Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 02.08.2007
LSG Nsb: eugh, europarecht, sozialhilfe, hauptsache, erlass, arbeitssuche, unionsbürgerschaft, gleichstellung, leistungsausschluss, unvereinbarkeit
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschluss vom 02.08.2007 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Hannover S 49 AS 999/07 ER
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 9 AS 447/07 ER
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten über die Berechtigung des Beschwerdeführers, weiterhin existenzsichernde Leistungen nach
dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in Anspruch zu nehmen.
Der Beschwerdeführer ist britischer Staatsbürger. Im November 2006 reiste er mit der deutschen Staatsangehörigen
C., die in Großbritannien einer Beschäftigung nachgegangen war, in die Bundesrepublik Deutschland ein. Beide
bezogen eine gemeinsame Wohnung im Zuständigkeitsbereich des Beschwerdegegners. Der Beschwerdeführer erhielt
eine Fiktionsbescheinigung des Landkreises D. - Ausländerbehörde, nach der sein Aufenthalt zunächst für drei
Monate bis zum 21. Februar 2007 als erlaubt galt und deren Verlängerung von einer erfolgreichen Arbeitssuche
abhängig sein sollte. Der Beschwerdegegner gewährte neben Frau E. auch dem Beschwerdeführer
unterhaltssichernde Leistungen nach dem SGB II, die sie im Anschluss an die Geltungsdauer der
ausländerbehördlichen Fiktionsbescheinigung ebenfalls bis zum 21. Februar 2007 befristete und auf die sie das vom
Beschwerdeführer erzielte Einkommen aus Zahlungen der britischen Arbeitslosenversorgung (nach einer vom
Beschwerdeführer vorgelegten Bescheinigung wöchentlich 57,45 Pfund) anrechnete.
Am 20. Februar 2007 sprach Frau E. bei dem Beschwerdegegner vor und reichte eine weitere, bis zum 21. Mai 2007
gültige Fiktionsbescheinigung der Ausländerbehörde zu den Akten. Dem Beschwerdeführer bis dahin weitere
Leistungen nach dem SGB II zu gewähren, lehnte der Beschwerdegegner gleichwohl mit Bescheid vom 27. Februar
2007 ab. Diesen Bescheid richtete er an Frau E., die am 21. März 2007 Widerspruch erhob und geltend machte, sie
lebe mit dem Beschwerdeführer wie ein Ehepaar, deshalb könnten beide auch entsprechende Leistungen
beanspruchen. Mit Widerspruchsbescheid vom 27. März 2007 wies der Beschwerdegegner den Widerspruch unter
Hinweis auf § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II zurück. Zur Begründung führte er aus, dass von den Tatbeständen, die nach §
2 des Freizügigkeitsgesetzes-EU (FreizG/EU) den Aufenthalt eines EU – Bürgers legitimieren könnten, lediglich § 2
Abs. 2 Nr. 1 FreizG/EU erfüllt sei. Insbesondere handele es sich bei der Lebensgefährtin des Beschwerdeführers nicht
um eine Familienangehörige, mit der eine Familienzusammenführung möglich sei. Einen Überprüfungsantrag des
Beschwerdeführers lehnte er mit Bescheid vom 4. April 2007 ebenfalls ab.
Am 30. April 2007 ist gegen den Bescheid des Beschwerdegegners vom 27. Februar 2007 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 27. März 2007 Klage erhoben worden, die bei dem Sozialgericht Hannover zum
Aktenzeichen S 49 AS 888/07 anhängig ist.
Am 5. April 2007 haben der Beschwerdeführer und Frau E. erneut Leistungen des Beschwerdegegners nach dem SGB
II beantragt. Hierzu haben sie sich auf eine bis zum 31. März 2008 befristete Bescheinigung des Landkreises D. nach
§ 5 Freizügigkeitsgesetz–EU vom 2. April 2007 bezogen und geltend gemacht, über keine Geldmittel mehr zu
verfügen. Mit zwei Bescheiden vom 12. April 2007 hat die Beschwerdegegnerin für die Monate April bis Mai 2007
sowie für die Monate Juni bis November 2007 Leistungen in Höhe von 475,55 Euro monatlich gewährt, wobei sie den
Beschwerdeführer als bei der Berechnung berücksichtigtes Mitglied der Bedarfsgemeinschaft aufgeführt, ihm jedoch
im Berechnungsteil der Bescheide keinen Bedarf und keine Leistungen zugeordnet hat.
