Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 12.05.2010
LSG NRW (einkommen, gegenstand des verfahrens, höhe, geburt, steuerrecht, sgg, bewilligung, umfang, sozialversicherung, geld)
Landessozialgericht NRW, L 13 EG 10/10
Datum:
12.05.2010
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
13. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 13 EG 10/10
Vorinstanz:
Sozialgericht Duisburg, S 18 EG 13/08
Nachinstanz:
Bundessozialgericht, B 10 EG 13/10 R
Sachgebiet:
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten der
Klägerin sind auch in der Berufungsinstanz von dem Beklagten zu
erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
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Die Beteiligten streiten um die Höhe der Anrechnung von nach der Geburt erzieltem
Einkommen bei der Berechnung von Elterngeld.
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Die Klägerin, eine gelernte Krankenschwester, die regelmäßig Nachtdienste verrichtet,
beantragte am 22.11.2007 Elterngeld für die ersten zwölf Lebensmonate ihres Sohnes
C, geb. am 00.00.2007. Der Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 18.1.2008 unter
Anrechnung des bis zum 7.1.2008 bezogenen Mutterschaftsgeldes Elterngeld in Höhe
von 861,85 Euro ab dem 3. Lebensmonat, wobei sie bei der Ermittlung des vor der
Geburt erzielten Einkommens steuerfreie Zuschläge für Nacht- und Wochenendarbeit
nicht berücksichtigte. Mit ihrem Widerspruch forderte die Klägerin die Berücksichtigung
dieser Zuschläge, da es sich um wiederkehrende Zahlungen handele, die
typischerweise anfielen. Mit Widerspruchsbescheid vom 5.3.2008 wies die
Bezirksregierung Münster den Widerspruch zurück.
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Die Klägerin hat am 9.4.2008 Klage erhoben, mit der sie die Berücksichtigung der
steuerfreien Entgeltbestandteile bei der Berechnung des Einkommens gefordert hat.
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Auf die Mitteilung der Klägerin, dass sie seit Juni 2008 eine geringfügige Beschäftigung
als Krankenschwester ausübe, hob der Beklagte nach Ermittlung des im
Bezugszeitraums erzielten Einkommens mit Bescheid vom 4.12.2008 den Bescheid
vom 18.1.2008 für die Zeit vom 12.6. - 11.11.2008 "gem. § 2 Abs. 3 BEEG iVm § 50 SGB
X" auf und setzte das Elterngeld auf 714,01 Euro fest. Die Überzahlung von 739, 20
Euro forderte er von der Klägerin zurück. Das begründete er damit, dass
zwischenzeitlich bekannt geworden sei, dass die Klägerin nach der Geburt ihres
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Sohnes ein durchschnittliches Arbeitsentgelt von 220,65 Euro monatlich aus
geringfügiger Beschäftigung als Krankenschwester erzielt habe. Nach den Richtlinien
des zuständigen Bundesministeriums zum Bundeseltern- und Elternzeitgeldgesetz
(BEEG) sei bei pauschal versteuertem Einkommen nach § 40a
Einkommenssteuergesetz (EStG) dieses in voller Höhe, d.h. ohne etwaige Abzüge von
Werbungskosten (bzw. Werbungskosten-Pauschalen) anzurechnen.
Die Klägerin hat ihre Klage insoweit zurückgenommen, als sie die Berücksichtigung der
steuerfreien Zuschläge verlangt hatte. Sie hat sich sich nunmehr dagegen gewandt,
dass das nach der Geburt erzielte Einkommen in voller Höhe angerechnet wird und die
Auffassung vertreten, insoweit müssten Werbungskosten abgesetzt werden. Sie hat
darauf hingewiesen, dass sie erhebliche Aufwendungen für die Fahrt von der Wohnung
in E zu ihrer Arbeitsstätte im Krankenhaus in H aufzubringen gehabt habe.
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Das Sozialgericht (SG) Duisburg hat der Klage unter Zulassung der Berufung durch
Urteil vom 14.1.2010 stattgegeben und zur Begründung ausgeführt:
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"Der Beklagte hat zu Unrecht das durchschnittlich nach der Geburt erzielte Einkommen
in voller Höhe elterngeldmindernd berücksichtigt. Da die Klägerin ab 01.07.2008 eine
geringfügige Beschäftigung aufgenommen hat, ist das durchschnittlich erzielte
monatliche Einkommen aus dieser Erwerbstätigkeit gemäß § 2 Abs. 3 BEEG zu
berücksichtigen. Nach § 2 Abs. 7 S. 1 BEEG ist als Einkommen aus nicht selbständiger
Arbeit der um die auf dieses Einkommen entfallenden Steuern und die aufgrund dieser
Erwerbstätigkeit geleisteten Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung in Höhe des
gesetzlichen Anteils der beschäftigten Person einschließlich der Beiträge zur
Arbeitsförderung verminderte Überschuss der Einnahmen in Geld oder Geldeswert über
die mit 1/12 des Pauschbetrages nach § 9a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Buchstabe a EstG
anzusetzenden Werbungskosten zu berücksichtigen. Da es sich um eine geringfügige
Beschäftigung handelte, waren von der Klägerin weder Steuern zu zahlen, noch
Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung oder zur Arbeitsförderung. Nach dem eindeutigen
Wortlaut des Gesetzes ist das Einkommen der Klägerin daher nur insoweit zu
berücksichtigen, als es 1/12 der Werbungskostenpauschale übersteigt.
