Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 14.08.2003

LSG Nsb: ärztliche behandlung, berufliche tätigkeit, entstehung, anerkennung, berufskrankheit, wahrscheinlichkeit, arbeitsunfall, arbeitsbedingungen, arbeitsunfähigkeit, entschädigung

Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschluss vom 14.08.2003 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Braunschweig S 6 U 138/98
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 9 U 157/01
Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob linksseitige Armbeschwerden der Berufungsklägerin als Folge einer
Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2101 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKVO) anzuerkennen und zu
entschädigen sind.
Die im Februar 1939 geborene Berufungsklägerin war seit dem 02. April 1970 bei der Fa. C. als angelernte
"Abnehmerin” in der Produktion von Papiersäcken beschäftigt. Dabei wurde sie weit überwiegend an verschiedenen
"Papiersackbodenlegern” eingesetzt. Sie hatte dabei die Aufgabe, maschinell produzierte Papiersäcke aus einem
abgeschrägten Auffangtisch gestapelt auf einen angrenzenden Packtisch herüber zu ziehen, die Stapel auf deren
Kante gewendet bündig zu stoßen, auf schadhafte Papiersäcke hin durchzublättern, den Stapel sodann auf eine
seitlich stehende Bündelmaschine zu heben, den Bündelungsvorgang durch Pedaldruck auszulösen und schließlich
das gebündelte Sackpaket in einem ca. 2 m entfernten Hubschacht auf einer Euro-Palette in 10 bis 20 Lagen
abzulegen. Diese Arbeiten waren stehend in Bauchhöhe auszuführen. In welcher Frequenz und unter Bewegung
welcher Gewichte sie durchgeführt wurden, ist zwischen den Beteiligten im Einzelnen streitig. Während der
Technische Aufsichtsdienst – TAD – der Berufungsbeklagten insoweit auf der Grundlage der von der Arbeitgeberin
gemachten Angaben ermittelt hat, dass durchschnittlich drei Papiersackstapel pro Minute mit einem Gewicht
zwischen 1,93 und 10,625 kg von zwei "Abnehmerinnen” im Wechsel zu bewegen gewesen sind, geht die
Berufungsklägerin davon aus, während einer Arbeitsschicht bis zu 40 Paletten mit Papiersack-Stapeln von 10 bis 20
kg Gewicht in 10 bis 20 Lagen gefüllt zu haben.
Mitte Juni 1995 begab sich die Berufungsklägerin mit starken Schmerzen im Bereich des linken Ellenbogengelenks in
ärztliche Behandlung. Während der zunächst konsultierte Chirurg Dr. D. kein klinisches Korrelat für die angegebenen
Beschwerden fand (Befundbericht vom 14. Oktober 1996), diagnostizierte der anschließend aufgesuchte Chirurg Dr.
E. eine Epicondylitis humeri radialis et ulnaris links ohne einen von der Berufungsklägerin vermuteten beruflichen
Zusammenhang (Befundbericht vom 14. Oktober 1996). Auch unter der eingeleiteten Therapie blieb die
Berufungsklägerin in der Folgezeit ununterbrochen arbeitsunfähig erkrankt (Mitteilung der Fa. C. vom 07. Oktober
1996). Unterdessen bezieht sie eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.
Auf Veranlassung der Berufungsklägerin unterrichtete die Arbeitgeberin die Berufungsbeklagte im Oktober 1996 über
den Vorgang. Soweit die Berufungsklägerin dabei zunächst geltend gemacht hatte, dass es sich bei dem Auftreten
der Beschwerden um einen durch Anstoßen mit dem Ellenbogen verursachten Arbeitsunfall gehandelt habe,
verzichtete sie mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 12. Mai 1997 auf eine diesbezügliche Fortsetzung des
Verfahrens. Indessen begehrte sie, die aufgetretenen linksseitigen Armbeschwerden als Folge einer BK nach Nr. 2101
der Anlage zur BKVO anzuerkennen und durch Zahlung einer Verletztenrente zu entschädigen. Zur Begründung bezog
sie sich auf ein Attest ihres behandelnden Arztes Dr. F. vom 22. April 1997, in dem dieser das Vorliegen eines
Cervicobrachial-Syndroms beiderseits mit Epicondylitis radialis links und nachgewiesenen degenerativen HWS-
Veränderungen mitteilte und einen Ursachenzusammenhang mit den körperlichen Belastungen am Arbeitsplatz für
möglich hielt. Die Berufungsbeklagte holte zur weiteren medizinischen Sachaufklärung das chirurgisch-
arbeitsmedizinische Fachgutachten des Dr. G. vom 24. November 1997 ein, der darauf hinwies, dass bei der
Berufungsklägerin irgendwelche Erkrankungen der Sehnen oder Sehnengleitlager bisher nicht objektiviert seien.
