Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 28.08.2001

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Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urteil vom 28.08.2001 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Braunschweig S 8 SB 116/96
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 9 SB 135/98
Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Berufungskläger begehrt, den Berufungsbeklagten zu verurteilen, bei ihm im Erstfeststellungsverfahren einen
Grad der Behinderung (GdB) von mehr als 50 festzustellen.
Am 12. Dezember 1994 stellte der Berufungskläger einen Antrag nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG), zu
dessen Begründung er auf einen Diabetes mellitus, ein Glaukom der Augen und Wirbelsäulenbeschwerden hinwies.
Das Versorgungsamt Braunschweig (VA) wertete Entlassungsbe-richte des Kreiskrankenhauses H. vom 25.
November 1994 und der Dia-betes-Klinik I. vom 23. Dezember 1994 sowie den Entlassungsbericht des
Moorsanatoriums J. vom 26. Januar 1994 aus, holte Befundberichte des Augenarztes Dr. K. vom 13. Januar 1995
sowie der praktischen Ärztin L. vom 12. Juni 1995 ein und stellte sodann den beim Berufungskläger vorlie-genden
GdB, einer gutachtlichen Stellungnahme des Ärztlichen Dienstes vom 1. Juli 1995 folgend, mit Bescheid vom 12. Juli
1995 wegen insulin-pflichtiger Zuckerkrankheit und Wirbelsäulensyndrom mit 30 fest. Dem hiergegen erhobenen
Widerspruch half das VA Braunschweig nach Einho-lung eines weiteren Befundberichts des Orthopäden Dr. M. vom 4.
Sep-tember 1995 und erneuter Einschaltung seines Ärztlichen Dienstes mit Be-scheid vom 14. November 1995
insoweit ab, als es den GdB wegen insu-linpflichtiger Zuckerkrankheit und Wirbelsäulensyndroms bei Bandschei-
benvorfall L5/S1 sowie Periarthritis humeroscapularis beider Schultergelen-ke auf 40 anhob. Den weitergehenden
Widerspruch wies das Landesver-sorgungsamt mit Widerspruchsbescheid vom 7. März 1996 zurück.
Am 3. April 1996 ist Klage erhoben worden, mit der der Berufungskläger in erster Instanz die Feststellung eines GdB
von mindestens 70 begehrt hat. Er hat vorgetragen, weder der Diabetes noch die Wirbelsäulenerkrankun-gen seien
hinreichend gewürdigt worden. Auch das Glaukom beider Augen bedinge einen weiteren, selbständigen Teil-GdB, der
sich auf den Gesamt-GdB erhöhend auswirken müsse. Das Sozialgericht (SG) hat weitere ärztli-che Unterlagen,
darunter den Entlassungsbericht der Saale-Rehabilitationsklinik, N. vom 31. Juli 1996 beigezogen und die Befundbe-
richte der praktischen Ärztin L. vom 4. August 1997 und des Internisten O. vom 5. August 1997 eingeholt. Sodann hat
es den Berufungsbeklagten mit Urteil vom 24. März 1998 verurteilt, bei dem Berufungskläger ab Antrag-stellung im
Dezember 1994 einen GdB von 50 festzustellen. Zur Begrün-dung hat das SG im wesentlichen ausgeführt, bei dem
Berufungskläger lie-ge eine schwer einstellbare Zuckerkrankheit vor, die nach den Anhalts-punkten für die ärztliche
Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungs-recht und nach dem Schwerbehindertengesetz - AHP – 1996 mit
einem Teil-GdB von 50 zu bewerten sei. Daneben bestehe ein Wirbelsäulensyn-drom bei Bandscheibenvorfall L5/S1
sowie eine Periarthritis humeroscapu-laris beider Schultergelenke. Diese Beschwerden des Berufungsklägers auf
orthopädischem Fachgebiet bedingten, soweit sie ärztlicherseits bestätigt worden seien, lediglich einen Teil-GdB von
20. Soweit der Berufungskläger schließlich auf eine Glaukomerkrankung seiner Augen und die dadurch be-dingten
Beeinträchtigungen hingewiesen habe, sei ein entsprechender Teil-GdB nicht festzustellen. Das Glaukom verursache
nämlich keine Sehbehin-derung, von deren Vorliegen aber die Annahme einer Funktionseinbuße abhänge.
