Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 07.02.2002

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Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urteil vom 07.02.2002 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Stade S 10 LW 11/00
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 10 LW 15/01
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 29. März 2001 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger versicherungspflichtig gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Gesetz über
die Altersicherung der Landwirte (GAL) ist.
Der 1970 geborene Kläger ist Gesellschafter der Pilzfarm I. GmbH, die mit notariell beurkundetem
Gesellschaftsvertrag vom 26. Juli 1997 gegründet worden war und deren Gegenstand die Produktion, die
Weiterverarbeitung und der Vertrieb von Speisepilzen und Pilzsubstraten ist. Der Gesellschaftsanteil des Klägers
betrug zunächst 60 %, später 80 % und beläuft sich gegenwärtig auf 100 % des Stammkapitals. Geschäftsführer der
GmbH war bis zu seinem Ausscheiden aus der GmbH Ende 1999/Anfang 2000 der Mitgesellschafter J ... Seither ist
der Vater des Klägers, K., zum Geschäftsführer bestellt. Der Kläger studierte von 1995 bis August 2000 an der
Technischen Universität L. Wirtschaftsingenieurswesen, absolvierte im unmittelbaren Anschluss hieran bis Mai 2001
ein Auslandsstudium in den USA und ist seither als Bauleiter bei der Firma M. Stahlbau versicherungspflichtig
beschäftigt.
Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 9. Dezember 1999 fest, dass der Kläger seit August 1999 als Landwirt
versicherungspflichtig sei und veranlagte ihn gleichzeitig zu entsprechenden Beitragszahlungen. Den hiergegen
erhobenen Widerspruch des Klägers, mit dem dieser geltend machte, nicht im Unternehmen der Pilzfarm I. GmbH
tätig zu sein, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 16. Februar 2000 unter Hinweis darauf zurück, dass
der Kläger als Mehrheitsgesellschafter der GmbH alle Entscheidungen maßgeblich beeinflussen könne.
Im nachfolgenden Klageverfahren hat das Sozialgericht (SG) Stade die angefochtenen Bescheide der Beklagten mit
Urteil vom 29. März 2001 aufgehoben und in den Entscheidungsgründen aufgeführt, dass der Kläger nicht gemäß § 1
Abs. 2 Satz 3 GAL als Landwirt gelte, weil er in dem Unternehmen nicht hauptberuflich tätig sei.
Die Beklagte hat gegen das ihr am 27. April 2001 zugestellte Urteil am 23. Mai 2001 Berufung eingelegt. Sie meint
weiterhin, dass der Kläger als landwirtschaftlicher Unternehmer gelten müsse, weil er aufgrund der Höhe seiner
Beteiligung am Stammkapital der GmbH maßgeblichen Einfluss auf die Entscheidungen innerhalb des Unternehmens
habe.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des SG Stade vom 29. März 2001 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Stade vom 29. März 2001 zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der Senat hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung am 7. Februar 2002 persönlich angehört. Insoweit wird auf
die Sitzungsniederschrift verwiesen.
Dem Senat haben außer den Prozessakten die Verwaltungsakten der Beklagten und die Prozessakten des SG Stade
zum Az. S 10 LW 19/00 ER vorgelegen. Sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen. Wegen der
Einzelheiten des Sachverhalts und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte Berufung der Beklagten ist form- und fristgerecht eingelegt und damit zulässig. Sie ist jedoch nicht
begründet.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Beklagte ist in den angefochtenen Bescheiden unzutreffend von
einer Versicherungspflicht des Klägers ausgegangen. Dieser gilt nicht gemäß § 1 Abs. 2 Satz 3 ALG als
landwirtschaftlicher Unternehmer.
