Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 06.11.2009
LSG Rpf: eltern, zuschuss, zuwendung, heizung, unterkunftskosten, wohnung, deckung, nebenkosten, öffentlich, vergleich
Landessozialgericht Rheinland-Pfalz
Urteil vom 06.11.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Koblenz S 11 AS 713/08
Landessozialgericht Rheinland-Pfalz L 5 AS 221/09
1. Die Berufungen der Beklagten gegen die Urteile des Sozialgerichts Koblenz vom 30.03.2009 werden
zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist für mehrere Bewilligungszeiträume, ob eine Zuwendung der Eltern der Klägerin in Höhe von monatlich
200,00 EUR zur Deckung des unangemessenen Teils der Kosten der Unterkunft (KdU) von der Beklagten zu Recht in
Höhe von 170,00 EUR als Einkommen der Klägerin bedarfsmindernd berücksichtigt wird.
Die 1968 geborene alleinstehende erwerbsfähige Klägerin bezieht seit dem 01.01.2005 von der Beklagten fortlaufend
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Sie bewohnt in E
eine Drei-Zimmer-Wohnung, für die die Kaltmiete 440,00 EUR monatlich beträgt. Zunächst bis zum 30.11.2005 und,
nach Durchführung zweier Klageverfahren, letztlich bis zum 31.01.2008 berücksichtigte die Beklagte die tatsächlichen
Unterkunfts- und Heizkosten als Bedarf. Seit dem 01.02.2008 übernimmt die Beklagte nur noch die als angemessen
erachteten Kosten für Unterkunft und Heizung. Die Klägerin, die aus persönlichen Gründen in der Wohnung verbleiben
möchte, erhält von ihren Eltern zur Deckung des Fehlbetrages eine monatliche freiwillige Zuwendung in Höhe von
200,00 EUR.
Mit Bescheid vom 06.05.2008 bewilligte die Beklagte der Klägerin Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom
01.06.2008 bis 30.11.2008 in Höhe von monatlich 474,37 EUR, nämlich angemessene Kosten der Unterkunft und
Heizung in Höhe von 297,37 EUR zuzüglich der Regelleistung in Höhe von 347,00 EUR abzüglich der um den
Freibetrag (30,00 EUR) verminderten als Einkommen gewerteten Zuwendungen der Eltern in Höhe von 170,00 EUR.
Die berücksichtigten angemessenen Kosten der Unterkunft setzten sich zusammen aus der Kaltmiete in Höhe von
221,00 EUR zuzüglich Nebenkosten in Höhe von 49,92 EUR sowie Heizkosten in Höhe von 46,45 EUR; tatsächlich
beliefen sich die KdU auf insgesamt 588,36 EUR (Kaltmiete und Nebenkosten in Höhe von zusammen 501,36 EUR
zuzüglich Heizkosten in Höhe von 87,00 EUR). Mit Änderungsbescheid vom 18.05.2008 berücksichtigte die Beklagte
die Anhebung der Regelleistung von 347,00 EUR monatlich auf 351,00 EUR ab 01.07.2008, mit weiterem
Änderungsbescheid vom 28.05.2008 erfolgte die Erhöhung der als angemessen berücksichtigten KdU auf 312,23 EUR
wegen einer Erhöhung der Heizkosten von 26,45 EUR auf 41,31 EUR. Die Widersprüche der Klägerin wies die
Beklagte mit Widerspruchsbescheiden vom 08.07.2008 zurück.
Die hiergegen am 11.08.2008 zum Sozialgericht Koblenz (SG) erhobenen Klagen hat das SG mit Beschluss vom
13.08.2008 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Durch Urteil vom 30.03.2009 hat es die
Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 06.05.2008 in der Fassung der Änderungsbescheide vom
18.05.2008 und 28.05.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.07.2008 verurteilt, der Klägerin
Arbeitslosengeld II im Zeitraum vom 01.06.2008 bis 30.11.2008 ohne Anrechnung von 170,00 EUR als Einkommen zu
gewähren. Zur Begründung ist ausgeführt, die Klägerin habe Anspruch auf Gewährung von Arbeitslosengeld II ohne
Anrechnung der monatlichen Zuwendung der Eltern als sonstiges Einkommen. Sie benötige zur Sicherung ihres
Lebensunterhalts im Monat Juli 2008 insgesamt 659,23 EUR und im Zeitraum Juli bis November 2008 insgesamt
663,23 EUR monatlich. Dieser Bedarf setze sich zusammen aus der Regelleistung gemäß § 20 SGB II (347,00 EUR
im Juni 2008 bzw. 351,00 EUR ab Juli 2008) sowie den angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung gemäß §
22 SGB II in Höhe von 312,23 EUR (Kaltmiete in Höhe von 221,00 EUR zuzüglich Nebenkosten in Höhe von 49,92
EUR sowie Heizkosten in Höhe von 41,31 EUR). Diesem Bedarf sei das Einkommen der Klägerin entgegenzusetzen.
Grundsätzlich seien gemäß § 11 Abs. 1 S. 1 SGB II alle Einnahmen in Geld oder Geldeswert zu berücksichtigen.
