Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 24.07.2001
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Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urteil vom 24.07.2001 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Oldenburg S 91 P 46/00
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 3 P 6/01
Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt von der Beklagten Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung nach Pflegestufe I.
Die 1928 geborene Klägerin beantragte bei der Beklagten am 17. Januar 2000 Leistungen der Pflegeversicherung. Die
Beklagte veranlasste die Erstattung eines Gutachtens durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung
Niedersachsen (MDKN). In einem Gutachten vom 03. Februar 2000 stellte der Arzt Dr F. die pflegebegründende
Diagnose "fortschreitende Osteoporose mit zunehmender Geheinschränkung und allgemeiner
Bewegungseinschränkung; KHK/Belastungsdyspnoe; Va COLD art. Hypertonus, Zn SHF 1998". Zum Umfang der
Pflegebedürftigkeit führte er aus, im Bereich der sogenannten Grundpflege habe die Klägerin lediglich beim Duschen
und Baden einen Hilfebedarf von täglich jeweils 3 Minuten, beim Ankleiden einen solchen von 5 und beim Entkleiden
einen solchen von 3 Minuten. Damit bestehe im Bereich der Grundpflege insgesamt ein Hilfebedarf von 14 Minuten.
Mit Bescheid vom 09. Februar 2000 lehnte die Beklagte daraufhin die Gewährung von Leistungen aus der
Pflegeversicherung ab.
Mit ihrem dagegen erhobenen Widerspruch vom 10. Februar 2000 machte die Klägerin geltend, ihr
Gesundheitszustand habe sich in letzter Zeit verändert, ihr müsse täglich ihr Ehemann beim An- und Ausziehen sowie
bei der täglichen Körperpflege helfen; dies gelte auch für nächtliche Toilettengänge. Sie könne zudem auch mit ihren
Händen nicht mehr richtig zugreifen. Auch das Treppensteigen könne sie ohne Hilfe nicht bewältigen. Zur weiteren
Stützung ihres Vorbringens bezog sie sich auf einen Krankenhausbericht des Krankenhauses G. vom 01. Dezember
1999 sowie einen Arztbrief des Radiologen Dr H. vom 2. Januar 2000. Daraufhin veranlasste die Beklagte eine
ergänzende Stellungnahme durch den MDKN. In dieser Stellungnahme vom 07. März 2000 führte der Gutachter Dr I.
aus, alles in allem habe das Widerspruchsvorbringen neue Gesichtspunkte nicht ergeben. Soweit neuerdings ein
Hilfebedarf beim Treppensteigen reklamiert werde, sei dieser bereits in dem Vorgutachten als "nicht pflegerelevant"
eingestuft worden, da regelmäßige Arzt- oder sonstige Praxisbesuche nicht stattfänden. Auch aus den vorgelegten
medizinischen Unterlagen ergäben sich keine neuen Gesichtspunkte. In einem weiteren Gutachten nach Aktenlage
des Dr J. vom 13. März 2000 wurde betont, dass gegen das Gutachten des Dr I. vom 28. Januar 2000 nebst
Ergänzung vom 07. März 2000 durchgreifende Einwände nicht zu erheben seien. Der im Widerspruchsverfahren
vorgetragene zusätzliche Hilfebedarf bei nächtlichen Toilettengängen, der offenbar zum Zeitpunkt des Hausbesuches
durch Dr I. noch nicht vorgelegen habe, führe selbst bei seiner Berücksichtigung bei weitem noch nicht zur Annahme
der Pflegestufe I. Nach Auswertung eines von der Klägerin vorgelegten Pflegetagebuchs wies die Beklagte den
Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 10. Juli 2000 zurück. Zur Begründung bezog sie sich auf die von ihr
veranlassten Gutachten des MDKN und wies ergänzend darauf hin, auch unter Berücksichtigung des von der Klägerin
vorgelegten Pflegetagebuches würden unter Zugrundelegung der Maßstäbe der Begutachtungs-Richtlinien die
Voraussetzungen für die Annahme der Pflegestufe I nicht erfüllt.