Beschränkt haftende Gesellschafter einer Personenhandelsgesellschaft oder Mitglieder einer juristischen Person
gelten gemäß § 1 Abs. 2 Satz 3 ALG als Landwirt, wenn sie hauptberuflich im Unternehmen tätig und wegen dieser
Tätigkeit nicht kraft Gesetzes in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert sind. Der Kläger ist als früherer
Mehrheitsgesellschafter und jetziger Alleingesellschafter der Pilzfarm I. GmbH Mitglied einer juristischen Person. Es
kann jedoch nicht festgestellt werden, dass er in dem landwirtschaftlichen Unternehmen hauptberuflich tätig war oder
ist. Allein die gesellschaftsrechtliche Stellung als Mitglied einer ein landwirtschaftliches Unternehmen betreibenden
juristischen Personen begründet nach der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung in § 1 Abs. 2 Satz 3 ALG nicht die
Stellung als landwirtschaftlicher Unternehmer. Deswegen muss in diesem Zusammenhang die im
Gesellschaftsvertrag begründete, mit der Stellung eines Mehrheitsgesellschafters bzw. Alleingesellschafters
verbundene Einflussmöglichkeit auf bestimmte Rechtsgeschäfte als Kriterium der Unternehmereigenschaft außer
Betracht bleiben. Allein entscheidend ist vielmehr die neben der Eigenschaft als Mitglied der juristischen Person
kumulativ erforderliche hauptberufliche Tätigkeit im Unternehmen. Tatsächlich ist der Kläger nach seinem von der
Beklagten unwidersprochen gebliebenen, in der mündlichen Verhandlung auf Nachfrage noch einmal bestätigen und
auch nicht in Widerspruch zu dem Akteninhalt im Übrigen stehenden Vorbringen zu keinem Zeitpunkt in dem
Unternehmen der Pilzfarm I. GmbH tätig geworden. Er hatte insbesondere auch zu keinem Zeitpunkt die Stellung des
Geschäftsführers inne. Lässt sich somit bereits überhaupt kein Tätigwerden des Klägers im Unternehmen feststellen,
so würde ein solches jedenfalls nicht als hauptberuflich angesehen werden können. Der Kläger war vielmehr bis
August 2000 Student der Wirtschaftsingenieurwissenschaften in Braunschweig, studierte anschließend in den USA
und ist seit Juni 2001 in versicherungspflichtiger Beschäftigung als Bauleiter in einem Stahlbauunternehmen tätig.
Lässt ein Studium nach allgemeiner Auffassung keinen Platz für eine anderweitige hauptberufliche Beschäftigung (vgl.
Alterssicherung der Landwirte, Kommentar, bearbeitet von Böttger u. a., § 1 ALG, S. 1.5 mit Nachweisen), so stellt
seit Juni 2001 die Tätigkeit als Bauleiter den Hauptberuf des Klägers dar.
Soweit sich die Beklagte bezüglich ihrer Auffassung auf eine Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) und ein
Urteil des erkennenden Senats beruft, kann sie hieraus nichts zur Stützung ihrer Ansicht herleiten. In beiden Fällen
hatte ein mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbarer Sachverhalt vorgelegen. Das Urteil des BSG vom 15.
November 1979 (Az. 11 RK 6/78 abgedruckt in BSGE 49, 126 ff) betraf den Fall, dass die dortigen Kläger nicht nur
Kommanditisten einer KG, sondern darüber hinaus Geschäftsführer der Komplementär-GmbH waren. Sie waren
tatsächlich kraft ihrer Geschäftsführerstellung in dem landwirtschaftlichen Unternehmen tätig, so dass sich das BSG
auf die Beantwortung der Frage nach der Hauptberuflichkeit beschränken konnte. Ebenso verhielt es sich in dem dem
Urteil des erkennenden Senats vom 11. Juni 1992 (Az. L 10 Lw 12/91, abgedruckt in Nds. Rpfl. 1992, S. 299 f)
zugrundeliegenden Sachverhalt. Auch hier war der Kläger Kommanditist und zugleich Geschäftsführer der
Komplementär-GmbH. Im vorliegenden Fall ist der Kläger – wie ausgeführt – jedoch weder Geschäftsführer, noch in
irgendeiner sonstigen Weise im Unternehmen tätig. Der erkennende Senat hat in einem weiteren Urteil vom 7. Februar
1991 (Az. L 10 Lw 31/89 – abgedruckt in Nds. Rpfl. 1992, S. 143 f) entschieden, dass ein Student, der
Mitgesellschafter einer ein landwirtschaftliches Unternehmen betreibenden Gesellschaft bürgerlichen Rechts war, im
Hinblick auf seine hauptberufliche Tätigkeit als Student nicht als landwirtschaftlicher Unternehmer angesehen werden
könne. Das Tätigwerden im landwirtschaftlichen Unternehmen stelle sich neben dem Studium lediglich als
nebenberuflich dar. Das würde im vorliegenden Fall entsprechend gelten. Liegt aber – wie im vorliegenden Fall –
bereits überhaupt keine Tätigkeit des Klägers im landwirtschaftlichen Unternehmen vor, so stellt sich die Frage eines
haupt- oder nebenberuflichen Tätigwerdens gar nicht erst.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Ein gesetzlicher Grund zur Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegt nicht vor. Insbesondere betrifft das
Urteil eine Einzelfallentscheidung und setzt sich auch nicht in Widerspruch zu höchstrichterlicher Rechtsprechung.