Schädelfraktur rechts parietotemporal. Der vom SG bestellte
Gutachter Dr. H ... hat dazu ausgeführt (Gutachten vom 26.02.1999): Es handele sich um einen Folgezustand nach
rechtshirniger kontusioneller Läsion 1985 mit verbliebener leicht hirntraumatisch bedingter Leistungsminderung, wobei
die von ihm geklagten Schwindelerscheinungen organisch nicht zu untermauern sind. Die MdE betrage
nervenärztlicherseits 30 v. H. Die empfohlenen 40 % im neurologischen Vorgutachten vom 26.02.1998 beinhalteten
noch einen chirurgischen Körperschaden und gingen damals von einem noch pathologischen EEG aus. Der Senat
folgt dem in sich schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführungen im Gutachten Dr. H ..., insbesondere auch zur
Einschätzung des MdE-Grades. In den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen
Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz 1996" (AHP) (herausgegeben vom Bundesministerium
für Arbeit und Sozialordnung) werden Hirnschäden mit geringer Leistungsbeeinträchtigung mit einem GdB/MdE-Grad
von 30 bis 40 beurteilt (AHP 1996, Nr. 26.3, Seite 52; ebenso AHP 1983, Nr. 26.3, Seite 42). Selbst wenn man hier
einen MdE-Grad von 40 v. H. zugrunde legte, wäre die für den Schwerbeschädigten-Status erforderliche MdE von 45
v. H. nicht erreicht. Eine besondere berufliche Betroffenheit des Klägers durch die Art der Schädigungsfolgen im
Sinne des § 30 Abs. 2 BVG ist nicht festzustellen. Nach dieser Vorschrift ist die MdE höher zu bewerten, wenn der
Beschädigte durch die Art der Schädigungsfolgen in seinen vor der Schädigung ausgeübten oder begonnenen Beruf,
in seinem nachweisbar angestrebten oder in dem Beruf besonders betroffen ist, den er nach Eintritt der Schädigung
ausgeübt hat oder noch ausübt. Das ist besonders der Fall, wenn er a) infolge der Schädigung weder seinen bisher
ausgeübten, begonnenen oder den nachweisbar angestrebten noch einen sozial gleichwertigen Beruf ausüben kann, b)
zwar seinen vor der Schädigung ausgeübten oder begonnenen Beruf weiter ausübt oder den nachweisbar
angestrebtem Beruf erreicht hat, in diesem Beruf durch die Art der Schädigungsfolgen aber in einem wesentlich
höheren Grade als im allgemeinen Erwerbsleben erwerbsgemindert ist, oder c) infolge der Schädigung nachweisbar
am weiteren Aufstieg in seinem Beruf gehindert ist.
Der Kläger hat dazu vorgetragen, er habe eine Berufsausbildung als Maurer oder Ofensetzer angestrebt, habe diese
aber infolge der Schädigungsfolgen nicht erlernen können und habe vielmehr den Beruf des
Instandhaltungsmechanikers erlernt. Weder aus den Akten noch sonst aus den Ermittlungen ergeben sich
Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger tatsächlich vor dem Ereignis am 15.04.1985 den Beruf des Maurers oder
Ofensetzers angestrebt hat. Im Rahmen der Begutachtung durch Dr. M ..., Facharzt für Chirurgie und Unfallchirurgie,
am 10.12.1987 hat der Kläger als Berufswunsch vielmehr Instandhaltungsmechaniker angegeben. In einem Antrag auf
Anerkennung als Beschädigter vom 02.06.1989 hat er dargetan, er beabsichtige eine Umschulung für den Beruf
Maurer oder Ofensetzer, er erlerne den Beruf des Instandhaltungsmechanikers (Sonderberufsberatung).