Am 16. Mai 2007 hat der Beschwerdeführer bei dem Sozialgericht Hannover unter Hinweis auf die rechtshängige
Klage um den Erlass einer einstweiligen Anordnung nachgesucht. Er hat geltend gemacht, einen Leistungsanspruch
nach dem SGB II zu haben, weil § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II ihn hiervon nicht wirksam ausnehme. Der Zweck seines
Aufenthalts sei nicht allein die Arbeitsaufnahme. Vielmehr gehe es ihm auch darum, mit Frau E. zusammenzuleben.
Im Übrigen ergebe sich aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, dass Bürger der EU -
Mitgliedsstaaten im Rahmen der Freizügigkeit nicht bloß ein Bleiberecht, sondern auch einen Anspruch auf Teilhabe
am staatlichen Sozialleistungssystem hätten.
Mit Beschluss vom 13. Juni 2007 hat das Sozialgericht Hannover den Antrag abgelehnt. Zur Begründung hat es im
Wesentlichen ausgeführt, § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II schließe Ansprüche des Beschwerdeführers wirksam aus. Sein
Aufenthaltsrecht ergebe sich lediglich aus § 2 Abs. 2 Nr. 2, 1. Alt FreizG/EU; denn bei Frau E. handele es sich bis zu
einer Heirat nicht um eine Familienangehörige. An der Europarechtskonformität von § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II
bestünden keine durchgreifenden Zweifel.
Mit seiner am 12. Juli 2007 erhobenen Beschwerde verfolgt der Beschwerdeführer sein Begehren weiter. Er verweist
auf die Entscheidungen des EuGH in den Fällen "F." und "G." und macht geltend, mit Rücksicht auf diese
Vorabentscheidungen sei mit dem Landessozialgericht Berlin – Brandenburg davon auszugehen, dass § 7 Abs. 1
Satz 2 SGB II seinem Anspruch auf unterhaltssichernde Leistungen nach dem SGB II nicht entgegenstehe.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der
Gerichtsakten sowie der Leistungsakten des Beschwerdegegners Bezug genommen, die Gegenstand der
Beschlussfassung gewesen sind.
II.
Die zulässige, insbesondere rechtzeitig eingelegte Beschwerde ist unbegründet. Das Sozialgericht hat es im Ergebnis
zu Recht abgelehnt, den Beschwerdegegner im Wege einstweiliger Anordnung zur Gewährung laufender
unterhaltssichernder Leistungen zu verpflichten.
Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen
Zustands erforderlich, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Dies
ist dann der Fall, wenn die Antragsteller sowohl die Dringlichkeit einer gerichtlichen Entscheidung (Anordnungsgrund)
als auch das Vorliegen eines materiellen Anspruchs in der Sache (Anordnungsanspruch) glaubhaft machen.