Mit seiner am 17. Juni 1998 eingelegten Berufung begehrt der Berufungs-kläger nunmehr, den Berufungsbeklagten zur
Feststellung eines GdB von 60 zu verurteilen. Zur Begründung trägt er vor: Zwar sei der vom SG für seine
Zuckererkrankung angenommene Teil-GdB von 50 zutreffend; indes-sen seien seine Behinderungen auf
orthopädischem Fachgebiet mit einem Teil-GdB von 20 zu gering bewertet. Dasselbe gelte für die Glaukom-
Erkrankung.
Der Berufungskläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen,
1. das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 24. März 1998 sowie den Bescheid des Versorgungsamtes
Braunschweig vom 12. Juli 1995 in der Gestalt des Bescheides vom 14. November 1995 und des
Widerspruchsbescheides des Landesversorgungs-amtes vom 7. März 1996 abzuändern,
2. den Beklagten zu verurteilen, bei ihm einen Grad der Behinderung von 60 festzustellen.
Der Berufungsbeklagte beantragt schriftsätzlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt die angefochtene Entscheidung.
Der Senat hat zur weiteren Sachaufklärung die Befundberichte des Ortho-päden Dr. M. vom 26. Februar 1999, der
praktischen Ärztin L. ohne Datum sowie des Augenarztes Dr. K. vom 21. Mai 1999 eingeholt, weitere ärztliche
Unterlagen, darunter den Entlassungsbericht der Saale-Reha-Klinik, N. vom 8. Dezember 1998 ausgewertet und auf
Antrag des Berufungsklägers gem. § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das orthopädische Fachgutachten des Dr. P.
vom 2. Juli 1999 erstatten lassen. Dr. P. hat beim Berufungsklä-ger eine Fehlstatik der Wirbelsäule mit dezenter
Drehverbiegung im Len-denwirbelsäulenbereich und teilfixiertem Rundrücken im Brustwirbelsäulen-bereich ohne
wesentliche degenerative Veränderungen in allen Wirbelsäu-lenabschnitten sowie eine schmerzhafte Schulter – links
betont gegenüber rechts – ohne Bewegungseinschränkung festgestellt und hierfür bei Teil-Behinderungsgraden von 20
bzw. 10 einen auf das gesamte Funktions-system bezogenen GdB von höchstens 20 für angemessen gehalten. We-
gen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Betei-ligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten
und der Schwerbehindertenak-ten des Berufungsbeklagten Bezug genommen, die beigezogen worden sind.
Entscheidungsgründe:
Der Senat entscheidet im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 SGG). Dabei ist
die zulässige, insbesondere rechtzeitig eingelegte Berufung als unbegründet zurückzuweisen.
Das SG Braunschweig hat in seinem angefochtenen Urteil vom 24. März 1998 zutreffend die rechtlichen Grundsätze
dargelegt, nach denen sich die Feststellung des GdB nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG) rich-tet. Durch
das ab dem 1. Juli 2001 an die Stelle des SchwbG getretene Neunte Buch des Sozialgesetzbuches (SGB IX) ist eine
materielle Ände-rung nicht eingetreten, so daß ein weiteres Eingehen darauf entbehrlich ist. Vielmehr sind die
Ausführungen des SG in dem angegriffenen Urteil in ih-rem materiellen Kern nach wie vor zutreffend. Es hat mit Recht
hervorge-hoben, daß sich die Bewertung einzelnen Funktionseinschränkungen mit einem Teil-GdB und die
Zusammenfassung der hiernach gewonnenen Ein-zelwerte zu dem Gesamt-GdB nach den Regeln der Anhaltspunkte
für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz – AHP –
von 1996 vollzieht. Schließlich hat das SG im einzelnen zutreffend begründet, daß dem Berufungskläger in An-
wendung der AHP 1996 ein höherer Gesamt-GdB als 50 nicht zuerkannt werden kann. Der Senat folgt insoweit
insbesondere der Erwägung des SG, daß es sich bei dem Diabetes des Berufungsklägers um eine Zuckerkrank-heit
handelt, die auch unter Diät und Insulinbehandlung nur schwer ein-stellbar ist und deshalb nach Nr. 26.15 der AHP
1996 (S. 118) mit einem Teil-GdB von 50 zu bewerten ist. Mit dem SG ist allerdings der Senat auch der Auffassung,
daß der für die Funktionseinbußen im Bereich des ortho-pädischen Funktionssystems beim Berufungskläger
festzustellende Teil-GdB den Wert von 20 nicht übersteigt und daß für die Glaukom-Erkrankung der Augen nach dem
Sach- und Streitstand des erstinstanzlichen Verfah-rens ein Teil-GdB nicht zu veranschlagen gewesen ist, weil gem.