Selbst wenn man als von vornherein vorhandenen Berufswunsch den Beruf des Maurers oder Ofensetzers zugrunde
legte, ergäbe sich keine andere Beurteilung. Der Kläger hat einen sozial gleichwertigen Beruf erlernt und kann diesen
auch ausüben. Mit der nach eigenen Angaben des Klägers erfolgreich absolvierten Ausbildung zum
Instandhaltungsmechaniker ist er als Facharbeiter zu qualifizieren. Als Facharbeiter wäre er auch bei einer
erfolgreichen Ausbildung als Maurer oder Ofenbauer anzusehen.
Es ergeben sich nach Überzeugung des Senats auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger durch die Art der
Schädigungsfolgen in einem wesentlich höheren Grade als im allgemeinen Erwerbsleben erwerbsgemindert oder
infolge der Schädigungen nachweisbar am weiteren Aufstieg in seinem Beruf gehindert ist. Aufgrund der bestehenden
Schädigungsfolgen war der Kläger auch nicht gehindert, den Beruf eines Ofensetzers oder eines Maurers zu erlernen
(vgl. Gutachten Dr. H ...). Hinweise auf eine erhöhte zerebrale Anfallsbereitschaft und für ein organisches Korrelat für
den vom Kläger geklagten Schwindel sind nicht ersichtlich. Der Kläger ist weiterhin in der Lage, seinen erlernten Beruf
als Instandhaltungsmechaniker auszuüben.
Die Tatsache, dass der Kläger seinen erlernten Beruf derzeit nicht ausübt, ist allein dem Umstand seiner
Arbeitslosigkeit zu schulden. Für den Senat ergeben sich im übrigen keine Anhaltspunkte dafür, dass bei dem Kläger
eine anderweitige berufliche Betroffenheit durch die Schädigungsfolgen besteht (vgl. Förster in
Wilke/Fehl/Förster/Leisner/Sailer, Soziales Entschädigungsrecht - Kommentar, 7. Aufl., § 30 BVG Rdnr. 27). Nach
Auffassung des Senats genießt der Beruf eines Instandhaltungsmechaniker kein erheblich geringeres
gesellschaftliches Ansehen als der eines Maurers oder Ofenbauers. Ein "sozialer Abstieg" aufgrund erheblicher
finanzieller Einbußen ist nicht ersichtlich. Sofern man die Berufe eines Maurers bzw. Ofenbauers als nachweisbar
angestrebte Berufe ansehen wollte, liegt eine finanzielle Einbuße erheblichen Ausmaßes hinsichtlich des erlernten
Berufes eines Instandhaltungsmechanikers nicht vor. Bei dem Beruf des Instandhaltungsmechanikers handelt es sich
um einen DDR-Beruf, der einen erfolgreichen Abschluss der 10. Klasse in der Polytechnischen Oberschule erforderte
und dessen Ausbildungsdauer zwei Jahre betrug (vgl. Bundesanstalt für Arbeit (Hrsg.), DDR-Ausbildungsberufe 2 -
Metall/Elektro - Ausgabe 1990, Seite 120 ff.). Bei dem Beruf des Instandhaltungsmachanikers in unterschiedlichen
Spezialisierungsrichtungen handelt es sich um einen Beruf im Metall-Bereich. Als vergleichbare bzw. verwandte
Berufe in der Bundesrepublik in Deutschland (zum Teil ist eine Zusatzbildung erforderlich) stellen sich als heutige
Ausbildungsberufe je nach Spezialisierungsrichtung der des Industriemechanikers, Maschinenbaumechanikers und
Konstruktionsmechanikers dar (jeweils mit einer Ausbildungsdauer von dreieinhalb Jahren) (vgl. Bundesanstalt für
Arbeit a.a.O.).
Bei der Bemessung der MdE war das Gutachten Dr. K ... vom 14.03.1988 schon deshalb nicht heranzuziehen, da
dieses wie die ihm zugrunde gelegten Zusatzgutachten die MdE bzw. den Körperschaden nicht unter
Berücksichtigung der AHP festgestellt haben, sondern nach den damals in der ehemaligen DDR geltenden
Beurteilungskriterien.
