Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 16.07.2013
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Streitigkeiten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz
1. Über einen Antrag auf nachträgliche Zulassung der Sprungrevision
entscheidet die Kammer in der Besetzung mit den ehrenamtlichen Richtern,
die nach der Zuteilungsliste des Gerichts mitzuwirken haben.
2. Aus dem zuzulassenden Urteil muss eindeutig vorhergehen, ob bereits
eine Entscheidung über die Zulassung im Urteil erfolgte.
3. Fehlt es an Anhaltspunkten für eine solche Entscheidung im Urteil (Tenor,
Entscheidungsgründe), so kann eine konkludente (Ablehnungs-
)Entscheidung nicht unterstellt werden.
SG Hannover 53. Kammer, Beschluss vom 16.07.2013, S 53 AY 50/11
§ 160 SGG, § 161 SGG
Tenor
Der Antrag auf Zulassung der Sprungrevision gegen das Urteil vom
16.07.2013 (Az: S 53 AY 50/11) wird abgelehnt.
Gründe
Dem Antrag auf Zulassung der Sprungrevision musste der Erfolg versagt
bleiben.
Nach §§ 161, 160 Abs. 2 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist gegen ein Urteil
des Sozialgerichts auf Antrag eines Beteiligten und unter Nachweis der
schriftlichen Zustimmung des Gegners innerhalb eines Monats ab Zustellung
des Urteils die Sprungrevision durch Beschluss zuzulassen, wenn die
Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Voraussetzung dafür ist
insbesondere, dass die Rechtssache klärungsfähig und klärungsbedürftig ist.
Der Antrag auf Zulassung der Sprungrevision ist zulässig. Er ist insbesondere
frist- und formgerecht erhoben. Der Antrag ist jedoch unbegründet.
Das Gericht ist zur Entscheidungsfindung in ordnungsgemäßer Besetzung
gelangt. Über einen Antrag auf nachträgliche Zulassung der Sprungrevision
muss das Gericht in voller Kammerbesetzung entscheiden (BSG, Beschl. v.
18.11.1980, GS 3/79). Höchstrichterlich nicht geklärt ist dagegen, ob bei dieser
Entscheidung die an dem zuzulassenden Urteil beteiligten ehrenamtlichen
Richter oder die für die nächste Kammersitzung nach der Heranziehungsliste
zuständigen Richter miteinzubeziehen sind. Es wird vertreten, dass für die
nachträgliche Zulassung zwingend die an der Ausgangsentscheidung
beteiligten Richter mitzuwirken haben (SG Hamburg, Beschl. v. 01.03.2012 – S
3 AS 3143/11). Dies solle sich daraus ergeben, dass bereits im Rahmen der
Urteilsfindung konkludent über die Nichtzulassung der Sprungrevision
mitentschieden wird. Jedenfalls könne nicht ausgeschlossen werden, dass
eine solche Entscheidung Gegenstand der Beratungen war und der
Vorsitzende dabei überstimmt wurde. Das Ergebnis der konkreten
Urteilsberatung würden dagegen nur die damals beteiligten ehrenamtlichen
Richter kennen, sodass deren (erneute) Beteiligung einer eigenmächtigen
Änderung des ursprünglichen Beratungsergebnisses durch den Vorsitzenden
vorbeuge. Diese Erwägungen können im Ergebnis nicht überzeugen. Das
Gericht darf die Sprungrevision nur nach Maßgabe der gesetzlichen Vorgaben
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des § 161 SGG zulassen. Dabei darf eine Zulassung zwar auch dann erfolgen,
wenn die Zustimmung des Gegners noch nicht vorliegt (Leitherer in Mayer-
Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl., § 161, Rn. 6). Letztlich hat das
Gericht jedoch seine Entscheidung über die Zulassung der Sprungrevision
nach pflichtgemäßem Ermessen von Amts wegen zu treffen (Leitherer, a.a.O.).
Ist im Rahmen der mündlichen Verhandlung bzw. im Rahmen der Vorbereitung
dieser jedoch weder die Bereitschaft einer Partei zur Durchführung eines
Revisionsverfahrens noch die Erteilung einer Zustimmungserklärung
ersichtlich, so besteht auch von Amts wegen keine Notwendigkeit zu einer
Entscheidung im Rahmen des Urteils. In einer solchen Konstellation die
Entscheidungsfindung über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 161
SGG zu unterstellen wiederspräche der tatsächlichen (erstinstanzlichen)
Gerichtspraxis. Zudem würde die Unterstellung einer konkludenten
(ablehnenden) Entscheidung im Rahmen der Urteilsfindung auch die
Zulässigkeit einer nachträglichen Zulassung im Beschlusswege ernsthaft in
Frage stellen. Aufgrund der Unanfechtbarkeit der Zulassungsentscheidung (§
161 Abs. 2 Satz 3 SGG) muss bei einer Entscheidung über die (Nicht-
)Zulassung im Urteil ein nachträglich gestellter Zulassungsantrag als
unzulässig verworfen werden (zur sogn. Zweitentscheidung: BSG, Urt. v.
