Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 20.07.2010
LSG NRW (systematische auslegung, empfängnisverhütung, verfassungskonforme auslegung, geistige behinderung, sozialhilfe, hamburg, gkv, spritze, verordnung, krankenversicherung)
Landessozialgericht NRW, L 9 SO 39/08
Datum:
20.07.2010
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
9. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 9 SO 39/08
Vorinstanz:
Sozialgericht Duisburg, S 7 SO 10/07
Nachinstanz:
Bundessozialgericht, B 8 SO 2/10 RH
Sachgebiet:
Sozialhilfe
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts
Duisburg vom 09.08.2008 abgeändert und die Klage abgewiesen.
Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Die Revision wird
zugelassen.
Tatbestand:
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Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, die Kosten für das
Empfängnisverhütungsmittel "Noristerat" (sog. "3-Monats-Spritze"), welches die
Klägerin zwischen dem 08.03.2007 und dem 13.03.2008 fünfmal zu je 25,24 Euro
erworben hat (insgesamt 126,20 Euro), zu übernehmen.
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Bei der am 00.00.1966 geborenen Klägerin besteht eine geistige Behinderung mit
Aphasie bei Zustand nach Schädel-Hirn-Trauma. Im Hinblick darauf ist bereits seit
längerer Zeit eine Betreuung eingerichtet, die sich auf dem Bereich der
Gesundheitsfürsorge, der Aufenthaltsbestimmung, Vermögensangelegenheiten, die
Geltendmachung von Ansprüchen auf Rente und Sozialhilfe sowie von Beträgen aus
der Pflegeversicherung erstreckt. Im Bereich der Vermögensangelegenheiten bedürfen
Willenserklärungen der Klägerin der Einwilligung der Betreuerin. Die Klägerin ist
Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung und erhält laufend Leistungen nach dem
Vierten Kapitel des Zwölften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB XII). Sie übt eine
Tätigkeit in einer Werkstatt für behinderte Menschen aus und wohnt gemeinsam mit ihrer
Mutter und weiteren Familienangehörigen in einer Haushaltsgemeinschaft. Dazu gehört
auch der inzwischen 15-jährige Sohn der Klägerin, der von ihrer Mutter erzogen wird.
Ein Lebenspartner der Klägerin wohnt nicht im Haushalt.
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Im Juni und September 2006 erwarb sie auf entsprechende privatärztliche
Verordnungen ihres behandelnden Gynäkologen Herrn I vom 13.06.2006 und
12.09.2006 zur Empfängnisverhütung je eine Ampulle Noristerat (3-Monats-Spritze) zu
einem Preis von jeweils 24,60 Euro. Anschließend beantragte die gesetzliche
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Vertreterin der Klägerin unter Vorlage der beiden Verordnungen und einer
Notwendigkeitsbescheinigung des Herrn I mit Schreiben vom 20.09.2006 bei der
Beklagten die Kostenübernahme für die 3-Monats-Spritze im Rahmen der
Eingliederungshilfe. Unter dem 25.09.2006 bat die Beklagte die gesetzliche Vertreterin
der Klägerin telefonisch, einen Antrag zunächst bei deren Krankenkasse zu stellen und
den Bescheid dann hier vorzulegen. Den daraufhin bei der AOK Rheinland/Hamburg
gestellten Kostenübernahmeantrag lehnte diese mit Bescheid vom 06.10.2006 ab, weil
eine Kostenübernahme gemäß § 24 a Abs. 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V)
ausscheide, was die gesetzliche Vertreterin der Klägerin der Beklagten mit Schreiben
vom 09.10.2006 mitteilte.