Zu einer Aussetzung des Verfahrens und zur Vorlage an das Bundesverfassungsgericht sieht sich der Senat nicht
veranlasst. Die streiterhebliche Vorschrift des § 10a OEG ist mit dem Grundgesetz vereinbar, soweit danach die sog.
"Altfälle" aus dem Beitrittsgebiet nicht unter den Sozialleistungsschutz der Opferentschädigung gestellt sind.
Der Senat schließt sich auch insoweit der Rechtsprechung des BSG an, das in seinem Urteil vom 18.06.1996 (Az. 9
RVg 2/95) ausgeführt hat: " ... Denn im Übrigen war der Gesetzgeber nicht gehalten, sogenannte Altfälle aus dem
Gebiet der DDR wie Neufälle uneingeschränkt in den Schutz des OEG einzubeziehen. Die Beschränkung auf Fälle mit
schweren Verletzungsfolgen, die auf staatliche Leistungen angewiesen sind, ist verfassungsrechtlich nicht zu
beanstanden. Mit der Regelung der Gewaltopferentschädigung ist der Gesetzgeber entsprechend den Abmachungen
im EinigVtr zwar von der Regelung der Kriegsopferversorgung abgewichen. Kriegsopfer werden seit dem In-Kraft-
Treten des BVG nach dem jeweiligen Grad der MdE prinzipiell in gleicher Weise entschädigt wie die Kriegsopfer mit
Wohnsitz in den alten Bundesländern. In der abweichenden Behandlung auf dem Gebiet der
Gewaltopferentschädigung liegt aber keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung der Bürger der ehemaligen DDR,
weil diese Abweichung sich sachlich rechtfertigen lässt und damit nicht gleichheitswidrig im Sinne des Artikel 3 Abs.
1 GG ist ... Auf dem Gebiet der Gewaltopferentschädigung gibt es eine gemeinsame Vergangenheit nicht. Das OEG
ist in den alten Bundesländern eingeführt worden, weil sich der Gedanke durchgesetzt hatte, dass die staatliche
Gemeinschaft für die gesundheitlichen Schäden des Opfers einer Gewalttat eintreten muss, wenn es der Staat als
Träger des Gewaltmonopols im Einzelfall nicht vermocht hat, den Bürger vor einem gewaltsamen Angriff zu bewahren.
Folgerichtig war der Anspruch von vornherein nur auf solche Gewalttaten beschränkt, die im räumlichen
Einflussbereich des Staates, dem alten Bundesgebiet, begangen worden sind. Die DDR kannte lange Zeit überhaupt
keine Entschädigung für Opfer von Gewalttaten. Erst mit dem Schadensersatzvorauszahlungsgesetz vom 14.12.1988
(GBl. I Nr. 29 Seite 345) konnten nach Gewalttaten unter bestimmten Voraussetzungen Ansprüche gegen den Staat
geltend gemacht werden. Das wiedervereinigte Deutschland hat nach dem Untergang der DDR deren Verpflichtung
weitgehend übernommen ... Aus verfassungsrechtlichen Vorschriften lassen sich für eine Entschädigungspflicht des
Staates wegen Gewalttaten, die vor In-Kraft-Treten des Grundgesetzes im Beitrittsgebiet am 03.10.1990 begangen
worden sind, keine Gründe herleiten. Wenn die alte Bundesrepublik sich verpflichtete, Gewaltopfer aus der ehemaligen
DDR für Taten in der Vergangenheit zu entschädigen, so geschah dies aufgrund der freien Entschließung als Partei
eines völkerrechtlichen Vertrages ohne weitere rechtlich verbindliche Vorgaben. War die Bundesrepublik Deutschland
als Vertragspartner grundsätzlich frei, eine Gewaltopferentschädigung für Fälle aus DDR-Zeiten einzuführen und das
unzureichende Schadensersatzvorauszahlungsgesetz der DDR abzulösen, so lag es grundsätzlich auch in ihrer