16.02.1989 – 4 REg 6/88 = BSGE 64, 296). Schon aufgrund dieser
weitreichenden Folgen wird man einem Urteil ohne Ausführungen zu den
Voraussetzungen des § 161 SGG keine konkludente
Ablehnungsentscheidung entnehmen können (dazu: Ulmer in: Hennig, SGG,
25. AL., § 161, Rn. 31). Ebenfalls ist keine Verletzung des Art. 101 Abs. 1 Satz
2 Grundgesetz festzustellen. Die Beteiligten haben erstmals nach
Urteilsverkündung und Abfassung der Urteilsgründe ihr Begehren auf
Durchführung der Sprungrevision gegenüber dem Gericht geäußert. Zum
Zeitpunkt der Urteilsfindung am 16.07.2013 sah das Gericht nach
pflichtgemäßem Ermessen keine Veranlassung über die Zulassung der
Sprungrevision zu entscheiden. Die Beteiligten nahmen an der mündlichen
Verhandlung teil und hätten daher durch entsprechende Willensbekundungen
eine Entscheidung in der damaligen Besetzung des Spruchkörpers
herbeiführen können. Wird ein Antrag auf nachträgliche Zulassung gestellt, so
richtet sich die Besetzung des Spruchkörpers, wie im vorliegenden Fall, nach
den allgemeinen Regelungen (Heranziehungsliste). Etwas anderes mag dann
gelten, wenn sich bereits im Rahmen der Urteilsfindung aufgrund der
konkreten Umstände eine Entscheidung über die Zulassung der
Sprungrevision aufgedrängt hat und dem Urteil über eine solche Entscheidung
keine Aussage abzugewinnen ist.
Das Gericht geht hier davon aus, dass die aufgeworfene Rechtsfrage nach
den Feststellungen im Urteil vom 16.07.2013 nicht klärungsfähig ist. Die
Rechtsfrage ist nur dann klärungsfähig, wenn das Revisionsgericht aufgrund
der im erstinstanzlichen Urteil getroffenen Feststellungen die aufgeworfene
Rechtfrage beantworten kann und muss. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Der
Beklagte begehrt hier die Klärung der Rechtsfrage, ob, und wenn ja, in
welchem Umfang der Anwendungsbereich des § 2 Abs. 3
Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) bei einer in Haushaltsgemeinschaft
lebenden Familie mit teilweisem Leistungsbezug nach dem Zweiten Buch-
Sozialgesetzbuch (SGB II) bzw. AsylbLG eingeschränkt ist. Dabei ist
insbesondere aus Sicht des Beklagten relevant, ob hier fiktiv ein möglicher
Anspruch der nach dem SGB II leistungsberechtigten Eltern aus § 2 Abs. 1
AsylbLG zu prüfen wäre. Aus den tatsächlichen Feststellungen des Gerichts
lässt sich diese Frage nicht beantworten. Denn das erstinstanzliche Urteil
enthält keine Feststellungen zu Vorbezugszeiten der Eltern der Klägerin. Es
hat insbesondere auch keine Feststellungen zum Vorliegen
rechtsmissbräuchlichen Verhaltens getroffen.
Überdies geht das Gericht davon aus, dass die vom Beklagten aufgeworfene
Frage auch nicht klärungsbedürftig ist. Von einer Klärungsbedürftigkeit ist
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danach auszugehen, wenn der Beantwortung der Frage eine über den
entschiedenen Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt. Dies kann
insbesondere mit Rücksicht auf eine Vielzahl gleichgelagerter Streitfälle
angenommen werden. Darüber hinaus ist nach Sinn und Zweck der Revision
das Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Entwicklung und
Handhabung des Rechts festzustellen. Das Gericht sieht nach diesen
Vorgaben keine grundsätzliche Klärungsbedürftigkeit der hier aufgeworfenen
Rechtsfrage. Das Gericht geht weiter davon aus, dass das im vorliegenden
Fall festzustellende Auseinanderfall der Aufenthaltstitel zum Nachteil der
minderjährigen Kinder dem Vorliegen einer Ausnahmekonstellation geschuldet
war. Überdies konnte das Gericht auch keine uneinheitliche Rechtsprechung
zu dieser Frage feststellen. Vielmehr hat sich das Gericht den bisher
bekannten Entscheidungen und den darin vorgetragenen Begründung zu
einer einschränkenden Auslegung des Anwendungsbereiches in § 2 Abs. 3
AsylbLG nach Sinn und Zweck angeschlossen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 161 Abs. 2 Satz 3 SGG). Auf die
Rechtsmittelbelehrung im Urteil vom 16.07.2013 wird hingewiesen. Diese gilt
mit der Maßgabe, dass die Frist zur Berufung nunmehr mit der Zustellung
dieser Entscheidung zu laufen beginnt.