Für die begehrte Anordnung fehlt es am erforderlichen Anordnungsanspruch. Als EU-Bürger, dessen Aufenthalt von
mehr als drei Monaten allein noch durch die beabsichtigte Arbeitsaufnahme legitimiert wird (vgl. § 2 Abs. 2 Nr. 1
FreizG/EU), hat der Beschwerdeführer keine Ansprüche auf Leistungen nach dem SGB II gegen den
Beschwerdegegner, weil § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II solche Ansprüche wirksam ausschließt. Zweifel an der
Vereinbarkeit von § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II mit dem Europarecht sind mit Rücksicht auf die Rechtsprechung des
EuGH im Ansatz begründet, greifen jedoch nicht offenkundig durch und lassen wegen ihrer Unaufklärbarkeit im
Eilverfahren keine die Hauptsache vorwegnehmende Entscheidung zugunsten des Beschwerdeführers, wie sie die
Verpflichtung zur Gewährung unterhaltssichernder, das heißt zum umgehenden Verbrauch bestimmter Leistungen
darstellt, nicht zu. Im Einzelnen ist hierzu auszuführen:
Bereits für die von April bis Dezember 2006 bestehende Rechtslage sind in der Rechtsprechung (vgl. LSG NRW,
Beschl. v. 04. September 2006, Az. L 20 B 73/06 SO ER; Beschl. v. 03. November 2006, Az. L 20 B 248/06 AS) und
Literatur (vgl. Schoch in LPK-SGB II, 2. Aufl. 2006, § 7 Rdnr. 19) Zweifel an der Vereinbarkeit des
Leistungsausschlusses in § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II gegenüber arbeitssuchenden EU–Bürgern mit dem europäischen
Recht formuliert, jedoch zugunsten einer subsidiären Anwendung des SGB XII zurückgestellt worden. Seinerzeit
waren nämlich die Argumente für einen Ausschluss arbeitssuchender EU–Bürger von der Sozialhilfe schwächer als
diejenigen für einen Ausschluss vom Arbeitslosengeld II. Als sozialhilferechtlicher Ausschlusstatbestand konnte
nämlich lediglich § 21 Satz 1 SGB XII herangezogen werden. Die für seine Anwendung erforderliche Annahme, dass
der Anspruchsausschluss in § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II den Anspruch arbeitssuchender EU–Bürger auf Arbeitlosengeld
II dem Grunde nach unberührt lasse, überzeugte indessen kaum (vgl. Schoch, aaO; § 7 Rdnr. 20, LSG NRW,
Beschluss vom 03. November 2006, aaO).
Mit Inkrafttreten des SGB XII – ÄndG vom 02. Dezember 2006 (BGBl I S. 2670) am 7. Dezember 2007 hat sich
demgegenüber eine grundlegend veränderte Gesetzeslage ergeben. In das Sozialhilferecht ist mit § 23 Abs. 3 Satz 1,
2. Alternative SGB XII (" oder deren Aufenthalt sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt ") ein
Ausschlusstatbestand eingefügt worden, der mit § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II übereinstimmt und die Gewährung von
Sozialhilfe an arbeitssuchende EU–Bürger in demselben Umfang ausschließt wie es § 7 Abs. 1 Satz 2 für das ALG II
bereits seit dem 01. April 2006 vorsah. Für das vorliegende Antragsverfahren ergibt sich hieraus zunächst die
Konsequenz, dass die vom Beschwerdeführer beantragte Beiladung des zuständigen Sozialhilfeträgers nicht
sachdienlich erscheint. Der geltend gemachte Anspruch setzt nämlich in jedem Fall die Unanwendbarkeit der
vorgenannten Leistungsausschlüsse voraus; unter dieser Voraussetzung geht indessen der Anspruch gegen den
Beschwerdegegner einem Anspruch gegen den Sozialhilfeträger mit Rücksicht auf die nicht in Zweifel stehende
Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II i.V.m. § 21 Satz 1 SGB XII) vor.
Auch gegenüber des Beschwerdegegners ist zur Überzeugung des Senats jedoch ein Leistungsanspruch nach dem
SGB II nicht gegeben, da er durch § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II wirksam ausgeschlossen wird. Aus den im Folgenden zu
erörternden Gründen mangelt es hiernach an dem zum Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderlichen
Anordnungsanspruch.
Der Bundesgesetzgeber hat die mit § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II (vgl. dazu BT-Drs 16/688, Seite 13, zu Nr 2) und § 23
Abs. 3 Satz 1, 2. Alt. geregelten Leistungsausschlüsse (vgl. dazu BT-Drs 16/2711, Seite 10, zu Nr 5) mit dem Ziel der
Umsetzung von Art. 24 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 14 Abs. 4 b der Richtlinie 2004/38 des Europäischen Parlaments
und des Rates vom 29. April 2004 ("Unionsbürgerrichtlinie", Amtsblatt der Europäischen Union v. 30. April 2004, L 158
/ 77, im Folgenden als Richtlinie bezeichnet) verabschiedet. Ob die in ihrem Kern als aufenthaltsregulierend
einzuordnende Richtlinie eine europarechtliche Grundlage für nationale Sozialleistungsausschlüsse bildet, ist
allerdings in der Literatur bezweifelt worden (vgl. Schoch in LPK-SGB II, aaO, § 7 Rdnr. 19). Der Senat hält diese
Bedenken mit Rücksicht auf den engen sachlichen Zusammenhang zwischen Aufenthalt und Sozialleistungsbezug
jedoch für unbegründet.