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Die hierzu ergangenen Richtlinien des zuständigen Bundesministeriums sind
rechtswidrig. In den Richtlinien heißt es unter Ziff. 2.7.1:
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"Wo das Steuerrecht jedoch bereits im Ansatz keine Werbungskosten berücksichtigt,
sind auch keine Werbungskosten abzuziehen. Dies ist insbesondere der Fall bei vom
Arbeitgeber nach § 40 a EStG pauschal versteuerten sogenannten Minijobs."
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Diese Richtlinie findet im Wortlaut des Gesetzes keine Stütze. § 2 Abs. 7 S. 1 BEEG
regelt ausnahmslos, das als Einkommen der Überschuss der Einnahmen in Geld oder
Geldeswert über die mit 1/12 des Pauschbetrages anzusetzenden Werbungskosten zu
berücksichtigen ist.
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Das Argument, dort wo das Steuerrecht keinen Werbungskostenabzug vorsehe, könnten
auch im BEEG Werbungskosten nicht berücksichtigt werden, überzeugt nicht. Dabei ist
zum Einen darauf hinzuweisen, dass das BEEG zwar den
Werbungskostenpauschbetrag des § 9 a EStG benennt, aber hinsichtlich der
Berücksichtigung der Werbungskosten eine bewusst vom Steuerrecht abweichende
Regelung trifft. Anders als im Steuerrecht ist im BEEG der Nachweis von
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Werbungskosten, die den Pauschbetrag übersteigen, nicht möglich. Darüber hinaus
wird im Steuerrecht der Werbungskostenpauschbetrag für das Kalenderjahr gewährt,
während im BEEG eine monatliche Berücksichtigung von 1/12 der
Werbungskostenpauschale vorgesehen ist. Dies führt beispielsweise dazu, dass dann,
wenn nur in einzelnen Kalendermonaten eines Kalenderjahres Einkommen erzielt
worden ist, im Steuerrecht gleichwohl der Jahresbetrag zu berücksichtigen ist, während
im BEEG jeweils nur für jeden Monat, in dem Einkommen erzielt worden ist, 1/12 des
Werbungskostenpauschbetrages anzusetzen wäre.
Dass das Steuerrecht für pauschal besteuerte Einnahmen keine Werbungskosten
vorsieht, beruht darauf, dass hierfür von dem Arbeitnehmer keine Steuern zu entrichten
sind. Eine Regelung, dass gleichwohl Werbungskosten zu berücksichtigen sind, würde
daher ins Leere laufen. Zum Anderen ist darauf hinzuweisen, dass auch bei
geringfügigen Beschäftigungen Aufwendungen entstehen, die mit der Ausübung der
Tätigkeit verbunden sind. Derartige Aufwendungen sind auch bei der Klägerin
angefallen, die zumindest Fahrtkosten für den Weg von der Wohnung zur Arbeitsstätte
von E nach H aufzubringen hatte.
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Bei Nichtberücksichtigung der Werbungskostenpauschale würde sich zudem für die
Klägerin eine besonders ungünstige Konstellation ergeben: Die Klägerin hat vor der
Geburt Einnahmen aus einem Steuer- und sozialversicherungspflichtigen
Beschäftigungsverhältnis erzielt. Bei der Bemessung der Höhe des Elterngeldes ist die
Werbungskostenpauschale einkommensmindernd berücksichtigt worden, so dass sich
ein geringeres Nettoeinkommen und damit auch ein entsprechend geringeres Elterngeld
ergibt. Gleichzeitig soll nach den Richtlinien das nach der Geburt erzielte Entgelt in
voller Höhe berücksichtigt werden."
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Gegen dieses Urteil richtet sich die rechtzeitige Berufung des Beklagten. Er hält die
Richtlinien für rechtmäßig und verbindlich. Dabei räumt er ein, dass dann, wenn ein
Minijob unter Verzicht auf die rentenversicherungsrechtliche Versicherungsfreiheit
ausgeübt wird, nach der auf die Richtlinien gestützten Verwaltungspraxis
Werbungskosten in Ansatz gebracht werden. Es sei aber zu bedenken, dass die vom
Sozialgericht zugrunde gelegte Auffassung in den meisten bzw. den in der Arbeitswelt
viel häufigeren Fällen, in denen Frauen vor der Geburt eines Kindes einen Minijob
ausübten, für sie günstiger sei, weil sich danach dann höhere Elterngeldleistungen
errechneten.
