Urteil des LSG Sachsen vom 23.01.2001
LSG Fss: diabetes mellitus, ausbildung, hallux valgus, ärztliches gutachten, innere medizin, vorübergehende beschäftigung, zumutbare tätigkeit, gutachter, rente, leistungsfähigkeit
Sächsisches Landessozialgericht
Urteil vom 23.01.2001 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Chemnitz S 8 RA 141/99
Sächsisches Landessozialgericht L 4 RA 106/00
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 17. April 2000 wird zurückgewiesen. II.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht
zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) oder Berufsunfähigkeit
(BU) zusteht.
Die am ... geborene Klägerin erlernte den Beruf einer Fachverkäuferin. Sie schloss die Lehre am 31.08.1956 mit einer
Prüfung ab. In der Folgezeit qualifizierte sie sich als Verkaufsstellenleiterin. Laut Prüfungszeugnis vom März 1964 hat
sie damit den Befähigungsnachweis zur Leitung einer Verkaufsstelle des sozialistischen Handels abgelegt. Im
Rahmen einer weiteren Qualifikation bestand die Klägerin im Februar 1973 die Prüfung zur Betriebsstättenprüferin.
Prüfungsgebiete waren Inventurvorbereitung, Bestandsaufnahme Zahlungsmittel, körperliche Bestandsaufnahme,
Inventurergebnis (Ermittlung), Inventurergebnis (Abstimmung), vorbeugende Kontrollen, Tiefenprüfungen und
komplexe Ursachenforschung. Die Klägerin war in den erlernten Tätigkeiten in der Konsumgenossenschaft T ... und
nach dem Zusammenschluss in der Konsumgenossenschaft des Kreises O ... im Vogtland tätig. Zuletzt war sie von
1969 bis 1991 als Verkaufsstellenprüferin beschäftigt. Etwa das letzte halbe Jahr wurde sie wegen Erkrankung einer
Kollegin vertretungsweise als Sachbearbeiterin Arbeitsökonomie eingesetzt. Dann wurde sie wegen Auflösung der
Konsumgenossenschaft arbeitslos. Seither war sie nur von Juli 1994 bis Juli 1995 im Rahmen einer
Arbeitsbeschaffungsmaßnahme (ABM) in der Landschaftspflege tätig.
Am 08.12.1997 beantragte die Klägerin bei der Beklagten eine Rente wegen EU. Als Begründung gab sie
Herzbeschwerden, Bluthochdruck, Schilddrüsenleiden, Gallensteine, Migräne und Beschwerden in Bewegungsapparat
und Beinen an.
Die Beklagte holte daraufhin ein Gutachten des Dr. med. L ..., Chefarzt der Inneren Abteilung des Waldkrankenhauses
A ... ein. In diesem Gutachten vom 19.02.1998 diagnostizierte er - Adipositas - Hypertonie I - Chron.-venöse
Insuffizienz im Stadium II bei Varikosis - Eingestellte Hyperthyreose. Im Belastungs-EKG habe die Klägerin wegen
Erreichen der Ausbelastungsfrequenz die Stufe mit 100 Watt nach zwei Minuten abgebrochen. Eine ischämische
Reaktion habe sich nicht gezeigt. Die maximale körperliche Leistungsfähigkeit nach Tabelle sei leicht vermindert. Bei
der Dopplerechokardiographie hätten sich keine aufgedehnten Herzhöhlen gezeigt, keine li. ventr. Hypertrophie, keine
Einschränkung des li. ventr. Pumpverhaltens. Der Gutachter kam zu dem Ergebnis, dass die Leistungsfähigkeit der
Klägerin aus internistischer Sicht nur leichtgradig vermindert sei. Die Tätigkeit als Fachverkäuferin oder
Verkaufsstellenprüferin könne vollschichtig ausgeübt werden. Gleiche Tätigkeiten ohne körperliche Anstrengung mit
wechselnden Arbeiten im Sitzen und Gehen seien möglich. Er empfahl aber zusätzlich die Einholung eines
orthopädischen Gutachtens.
