Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 27.01.2005

LSG Mainz: getrennt leben, häusliche gemeinschaft, eheliche gemeinschaft, arbeitslosenhilfe, ehepartner, trennung, pflegeheim, krankheit, lebensgemeinschaft, lieferung

Sozialrecht
LSG
Mainz
27.01.2005
L 1 AL 156/04
Einkommen des getrennt lebenden Ehegatten ist beim Anspruch auf Arbeitslosenhilfe nicht anrechenbar
T E N O R:
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Trier vom 07.07.2004 - S 5 AL 71/04 -
wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen zu erstatten.
3. Die Revision wird zugelassen.
T A T B E S T A N D:
Streitig ist, ob die Klägerin Anspruch auf Gewährung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) ohne Berücksichtigung
des Einkommens ihres Ehegatten ab dem 05.03.2004 hat.
Die 1949 geborene Klägerin ist seit September 1969 verheiratet. Ihr 1934 geborener Ehemann bezieht
eine gesetzliche Altersrente i.H.v. 1.446,52 Euro sowie eine Rente der Versorgungsanstalt des Bundes
und der Länder i.H.v. 384,43 Euro (gesamt 1.828,95 Euro). Der Ehemann der Klägerin befindet sich seit 6
Jahren wegen eines Demenzleidens (Alzheimererkrankung) in einem Pflegeheim. Die
Pflegeversicherungsleistungen reichen nicht aus, um die Kosten der Heimunterbringung zu decken. Die
Klägerin verwendet die Rentenleistung ihres Ehemanns, um die Differenz und sonstige Kosten, wie
beispielsweise Zuzahlungen für Medikamente und Hilfsmittel, zu begleichen. Außerdem bringt sie noch
ca. 200,00 Euro durchschnittlich im Monat aus eigenen Mitteln auf, um den übrigen Bedarf ihres
Ehemannes zu decken.
Nach Beendigung ihrer Tätigkeit als Abteilungsleiterin bei der Fa. S GmbH, T , Ende 2001 bezog
die Klägerin vom 15.01.2002 bis zum 04.03.2004 Arbeitslosengeld i.H.v. zuletzt 313,46 Euro wöchentlich.
Auf ihren Antrag auf Gewährung von Anschluss-Alhi gewährte ihr die Beklagte mit Bescheid vom
05.03.2004 Alhi nach einem wöchentlichen Bemessungsentgelt von 730,00 Euro unter Anrechnung des
Einkommens ihres Ehemannes in Höhe von monatlich 859,61 Euro (wöchentlich 198,38 Euro). Auf den
Widerspruch der Klägerin, mit dem diese insbesondere darauf hinwies, dass ihr die Rentenleistungen
ihres Ehemannes tatsächlich nicht zur Verfügung stünden, reduzierte die Beklagte mit Bescheid vom
18.03.2004 den Anrechnungsbetrag auf wöchentlich 172,27 Euro. Den weitergehenden Widerspruch wies
sie zurück (Widerspruchsbescheid vom 22.03.2004).
Das Sozialgericht Trier (SG) hat der Klage mit Urteil vom 07.07.2004 stattgegeben und die Beklagte
verurteilt, der Klägerin Alhi ohne Anrechnung des Einkommens ihres Ehegatten zu zahlen. Zur
Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin lebe von ihrem Ehemann getrennt, weil zwischen ihnen
wegen der Erkrankung des Ehemannes und der erforderlichen Heimunterbringung seit Jahren keine
Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft mehr bestehe.
Gegen das ihr am 12.07.2004 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 29.07.2004 Berufung eingelegt.
Sie trägt im Wesentlichen vor:
Die Klägerin lebe nicht von ihrem Ehemann dauernd getrennt. Deswegen sei das Einkommen ihres
Ehegatten auf die der Klägerin zustehende Alhi anzurechnen. Eine berufs- oder krankheitsbedingte
räumliche Trennung sei nämlich für die Feststellung des Getrenntlebens nicht ausreichend. Faktisch sei
es so, dass die Klägerin trotz der Erkrankung ihres Ehemannes mit diesem aus „einem Topf wirtschafte“.
Alle Kosten, auch die der Heimunterbringung, würden aus dem gemeinsamen Einkommen bestritten. Im
Übrigen sei eine häusliche Gemeinschaft keine notwendige Voraussetzung der so genannten
Einstandsgemeinschaft, die dem Gedanken des § 194 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB III zugrunde liege.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Trier vom 07.07.2004 - S 5 AL 71/04 - aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Sie hält die Entscheidung des SG für zutreffend und weist noch einmal daraufhin, dass sie die ihrem
Ehemann zustehenden Rentenleistungen verwende, um die Kosten der Heimunterbringung zu
begleichen.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der die
Klägerin betreffenden Leistungsakte (Kundennummer: ) Bezug genommen. Er ist Gegenstand der
mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen.