Demgegenüber bestehe kein Zweifel, dass bei der Berufungsklägerin ein HWS- und Schulter-Arm-Syndrom vorliege.
Diese körpereigene Erkrankung bilde die alleinige Ursache für die im Bereich von Schultern und Armen auftretenden
Beschwerden, die im Übrigen auch psychisch überlagert seien. Bei den von der Berufungsklägerin am Arbeitsplatz
ausgeübten Tätigkeiten handele es sich um übliche, nicht besonders beanspruchende Frauenarbeiten. Auch der
Faktor mangelnder Gewöhnung könne insoweit nicht herangezogen werden, als die Beschwerden erst nach
jahrelanger Ausübung der beruflichen Tätigkeit aufgetreten seien.
Mit Bescheid vom 28. Januar 1998 lehnte daraufhin die Berufungsbeklagte die Anerkennung und Entschädigung einer
BK nach Nr. 2101 der Anlage zur BKVO ab. Zur Begründung wies sie darauf hin, dass weder die arbeitstechnischen
noch die medizinischen Voraussetzungen für eine Anerkennung als BK erfüllt seien. Den hiergegen erhobenen
Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 22. Juli 1998 zurück.
Zur Begründung ihrer am 29. Juli 1998 erhobenen Klage hat die Berufungsklägerin unter Schilderung weiterer
Einzelheiten ihres Arbeitsplatzes im Wesentlichen geltend gemacht, dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen
einer BK nach Nr. 2101 der Anlage zur BKVO im Gegensatz zur Auffassung der Berufungsbeklagten erfüllt seien. Mit
seinem klagabweisenden Urteil vom 20. März 2001 ist indessen das Sozialgericht dieser Auffassung nicht gefolgt. Zur
Begründung seiner Entscheidung hat es im Wesentlichen ausgeführt, es könne dahingestellt bleiben, ob die
medizinischen Voraussetzungen der BK vorlägen. Die Berufungsklägerin habe nämlich nicht unter Arbeitsbedingungen
gearbeitet, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder
sein könnten. Solche Arbeitsbedingungen könnten ausschließlich einseitig belastende und ungewohnte Tätigkeiten
sein. Auch nach ihrer eigenen Beschreibung habe die Berufungsklägerin jedoch solche Tätigkeiten nicht ausgeübt. So
habe sie danach zum Teil schwere Tätigkeiten verrichtet, bei denen aber keine länger andauernden einseitigen
Belastungen aufgetreten seien.
Mit ihrer am 20. April 2001 eingelegten Berufung verfolgt die Berufungsklägerin ihr Begehren weiter. Sie vertieft ihr
Vorbringen zu den für ihren Arbeitsplatz kennzeichnenden Arbeitsvorgängen und beantragt nach ihrem
schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,
1. das Urteil des Sozialgerichtes Braunschweig vom 20. März 2001 sowie den Bescheid der Berufungsbeklagten vom
28. Januar 1998 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheides vom 22. Juli 1998 aufzuheben,
2. die Berufungsbeklagte zu verurteilen, eine linksseitige Epicondylitis als Folge einer Berufskrankheit nach Nr. 2101
der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung anzuerkennen und ihr vom frühest möglichen Zeitpunkt Verletztenrente
nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um wenigstens 20 v.H. zu gewähren.
Die Berufungsbeklagte beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie tritt der Sachdarstellung der Berufungsklägerin hinsichtlich der an ihrem Arbeitsplatz vorherrschenden
Arbeitsbedingungen entgegen und hält ihre angefochtenen Entscheidungen sowie das erstinstanzliche Urteil für
rechtmäßig.
Der Senat hat zur weiteren Sachaufklärung das orthopädische Fachgutachten des Dr. H. erstatten lassen, dessen
schriftliche Fassung vom 8. September 2002 datiert. Auch dieser Sachverständige hat einen ursächlichen
Zusammenhang zwischen der beruflichen Tätigkeit der Berufungsklägerin und den geklagten Armbeschwerden
verworfen. Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der
Gerichtsakten sowie der Unfallakten der Berufungsbeklagten Bezug genommen, die beigezogen worden und
Gegenstand der Entscheidung des Senats wesen sind.