Mit Bescheid vom 20.10.2006 lehnte alsdann die Beklagte den Kostenübernahmeantrag
der Klägerin vom 20.09.2006 ab. Zur Begründung führte sie aus, das neue
Sozialhilferecht enthalte keine Regelung mehr, nach der die Übernahme der Kosten
empfängnisverhütender Mittel möglich wäre. Auch nach dem SGB XII könnten
inzwischen nur noch Leistungen entsprechend dem Umfang des Leistungskataloges
des SGB V erbracht werden. Nach diesen Regelungen bestehe aber für die Klägerin
kein Leistungsanspruch. Auch stellten empfängnisverhütende Mittel keine Leistungen
der Eingliederungshilfe dar, so dass sie darauf verwiesen werden müsse, die Kosten
aus der Regelleistung zu bestreiten.
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Mit ihrem dagegen am 06.11.2006 eingelegten Widerspruch vertrat die Klägerin die
Auffassung, nach § 49 SGB XII sei ein Leistungsanspruch allein vom Vorliegen einer
ärztlichen Verordnung abhängig. Eine solche liege hier vor. Außerdem sei es auch in
wirtschaftlicher Hinsicht absurd, dass zwar ein Schwangerschaftsabbruch oder die
Versorgung möglicherweise von der Klägerin zur Welt gebrachter Kinder in
Pflegefamilien finanziert werde, nicht aber die präventive Empfängnisverhütung.
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Die Widerspruchsbehörde wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom
29.03.2007 zurück. Sie führte ergänzend aus, nach § 24 a Abs. 2 SGB V bestehe ein
Anspruch auf Versorgung mit empfängnisverhütenden Mitteln als Kassenleistung
grundsätzlich nur bis zur Vollendung des 20. Lebensjahres. Gemäß § 52 Abs. 1 SGB XII
entsprächen die Leistungen nach den §§ 47-51 SGB XII dem Leistungskatalog des SGB
V. Da die Klägerin Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung sei, komme allenfalls
ein Leistungsanspruch gegenüber der Krankenkasse, nicht aber gegenüber dem Träger
der Leistungen nach dem SGB XII in Betracht.
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Mit ihrer hiergegen am 27.04.2007 erhobenen Klage hat die Klägerin die Auffassung
vertreten, selbst wenn die gesetzlichen Regelungen einen Anspruch nicht begründeten,
liege eine Regelungslücke vor, die geschlossen werden müsse. Das
Bundessozialgericht habe in seiner Entscheidung vom 24.01.1995 (Az.: 3 RK 18/88)
bereits entschieden, dass hormonelle Kontrazeptiva auch bei über 20-jährigen
Versicherten nicht generell als verschreibungsfähige Arzneimittel ausschieden, sofern
deren Einnahme krankheitsbedingt erforderlich sei, wobei eine mittelbare Einwirkung
auf die Krankheit ausreiche. Dies müsse im hier fraglichen Zusammenhang so
verstanden werden, dass die Vermeidung anderweitiger Krankheitsfolgen durch die
Medikation für eine Leistungspflicht der Beklagten ausreiche. Ein solcher Fall liege vor,
weil die Klägerin behinderungsbedingt nicht in der Lage sein würde, für ein Kind zu
sorgen. Auch würden die psychischen Belastung und die sonstigen Umstände, die mit
einer Schwangerschaft einhergingen, ihr Krankheitsbild erheblich verschlechtern. Unter
zusätzlicher Berücksichtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und des Schutzes
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des ungeborenen Lebens müsse sich daher die Möglichkeit zur Gewährung von Mitteln
der Empfängnisverhütung zu einem Anspruch verdichten.
In dem Zeitraum nach Antragstellung bei der Beklagten erwarb die Klägerin das
vorstehend benannte Verhütungsmittel noch am 08.03.2007, am 05.06.2007, am
06.09.2007, am 13.12.2007 und am 13.03.2008, wofür sie jeweils einen Betrag von
25,24 Euro aufwendete. Im Hinblick darauf hat sie ihr Klagebegehren insoweit
konkretisiert, als nunmehr die Erstattung dieser Kosten in einer Gesamthöhe von 126,20
Euro begehrt worden ist.