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Der Beklagte beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 14.1.2010 aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der die Klägerin betreffenden Verwaltungsvorgänge des Beklagten
Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen
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Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Berufung ist unbegründet. Die Klägerin ist durch den Bescheid vom
4.12.2008, der nach § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des Verfahrens
geworden ist, im vom SG tenorierten Umfang im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG beschwert.
Denn dieser Bescheid ist insoweit rechtswidrig, der Beklagte war nicht befugt, die
ursprüngliche Bewilligung von Elterngeld wegen des später von der Klägerin erzielten
Verdienstes in dem mit dem angefochtenen Bescheid vom 4.12.2008 angeordneten
Umfang - d.h. ohne Berücksichtigung pauschalierter Werbungskosten für die
geringfügige Beschäftigung der Klägerin - ab dem 8. Lebensmonat des Kindes
aufzuheben und die gewährten Leistungen in der festgesetzten Höhe zurückzufordern.
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Grundsätzlich durfte der Beklagte die ursprüngliche Bewilligung des Elterngeldes
aufheben, denn die Voraussetzungen der hierfür allein in Betracht kommenden (vom
Beklagten allerdings nicht genannten) Rechtsgrundlage des § 48 Sozialgesetzbuch
Zehntes Buch (SGB X) liegen vor: Die Klägerin hat nach der Bewilligung des
Elterngeldes ab Juni 2008 Einkommen bezogen, das nach § 2 Abs. 3 BEEG zu
berücksichtigen war. Insoweit ist in den tatsächlichen Verhältnissen, die bei Erlass des
Bescheides vom 18.1.2008 vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten,
die nach § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X auch zu einer (rückwirkenden) Aufhebung der
Bewilligung ab dem 8. Lebensmonat des Kindes berechtigte. Dies wird auch von der
Klägerin nicht in Frage gestellt.
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Jedoch ist bezogen auf die Höhe des zu berücksichtigenden Einkommens keine
wesentliche nachträgliche Änderung in den Verhältnissen in dem Umfang eingetreten,
den der Beklagte für seine Berechnung angenommen hat. Gemäß § 2 Abs. 7 S. 1 BEEG
ist nämlich als Einkommen aus nichtselbständiger Arbeit der um die auf dieses
Einkommen entfallenden Steuern und die aufgrund dieser Erwerbstätigkeit geleisteten
Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung in Höhe des gesetzlichen Anteils der
beschäftigten Person einschließlich der Beiträge zur Arbeitsförderung verminderte
Überschuss der Einnahmen in Geld oder Geldeswert über die mit 1/12 des
Pauschbetrages nach § 9a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Buchstabe a EstG anzusetzenden
Werbungskosten zu berücksichtigen. Diese Norm hat der Beklagte unter Hinweis auf die
Richtlinien des zuständigen Ministeriums falsch ausgelegt. Die Richtlinien sind, wie das
Sozialgericht im Einzelnen dargelegt hat, wegen Verstoß gegen das höherrangige
Recht des § 2 Abs. 7 S. 1 BEEG rechtswidrig. Der Senat verweist insofern gemäß § 153
Abs. 2 SGG auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung des
Sozialgerichts, die er sich im vollen Umfang zu eigen macht.
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Angesichts des für die Rechtsanwendung verbindlichen Wortlauts des Gesetzes in § 2
Abs. 7 S. 1 BEEG können auch die vom Beklagten für die anders lautenden Richtlinien
angeführten allgemeinen sozialpolitischen Erwägungen zu keinem anderen Ergebnis
führen. Unabhängig davon ist für den Senat nicht ersichtlich, aus welchen rechtlichen
(oder sonstigen) Gründen gerade die Arbeitnehmer(innen), die eine geringfügige
Beschäftigung ausüben und gem. § 5 Abs. 2 S. 2 6. Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI)
auf die Versicherungsfreiheit verzichtet haben, nach den Richtlinien - doppelt -
ungünstig gestellt werden sollen. Die Richtlinien verstoßen insofern nicht nur gegen
höherrangiges Recht, sondern sind auch in sich widersprüchlich.
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Wie das Sozialgericht ferner zutreffend dargelegt hat, hatte die Klägerin somit Anspruch
auf Elterngeld ab dem 8.Lebensmonat in Höhe von 775,42 Euro, so dass es tatsächlich
nur zu einer Überzahlung von 380,66 Euro gekommen ist. Soweit der Beklagte bei der
Ermittlung des im Bezugszeitraums erzielten Einkommens auch steuerfreie Zuschläge
berücksichtigt hat, hat er sich verpflichtet, unabhängig vom Ausgang dieses Verfahrens
insofern eine Neuberechnung ohne Berücksichtigung dieser Entgeltbestandteile
vorzunehmen, so dass hierüber nicht zu entscheiden war.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG. Der Senat hat die Revision
gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen.
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