Entscheidungsgründe:
Der Senat entscheidet nach Anhörung der Beteiligten gem. § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch
Beschluss. Er hält die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich.
Auf den Anspruch der Berufungsklägerin sind gem. § 212 Sozialgesetzbuch, Siebentes Buch (SGB VII) noch die
Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) weiterhin anzuwenden, da der geltend gemachte
Versicherungsfall nur vor Inkrafttreten des SGB VII am 01. Januar 1997 eingetreten sein kann. Allerdings kann der
Versicherungsfall einer in der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKVO) unter einer zugehörigen Ordnungsziffer
aufgeführten Erkrankung (Listenerkrankung) keinesfalls vor Erfüllung aller tatbestandlichen Merkmale dieser BK
eintreten. Zu ihnen gehört bei der streitbefangenen BK nach Nr. 2101 der Anlage zur BKVO auch die Aufgabe aller
gefährdenden Tätigkeiten, die ihrerseits das endgültige und vollständige Verlassen des gefährdenden Arbeitsplatzes
voraussetzt. Löst sich jedoch ein Versicherter, wie vorliegend die Berufungsklägerin, im Verlauf ununterbrochener
Arbeitsunfähigkeit vom bisherigen Arbeitplatz, so tritt die Tätigkeitsaufgabe bereits mit dem ersten Tag der
Arbeitsunfähigkeit ein (BSG, Urt. v. 22. August 2000, AZ.: B 2 U 34/99 R, SozR 3-5670 Anl. 1 Nr. 2108 Nr. 2, unter
Hinweis auf BSGE 50, 187, 189). Der Versicherungsfall einer BK 2101 ist deshalb, soweit seine sonstigen
Voraussetzungen vorliegen, im Falle der Berufungsklägerin nicht später als am 15. Juni 1995 eingetreten.
Anspruchsgrundlage für die begehrte Anerkennung und Entschädigung einer BK nach Ziff. 2101 der Anlage zur BKVO
sind demgemäß §§ 547, 551 Abs. 1 RVO. Leistungen an Versicherte, insbesondere auch Verletztenrente, gewährt der
Träger der Unfallversicherung hiernach bei Eintritt eines Arbeitsunfalls, der auch in einer Berufskrankheit bestehen
kann. Berufskrankheiten sind dabei nach § 551 Abs. 1 Satz 2 und 3 RVO solche Krankheiten, die die
Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als solche bezeichnet und die
Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz begründenden Tätigkeit erleiden. Bereits unter Geltung der RVO
hat diese Verordnungsermächtigung nach deren § 551 Abs. 1 Satz 3 die Befugnis umfaßt, die Anerkennung einer
Listenerkrankung als Berufskrankheit auch davon abhängig zu machen, dass der Versicherte wegen der
Berufskrankheit gezwungen gewesen ist, alle gefährdenden Tätigkeiten aufzugeben, und er diesem
Unterlassungszwang auch tatsächlich nachgekommen ist (vgl. jetzt insoweit ohne sachliche Änderung § 9 Abs. 1
Satz 2, 2. Halbsatz SGB VII). Soweit nach Ziff. 2101 der Anlage zur BKVO Erkrankungen der Sehnenscheiden oder
des Sehnengleitgewebes sowie der Sehnen- oder Muskelansätze als Berufskrankheiten anerkannt werden können,
wenn sie zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das
Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können, begegnet die Rechtmäßigkeit der tatbestandlichen
Anforderungen an die Anerkennungsfähigkeit als BK hiernach insgesamt keinen Bedenken.
Anders als das SG geht der Senat hinsichtlich dieser tatbestandlichen Merkmale der BK davon aus, dass die
Voraussetzungen ihrer Anerkennung und Entschädigung im Fall der Berufungsklägerin erfüllt sind. Nach den
gutachtlichen Feststellungen des im Berufungsverfahren gehörten Sachverständigen Dr. H. besteht bei der
Berufungsklägerin mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein chronischer Reizzustand am Ansatz der
Unterarmstrecker; eine Erkrankung der Sehnen- oder Muskelansätze im Sinne der Nr. 2101 der Anlage zur BKVO liegt
insoweit nachweislich vor. Des weiteren hat die Berufungsklägerin die tatbestandlichen Voraussetzungen der BK, wie
ausgeführt, auch insoweit erfüllt, als sie ihre Tätigkeit bei der Fa. C. nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit ab 15. Juni
1995 nicht wieder aufgenommen und dadurch dem geforderten Unterlassungszwang genügt hat.