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Die Klägerin hat beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 20.10.2006 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 29.03.2007 zu verurteilen, ihr einen Betrag in Höhe von
126,20 Euro zu erstatten.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung hat sie sich im Wesentlichen auf die Ausführungen im
Widerspruchsbescheid bezogen und ergänzend geltend gemacht, wenn es um die
krankheitsbedingte Verordnung von Kontrazeptiva ginge, könne der Vertragsarzt eine
vertragsärztliche Verordnung ausstellen und damit die Leistungspflicht der gesetzlichen
Krankenversicherung begründen.
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Das Sozialgericht hat die Beklagte mit Urteil vom 09.09.2008 unter Zulassung der
Berufung antragsgemäß dazu verurteilt, der Klägerin einen Betrag in Höhe von 126,20
Euro zu erstatten. Anspruchsgrundlage sei § 49 Satz 2 SGB XII, wonach die
Kostenübernahme allein von einer hier vorliegenden ärztlichen Verordnung abhänge. §
52 Abs. 1 Satz 1 SGB XII stehe dieser Verpflichtung nicht entgegen. Insbesondere führe
die dort normierte Anbindung der Leistungen nach den §§ 47-51 SGB XII an den
Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nicht dazu, dass wegen
§ 24 a Abs. 2 SGB V eine Kostenübernahme aufgrund des Alters der Klägerin
ausscheide. Denn § 49 Satz 2 SGB XII trage weiterhin dem Individualitätsgrundsatz
Rechnung, weil er Leistungen der Sozialhilfe für den Fall ermögliche, dass
Empfängnisverhütung nach den Besonderheiten des Einzelfalles zwingend geboten
und die Aufbringung der erforderlichen Mittel nicht möglich sei. Hätte der Gesetzgeber
im Rahmen des § 49 Satz 2 SGB XII eine Beschränkung der Anspruchsberechtigten auf
das 20. Lebensjahr gewollt, hätte er das an dieser Stelle ausdrücklich normiert. Anderes
ergebe sich auch nicht aus der Subsidiarität der Leistungen nach dem SGB XII, weil ein
Anspruch nach § 24 a SGB V gerade nicht bestehe. Bei der Verordnung stehe auch
nicht die Erkrankung der Klägerin im Vordergrund, sondern der ursprüngliche Zweck
des Mittels, nämlich die Empfängnisverhütung.
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Gegen dieses ihr am 13.10.2008 zugestellte Urteil richtet sich die von der Beklagten am
05.11.2008 eingelegte Berufung. Sie trägt vor, der Gesetzgeber habe es gerade nicht
gewollt, den Sozialhilfeträger über § 49 Satz 2 SGB XII zur Übernahme der Kosten
empfängnisverhütender Mittel für über 20-jährige Frauen immer dann zu verpflichten,
wenn diese Mittel ärztlich verordnet worden seien. Vielmehr sei § 52 Abs. 1 Satz 1 SGB
XII eine enge Anbindung an das Leistungsrecht der GKV zu entnehmen. Dies werde
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auch durch die von der Beklagten im einzelnen angeführte Kommentarliteratur und eine
Stellungnahme des Deutschen Vereins gestützt.
Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 09.09.2008 abzuändern und die Klage
abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie meint, die Kosten ärztlich verordneter empfängnisverhütender Mittel für
sozialhilfebedürftige Frauen ab dem 21. Lebensjahr nicht mehr zu übernehmen, sei
verfassungsrechtlich unhaltbar. Hierin liege eine Ungleichbehandlung mit nach dem
SGB XII berechtigten Leistungsempfängerinnen, die solche Kosten nicht aufbringen
müssten. Eine Nichtübernahme würde zu einer faktischen Kürzung des Regelsatzes
führen, den die Betroffenen zur Führung eines menschenwürdigen Lebens aber gerade
benötigten. In § 49 Satz 2 SGB XII sei vielmehr eine ergänzende Sonderregelung zu
sehen, die dem Individualitätsgrundsatz Rechnung trage, weil sie Leistungen der
Sozialhilfe für den Fall ermögliche, dass die Empfängnisverhütung nach den
Besonderheiten des Einzelfalles zwingend geboten und die Aufbringung der dafür
nötigen Mittel nicht möglich sei. Die in § 24 a Abs. 2 SGB V normierte Altersgrenze von
20 Jahren bringe ferner zum Ausdruck, dass Menschen bis zu diesem Alter hinsichtlich
der Familienplanung besonderer Fürsorge bedürften. Hintergrund dieser Altersgrenze
sei die geistige Reife dieses Personenkreises. Eine ebensolche Fürsorgepflicht treffe
den Staat aber nicht nur gegenüber Jugendlichen und Heranwachsenden, sondern
gegenüber allen Menschen, die aufgrund ihrer geistigen Entwicklung auf Hilfestellung
angewiesen seien. Im Hinblick auf das in Art. 3 Abs. 3 Satz 2 Grundgesetz (GG)
enthaltene Diskriminierungsverbot sei § 49 Satz 2 SGB XII daher verfassungskonform
dahingehend auszulegen, dass die streitige Kostenübernahme auch der zwar über 20-
jährigen, geistig aber behinderten Klägerin gewährt werden müsse.
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Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes nimmt der Senat auf die
Prozessakte und die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug, die
Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
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Entscheidungsgründe:
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Die aufgrund ihrer Zulassung im Urteil des Sozialgerichts statthafte und auch sonst
zulässige Berufung der Beklagten ist begründet, weil die Klägerin gerade keinen
Anspruch auf die begehrte Kostenübernahme hat.
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Zunächst ist festzustellen, dass die Beklagte für die Entscheidung über die von der
Klägerin begehrte Leistung zuständig geblieben ist. Die Klägerin hat die streitigen
Leistungen zunächst bei der Beklagten beantragt. Ihre gesetzliche Krankenkasse, die
AOK Rheinland/Hamburg, ist auch nicht dadurch zuständig geworden, dass sie
anschließend einen auf Anraten der Beklagten von der Klägerin bei ihr gestellten Antrag
mit Bescheid vom 06.10.2006 abgelehnt hat. Insbesondere ist ein
Zuständigkeitswechsel auf die AOK Rheinland/Hamburg nicht gemäß § 14 Neuntes
Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) eingetreten.
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Eine solche nach § 14 SGB IX endgültig begründete Zuständigkeit (vgl. BSG, Urteil vom
22.09.2009, Az.: B 8 SO 19/08 R, Rn. 12 m.w.N.) ist deshalb zu prüfen, weil es sich
insoweit um eine Leistung zur Teilhabe im Sinne des § 14 SGB IX, d.h. eine solchen
nach den §§ 4, 5 SGB IX handeln kann. Insoweit kommen als Anspruchsgrundlage auch
die Vorschriften zur Eingliederungshilfe für behinderte Menschen nach den §§ 53, 54
SGB XII i.V.m. § 55 Abs. 1 SGB IX in Betracht, weil die Teilhabe am Leben in der
Gemeinschaft die Teilhabe am Leben in Familie und Ehe als Teil der
Gemeinschaft/Gesellschaft mit einschließt. Teilhabe in diesem Sinne beinhaltet aber
auch, dem Behinderten ein selbstbestimmtes Sexualleben zu ermöglichen, wozu auch
gehören kann, die Kosten einer angepassten Verhütungsmethode zu übernehmen (vgl.
Sozialgericht Köln, Urteil vom 31.03.2010, Az.: S 21 SO 199/09).