Die Beklagte lehnte darauf mit Bescheid vom 18.03.1998 den Rentenantrag ab, weil der Gutachter nur eine
leichtgradige Leistungsminderung bei Adipositas, Hypertonie und Varikosis festgestellt habe.
Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein. Sie wies darauf hin, dass ihr Gesundheitszustand nicht umfassend
untersucht worden sei. Besonders die Probleme im Bewegungsapparat, die Schilddrüsen- und Gallenbeschwerden und
die Migräne seien nicht beachtet. Die Beklagte holte daraufhin einen Befundbericht des behandelnden Internisten Dr.
V ... ein. Dieser gab eine Verschlechterung seit November 1997 an. Die Beklagte holte darauf ein orthopädisches
Gutachten des Dr. med. Sch ... vom 14.11.1998 ein. Dieser stellte fest, dass das Gangbild unauffällig sei, die
Beweglichkeit der Halswirbelsäule (HWS) nur mäßig eingeschränkt wäre. In den oberen Extremitäten gebe es keine
Funktionseinschränkungen. Eine endgradige Einschränkung der LWS-Beweglichkeit liege vor, außerdem
Rückenmuskelinsuffizienz bei Adipositas, keine radikuläre Symptomatik, eine Kniearthrose links mit leichter
Kapselschwellung und medialer Schmerzsymptomatik sowie freie Gelenkbeweglichkeit. Die Röntgenaufnahmen ließen
eine Fehlhaltung der HWS, eine diskrete Verschmälerung des Zwischenraums C5/6 erkennen. Es bestehe ein
chronisch-degeneratives Cervicobrachialsyndrom beidseits, ein rezidivierendes Lumbalsyndrom und Gonarthrose
links. Heben und Tragen von Lasten, ständiges Gehen und Stehen sei nicht mehr möglich. Körperlich leichte Arbeiten
mit Wechsel der Arbeitshaltung zwischen Sitzen, Gehen und Stehen könnten vollschichtig verrichtet werden. Die
letzte Arbeit als Verkaufsstellenprüferin könne bei Vermeidung häufigen Hebens und Tragens von Lasten vollschichtig
ausgeübt werden.
Bei der Beklagten lag außerdem ein Gutachten des Facharztes für Innere Medizin Dr. med. K ... vom 20.02.1996 vor.
Dieser gab als Diagnosen eine arterielle Hypertonie, einen Verdacht auf eine Belastungscoronarinsuffizienz, ein
chronisches Cervicalsyndrom, eine Cholezystolithiasis, einen Struma nodosa und eine geringe Varikosis an. Die
Patientin klage über Beschwerden des Achsenorganes. Der weitere Beschwerdekomplex wie Schwindel, Herzklopfen
usw. dürfte auf den langjährig bestehenden Hypertonus zurückzuführen sein. Im Belastungs-EKG sei eine Wattzahl
von 100 Watt erreicht worden, wobei es keine eindeutigen pathologischen Veränderungen gegeben habe. Das
Belastungs-EKG wurde in 25-Watt-Stufen ab 25 Watt mit jeweils zwei Minuten Dauer durchgeführt. Ausgehend von
einer Herzfrequenz von 93 und Blutdruck von 160/95 ergab sich nach zwei Minuten mit 100 Watt (insgesamt acht
Minuten) eine Herzfrequenz von 151 und ein Blutdruck von 205/120. Der Abbruch erfolgte wegen Dyspnoe und
Annäherung an die Ausbelastungsherzfrequenz. Nach einer Erholungsphase von sechs Minuten sanken Herzfrequenz
und Blutdruck auf 110 bzw. 145/90. Der Gutachter fand keine eindeutigen ischämischen Veränderungen, keine
Herzrhythmusstörungen, aber eine beginnende hypertone Belastungsreaktion.
Nach seiner Meinung sei eine Belastungscoronarinsuffizienz anzunehmen, wäre aber nur durch eine weitere
Diagnostik zu präzisieren. Der Gutachter schätzte ein, dass die letzte Tätigkeit als Sachbearbeiterin nur halb- bis
unter vollschichtig möglich sei. Auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt wäre eine körperlich leichte Tätigkeit unter
Vermeidung von Belastungssituationen der Wirbelsäule, von Nachtarbeit sowie von Wechselschicht nur halb- bis unter
vollschichtig möglich.