Vor dem SG hat die Klägerin mit ihrer am 21. Juli 2000 eingegangenen Klage ihr Begehren weiter verfolgt und erneut
betont, dass ihr Hilfebedarf durch den MDKN nicht zutreffend erfasst sei. Das SG hat zur weiteren Aufklärung des
Sachverhalts einen Bericht des behandelnden praktischen Arztes Dipl med K. vom 09. Oktober 2000 und eine
ergänzende Stellungnahme des Gutachters des MDKN Dr I. vom 23. Oktober 2000 eingeholt. Letzterer ist die Klägerin
unter Vorlage eines ärztlichen Attests des Dipl med K. vom 07. Oktober 2000 entgegengetreten.
In seiner mündlichen Verhandlung am 25. Januar 2001 hat das SG die Klägerin persönlich und ihren Ehemann als
Zeugen gehört und die Klage sodann mit Urteil vom selben Tage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, im
Bereich der Grundpflege habe sich kein Hilfebedarf von mehr als 45 Minuten täglich feststellen lassen. Von vornherein
nicht berücksichtigt werden könnten die von der Klägerin reklamierten Hilfen beim Gehen insbesondere bei den
nächtlichen Toilettengängen. Wie die Klägerin selbst erklärt habe, könne sie in der Wohnung noch allein gehen. Ohne
Belang sei die Angabe des Zeugen, dass er ständig anwesend sein müsse für den Fall, dass die Klägerin stürze. Das
bloße Bereithalten zur Hilfeleistung sei nicht berücksichtigungsfähig. Auch Hilfeleistungen beim Treppensteigen
könnten keine Berücksichtigung finden, weil nicht erkennbar sei, dass das Treppensteigen für die Grundpflege
erforderlich sei. Die Klägerin könne sämtliche Verrichtungen der Grundpflege im Obergeschoss, in dem sich sowohl
das Badezimmer als auch die Toilette und die Küche wie auch das Wohnzimmer befänden, vornehmen. Soweit sie in
der mündlichen Verhandlung geltend gemacht habe, dass sie im Erdgeschoss die Wäsche in die Waschmaschine tun
und die Toilette aufsuchen müsse, handele es sich dabei um Hilfestellungen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung
bzw nicht erforderliche Toilettengänge, da sich auch im Obergeschoss eine Toilette befinde. Auch sei nicht erkennbar,
dass der Ehemann der Klägerin bei nächtlichen Toilettengängen behilflich sein müsse. Allein der Umstand, dass er
der Klägerin das Licht anmachen müsse, damit diese nicht die Treppe herunter stürze, reiche nicht aus, weil nicht
erkennbar sei, dass sich die Klägerin bei Anbringung entsprechender Vorrichtungen (Schalter) nicht selbst helfen
könne. Die Darstellung der Klägerin bzw ihres Ehemanns, dass sich ihr Gesundheitszustand seit Oktober 2000
verschlechtert habe, finde in Berichten des behandelnden Arztes Meister keine Entsprechung. Auch im Schriftsatz
vom 07. November 2000 sei eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Klägerin nicht erwähnt worden,
vielmehr heiße es allgemein, der Gesundheitszustand habe sich im letzten halben Jahr verschlechtert. Diese Angabe
sei schwerlich mit dem Hinweis des behandelnden Arztes vereinbar, dass der letzte Hausbesuch im August 2000
stattgefunden habe. Im Übrigen sei bezüglich des Umfangs des Hilfebedarfs darauf zu verweisen, dass die
Orientierungswerte in der Pflegebegutachtungs-Richtlinie von Hilfestellungen einer durchschnittlichen, nicht
professionellen Pflegekraft ausgingen. Alles in allem sei damit ein täglicher Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege
von 45 Minuten nicht erwiesen.