Vorbehaltlich ergänzender Regelungen über die Gleichstellung von Familienangehörigen und solchen EU–Bürgern,
deren frühere wirtschaftliche Betätigung aufenthaltsrechtlich fortwirkt, hat nach Artikel 6 Abs. 1 der Richtlinie jeder
Unionsbürger für einen Zeitraum von bis zu drei Monaten das von weiteren Voraussetzungen unabhängige Recht auf
Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedsstaates. Es steht ihm nach Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie zu,
solange er die Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedsstaates nicht unangemessen in Anspruch nimmt, wobei
nicht jeder Bezug von Sozialhilfe gem. Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie automatisch zur Aufenthaltsbeendigung führen
darf. Einen längeren Aufenthalt als drei Monate gewährleistet demgegenüber Artikel 7 Abs.1 der Richtlinie nur für
solche Unionsbürger, deren Aufenthalt entweder durch wirtschaftliche Aktivität als Arbeitnehmer oder Selbständiger
privilegiert wird (Buchst. a) - und deshalb nach Art. 14 Abs. 4 Buchst. a auch wegen des Bezugs von Sozialleistungen
unter keinen Umständen beendet werden darf -, oder der wegen der Verfügbarkeit ausreichender Existenzmittel und
eines ausreichenden Krankenversicherungsschutzes nicht zur Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen des
Aufnahmemitgliedsstaates führt (Buchstabe b). Für Arbeitssuchende und ihre Familienangehörigen gilt in diesem
Zusammenhang nach Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie die Besonderheit, dass auch ihr Aufenthalt über den
Zeitraum von drei Monaten hinaus privilegiert wird und – wie bei Arbeitnehmern und Selbständigen - nicht beendet
werden darf, solange sie nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben,
eingestellt zu werden. Andererseits schränkt Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie den an gleicher Stelle gewährleisteten
Grundsatz der Inländergleichbehandlung während eines gewährleisteten Aufenthalts dahingehend ein, dass die
Mitgliedsstaaten anderen Personen als Arbeitnehmern, Selbständigen oder Gleichgestellten während der ersten drei
Monate ihres Aufenthalts und gegebenenfalls während des längeren Zeitraums nach Artikel 14 Abs. 4 Buchstabe b
(Arbeitssuche) einen Anspruch auf Sozialhilfe nicht gewähren müssen.
Die hiernach aus dem Regelungszusammenhang der Art. 7, 14 und 24 der Richtline ableitbare Bestrebung, einen mit
begründeter Aussicht auf Arbeitsaufnahme fortgesetzten Aufenthalt auch über die Dauer von drei Monaten hinaus als
solchen zu gewährleisten, die hiermit bewirkte Gleichstellung mit einem durch wirtschaftliche Aktivität als
Arbeitnehmer oder Selbständiger privilegierten Aufenthalt jedoch mit dem Verzicht auf eine vollständige
Inländergleichbehandlung bei der Inanspruchnahme der nationalen Sozialsysteme zu kompensieren, kann zur
Überzeugung des Senats als Rechtssetzungsziel bereits unter dem - auf der Hand liegenden - Gesichtspunkt der
Verhinderung einer unkontrollierbaren Sozialleistungsmigration in der erweiterten Europäischen Union sachlich
nachvollzogen und gerechtfertigt werden. Der Senat geht deshalb mit der aktuellen Kommentarliteratur zu § 23 SGB
XII davon aus, dass sich die Leistungsausschlüsse in § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II und § 23 Abs. 3 Satz 1, 2. Alt. SGB
XII im Rahmen der durch Art. 24 und 14 Abs. 4 b der Richtlinie gezogenen Grenzen bewegen und jedenfalls insoweit
mit – sekundärem – Europarecht vereinbar sind (Herbst in Mergler–Zink, SGB XII, § 23 Rdnrn. 32 und 47a; Adolph in
Linhart / Adolph, SGB II / XII, § 23 SGB XII Rdnr. 90a, vgl. auch Hailbronner, Unionsbürgerschaft und Zugang zu den
Sozialsystemen, JZ 2005, 1138, 1143 f).