Zu den Akten gelangte mit einem Befundbericht der Hausärztin DM Sch ... ein Herzkatheterbefund des
Vogtlandklinikum P ... vom 29.05.98. Bei einer Levokardiographie habe sich ein hypertrophierter li. Ventrikel
dargestellt, der keine Kinetikstörung aufwies. Es habe sich kein Anhalt für eine Mitralinsuffizienz ergeben. Die
Darstellung der li. Koronararterie nach Judkins habe ein kräftig ausgebildetes Koronarsystem gezeigt, keine
Verschlüsse oder Stenosen. Bei Darstellung der re. Koronararterie seien im ersten Drittel diskrete
Wandveränderungen nachzuweisen, die aber keine therapeutische Konsequenzen nach sich zögen. Die festgestellten
Veränderungen hätten keine klinische Relevanz.
Mit Bescheid vom 12.02.1999 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Auch nach dem orthopädischen Gutachten
bestehe ein vollschichtiges Leistungsvermögen. Hiergegen erhob die Klägerin Klage zum Sozialgericht (SG) Chemnitz
am 26.03.1999, mit der sie ihre Ziele weiterverfolgte.
Das SG holte mehrere Befundberichte ein. In seinem Bericht vom 01.06.1999 gab der Orthopäde T ... an, dass er
- rezidivierende vertebrogene Fokalsyndrome in allen drei Etagen bei degenerativen Veränderungen und stärkerer
Adipositas, - gesenkter Hohl-Spreiz-Fuß mit Hallux valgus, - Pseudoexostosenbildung beidseits, - Zustand nach
KELLER-BRANDES-OP vom 26.06.1997, - Gonalgie bei Genu varum links und leichterem Kniebinnenschaden, -
erhebliche Adipositas
festgestellt habe. Die erhobenen Befunde hätten sich seit Mai 1997 im Fußbereich deutlich verbessert. Neue Leiden
seien nicht hinzugekommen. Der Internist Dr. V ... gab im Befundbericht vom 01.07.1999 an, dass er
- eine coronare Herzerkrankung bei Hypercholesterinaemie, - Struma nodosa mit Euth. bei Autonomie, - Chron. ven.
Insuff. Stad. II, - Cholelithiasis mit Fettleber, - Hypertonie (nach Belastung) - Zustand nach Hep. A, - Polyarthritis
rheum.
festgestellt habe. Die bei ihm erhobenen Befunde hätten sich nicht wesentlich verschlechtert. Neu hinzugekommen
seien psychische Probleme, über die die Hausärztin berichten könne. Im Befundbericht vom 01.11.1999 gab Dipl.-
Med. Sch ... die bekannten Diagnosen an und berichtete außerdem von Depressionen und Schlafstörungen. Der
Gesundheitszustand der Klägerin habe sich in den letzten zwei Jahren verschlechtert. In neurologisch-psychiatrischer
Behandlung befindet sich die Klägerin nicht.
Das SG Chemnitz wies die Klage mit Urteil vom 17.04.2000 ab. Die Klägerin sei nicht berufsunfähig und nicht
erwerbsunfähig. Sie könne nach Überzeugung der Kammer noch vollschichtig zumindest leichte Tätigkeiten
verrichten. Dies ergeben die vorliegenden Gutachten. Dem Gutachten des Dr. K ... könne nicht gefolgt werden. Eine
Begründung für die Einschränkung des quantitativen Leistungsvermögens sei dort nicht abgegeben worden. Die
Leistungsfähigkeit der Klägerin sei nicht wegen Krankheit auf weniger als die Hälfte derjenigen von körperlich, geistig
und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung gesunken. Ihren zuletzt ausgeübten Beruf als
Verkaufsstellenprüferin könne die Klägerin nach Auffassung des Gerichts nicht mehr verrichten. Nach Angaben der
Klägerin könne nicht ausgeschlossen werden, dass sie zumindest zeitweise mittelschwere Tätigkeiten verrichten
musste, z. B. Heben, Tragen und Umsetzen von in Verkaufsstellen vorhandenen Waren. Die Klägerin sei nicht mehr
fähig, ihren bisherigen Beruf auszuüben. Sie könne aber zumutbar auf die Ausübung einfacher Verwaltungs- und
Bürotätigkeiten verwiesen werden. Die Klägerin sei als angelernte Angestellte einzuordnen. Nach ihren Angaben habe
sie nach einer etwa vierwöchigen Einarbeitungszeit die Tätigkeit einer Verkaufsstellenprüferin verrichten können.