Gegen das – am 11. Februar 2001 zugestellte – Urteil hat die Klägerin am 12. März 2001, einem Montag, Berufung
eingelegt. Unter Vorlage verschiedener medizinischer Unterlagen ist sie der Auffassung, das Gericht habe einer
Verschlimmerung ihres Krankheitsbildes nicht hinreichend Rechnung getragen. Immerhin habe sie ab Oktober 2000
mit einem Rollstuhl versorgt werden müssen. Das SG habe auch Befundberichte des L. vom 04. Dezember 1997 und
03. Juni 1999 sowie die Befundberichte des Dr M. vom 24. Januar 2000 und des Dr N. vom 03. Mai 1998 sowie des
Dr O. vom 16. August 2000 zu Unrecht nicht in seine Beurteilung einbezogen. Insbesondere auch ein Bericht der
Radiologin Dr P. vom 18. April 2001 sei nunmehr zu berücksichtigen. Schließlich werde auch eine Auswertung der
Pflegedokumentation für den Zeitraum vom 08. Mai bis 13. Mai 2001 ergeben, dass der Hilfebedarf die
Voraussetzungen für die Annahme der Pflegestufe I erfülle.
Die Klägerin beantragt,
1. das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 25. Januar 2001 und den Bescheid der Beklagten vom 09. Februar
2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10. Juli 2000 aufzuheben; 2. die Beklagte zu verurteilen, der
Klägerin Pflegegeld nach Pflegestufe I ab 17. Januar 2000 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Insbesondere verweist sie darauf, dass die in der nunmehr erneut
vorgelegten Pflegedokumentation mitgeteilten Zeitansätze entweder keine Berücksichtigung finden könnten oder von
ihrem Umfang her nicht nachvollziehbar seien.
Die Verwaltungsvorgänge der Beklagten haben vorgelegen und sind Gegenstand des Verfahrens gewesen. Wegen der
weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozess- und Beiakten
ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist nicht begründet.
Das SG hat zutreffend entschieden, dass der Klägerin Leistungen der Sozialen Pflegeversicherung im Umfang der
Pflegestufe I (noch) nicht zustehen. Zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen wird auf die überzeugenden
Ausführungen des angefochtenen Urteils Bezug genommen (§ 153 Abs 2 SGG).
Im Berufungsverfahren sind neue Gesichtspunkte, die eine der Klägerin günstigere Entscheidung rechtfertigen
könnten, nicht hervorgetreten. Vorab ist erneut zu betonen, dass eine generelle, also nicht auf die Wahrnehmung der
in § 14 Abs 4 SGB XI abschließend aufgezählten Verrichtungen des täglichen Lebens bezogene Betreuung und
Beaufsichtigung bei der Feststellung des Hilfebedarfs im Sinne des § 14 Abs 1 SGB XI keine Berücksichtigung finden
kann (vgl BSG, Urteil vom 19.02.1998 –Az.: B 3 P 11/97 R-), dass vielmehr nur eine konkrete Anleitung,
Überwachung und Erledigungskontrolle bei der Wahrnehmung der Verrichtungen des täglichen Lebens
Berücksichtigung finden kann. Dabei handelt es sich um solche Unterstützungsmaßnahmen, die die Pflegeperson in
zeitlicher und örtlicher Hinsicht in gleicher Weise binden wie bei unmittelbarer körperlicher Hilfe und daher dazu führen,
dass die Pflegeperson dadurch an der Erledigung anderer Dinge oder am Schlafen gehindert ist (BSG Urteile vom
24.06.1998 – B 3 P 4/97 R – SozR 3-3300 § 14 Nr 5 und 06.08.1998 – B 3 P 17/97 R – SozR 3-3300 § 14 Nr 6; st
Rspr). Ebensowenig ist ein Hilfebedarf darin begründet, dass der Versicherte aufgrund seines Alters, seiner
Krankheiten und Behinderungen bei der Wahrnehmung der Verrichtungen des täglichen Lebens längere Zeit benötigt,
als dies bei einem Gesunden der Fall ist. Soweit also die Klägerin darauf verweist, dass ihr aufgrund ihrer
gesundheitlichen Einschränkungen die Wahrnehmung der Verrichtungen des täglichen Lebens zunehmend schwerer
falle, kommt es darauf nicht entscheidend an. Entscheidend ist vielmehr allein, ob sie objektiv bei der Wahrnehmung
dieser Verrichtungen Hilfe benötigt oder nicht. Dementsprechend kann auch eine aus Fürsorglichkeit erwachsende
Zuwendung des Ehemanns mit dem Ziel, der Klägerin die Wahrnehmung der Verrichtungen des täglichen Lebens zu
erleichtern, für sich allein keinen Hilfebedarf begründen.