Nr. 26.4 der AHP 1996 (S. 63) relevante Funktionseinschränkungen insoweit ärztli-cherseits nicht dokumentiert
gewesen sind. Zur Vermeidung von Wieder-holungen nimmt der Senat daher gem. § 153 Abs. 2 SGG auf die
Entschei-dungsgründe des angefochtenen Urteils (S. 4 oben bis S. 8, 1. Abs.) Be-zug.
Neue Erkenntnisse, die zu einer abweichenden Feststellung des Gesamt-GdB führen, haben sich im Anschluß an die
erstinstanzliche Entscheidung während des Berufungsverfahrens nicht ergeben. Auch der Berufungsklä-ger geht
hinsichtlich seines Diabetes davon aus, daß dieser mit einem Teil-GdB von 50 zutreffend bewertet sei. Insoweit
erübrigen sich weitere Aus-führungen.
Hinsichtlich des orthopädischen Funktionssystems hat das Fachgutachten des Dr. P. vom 2. Juli 1999 ergeben, daß
für die vom Berufungskläger im Verfahrensverlauf immer wieder beklagten Schmerzbeschwerden im Be-reich der
Schultern und der Wirbelsäule kein Äquivalent in Gestalt klinisch und röntgenologisch zu erhebender Befunde besteht.
Der Gutachter hat beim Berufungskläger lediglich eine Fehlstatik der Wirbelsäule ohne we-sentliche degenerative
Veränderungen in allen Wirbelsäulenabschnitten und eine Schmerzhaftigkeit der Schulter ohne
Bewegungseinschränkungen feststellen können und diesen nur geringgradigen objektivierbaren Funkti-onseinbußen für
den Senat überzeugend ein auf das gesamte Funktions-system bezogenen Teil-GdB von "maximal" 20 zugeordnet.
Zu einer weite-ren Erhöhung des für die führende Zuckerkrankheit zu veranschlagenden Teil-GdB von bereits 50
führen diese orthopädischen Funktionseinbußen bei der Bildung des Gesamt-GdB nicht.
Ebenso wenig trägt nach den im Berufungsverfahren gewonnenen Er-kenntnissen die Glaukomerkrankung des
Berufungsklägers zu einer Erhö-hung des Gesamt-GdB über 50 hinaus bei. Der hierzu vom Senat einge-holte
Befundbericht des Augenarztes Dr. K. vom 21. Mai 1999 beschreibt über die bloße Mitteilung der 1981 gestellten
Diagnose eines Glaukoms hinaus keine weiteren, von diesem ausgelösten Funktionseinbußen, die Gegenstand der
ärztlichen Behandlung durch den genannten Arzt gewesen sind. Insbesondere hat danach die Glaukomerkrankung
auch nicht zu einer Einengung des Gesichtsfeldes geführt. Der mitgeteilte Visus von 0,633 rechts und 0,8 links
entspricht nach Nr. 26.4 der AHP 1996 (S. 63) einem Teil-GdB von 5, der selbst unter zusätzlicher Berücksichtigung
der vom Be-rufungskläger im Hinblick auf die Folgen der Glaukomerkrankung geschil-derten Mißempfindungen nicht
geeignet ist, zu einer Erhöhung des Ge-samt-GdB beizutragen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Ein Grund, gem. § 160 Abs. 2 SGG die Revision zuzulassen, besteht nicht.