Gegen das am 23.05.2000 zugestellte Urteil legte die Klägerin am 20.06.2000 Berufung ein, mit der sie ihr Ziel der
Rentengewährung weiterverfolgt. Der Prozessbevollmächtigte hat ausgeführt, dass die internistische Begutachtung
nicht umfassend gewesen sei. Der Gutachter Dr. Sch ... habe von einem angeborenen Herzfehler gesprochen und
eine Verifizierung durch eine weitere spezielle Diagnostik angeregt. Dies sei nicht erfolgt. Vorgelegt sei ein Attest des
Dr. W ... vom 12.10.1960, der eine Mitralinsuffizienz bescheinigt habe. Es sei auch nicht klar, warum die Tätigkeit als
Verkaufsstellenprüferin nur als angelernte Tätigkeit eingestuft wurde. Für die Tätigkeit sei ein Beruf im Handel
Voraussetzung gewesen. Es sei davon auszugehen, dass an die Tätigkeit eines Verkaufsstellenprüfers auch in der
DDR gesteigerte Anforderungen gestellt worden seien. Außerdem sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin ihre
ursprünglich erlernte Tätigkeit als Verkäuferin aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben konnte. Dies sei
alles nicht berücksichtigt worden. Die Klägerin nehme sieben verschiedene Medikamente. Eine zusammenfassende
Würdigung der Beschwerden der Klägerin fehle bisher. Es werde beantragt, ein ärztliches Gutachten einzuholen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 17.04.2000 sowie den Bescheid der Beklagten vom 18.03.1998 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.03.1999 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin ab
01.12.1997 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren; hilfsweise unter
Bezugnahme auf den Beweisantrag im Schriftsatz vom 21.12.2000 ein internistisches Gutachten einzuholen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie bezieht sich auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid. Zu den neuen Befundberichten habe sich der
ärztliche Dienst der BfA geäußert. Die festgestellte Borreliose sei behandlungsbedürftig, bedinge jedoch keine
überdauernde Leistungsminderung. Gegebenenfalls resultiere daraus eine Arbeitsunfähigkeit. Die Diagnose eines
latenten Diabetes Mellitus müsse angezweifelt werden, da Glukosewert und HBA 1C-Wert unauffällig seien.
Sozialmedizinisch könne die Feststellung auch nicht zu einem reduzierten Leistungsvermögen führen.
Der Senat hat verschiedene Befundberichte eingeholt. Dipl.-Med. Sch ... berichtet im Befund vom 02.08.2000, dass
sie eine Belastungshypertonie, Varizen, Cholelithiasis, Hyperthyreose, latenten Diabetes Mellitus, Hyperchol. und
Adipositas festgestellt habe. Der Zustand habe sich altersmäßig verschlechtert und die Klägerin sei in letzter Zeit
nicht arbeitsunfähig gewesen. In einem Befundbericht vom 06.09.2000 gibt der Internist Dr. V ... an, dass die alten
Diagnosen zutreffen. Zusätzlich habe sich eine Borreliose nach Zeckenstich und latenter Diabetes Mellitus gezeigt.
Der Orthopäde T ... hat mitgeteilt, dass sich die Klägerin seit März 1999 nicht mehr in seiner Praxis vorgestellt habe.
Wegen des übrigen Vorbringens wird auf den Inhalt der Akten beider Rechtszüge und der beigezogenen Akte der
Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist statthaft und fristgemäß eingelegt, § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG), erweist sich jedoch als
unbegründet. Die Klägerin ist durch die Entscheidungen des Sozialgerichts und der Beklagten nicht in ihren Rechten
verletzt.