Soweit die Klägerin im Berufungsverfahren darauf verweist, dass das SG medizinische Unterlagen in seine
Beurteilung nicht einbezogen habe, vermag auch dies zu keinem für sie günstigeren Ergebnis zu führen. In dem
Gutachten des MDKN vom 03. Februar 2000 sind als pflegebegründende Diagnosen eine fortschreitende Osteoporose
mit zunehmender Geheinschränkung und allgemeiner Bewegungseinschränkung sowie herz- bzw kreislaufbedingte
gesundheitliche Beeinträchtigungen erwähnt. Daneben werden Ersatz eines Hüftkopfes als Folge eines erlittenen
Sturzes, Rippenfrakturen sowie Schmerzen und Schwäche an beiden Händen (auch Handgelenken) ausdrücklich
benannt und auch bei der Feststellung des Pflegebedarfs berücksichtigt. Bei der Bewertung eines krankheitsbedingten
Hilfebedarfs ist allgemein darauf zu verweisen, dass nicht die Schwere einer Erkrankung oder Behinderung sondern
allein der aus der konkreten (krankheits- bzw behinderungsbedingten) Funktionseinschränkung resultierende
Hilfebedarf in Bezug auf die gesetzlich definierten Verrichtungen als Grundlage der Bestimmung der
Pflegebedürftigkeit dient (vgl Richtlinien de Spitzenverbände der Pflegekassen zur Begutachtung von
Pflegebedürftigkeit nach dem Elften Buch des Sozialgesetzbuches –SGB XI- unter D.5.). Es besteht kein
nachvollziehbarer Grund zu der Annahme, dass der Gutachter des MDKN die krankheitsbedingten Funktionsdefizite in
seine Beurteilung des Hilfebedarfs nicht angemessen einbezogen haben sollte. Auch die im Berufungsverfahren
vorgelegten medizinischen Unterlagen, die abgesehen von den Berichten des Dr O. vom 16. August 2000 und der Dr
P. vom 18. April 2001 aus der Zeit vor der Begutachtung durch den MDKN entstammen, geben dazu keinen Anlass.
Die in diesen Berichten erwähnten Krankheitsbilder sind in dem Gutachten des MDKN ausdrücklich aufgeführt. Soweit
Dr O. in seinem Bericht vom 16. August 2000 von "potentiell lebensbedrohlichen Herzrhythmusstörungen" spricht, ist
nicht erkennbar, dass diese Bewertung der Erkrankung die Beurteilung der MDKN-Gutachten in Frage stellt. Auch der
Bericht der Radiologin Dr P. vom 18. April 2001 ergibt keinen Hinweis auf die Notwendigkeit weitergehender
Ermittlungen. Als Diagnose werden in diesem Bericht eine Osteoporose sowie ein Zustand nach Oberschenkelfraktur
links erwähnt. Ausdrücklich heißt es in der abschließenden Beurteilung, es handele sich nur um eine mäßige
Osteoporose; im Vergleich zur Voruntersuchung im Januar 2000 sei keine Befundverschlechterung eingetreten. Dieser
Bericht ist also eher als Bestätigung für die Einschätzung des SG’s zu werten, als dass er einen Hinweis auf die
Unrichtigkeit der sozialgerichtlichen Feststellungen geben könnte.
Nach allem hat die Berufung keinen Erfolg haben können.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Es hat kein Anlass bestanden, die Revision zuzulassen.