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Allerdings setzt ein Zuständigwerden der AOK Rheinland/Hamburg gemäß § 14 Abs. 1
Satz 2 SGB IX die Prüfung und Feststellung der Beklagten voraus, dass sie für die
Leistung nicht zuständig ist. Danach ist Voraussetzung die unverzügliche Weiterleitung
des von der Klägerin bei der Beklagten mit Schreiben vom 20.09.2006 gestellten
Kostenübernahmeantrags an die AOK Rheinland/Hamburg (vgl. § 14 Abs. 1 Satz 2 SGB
IX). Diese Voraussetzungen liegen jedoch nicht vor. Weder hat die Beklagte ihre
Unzuständigkeit festgestellt, noch hat sie den bei ihr gestellten Antrag unverzüglich an
die AOK Rheinland Hamburg weitergeleitet. Vielmehr hat sie lediglich die gesetzliche
Vertreterin der Klägerin gebeten, einen Antrag zunächst bei der Krankenkasse zu
stellen und den Bescheid dann ihr vorzulegen. Das aber reicht für die Begründung einer
Zuständigkeit der AOK Rheinland Hamburg gemäß § 14 SGB IX nicht aus.
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Entgegen der vom Sozialgericht vertretenen Auffassung ergibt sich ein Anspruch auf die
begehrte Kostenübernahme nicht aus §§ 49 Satz 2 SGB XII. Hiernach werden die
Kosten für empfängnisverhütende Mittel übernommen, wenn sie ärztlich verordnet sind.
Zwar ist dies hier der Fall. Allerdings bestimmt § 52 Abs. 1 Satz 1 SGB XII, dass die
Hilfen nach den §§ 47-51 SGB XII den Leistungen der GKV entsprechen. Im Recht der
GKV wiederum bestimmt § 24 a SGB V, dass Frauen (nur) bis zum vollendeten 20.
Lebensjahr Anspruch auf die Versorgung mit empfängnisverhütenden Mitteln haben.
Wegen der Anbindung des Leistungsrechts des SGB XII an dasjenige des SGB V
können deshalb Mittel für Personen nach Vollendung des 20. Lebensjahres nicht
übernommen werden (Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Auflage 2010, Rn.
8 zu §§ 49 SGB XII). Eine systematische Auslegung des § 49 Satz 2 SGB XII i.V.m. § 52
Abs. 1 Satz 1 SGB XII ergibt nämlich, dass § 49 Satz 2 SGB XII nur so ausgelegt
werden kann, dass die Kostenübernahme auf Personen bis zum 20. Lebensjahr
beschränkt ist. Es besteht eine unbedingte Deckungsgleich der Leistungen des § 49
SGB XII mit denen der GKV gemäß § 24 a SGB V (Bieritz-Harder/Birk in LPK-SGB XII,
8. Aufl., Rn. 1, 4 zu §§ 49 SGB XII).
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Soweit demgegenüber die Auffassung vertreten wird, § 49 Satz 2 SGB XII ermögliche
die Kostenerstattung auch für die hier streitige "3-Monats-Spritze" und es bestehe
gerade keine vollständige Kongruenz zwischen § 24 a SGB V und § 49 SGB XII (so
Schlette in Hauck/Noftz, SGB XII, Rn. 7 zu § 49 SGB XII; Jahn/Ottersbach,
Sozialgesetzbuch für die Praxis, Rn. 8 zu § 49 SGB XII), vermag dies nicht zu
überzeugen. § 52 Abs. 1 Satz 1 SGB XII stellt gerade diese unbedingte Kongruenz her.
Dies ergibt sich schon daraus, dass § 52 Abs. 1 Satz 1 SGB XII im Unterschied zur
Vorgängerregelung des § 38 Abs. 1 Satz 1 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) in seiner
bis zum 31.12.2003 geltenden Fassung gerade nicht mehr den Zusatz enthält, "soweit in
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diesem Gesetz keine andere Regelung getroffen ist". Konnte man hieraus nämlich noch
den Schluss ziehen, die Vorgängerregelung des § 49 Satz 2 SGB XII, nämlich § 36 Satz
2 BSHG, sei eine solche andere gesetzliche Regelung (so etwa Wenzel in Fichtner,
BSHG, 2. Aufl., 2003, Rn. 5 zu § 36 BSHG), ist dieser Weg nunmehr wegen der
Streichung des zitierten Zusatzes nicht mehr gangbar.