Die Klägerin ist nicht BU und auch nicht EU im Sinne der §§ 43, 44 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) in der
alten Fassung (a.F.). Nach der Neufassung der entsprechenden Vorschriften durch das Gesetz zur Reform der Renten
wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.12.2000 (BGBl. I, S. 1827) könnte die Klägerin noch eine
Berufsunfähigkeitsrente nach altem Recht erhalten, wenn am 31.12.2000 ein Anspruch auf eine Rente nach den §§
43, 44 a.F. SGB VI bestand. Sachverhalte sind immer nach dem Recht zu beurteilen, das zur Zeit des Geschehens
galt.
BU liegt vor, wenn die Erwerbsfähigkeit von Versicherten wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte
derjenigen von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen
Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist. Die Beurteilung, wie weit die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten
gesunken ist, wird danach getroffen, welchen Verdienst er aus einer Erwerbstätigkeit erzielen kann, auf die er nach
seinem Berufswerdegang und nach seinem Gesundheitszustand zumutbar verwiesen werden kann
(Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 28.02.1963 - 12 RJ 24/58 - SozR Nr. 24 zu § 1246 RVO).
Zur möglichst gleichmäßigen und vorhersehbaren Beurteilung der Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit hat die
Rechtssprechung als Hilfsmittel ein so genanntes Mehrstufenschema entwickelt, welches die Berufe entsprechend
ihrer Leistungsqualität in verschiedene Berufsgruppen gliedert. Bei Angestelltenberufen werden mittlerweile bis zu
sechs Stufen unterschieden. Das sind - mit der untersten Stufe beginnend - (1) unausgebildete bzw. ungelernte
Angestelltenberufe, deren Anforderungsprofil keine über die Erfüllung der allgemeinen Schulpflicht hinausgehenden
Kenntnisse und Fähigkeiten erfordert und für die eine nur kurzzeitige, bis zu 3 Monaten dauernde Einarbeitungszeit
genügt (BSG Urteil vom 24.03.1998, B 4 RA 44/96 R). Es folgen auf Stufe (2) die Berufe für angelernte Angestellte
mit einer Ausbildung bis zu zwei Jahren sowie (3) Angestelltenberufe mit einer längeren, regelmäßig 3-jährigen
Ausbildung. Darüber gruppieren sich (4) Berufe, welche eine Meisterprüfung oder den erfolgreichen Abschluss einer
Fachschule voraussetzen, sowie (5) Angestelltentätigkeiten, die ein abgeschlossenes Studium an einer
Fachhochschule bzw. wissenschaftlichen Hochschule erfordern. Nach oben abgeschlossen wird das
Mehrstufenschema mit den (6) Angestelltenberufen der Führungsebene, deren hohe Qualität regelmäßig auf einem
Hochschulstudium beruht und in denen üblicherweise ein Bruttoarbeitsentgelt um die Beitragsbemessungsgrenze oder
darüber erzielt wird (vgl. BSG SozR 3 - 2200 § 1246 Nr. 1 sowie Meyer im Gemeinschaftskommentar SGB VI, § 43
SGB VI Rd.-Ziff. 220).
Die Zuordnung einer bestimmten beruflichen Tätigkeit zu einer Berufsgruppe dieses Mehrstufenschemas für
Angestellte hat dabei in aller Regel nach Maßgabe von Dauer und Umfang (Intensität) der hierfür erforderlichen
Ausbildung zu erfolgen. Die tarifvertragliche Einstufung der Tätigkeit kann jedoch als wichtiges Hilfsmittel (Indiz)
insbesondere dann herangezogen werden, wenn die zu beurteilende Tätigkeit kein staatlich geregelter
Ausbildungsberuf ist (BSG Urteil vom 24.03.1998, B 4 RA 44/96 R).