Zu bedenken ist allerdings weiterhin, dass der Europäische Gerichtshof (EuGH) in seiner Rechtsprechung zu der
Freizügigkeitsgarantie des Art. 18 Abs. 1 EG-Vertrag und dem Diskriminierungsverbot des Art. 12 Abs. 1 EG-Vertrag
(EGV) in mehreren Entscheidungen eine hiervon tendenziell abweichende Auffassung vertreten hat (vgl.
zusammenfassend Hailbronner, a.a.O, S. 1139 f). Auch nach Auffassung des EuGH gewährleistet zwar Art. 18 EGV
kein uneingeschränktes Aufenthaltsrecht eines EU-Bürgers, der weder Arbeitnehmer noch Selbständiger in einem
Aufnahmemitgliedsstaat ist, so dass im Fall der Abhängigkeit von Sozialhilfe der Aufenthalt eines wirtschaftlich nicht
aktiven EU–Ausländers grundsätzlich beendet werden kann. Indessen garantiert nach Auffassung des EuGH bereits
das Rechtsinstitut der Unionsbürgerschaft das Recht auf gleichberechtigte Teilhabe an den Sozialleistungen des
Aufnahmestaates, solange ein erlaubter Aufenthalt tatsächlich andauert (vgl. insbesondere EuGH, Urteil vom 7.
September 2004, Az. C-456/02, "Trojani", Absätze 36 und 39 ff; vgl. auch Urteil vom 15. März 2005, Az. C-
209/03,"Bidar" in JZ 2005, 1160 ff m. Anm. Kadelbach S. 1163; Urteil vom 20. September 2001, Az. C 184/99
"Grzelczyk" = JZ 2002,351 m. Anm. Rossi 351).
Nicht abschließend beantwortet werden kann dabei nach Auffassung des Senats bis auf weiteres die Frage, ob der
EuGH das Recht auf Teilhabe an den Sozialleistungen eines Mitgliedsstaates an die qualifizierte Voraussetzung eines
im Einzelfall durch aktives Zutun des Aufnahmestaates (Hoheitsakt) erlaubten Aufenthalts geknüpft sieht (der Kläger
F. war im Besitz einer vom belgischen Staat ausgestellten Aufenthaltserlaubnis), oder ob die allgemeine Freizügigkeit
der EU–Bürger bereits als solche den Anspruch auf Gleichbehandlung begründen soll. Für eine zutreffende Würdigung
der EuGH–Rechtsprechung macht dies insoweit einen Unterschied, als es den Mitgliedsstaaten lediglich dann möglich
bliebe, den Umfang der Inanspruchnahme ihrer Sozialsysteme durch EU–Ausländer in gewissem Umfang zu steuern,
wenn hierzu ein im Einzelfall erlaubter Aufenthalt vorauszusetzen wäre.
Bei der Rezeption der Rechtsprechung des EuGH ist weiterhin zu berücksichtigen, dass dieser ausdrücklich die
Leistungsfähigkeit der Systeme der sozialen Sicherung als legitimes Interesse der Mitgliedsstaaten anerkannt hat
(Kadelbach a.a.O. S. 1165). Daher wird es auch vom EuGH zugelassen, dass von den Mitgliedsstaaten eine
Verbindung zwischen dem Anspruchsberechtigten und der Gesellschaft des Staates verlangt wird, der die Leistung
gewähren soll. Eben dies war aber Anlass für den Richtliniengeber der Unionsbürgerrichtlinie und den
Bundesgesetzgeber die genannten Einschränkungen im sekundären Gemeinschaftsrecht und im SGB II vorzunehmen
(vgl. dazu ausführlich Sander DVBl 2005,1014,1016, der überdies darauf hinweist, dass dies auch der usprünglichen
Konzeption der Unionsbürgerschaft entspricht).