Der Senat hat schließlich in diesem Zusammenhang auch keine durchgreifenden Zweifel daran, dass die
Berufungsklägerin während ihrer langjährigen Tätigkeit bei der Fa. C. unter Arbeitsbedingungen gearbeitet hat, die
generell geeignet gewesen sind, eine BK nach Nr. 2101 der Anlage zur BKVO hervorzurufen, so dass auch die
arbeitstechnischen Voraussetzungen der geltend gemachten BK gegeben sind. Dem steht nicht entgegen, dass der
Sachverständige Dr. H. – insoweit in Übereinstimmung mit dem Vorgutachten des Dr. G. vom 24. November 1997 –
im Ergebnis die Möglichkeit verworfen hat, dass es bei der Berufungsklägerin über den langjährigen Zeitraum ihrer
Berufsausübung als "Abnehmerin” hinweg durch eine andauernde Wiederholung monotoner, einseitig beanspruchender
Handreichungen zu der festgestellten Epicondylopathie habe kommen können, weil die Berufungsklägerin insoweit
spezifisch gefährdenden Bewegungsabläufen nicht unterworfen gewesen sei (vgl. zu den einzelnen Ausprägungen
solcher Tätigkeiten auch Merkblatt des BMA v. 18. Februar 1963, BarbBl Fachteil Arbeitsschutz 1963, 24, abgedruckt
bei Mehrtens/Perlebach, Berufskrankheitenverordnung, M 2101, Seite 4. Randnummer 4.1). Dr. H. hat nämlich
zugleich darauf hingewiesen, dass auch im Falle der vorliegenden Epicondylopathie als weiterer
Entstehungsmechanismus eine schon kurzfristig wirksame, gleichsam "unfallartige” Beanspruchung durch
ungewohnte, übermäßig belastende Arbeiten zu einer chronischen Erkrankung der Sehnen- oder Muskelansätze und
damit zugleich zu einer BK nach Nr. 2101 der Anlage zur BKVO führen könne (vgl. hiermit übereinstimmend zur
Entstehung das Merkblatt d. BMA, aaO, S. 1 unter I, zweite Alternative unter Hinweis auf "ungewohnte Arbeiten aller
Art”). Auch wenn hiernach vor allem sich rasch wiederholende, feinmotorische oder mit einer besonderen Auslenkung
oder Drehbewegung des Handgelenks verbundene manuelle Tätigkeiten im Mittelpunkt der arbeitsmedizinischen
Betrachtung stehen mögen (vgl. nochmals das Merkblatt d. BMA, aaO, Rdnr. 4.1), lässt gleichwohl die tatbestandlich
offene Definition der BK nach Nr. 2101 der Anlage zur BKVO eine Beschränkung der rechtlichen Betrachtung auf
solche Entstehungsweisen nicht zu. Dies gilt um so mehr, als nach den einleuchtenden Ausführungen des
Sachverständigen Dr. H. berufsbedingte Erkrankungen der Sehnenscheiden oder des Sehnengleitgewebes sowie der
Sehnen- oder Muskelansätze in etwa 2/3 aller anerkannten Fälle einer Berufserkrankung auf einer akuten
Überlastungsreaktion durch ungewohnte und überlastend schwere Arbeiten allgemeiner Art beruhen. Auch der
Tätigkeit der Berufungsklägerin ist aber unter diesem Gesichtspunkt in Anbetracht der zu bewegenden Gewichte von
wenigstens bis zu 10 kg die Eignung zur Entstehung einer BK nach Nr. 2101 der Anlage zur BKVO kaum generell
abzusprechen.
Die geltend gemachte BK ist indessen im Falle der Berufungsklägerin gleichwohl deshalb nicht anzuerkennen und zu
entschädigen, weil sich – über die Erfüllung der allgemeinen arbeitstechnischen Voraussetzungen hinaus – nicht
feststellen lässt, dass die Berufungsklägerin tatsächlich aufgrund ihrer versicherten Tätigkeit erkrankt ist (§§ 551 Abs.