Jeder Angestellte kann, wenn es um zumutbare Verweisungstätigkeiten geht, jeweils auf Tätigkeiten verwiesen
werden, die eine Stufe tiefer einzuordnen sind, als es dem bisherigen Beruf entspricht. Ein Angestellter mit beruflicher
Ausbildung kann demnach auf Anlerntätigkeiten, ein angelernter Angestellter auf ungelernte Tätigkeiten verwiesen
werden usw.
Berufsunfähig im Sinne des § 43 Abs. 2 a.F. SGB VI ist die Klägerin nicht, weil ihre Erwerbsfähigkeit in Folge von
Krankheit oder Behinderung noch nicht auf weniger als die Hälfte der Erwerbsfähigkeit eines körperlich, geistig und
seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken
ist.
Bei der Klägerin kommt es vorrangig nicht auf die Möglichkeiten einer Verweisung an, denn sie ist nach Überzeugung
des Senats noch in der Lage, ihren bisherigen Beruf auszuüben. Dies ist die Tätigkeit einer Verkaufsstellenprüferin.
Die Tätigkeit der Sachbearbeiterin ist nicht als der Beruf anzusehen, da die Klägerin diese Tätigkeit als Vertreterin
einer Kranken ausüben musste. Wie der damalige Arbeitgeber mitteilte, berührte diese vorübergehende Beschäftigung
den Arbeitsvertrag der Klägerin nicht.
Diese Tätigkeit ist als hochwertige Angestelltentätigkeit in die 4. Gruppe einzustufen, denn für die zusätzliche
Ausbildung war Voraussetzung eine abgeschlossene Lehre als Verkäuferin und die Qualifizierung als
Verkaufsstellenleiterin. Nach dem Stoffplan von Ausbildung und Prüfung wurde die Klägerin befähigt, die korrekte
Führung von Verkaufsstellen in jeder Beziehung zu prüfen. Diese Angestelltentätigkeit ist als körperlich leichte
Tätigkeit einzustufen, denn es handelt sich meist um Schreibtischtätigkeit, die aber mit Tätigkeiten im Stehen und
Gehen abwechselt. Zu den Aufgaben gehört auch die wenigstens stichprobenartige Überprüfung des Warenbestandes
und die Prüfung des Betriebsablaufs. Auf den früheren konkreten Arbeitsplatz kommt es bei dieser Beurteilung nicht
an. Dies gilt umso mehr, als dieser Arbeitsplatz nicht mehr existiert.
Soweit die Klägerin angibt, sie habe bei Inventuren körperlich schwere Arbeiten verrichten müssen, so mag dies an
ihrem früheren Arbeitsplatz die Aufgabe der Prüfer gewesen sein, den Warenbestand selbst umzuschichten. Die
Aufgabe von Prüfern in größeren Filialunternehmen ist dies in der Regel nicht. Die Umschichtung des überprüften
Bestandes wird meist durch Hilfskräfte vorgenommen, während der verantwortliche Prüfer die Listen führt, den
schriftlichen Teil der Prüfung erledigt. Zu beachten ist dabei, dass die Liste über den Warenbestand heute in der Regel
elektronisch über die Kasse geführt wird, was die Minderung der vorhandenen Menge durch den Verkauf angeht.
Zu derartigen Tätigkeiten ist die Klägerin nach den ärztlichen Gutachten noch in der Lage. Der Internist Dr. L ... führt
aus, dass die Klägerin aus seiner Sicht als Fachverkäuferin und Verkaufsstellenprüferin noch vollschichtig tätig sein
könne. Sie könne auch gleiche Tätigkeiten ohne körperliche Anstrengung im Sitzen und Gehen verrichten. Dieses
Gutachten beruht auf einer ausführlichen Untersuchung. Die Ergebnisse sind klar und logisch dargestellt.
Insbesondere hat das Belastungs-EKG diese Einschätzung zumindest bestätigt. Hier war über zwei Minuten eine
Belastung mit 100 Watt möglich. Dabei wurde die Ausbelastungsfrequenz erreicht, was als Minderung der körperlichen
Leistungsfähigkeit anzusehen ist. Bei der möglichen Belastung sind aber nach den sozialmedizinischen Kriterien auch
noch teilweise mittelschwere Arbeiten möglich.