Nicht als Einkommen zu berücksichtigen seien gemäß § 11 Abs. 3 Nr. 1a SGB II i. V. m. § 1 Arbeitslosengeld II-
/Sozialgeldverordnung (Alg II-V) in der seit 01.01.2008 geltenden Fassung zweckbestimmte Einnahmen, die einem
anderen Zweck als die Leistungen nach dem SGB II dienen und die Lage des Empfängers nicht so günstig
beeinflussen, dass daneben Leistungen nach dem SGB II nicht gerechtfertigt wären. Vorliegend solle durch die von
den Eltern der Klägerin monatlich geleisteten 200,00 EUR die Lücke zwischen den von der Beklagten als angemessen
übernommenen Kosten der Unterkunft und Heizung (312,23 EUR) und den tatsächlichen KdU (588,36 EUR) gedeckt
werden. Diese Differenz sei nicht Teil des notwendigen Lebensunterhalts. Die Lage der Klägerin werde durch die
monatliche Zuwendung in Höhe von 200,00 EUR auch nicht so günstig beeinflusst, dass daneben Leistungen nach
dem SGB II nicht gerechtfertigt wären.
Gegen dieses ihr am 14.04.2009 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 04.05.2009 Berufung eingelegt. Sie macht
geltend, die Leistungen nach dem SGB II dienten insbesondere der Sicherung des Lebensunterhaltes einschließlich
der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung. Auch die Zahlungen der Eltern der Klägerin von monatlich
200,00 EUR dienten der Sicherung des Lebensunterhaltes, denn sie seien zur Deckung der Unterkunftskosten
bestimmt. Das SGB II unterscheide bei den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nicht in einen
gesetzlichen und einen darüber hinausgehenden disponiblen Teil. Die Zuwendungen der Eltern der Klägerin seien
deshalb zu Recht unter Berücksichtigung des Freibetrages von 30,00 EUR in Höhe von monatlich 170,00 EUR auf
den Bedarf der Klägerin angerechnet worden. Für den Zeitraum vom 01.12.2008 bis zum 31.05.2009 bewilligte die
Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 24.10.2008 Arbeitslosengeld II in Höhe von monatlich 493,23 EUR, wobei sie
KdU weiterhin in Höhe von 312,23 EUR anstelle der tatsächlichen Kosten in Höhe von 588,36 EUR und die
Regelleistung in Höhe von monatlich 351,00 EUR abzüglich der um den Freibetrag (30,00 EUR) verminderten
monatlichen Zuwendung der Eltern der Klägerin in Höhe von 170,00 EUR berücksichtigte. Den hiergegen erhobenen
Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 25.11.2008 zurück. Auf die am 05.12.2008 erhobene
Klage hat das SG durch weiteres Urteil vom 30.03.2009 die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom
24.10.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.11.2008 verurteilt, der Klägerin Arbeitslosengeld II im
Zeitraum vom 01.12.2008 bis 31.05.2009 ohne Anrechnung von 170,00 EUR zu gewähren und dies gleichlautend zum
vorgenannten Urteil begründet. Gegen dieses ihr am 15.04.2009 zugestellte Urteil hat die Beklagte ebenfalls am
04.05.2009 Berufung eingelegt, mit der sie ihre Rechtsauffassung weiter verfolgt.
Der Senat hat die Berufungsverfahren durch Beschluss vom 30.06.2009 zur gemeinsamen Verhandlung und
Entscheidung verbunden.
Die Beklagte beantragt, die Urteile des Sozialgerichts Koblenz vom 30.03.2009 aufzuheben und die Klagen
abzuweisen, hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Die Klägerin beantragt, die Berufungen der Beklagten zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die
Prozessakten, die beigezogene Archivakte SG Koblenz S 13 AS 38/07 sowie die Verwaltungsakten der Beklagten
Bezug genommen. Der Akteninhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung.
Entscheidungsgründe:
Die zulässigen Berufungen der Beklagten sind nicht begründet. Das Sozialgericht hat zu Recht die angefochtenen
Bescheide der Beklagten geändert und die Beklagte verurteilt, der Klägerin in den streitigen Bewilligungszeiträumen
Alg II ohne Anrechnung der von den Eltern der Klägerin als Zuschuss zu den Unterkunfskosten gezahlten monatlichen
Zuwendungen zu gewähren.
Die Klägerin hat Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II ohne Anrechnung des besagten Zuschusses ihrer Eltern.
Die Anspruchsvoraussetzungen des § 7 SGB II sind sowohl hinsichtlich der Altersgrenzen, der Erwerbsfähigkeit, der
Hilfebedürftigkeit als auch des Aufenthalts grundsätzlich erfüllt. Im Rahmen der Hilfebedürftigkeit (§ 9 SGB II) ist der
von den Eltern der Klägerin gewährte Zuschuss zu den Unterkunftskosten nicht in Höhe von 170,00 EUR als
Einkommen zu berücksichtigen. Nach § 11 Abs. 3 Nr. 1 Buchstabe a SGB II sind Einnahmen nicht als Einkommen
zu berücksichtigen, soweit sie als zweckbestimmte Einnahmen einem anderen Zweck als die Leistungen nach
diesem Buch dienen und die Lage des Empfängers nicht so günstig beeinflussen, dass daneben Leistungen nach
diesem Buch nicht gerechtfertigt wären.
