Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 21.06.2010
LSG NRW (antragsteller, eidesstattliche erklärung, vorläufiger rechtsschutz, arzt, beschwerde, sgg, antrag, hauptsache, anordnung, rechtsschutz)
Landessozialgericht NRW, L 7 AS 701/10 B ER
Datum:
21.06.2010
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
7. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
L 7 AS 701/10 B ER
Vorinstanz:
Sozialgericht Gelsenkirchen, S 27 AS 616/10 ER
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des
Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 19.04.2010 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu
erstatten.
Gründe:
1
Die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig, in der Sache aber nicht begründet.
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1. Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind einstweilige Anordnungen
auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges
Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher
Nachteile notwendig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen
Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d. h. des materiellen
Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines
Anordnungsgrundes, d. h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen
Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Können ohne die
Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht
abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht
mehr zu beseitigen wären, sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache nicht nur
summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Scheidet eine vollständige Aufklärung
der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren aus, ist auf der Grundlage einer an der
Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes orientierten Folgenabwägung zu
entscheiden (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 -, BVerfGK 5, 237 =
NVwZ 2005, Seite 927).
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2. Das Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen hat mit dem angegriffenen Beschluss vom
19.04.2010 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt.
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Der Antragsteller hat einen Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht; der Senat hatte
daher nicht zu entscheiden, ob ein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht worden ist.
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Ein Anordnungsgrund besteht deshalb nicht, weil der 1961 geborene Antragsteller nach
eigenen Angaben (in seiner Antragsschrift vom 15.03.2010) seit dem Jahr 1974
nikotinabhängig ist und er seit März 2008 eine ohne ärztliche Begleitung durchgeführte
"Substitution mit Niquitin 4mg" betreibt. Seit März 2008 hat der Antragsteller die
Niquitintabletten damit offenbar erworben. Er hat nicht glaubhaft gemacht, warum ihm
dies aktuell nicht (mehr) möglich ist. Eine Veränderung der tatsächlichen Umstände ist
weder zu erkennen noch ersichtlich, weil der Antragsteller bereits damals im laufenden
Leistungsbezug bei der Antragsgegnerin stand. Ferner war zu berücksichtigen, dass die
von dem Antragsteller vorgelegten Apothekenquittungen überwiegend auf "N+X C" -
den Eltern des Antragstellers - ausgestellt waren.
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Der Antragsteller mit seinem Leistungsantrag vom 16.02.2010 überdies behauptet,
"täglich 20 Nikotintabletten (Niquitin 4mg)" zu benötigen, "welche 7,33 EUR kosten", so
dass er einen monatlichen Bedarf von 220 EUR (Antragsschrift vom 13.03.2010) bzw.
175,76 EUR (Eidesstattliche Erklärung der Mutter des Antragstellers vom 27.03.2010)
habe. Der Antragsteller hat jedoch nur vier Apothekenquittungen vorgelegt, obwohl er
bereits mit Schriftsatz vom 27.03.2010 ankündigte: "Die entsprechenden Belege werde
ich ab jetzt sammeln." Folgende Apothekenquittungen hat der Antragsteller vorgelegt:
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Quittungsdatum Kaufgegenstand Betrag 11.05.2009 1 x Nicorette Inhaler 28,88 EUR
16.02.2010 2 x Niquitin Mini 4mg, 60 St. 43,94 EUR 30.03.2010 2 x Niquitin Mini 4mg,
60 St. 43,94 EUR 06.04.2010 1 x Niquitin Mini 4mg, 60 St. 21,97 EUR
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Der Antragsteller hat den von ihm behaupteten Bedarf von 220 EUR bzw. 175,76 EUR
monatlich damit nicht glaubhaft gemacht, sondern nur einen erheblich geringeren
Bedarf.
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Gegen einen Anordnungsanspruch spricht zudem zur Überzeugung des Senats bei der
vorzunehmenden Gesamtwürdigung auch der grundgesetzlich geschützten Interessen
des Antragstellers, dass der Antragsteller mit seinem behandelnden Arzt Herrn Tilman
Hahn aus Bottrop nach dessen im einstweiligen Rechtsschutzverfahren eingeholten
Auskünften vom 05.04.2010 und 19.05.2010 noch kein Therapiekonzept entwickelt und
seinen Arzt zudem "seit längerem nicht mehr wegen der Nikotinentwöhnung aufgesucht
hat" (Auskunft vom 19.05.2010). Der Antragsteller trug vor, er habe mit seinem
behandelnden Arzt im Frühjahr 2009 über die Möglichkeiten einer Nikotinentwöhnung
gesprochen. Auf die von seinem Arzt angeregte Alternativbehandlung Hypnosetherapie
wollte sich der Antragsteller nach eigenen Angaben nicht einlassen, weil er "nicht auf
hypnotischen Hokuspokus" anspreche (Schriftsatz vom 28.05.2010). Aus den
Auskünften des Arztes Hahn ergibt sich, dass eine Einnahme von Niquitintabletten
sinnvoll sein kann, um die Entzugsfolgen bei der Durchführung einer entsprechenden
Entzugstherapie zu mildern, eine Langzeitbehandlung mit Nikotin-Suchtersatzstoffen
aber nur ausnahmsweise erfolgen sollte.
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Ob ein Anspruch des Antragstellers gegenüber der Antragsgegnerin auf Übernahme der
Kosten für die Niquitintabletten besteht, wird folglich im sozialgerichtlichen
Hauptsacheverfahren abschließend zu klären sein. Dies hat der Antragsteller zeitgleich
mit seinem Antrag auf vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutz bereits anhängig gemacht.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193
SGG.
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4. Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
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