Diesem Ergebnis widerspricht auch nicht die vorgelegte Bescheinigung des Dr. Wolf vom 12.10.1960. In diesem
Attest sind auch nur schwere körperliche Arbeiten ausgeschlossen. Eine gesonderte Berücksichtigung dieser alten
Bescheinigung ist auch nicht erforderlich, denn der internisitische Gutachter hat die Klägerin umfassend untersucht
und die aktuellen Einschränkgungen und Erkrankungen festgestellt. Er hat keine Mitralinsuffizienz festgestellt, diese
Frage aber ersichtlich geprüft. Seine Ergebnis werden durch die Herzkatheteruntersuchung des Vogtlandklinikum
Plauen gestützt.
Auch das orthopädische Gutachten des Dr. Sch ... vom 14.11.1998 kommt zu dem Ergebnis, dass die Klägerin die
Tätigkeit als Verkaufsstellenprüferin vollschichtig ausüben könne. Er führt aus, dass die Klägerin körperlich leichte
Arbeiten ohne häufiges Heben und Tragen von Lasten mit Wechsel der Arbeitshaltung zwischen Sitzen, Gehen und
Stehen vollschichtig verrichten könne. Auch diese Beurteilung stimmt mit den körperlichen Anforderungen an eine
Tätigkeit einer Verkausfsstellenprüferin oder Innenrevisorin überein. Dieses Gutachten beruht ebenfalls auf einer
ausführlichen Untersuchung, die umfassend dargestellt ist. Die Ergebnisse der Untersuchung und die Diagnosen
stützen die sozialmedizinische Beurteilung.
Dagegen sind die Ergebnisse des Gutachtens des Internisten Dr. K ... vom 20.02.1996 nicht nachvollziehbar. Er
kommt zu einer halb- bis unter vollschichtigen Leistungsfähigkeit, gibt hierfür jedoch keine Begründung. Das
Belastungs-EKG war bei ihm ebenfalls für zwei Minuten mit 100 Watt möglich. Er äußerte den Verdacht auf eine
Belastungscoronarinsuffizienz. Dieser Verdacht hat sich nicht bestätigt, was sich aus dem Untersuchtungsbefund des
Vogtlandklinikum P ... vom 29.05.1998 für Dipl.-Med. Sch ... ergibt. Die Herzkatheteruntersuchung hat einen im
wesentlichen unauffälligen Befund ergeben. Nach Ansicht des leitenden Kardiologen Dr. R ... ergeben sich aus dem
erhobenen Befund keine therapeutischen Konsequenzen. Damit ist der Beurteilung einer erheblichen
Leistungsminderung aus internistischer Sicht die Grundlage entzogen. Soweit der Gutachter seine Einschätzung auf
Wirbelsäulenbeschwerden stützte, handelt es sich um ein fachfremdes Gebiet, das durch das Gutachten des Dr. Sch
... fachkundig beurteilt ist.
Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder sonstige schwerwiegende Behinderungen, welche
es der Klägerin auch bei vollschichtiger Leistungsfähigkeit unmöglich machten, eine geeignete Erwerbstätigkeit
aufzunehmen, so genannte "Katalogfälle" (BSG vom 25.06.1986 SozR 2200 9 1246 Nr. 137) liegen nicht vor.
Insbesondere ist sie nach der Beurteilung der Sachverständigen nicht am Zurücklegen des Arbeitsweges, also eines
Weges von der Wohnung bis zur etwaigen Arbeitsstätte, gehindert (BSG, Urteil vom 17.12.1991 - 13/5 RJ 73/90 =
SozR 3- 2200 § 1247 Nr. 10). Betriebsunübliche Pausen (BSG SozR 2200 § 1247 RVO Nr. 43) braucht sie während
der Arbeitszeit nicht einzuhalten. Die bei ihr festgestellten Einschränkungen qualitativer Art stellen somit keine
Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen dar, die die Benennung einer Verweisungstätigkeit bedingen
könnte (BSG, Urteil vom 11.03.1999 - B 13 RJ 71/97 R - NZS 2/2000 S. 96), sondern führen lediglich dazu, dass sie
mittelschwere und schwere Tätigkeiten nicht mehr verrichten kann.