Soweit hiergegen vorgebracht wird, zwar habe der Gesetzgeber diesen Zusatz
gestrichen, hätte er aber eine Einschränkung der bisherigen Leistungen gewollt, hätte er
dies durch eine entsprechende Änderung des Wortlauts deutlich gemacht (Jahn, a.a.O.;
im Ergebnis auch VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 16.03.2004, Az: 2 L 575/04, info
also 2004, S. 229), ist dem entgegen zu halten, dass bereits § 38 Abs. 1 BSHG in der
letzten geltenden Fassung durch das Gesetz vom 14.11.2003, BGBl. I, 2190 mit Wirkung
vom 01.01.2004 bis 31.12.2004 den Zusatz "soweit in diesem Gesetz keine andere
Regelung getroffen ist2 nicht mehr enthielt. Der Gesetzgeber musste also den Wortlaut
des § 52 Abs. 1 Satz 1 SGB XII gegenüber dem des § 38 Abs. 1 Satz 1 BSHG in der bis
zum 31.12.2004 geltenden Fassung gerade durch Streichung des genannten Zusatzes
nicht mehr ändern. Dementsprechend bedurfte es wegen der Bezugnahme in § 52 Abs.
1 Satz 1 SGB XII auch auf § 49 Satz 2 SGB XII einer Änderung auch noch des Wortlauts
der letztgenannten Vorschrift nicht, um deutlich zu machen, dass keine der in den §§ 47-
51 SGB XII enthaltenen Vorschriften eine andere gesetzliche Regelung im Sinne des §
52 Abs. 1 Satz 1 SGB XII mehr darstellen kann. Vielmehr blieb klargestellt, dass die
Leistungen der Sozialhilfe mit denen der GKV identisch und abweichende Regelungen
nicht mehr zulässig sind (im Ergebnis so Spindler, Anm. zu VG Gelsenkirchen, a.a.O., in
info also 2004, S. 229 unter Hinweis auf das Gutachten 9/04 des Deutschen Vereins
vom 01.03.2004 in NDV 2004, S. 286). Es kann deshalb gerade nicht davon
ausgegangen werden, dass es sich bei § 49 Satz 2 SGB XII um eine ergänzende
Sonderregelung der Sozialhilfe handelt (so aber Lippert in Mergler-Zink, Handbuch der
Grundsicherung und Sozialhilfe, Rn. 20 zu § 49 SGB XII), die die Übernahme der
Kosten empfängnisverhütender Mittel für über 20-jährige Frauen ermöglicht.
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Eine andere Auslegung des § 49 Satz 2 SGB XII ist auch nicht verfassungsrechtlich
geboten. Eine sachwidrige Ungleichbehandlung gemäß Art. 3 Abs. 1 GG der Gruppe
der Frauen, die Kosten für empfängnisverhütende Mittel aus dem Regelsatz aufbringen
müssen, weil sie diese benötigen, gegenüber der Gruppe der Frauen, die dies nicht
müssen, weil sie solche Mittel nicht benötigen, liegt schon deshalb nicht vor, weil es
sich um wesentlich ungleiche Vergleichsgruppen handelt, die dann auch ihrem Wesen
nach verschieden behandelt werden dürfen. Ferner ist die Klägerin nicht im Sinne des
Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG wegen ihrer Behinderung benachteiligt, weil der
Leistungsausschluss auch nicht Behinderte über 20-jährige bedürftige Frauen in
gleicher Weise trifft, so dass auch nicht aus diesem Gesichtspunkt eine
verfassungskonforme Auslegung des § 49 Satz 2 SGB XII im Sinne des klägerischen
Begehrens geboten ist.