In der bislang bekannt gewordenen Rechtsprechung der Landessozialgerichte ist auf den Konflikt zwischen Art. 24
und 14 Abs. 4 b der Richtlinie und Art. 12, 18 EGV in ihrer Interpretation durch den EUGH (zu diesem Konflikt im
Einzelnen Hailbronnner, a.a.O, S. 1143 f; vgl. auch Sander DVBl 2005,1014 ff) unterschiedlich reagiert worden.
Während das Landessozialgericht Berlin–Brandenburg (Beschluss vom 25. April 2007, Az. L 19 B 116/07 AS,
veröffentlicht bei Juris) sich unter direkter Bezugnahme auf die EuGH– Rechtsprechung im Fall F. (ergänzend auch im
Fall G., Urt. v. 23. März 2004, Az. C-138/02) genötigt gesehen hat, § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II europarechtskonform
dahin auszulegen, dass Unionsbürgern bei jedem rechtmäßigen Aufenthalt einen Anspruch auf Leistungen nach §§ 20
Abs. 1, 22 Abs. 1 SGB II zustehe, hat das Landessozialgericht NRW (Beschluss vom 15. Juni 2007, Az. L 20 B
59/07 AS ER, bisher unveröffentlicht, abrufbar über die Homepage des LSG NRW) der mit der Unionsbürgerrichtlinie
"deutlich zum Ausdruck gekommenen politischen Willensäußerung des Europäischen Gesetzgebers" den Vorrang vor
der nach seiner Auffassung von Unschärfen geprägten EuGH– Rechtsprechung eingeräumt.
Der erkennende Senat hält im Ergebnis die eher kritische Haltung des LSG NRW gegenüber einer voreiligen Adaption
der EuGH–Rechtsprechung in den Fällen F. und G. (Urteil vom 23. März 2004, Az. C-138/02) für berechtigt. Dies hat
zunächst materiellrechtliche Gründe. Bei unbefangener Lektüre der Art. 12 und 18 EGV ist nämlich nicht zu
übersehen, dass Art. 12 Abs. 1 EGV Diskriminierungen wegen der Staatsangehörigkeit im Anwendungsbereich des
Vertrages lediglich "unbeschadet besonderer Bestimmungen" verbietet und Art. 18 Abs. 1 EGV die Freizügigkeit der
Unionsbürger nur "vorbehaltlich der in diesem Vertrag und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen
Beschränkungen und Bedingungen" garantiert, diese primärrechtlichen Gewährleistungen also Einschränkungen durch
sekundäres Europarecht wie die Unionsbürgerrichtlinie durchaus zugänglich sind (so auch Hailbronner, aaO, S. 1143).
Vor diesem Hintergrund erscheint es konsequent, dass der EuGH in seiner bisherigen Rechtsprechung, insbesondere
auch in seiner vom Beschwerdeführer herangezogenen F.–Entscheidung, sekundärrechtliche Inhalts- und
Schrankenbestimmungen der auf die Freizügigkeit gegründeten sozialen Teilhabe in keinem Fall als mit dem
europäischen Primärrecht unvereinbar verworfen (vgl. dazu Rossi a.a.O. S. 353, der darauf hinweist, dass das
Sekundärrecht zu den Bestimmungen des Vertrags rechnet), sondern den Schrankenvorbehalt der Garantien aus Art.
12 und 18 EGV ausdrücklich anerkannt und den Anspruch auf Teilhabe während eines rechtmäßigen (ggf. durch
Aufenthaltserlaubnis verbrieften) Aufenthalts ohne direkte Auseinandersetzung mit dem europäischen Sekundärrecht
allein auf die Forderung nach einer dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügenden, die Grundsätze des
Gemeinschaftsrechts achtenden nationalen Rechtspraxis gestützt hat (kritisch dazu Hailbronner, a.a.O).