Freiheit, dafür nähere Maßgaben vorzusehen. Es braucht hier nicht näher darauf eingegangen zu werden, ob der
Vertragsfreiheit zumindest durch das Willkürverbot Grenzen gesetzt waren. Denn mit der Beschränkung der
Gewaltopferentschädigung auf die Härtefälle der Schwerbeschädigten haben die Vertragspartner nicht willkürlich
gehandelt. Mit der entsprechenden Anwendung des § 10 a OEG haben sie vielmehr die Regelung getroffen, die der
Gesetzgeber der alten Bundesrepublik bereits bei der nachträglichen Einbeziehung der sogenannten Altfälle durch das
erste OEG-ÄndG gefunden hatte. Diese Regelung führt dazu, dass jedenfalls die am schwersten geschädigten
Gewaltopfer in den Genuss einer staatlichen Versorgung kommen, berücksichtigt aber andererseits auch die wegen
der immer noch anfallenden hohen Kosten der Einigung nur beschränkt zur Verfügung stehenden Finanzmittel sowie
den Gesichtspunkt, dass wegen schon längerer Zeit zurückliegender Gewalttaten mit leichteren Folgen die
Schwierigkeit der Sachverhaltsaufklärung unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand zur Folge haben kann. Die
Regelung des EinigVtr verstößt auch nicht gegen das Grundrecht der Freizügigkeit (Artikel 11 Grundgesetz) ...".
Diesen Erwägungen des BSG schließt sich der Senat aufgrund eigener Überzeugung vollinhaltlich an. Etwas anderes
ergibt sich auch nicht aus den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts vom 14.03.2000 (Az. 1 BvR 284/96 und 1
BvR 1659/96). In den zu entscheidenden Verfahren ging es um die Verfassungsmäßigkeit des § 84 a BVG. Das
Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass diese Vorschrift seit dem 01.01.1999 nichtig ist und dass es mit dem
Gleichheitsgebot des Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz unvereinbar ist, dass die den Kriegsopfern nach § 31 Abs. 1 Satz
1 BVG gewährte Beschädigtengrundrente in den alten und neuen Ländern über den 31.12.1998 hinaus bei gleicher
Beschädigung ungleich hoch ist. Diese Entscheidungen betrafen indessen allein die unterschiedliche Höhe der
Beschädigtengrundrente in den alten und neuen Ländern. Bei dieser Fallkonstellation war es im Hinblick auf das
grundgesetzliche Gleichheitsgebot (Art. 3 Abs. 1 GG) nicht zu rechtfertigen, die Beschädigtengrundrente nach § 31
Abs. 1 Satz 1 BVG einem Kriegsbeschädigten aus den neuen Ländern auf Dauer in geringem Umfang zugute
kommen zu lassen, obgleich sein Opfer im gleichen Krieg für den gleichen Staat erbracht wurde.
In dem hier zu entscheidenden Fall ist die Konstellation jedoch eine andere: Der Kläger unterlag als Bürger der
ehemaligen DDR deren Gewaltmonopol, nicht aber dem des Bundesgebiets ohne das Beitrittsgebiets. Ein Versagen
des Gewaltmonopols der Bundesrepublik bei in der ehemaligen DDR begangenen Straftaten ist evident nicht
erkennbar. Insofern lässt sich die Nichteinbeziehung von so genannten Altfällen wie Neufälle in den Schutz des GG
sachlich rechtfertigen. Eine verfassungsrechtliche Ungleichbehandlung des Klägers ist nach Überzeugung des Senats
hierin nicht zu erkennen. Die Grundsätze der Urteile des Bundesverfassungsgerichts sind daher auf den hier zu
entscheidenden Fall nicht zu übertragen.
Nach alledem hatte die Berufung keinen Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache war die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).