Die Einholung neuer Gutachten durch den Senat war nicht erforderlich. Die neu angeführten Erkrankungen bedingen
jedenfalls derzeit keine weitere erhebliche Leistungsminderung. Die Borreliose nach Zeckenstich ist eine
behandlungsbedürftige Erkrankung, die allenfalls zu einer vorübergehenden Arbeitsunfähigkeit führt. Der latente
Diabetes mellitus mindert das Leistungsvermögen nicht. Nach dem Befundbericht des Dr. V ... vom 06.09.2000, sind
diese Erkrankungen neu. Eine Verschlechterung der bestehenden Erkrankungen hat er nicht angeführt. Dipl.-Med. Sch
... hat ohne Begründung mitgeteilt, dass sich der Zustand der Klägerin altersgemäß verschlechtert habe. Eine
Verschlimmerung der Erkrankungen hat sie nicht angegeben. Der Orthopäde Dr. T ... hat mitgeteilt, dass sich die
Klägerin seit März 1999 nicht mehr bei ihm vorgestellt habe. Dies lässt darauf schließen, dass keine neuen
Beschwerden aufgetreten sind. Auch der Hinweis im Gutachten des Dr. Sch ... auf einen ihm gegenüber angegebenen
Herzfehler verlangt kein neues Gutachten. Insoweit ist im internistischen Gutachten zu allen Einschränkungen
Stellung genommen. Eine erhebliche Einschränkung ist auch durch den durch das Vogtlandklinikium erhobenen
praktisch unauffälligen Befund ausgeschlossen.
Damit ist auch dem Antrag des Klägervertreters nicht zu folgen, ein neues internistisches Gutachten einzuholen. Die
Einnahme mehrerer Medikamente zwingt nicht, Gutachten einzuholen. Eine weitere Begründung dafür, warum ein
weiteres Gutachten erforderlich sei, ist nicht gegeben. Es sind auch keine Punkte vorgetragen, weshalb das
Gutachten des Dr. L ... unzutreffend oder nicht mehr zutreffend sei, weshalb ein anderer Sachverständiger nun eine
Begutachten unbedingt vornehmen müsse.
Da die Klägerin nicht berufsunfähig ist, ist sie erst recht nicht erwerbsunfähig oder invalide. Eine Rente wegen
Erwerbsunfähigkeit wird nur unter den strengen Voraussetzungen des § 44 Abs. 2 a.F. SGB VI gewährt. Die Klägerin
ist trotz der vorhandenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen noch in der Lage, mit dem vorhandenen vollschichtigen
Leistungsvermögen eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben und hier mehr als nur geringfügige
Einkünfte zu erzielen. Das Leistungsvermögen der Klägerin ist auch nicht um mindestens zwei Drittel desjenigen von
geistig und körperlich gesunden Versicherten im Beitrittsgebiet gemindert, Art. 2 § 7 Rentenüberleitungsgesetz.
Hierbei kommt es nicht darauf an, ob eine geeignete freie Stelle sofort vermittelt werden kann und ob es am Wohnort
der Klägerin geeignete Einsatzmöglichkeiten gibt. Bei vollschichtiger Einsatzfähigkeit obliegt das Arbeitsplatzrisiko
der Arbeitslosenversicherung und nicht der Rentenversicherung (BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 9). Darüber hinaus ist
nicht BU oder EU, wer eine zumutbare Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage
nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 2 Satz 4, § 44 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB VI a.F.).
Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI.
Eine solche Rente nach neuem Recht ist ausgeschlossen, wenn der Versicherte unter den üblichen Bedingungen des
Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann. Dabei kommt es nicht auf den früheren
Beruf an. Vielmehr kann nun auf jede Tätigkeit verwiesen werden. Da die Klägerin vollschichtig leichte Arbeiten
ausführen kann, keine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vorhanden ist, ist dieses Kriterium
erfüllt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung einer Revision bestehen nicht, § 160 Abs. 2 SGG.