Angesichts der klaren gesetzlichen Regelungen, die der Leistungsausschluss für arbeitssuchende EU–Bürger mit §§ 7
Abs. 1 Satz 2 SGB II und 23 Abs. 3 Satz 1, 2. Alternative SGB XII erfahren hat, stellt sich indessen für den
erkennenden Senat mit Rücksicht auf seine Bindung an das Gesetz im Rahmen der innerstaatlichen Gewaltenteilung
eine anders geartete, genauer zu formulierende Frage, ob sich nämlich positiv feststellen lässt, dass die genannten
einfachgesetzlichen Leistungsausschlüsse mit vorrangigem Europarecht unvereinbar sind. Hinsichtlich der
sekundärrechtlichen, durch Art. 24 Abs. 2 und Art. 14 Abs. 4 b der Richtlinie 2004/38 geprägten Rechtslage ist dies
ohne weiteres zu verneinen. Für die verbleibende Fragestellung, ob die mit Art. 24 Abs. 2 und Art. 14 Abs. 4 b der
Richtlinie gezogenen Schranken ihrerseits mit dem europäischen Primärrecht unvereinbar und deshalb unwirksam
sind, so dass auch §§ 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II und 23 Abs. 3 Satz 1, 2. Alternative SGB XII gegen höherrangiges
Recht verstoßen, ergeben sich indessen aus der Rechtsprechung des EuGH keine hinreichend konkreten
Anhaltspunkte. Der Kritik des LSG NRW, dass die Problematik der "Schrankenschranken" in der EuGH–
Rechtsprechung undeutlich bleibe, muss insoweit zugestimmt werden.
Insoweit ist der Senat auch der Auffassung (entgegen Schoch a.a.O.), dass die Unionsbürgerrichtlinie - jedenfalls in
ihrem Art. 24 - nicht nur lediglich aufenthaltsrechtliche, sondern auch sozialrechtliche Regelungsgehalte hat.
Für die Entscheidungsfindung des Senats sind daneben aber auch die verfahrensrechtlichen Schranken von
Bedeutung, denen er bei der Überprüfung von einfachgesetzlichem Bundesrecht unterliegt. Ähnlich, wie dem
Bundesverfassungsgericht auch in anhängigen gerichtlichen Verfahren die Verwerfungskompetenz wegen der
Unvereinbarkeit von einfachen Gesetzen mit der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland vorbehalten ist, so dass
von der Verfassungswidrigkeit einer Norm nicht ohne eine entsprechende Entscheidung des BVerfG in einem
Verfahren nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG ausgegangen werden darf, ist dem EuGH nach Art. 234 Abs. 1 des EG-
Vertrages die Befugnis vorbehalten, das europäische Primärrecht auszulegen (Art. 234 Abs. 1 Buchst. a EGV) und
über die Vereinbarkeit des europäischen Sekundärrechts mit dem Primärrecht zu befinden (Art. 234 Abs. 1 Buchst. b
EGV). Zwar schließen diese ausschließlichen Zuständigkeiten des EUGH die Prüfung der Vereinbarkeit von
nationalem Recht mit dem Gemeinschaftsrecht als solche nicht mit ein. Die Frage der Vereinbarkeit von § 7 Abs. 2
Satz 2 SGB II mit dem Europarecht stellt sich aber, wie ausgeführt, auch nicht bereits im Verhältnis zu den Artikeln
24 Abs. 2 und 14 Abs. 4 Buchst. b der Unionsbürgerrichtlinie, sondern erst in Bezug auf deren eigene Vereinbarkeit
mit den Artikeln 12 Abs. 1 und 18 Abs. 1 des EG-Vertrages. Von der Unwirksamkeit des § 7 Abs. 2 Satz 2 SGB II
wäre deshalb lediglich dann auszugehen, wenn der Europäische Gerichtshof die Unvereinbarkeit der in den Artikeln 24
Abs. 2 und 14 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie vorgesehenen Einschränkungen der Inländergleichbehandlung mit dem
Europäischen Primärrecht festgestellt hätte. Daran fehlt es bisher.