1 Satz 1 RVO, 1 BKVO). Als wesentliche Ursache oder Mitursache für einen Körperschaden kann nämlich ein
Arbeitsunfall auch in der Gestalt einer BK nur dann anerkannt werden, wenn anhand der geltenden
naturwissenschaftlichen Lehrmeinung im individuellen Einzelfall ein konkreter Wirkungsmechanismus nachvollzogen
werden kann, aufgrund dessen der Arbeitsunfall den Körperschaden mit Wahrscheinlichkeit herbeigeführt hat. Hierzu
müssen aus naturwissenschaftlicher, insbesondere medizinischer Sicht die Gründe, die für den Ablauf einer solchen
Ursachenkette sprechen, gegenüber denjenigen Gründen, die gegen eine Verursachung durch Arbeitsunfall
(Berufkrankheit) sprechen, überwiegen (Bereiter-Hahn/Mertens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 8 SGB VII Rdnr.
10.1 m.w.N.; Kasseler Kommentar, SGB VII, § 9 Rdnr. 27 i.V.m. § 8 Rdnrn. 257 ff m.w.N.). Die Feststellung, dass die
Epicondylopathie der Berufungsklägerin mit Wahrscheinlichkeit auf die beruflichen Anforderungen an ihrem
Arbeitsplatz als "Abnehmerin” zurückzuführen ist, vermag jedoch der Senat aufgrund der im Ergebnis
übereinstimmenden Begutachtungen durch die Sachverständigen Dr. H. und Dr. G. nicht zu treffen.
Soweit hiernach für die Entstehung einer BK nach Nr. 2101 der Anlage zur BKVO zunächst eine chronische
Überlastung durch repetitive feinmotorische Handbewegungen oder Handbewegungen mit außergewöhnlicher Flexion
des Handgelenks in Betracht zu ziehen ist, haben beide Sachverständigen das Vorliegen entsprechend belastender
Tätigkeitsmerkmale nachvollziehbar verneint. Zwar ist die berufliche Tätigkeit der Berufungsklägerin in dem Sinne von
sich wiederholenden Handreichungen geprägt gewesen, dass sie im regelmäßigen Rhythmus Stapel von
Papiersäcken hat anheben und tragen müssen. Ungeachtet der insoweit zwischen den Verfahrensbeteiligten
bestehenden Differenzen sind hierbei auch die zu bewegenden Gewichte mit wenigstens bis zu 10, wenn nicht 20 kg
erheblich gewesen. Die dabei durchgeführten Arbeitsschritte erlauben hingegen allenfalls den Schluss, dass die
Berufungsklägerin bei ihrer Tätigkeit als "Abnehmerin” schwer gehoben und getragen hat. Soweit aber eine
Epicondylitis durch die ständige Wiederholung gleichbleibend monotoner feinmotorischer Handbewegungen oder durch
Handbewegungen mit ungewöhnlicher Flexion des Handgelenks entstehen kann, haben der Tätigkeit der
Berufungsklägerin nach der von beiden Verfahrensbeteiligten abgegebenen Sachdarstellung die hierfür wesentlichen
Merkmale hochfrequenter, feinmotorischer Handbewegungen oder einer ständigen, ungewöhnlichen Beugung des
Handgelenks eindeutig gefehlt.
Auch insoweit, als insbesondere der Sachverständige Dr. H. daneben die Möglichkeit einer gleichsam "unfallartigen”
Entstehung der BK nach Nr. 2101 der Anlage zur BKVO durch ungewohnte und übermäßig belastende Arbeiten aller
Art hervorgehoben hat, lässt sich eine entsprechende Wahrscheinlichkeit der Verursachung im Falle der
Berufungsklägerin nicht begründen. Auch wenn, wie ausgeführt, davon auszugehen ist, dass die von der
Berufungsklägerin bewegten Gewichte zur Entstehung einer solchen akuten Überlastungsreaktion auf ungewohnte und
übermäßig schwere Arbeit generell geeignet gewesen sein mögen, kann nach den zutreffenden Ausführungen des Dr.
H. die epicondylitische Erkrankung der Berufungsklägerin im Bereich des Ansatzes der Unterarmstrecker bereits
deshalb nicht mehr als Reaktion auf eine ungewohnte, übermäßig schwere Arbeitsbelastung bei noch fehlender
Anpassung verstanden werden, weil die Berufungsklägerin ihre Tätigkeit als "Abnehmerin” zwischen April 1970 und
Juni 1995 über einen Zeitraum von etwa 25 Jahren hat ausüben können, bevor es - nach gelegentlichem Auftreten von
Armschmerzen - zu einer dauerhaften Chronifizierung epicondylopathischer Beschwerden und einem Zwang zur
Aufgabe dieser Tätigkeit gekommen ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Ein Grund, gem. § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG die Revision zuzulassen, besteht nicht.