Zweckbestimmte Einnahmen können neben Einnahmen, die auf Grund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu einem
ausdrücklich genannten Zweck erbracht werden, auch Einnahmen nicht öffentlich-rechtlicher Art, insbesondere von
Privatpersonen sein (Söhngen, in JurisPK-SGB II, 2. Aufl. 2007, § 11 Rn. 55; Brühl, in LPK-SGB II, 2. Aufl. 2007, §
11 Rn. 54). Zweckbestimmt ist eine Leistung, wenn der Gesetzgeber oder der Leistungserbringer ihr eine bestimmte
Zweckrichtung gegeben hat, die im Falle einer Anrechnung als Einkommen bei den nach dem SGB II zu gewährenden
Leistungen vereitelt würde; dabei ist nicht erforderlich, dass der Empfänger die Leistung nur zu dem im Gesetz oder
vom Leistungserbringer bestimmten Zweck verwenden darf und der Leistende ein Kontrollrecht oder einen Einfluss auf
die bestimmungsgemäße Verwendung hat; es genügt, wenn die Leistung aus einem bestimmten Anlass und in einer
bestimmten Erwartung gegeben wird und der Empfänger sie im Allgemeinen für den bestimmten Zweck verwendet,
ohne dass er jedoch dazu angehalten werden könnte (vgl. Söhngen a. a. O. Rn. 56; Brühl a. a. O. m. w. N.).
Nach diesen Maßstäben handelt es sich bei der Zuwendung der Eltern der Klägerin in Höhe von 200,00 EUR
monatlich um eine zweckbestimmte Leistung i. S. d. § 11 Abs. 3 Nr. 1 Buchstabe a SGB II. Denn nach der von den
Eltern vorgegebenen Zweckbestimmung soll der Zuschuss dem Ausgleich der Differenz zwischen den von der
Beklagten bewilligten und den tatsächlichen Unterkunftskosten dienen und so der Klägerin ermöglichen, ihre bisherige,
nach den gesetzlichen Bestimmungen unangemessene Wohnung beizubehalten.
Der Zuschuss dient auch einem anderen Zweck als die Leistungen nach dem SGB II. Das von der Beklagten
bewilligte Alg II dient der Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und
Heizung (§ 19 S. 1 SGB II). Nach der Zweckbestimmung der Eltern soll der Zuschuss gerade nicht der allgemeinen
Sicherung des Lebensunterhalts der Klägerin dienen, sondern ihr ermöglichen, trotz der Beschränkung der
Unterkunftskosten durch die Beklagte, die bisherige - nach den gesetzlichen Bestimmungen unangemessene -
Wohnung beizubehalten. Diese Zweckbestimmung würde vereitelt, wenn der Zuschuss als Einkommen bei der
Bedarfsberechnung nach dem SGB II angerechnet würde. Der Zuschuss beeinflusst die Lage der Klägerin auch nicht
so günstig, dass daneben Leistungen nach dem SGB II nicht gerechtfertigt wären. Nach Sinn und Zweck der
Regelung ist hierbei eine Abwägung zu treffen unter Berücksichtigung der Situation des Hilfebedürftigen im Vergleich
zu anderen Hilfebedürftigen und fiskalischen Interessen. Bei privatrechtlich zweckbestimmten Leistungen sind
Leistungen nach dem SGB II in der Regel nur dann als nicht mehr gerechtfertigt anzusehen, wenn die
Zweckbestimmung einen Missbrauch verschleiern soll, z. B. eine allgemeine Unterhaltszuwendung für einen
besonderen, tatsächlich nicht bestehenden Aufwand deklariert wird (Brühl a. a. O. Rn. 55 m. w. N.). Für eine solche
Missbrauchsverschleierung gibt es im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte. Eine gesetzliche Unterhaltspflicht der
Eltern für die 1968 geborene Klägerin besteht nicht; es liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass eigentlicher
Zweck des Zuschusses der Eltern eine Unterstützung für den allgemeinen Lebensunterhalt der Klägerin wäre und
dieser Zweck durch die geltend gemachte Zwecksbestimmung verschleiert werden soll. Hiervon geht auch die
Beklagte wohl nicht aus. Die Eltern der Klägerin würden den Zuschuss nicht zahlen, wenn die Unterkunftskosten der
Klägerin in der bisherigen Wohnung von der Beklagten gedeckt würden. Fiskalische Interessen werden hierdurch nicht
beeinträchtigt, denn die Klägerin erhält von der Beklagten nur die angemessenen Kosten der Unterkunft. Der
Zuschuss ist auch nicht so hoch, dass die Klägerin damit im Vergleich mit anderen Hilfebedürftigen unangemessen
bessergestellt wäre.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.