Der Senat hält insoweit das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auch generell für ungeeignet, eine
Klärung verfassungsrechtlicher wie europarechtlicher Fragen durch Aussetzung und Vorlage an das
Bundesverfassungsgericht oder Einholung einer Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs herbeizuführen
(zur Identität der Vorlageproblematik im Eilverfahren vgl. Keller in Meyer–Ladewig u.a., SGG, 8. Aufl. 2005, § 86 b
Rdnr. 13 und 39). Ein solches Vorgehen würde die prozessrechtlichen Grundlagen des Anordnungsverfahrens nach §
86 b Abs. 2 SGG sprengen, nach denen Gegenstand der gerichtlichen Entscheidung ausdrücklich nur eine
"einstweilige" Regelung des streitigen Rechtsverhältnisses ist, die von Gesetzes wegen dem Vorbehalt einer
abweichenden Entscheidung in der Hauptsache unterliegt und lediglich für dessen Dauer auf der Grundlage einer
diesem gegenüber nur vorläufigen Beurteilung des Streitfalles bei bestehender Eilbedürftigkeit für einen
Interessenausgleich sorgen soll (so zur Funktion des einstweiligen Rechtsschutzes auch BVerfG, Beschl. v. 19. Juli
1996, Az. 1 BvL 39/95).
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 19. Juli 1996, a.a.O; Beschl. v. 24. Juni
1992 – Az. 1 BvR 1028/91 -, BVerfGE 86, 382, 389) ist deshalb mit Rücksicht auf den vorläufigen Charakter des
Anordnungsverfahrens als Eilverfahren eine Vorlage zur Klärung etwaiger verfassungsrechtlicher Bedenken gegen ein
Gesetz erst im Hauptsacheverfahren geboten; dem Anordnungsverfahren misst das Bundesverfassungsgericht
nämlich gerade die Funktion zu, nachteiligen Folgen eines von der Klärung verfassungsrechtlichen Fragen belasteten
Verfahrens der Hauptsache durch eine hiervon unbelastete, vorläufige Entscheidung in einem Anordnungsverfahren
entgegen zu wirken, wobei allerdings nicht bereits von der Verfassungswidrigkeit der für die Hauptsache
entscheidungserheblichen Norm ausgegangen und deshalb auch keine die Hauptsache vorwegnehmende Regelung
getroffen werden darf (BVerfG, a.a.O). Diese Grundsätze sind unter dem Gesichtspunkt der Gewährleistung effektiven
Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) auf die Einholung von Vorabentscheidungen des Europäischen Gerichtshofs
ohne weiteres zu übertragen.
Zusammenfassend hält hiernach der Senat eine Klärung der Vereinbarkeit von Art. 24 Abs. 2 und 14 Abs. 4 Buchst. b
der Richtlinie 2004/38 vom 29. April 2004 mit dem primären Europarecht im vorliegenden Eilverfahren weder aus
materiellen Gründen für erforderlich noch aus prozessualen Gründen für möglich. Deshalb ist für die vorliegende
Entscheidung von der Wirksamkeit des Leistungsausschlusses in § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II auszugehen und ein
Anspruch des Beschwerdeführers auf unterhaltssichernde Leistungen nach dem SGB (Anordnungsanspruch) zu
verneinen.
Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass der Leistungsausschluss in §§ 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II und 23 Abs. 3 Satz
1 SGB XII dem zuständigen Sozialhilfeträger eine Ermessensentscheidung darüber belässt, in welchem Umfang unter
Beachtung der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) und des Sozialstaatsprinzips (Art. 20 i.V.m. Art 1 Abs. 1 und Art. 2
GG) vorübergehende Leistungen zur Überbrückung einer unmittelbaren persönlichen Notlage zu erbringen sind (Herbst
in Mergler / Zink, SGB XII, § 23 Rdnr. 48; Adolph in Linhardt / Adolph, SGB II und XII, § 23 SGB XII Rdnr. 92).
Solche Leistungen sind indessen nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Dieser Beschluss ist gem. § 177 SGG unanfechtbar.