E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E:
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Zu Recht hat das SG die angefochtenen Bescheide
aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin Alhi ohne Anrechnung des Einkommens ihres
Ehemannes zu gewähren. Die Bescheide der Beklagten vom 05.03.2004 und 18.03.2004 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 22.03.2004 sind hinsichtlich der Anrechnung rechtswidrig und
verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat Anspruch auf Gewährung von Alhi ohne
Berücksichtigung des Einkommens ihres Ehemanns.
Zu berücksichtigendes Einkommen ist nach § 194 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III zunächst das Einkommen
des Arbeitslosen, soweit es nicht als Nebeneinkommen anzurechnen ist. Nach § 194 Abs. 1 Satz 2 SGB III
ist auch das Einkommen des vom Arbeitslosen nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten oder
Lebenspartners oder einer Person, die mit dem Arbeitslosen in eheähnlicher Gemeinschaft lebt, zu Lasten
des Antragstellers als Einkommen zu berücksichtigen, soweit es die vorgesehenen Freibeträge i.S.d.
§ 194 Abs. 1 Satz 2 und 3 SGB III übersteigt. Einkommen im Sinne der Vorschriften über die Alhi sind nach
der Legaldefinition im § 194 Abs. 2 Satz 1 SGB III alle Einnahmen in Geld oder Geldeswert einschließlich
der Leistungen, die von Dritten beansprucht werden können.
Zwar ist es richtig, dass der Ehemann der Klägerin Einkommen im Sinne des § 194 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
SGB III erzielt, doch ist dieses Einkommen nicht zu Lasten der Klägerin anzurechnen. Die Klägerin lebt
von ihrem Ehegatten dauernd getrennt im Sinne dieser Vorschrift.
Der Begriff des dauernden Getrenntlebens umschreibt den Zustand, dass die zum Wesen der Ehe
gehörende häusliche Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft im Sinne des § 1353 Abs. 1 Satz 2
Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) auf Dauer nicht mehr besteht (vgl. Spellbrink, Kasseler Handbuch des
Arbeitsförderungsrechts, 2003, S. 921 Rz. 104). Dabei ist unter Lebensgemeinschaft die räumliche,
persönliche und geistige Gemeinschaft der Ehegatten, unter Wirtschaftsgemeinschaft die gemeinsame
Erledigung der die Ehegatten gemeinsam berührenden wirtschaftlichen Fragen ihres Zusammenlebens
zu verstehen (vgl. Hengelhaupt in Noftz, SGB III, 21. Lieferung XII/01, § 193 Rz. 48). Insoweit ist einer auf
Dauer herbeigeführten räumlichen Trennung regelmäßig eine besondere Bedeutung beizumessen. Dies
obwohl die eheliche Lebens- oder Wirtschaftsgemeinschaft im Allgemeinen nicht aufgehoben wird, wenn
die Ehegatten sich nur vorübergehend räumlich trennen. Auch in den Fällen, in denen die Ehegatten in
Folge zwingender äußerer Umstände, also beispielsweise Krankheit oder Verbüßung einer
Freiheitsstrafe, für eine nicht absehbare Zeit räumlich voneinander getrennt leben müssen, kann die
eheliche Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft noch weiter bestehen, wenn die Ehegatten die erkennbare
Absicht haben, die eheliche Verbindung im noch möglichen Rahmen aufrechtzuerhalten und nach dem
Wegfall der Hindernisse die volle eheliche Gemeinschaft wiederherzustellen. Indikator hierfür kann zum
Beispiel sein, dass sie weiterhin gemeinsam die sie berührenden wirtschaftlichen Fragen erledigen und
über die Verwendung des Familieneinkommens entscheiden (vgl. Hengelhaupt a.a.O.)
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze kann vorliegend nicht mehr von einer zum Wesen der Ehe
gehörenden häuslichen Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft zwischen der Klägerin und ihrem Ehemann
gesprochen werden. Dagegen spricht nicht allein, dass der Ehemann der Klägerin seit Jahren in einem
Pflegeheim untergebracht ist (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 25.01.1989 - Az.: IVb ZR 34/88; Jauernig,
Kommentar zum BGB, 11. Aufl. 2004, § 1567 Rz. 4). Entscheidend kommt vielmehr hinzu, dass der
Ehemann der Klägerin aufgrund seiner geistigen Erkrankung nicht in der Lage ist, mit der Klägerin eine
Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft zu führen oder wiederherzustellen. Eine Führung in diesem Sinne
bedeutet, dass der Ehepartner willentlich Einfluss auf die Ausgestaltung der die Ehegatten gemeinsam
berührenden (ideellen und wirtschaftlichen) Angelegenheiten nimmt, diese also zumindest in einem
gewissen Umfang mitprägt. Hierzu ist jedoch der an Alzheimer im Endstadium erkrankte Ehepartner der
Klägerin nicht mehr in der Lage.
Im Falle einer geistigen Erkrankung dieses Ausmaßes kommt es daher nicht darauf an, ob der Betroffene
die zum Wesen der Ehe gehörende häusliche Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft erkennbar nicht
(mehr) herstellen will, weil er die Ehe ablehnt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen ( § 160 Abs. 2 Nr. 1
SGG).
- Rechtsmittelbelehrung -