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Ebenso wenig kommt eine Kostenübernahme gemäß § 48 Satz 1 SGB XII i.V.m. § 27
Abs. 1 SGB V in Betracht. Danach sind Kosten für empfängnisverhütende Mittel auch für
über 20-jährige Frauen dann zu übernehmen, wenn diese nicht primär der
Empfängnisverhütung dienen, sondern wegen des Vorliegens einer Krankheit die
Verhütung einer Schwangerschaft angezeigt ist (Schellhorn in Schellhorn a.a.O. 17.
Aufl. Rrn. 8 zu § 49 SGB XII). Denn dass das verschriebene empfängnisverhütende
Mittel jedenfalls primär seinem ursprünglichen Zweck dient, nämlich der
Empfängnisverhütung, ergibt sich bereits aus dem Attest des behandelnden
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Gynäkologen I vom 13.09.2006 sowie seiner weiteren Bescheinigung vom 24.08.2007.
Die Kosten können auch nicht als Hilfen in besonderen Lebenslagen übernommen
werden, weil es sich hierbei um eine Hilfesituation handeln muss, die sich keinem
Tatbestand der in § 8 SGB XII aufgeführten Hilfen zuordnen lässt (Wahrendorf, a.a.O.,
Rn. 3 zu § 73 SGB XII). Denn die begehrte Leistung lässt sich gerade den Leistungen
nach § 8 Nr. 3 SGB XII zuordnen.
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Ebenso wenig ist die begehrte Kostenübernahme nach §§ 53, 54 SGB XII i.V.m. § 55
Abs. 1 SGB IX gerechtfertigt. Wie bereits dargelegt umfasst die Teilhabe im Sinne dieser
Anspruchsgrundlage es zwar auch, dem Behinderten ein selbstbestimmtes Sexualleben
zu ermöglichen bzw. zu erleichtern, wovon auch die Übernahme der Kosten der
Verhütung einer ungewollten Schwangerschaft mit einem der Behinderung angepassten
Verhütungsmittel umfasst sein kann (SG Köln, a.a.O.). Allerdings ist erforderlich, dass es
sich bei der Verhütungsmethode, für die eine Kostenübernahme begehrt wird, um einen
behinderungsbedingten Bedarf handeln muss (BSG, Urteil vom 29.09.2009, a.a.O., Rn.
18). Als solcher behinderungsspezifischer Bedarf sind aber nur solche Kosten (soweit in
der Höhe angemessen) zu übernehmen, die zusätzlich durch die Behinderung der
Betroffenen entstehen (SG Köln, a.a.O. m.w.N.). Dies können nur solche Kosten sein,
die ein bestimmtes zumutbares Maß überschreiten, weil auch Aufwendungen für übliche
Verhütungsmittel wie Kondome oder die Antibabypille unter dem Gesichtspunkt der
Nichtüberschreitung dieses zumutbaren Maßes als durch den pauschalen Regelsatz
abgegolten angesehen werden können (SG Köln, a.a.O.; vgl. auch Schellhorn a.a.O.,
Rn. 6 zu § 52 SGB XII). Dieses zumutbare Maß wird jedoch durch die von der Klägerin
zu tragenden Kosten für die 3-Monats-Spritze nicht überschritten, so dass auch insoweit
eine Kostenübernahme nicht in Betracht kommt. Die Kosten für die 3-Monats-Spritze
betragen nämlich dreimonatlich 25,24 Euro, was einen Monatsbetrag von 8,41 Euro
ergibt, der das zumutbare Maß gerade nicht überschreitet und deshalb als durch den
pauschalen Regelsatz abgegolten angesehen werden kann.
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Weitere Anspruchsgrundlagen kommen nicht in Betracht, so dass auf die Berufung der
Beklagten die Klage abzuweisen war.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
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Der Senat hat die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 160 Abs. 2 Nr.
1 SGG zugelassen.
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