Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 19.04.2001
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Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urteil vom 19.04.2001 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Braunschweig S 5 RI 376/97
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 10 RI 235/00
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Braunschweig vom 26. Mai 2000 wird
zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU), hilfsweise wegen
Berufsunfähigkeit (BU).
Der 1950 in Tunesien geborene Kläger ist inzwischen deutscher Staatsangehöriger. Nach der Einreise in die
Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1970 war er zuletzt von März 1978 bis Mai 1993 bei der Volkswagen AG als
Produktionswerker beschäftigt. Seither ist er arbeitsunfähig erkrankt bzw arbeitslos.
Die Beklagte gewährte dem Kläger berufsfördernde Leistungen zur Rehabilitation in der Zeit vom 11. bis 15.
September 1995 sowie vom 1. Februar bis 24. Juni 1996 beim Bildungswerk der Niedersächsischen Wirtschaft.
Im Januar 1997 beantragte der Kläger die Gewährung von Versichertenrente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Die
Beklagte zog neben dem Befundbericht des behandelnden Arztes Dr. NH. vom 5. Dezember 1996 die Gutachten des
Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Niedersachsen (MDKN) vom 27. Juni 1995 und 9. Januar 1996
(Gutachter: WI.) sowie vom 20. November 1996 (Gutachter: Dr. VJ.) bei. Im Auftrag der Beklagten erstattete der Arzt
für Innere Medizin/Sozialmedizin SK. ein internistisches Gutachten vom 7. Juli 1997. Er stellte insbesondere die
Diagnosen eines postthrombotischen Syndroms beider Beine mit leichtgradigem lymphostatischen Ödem links und
dystrophischen Störungen im Bereich beider Innenknöchel, einer Adipositas (102 kg bei einer Körpergröße von 176
cm) und eines Diabetes mellitus ohne Spätkomplikationen sowie eines rezidivierenden Lendenwirbelsäulen-Syndroms
bei Fehlstatik der Wirbelsäule ohne radikuläre Reizsymptomatik und ohne Funktionseinschränkungen. Zum
Leistungsvermögen führte der Gutachter aus, dass der Kläger noch in der Lage sei, körperlich leichte bis zeitweise
mittelschwere Tätigkeiten vollschichtig zu verrichten. Ausgenommen seien Arbeiten unter ausschließlichem Stehen
und Sitzen sowie kniende Tätigkeiten und Arbeiten unter Hitzebedingungen.
Mit Bescheid vom 19. Februar 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. August 1997 lehnte die
Beklagte den Rentenantrag ab.
Hiergegen hat der Kläger Klage vor dem Sozialgericht (SG) Braunschweig erhoben. Das SG hat Befundberichte der
behandelnden Ärzte Dr. NH. vom 18. März 1998, Dr. ML. vom 13. April 1999 und Dr. KM. vom 26. April 1999 sowie
das Gutachten des Dr. VJ. vom MDKN (Begutachtungs-Datum: 9. Februar 1998) beigezogen und anschließend das
Sachverständigengutachten der Ärztin für Chirurgie/Rettungsmedizin Dr. SN. vom 12. Januar 2000 eingeholt. Die
Sachverständige hat folgende Diagnosen gestellt:
1. Degenerative Veränderungen der Halswirbelsäule, die über das dem Alter entsprechende Ausmaß hinausgehen.
2. Leichte tiefe Lumbalskoliose mit degenerativen Veränderungen im lumbosacralen Übergang.
3. Bewegungseinschränkung der rechten Schulter ohne klinisch oder radiologisch erkennbare Ursache.
4. Bewegungseinschränkung beider Kniegelenke ohne klinisch oder radiologisch erkennbare Ursache.
5. Schwellneigung beider Beine, links mehr als rechts, nach tiefen Beinvenenthrombosen und Ulcera cruris links.
Zum Leistungsvermögen hat die Sachverständige ausgeführt, dass der Kläger noch körperlich leichte Arbeiten
wechselweise im Gehen, Stehen und Sitzen, in geschlossenen Räumen vollschichtig ausüben könne. Arbeiten unter
Zeitdruck, im Akkord sowie am Fließband und in Wechselschicht sollten nicht ausgeführt werden. Zu vermeiden seien
Zwangshaltungen sowie häufiges Bücken oder Knien und das Heben, Tragen und Bewegen von schweren Lasten
ohne mechanische Hilfsmittel. Arbeiten unter Kälte- und Hitzeeinwirkung sowie unter starken
Temperaturschwankungen, in Zugluft oder unter Nässeeinwirkungen sollten nicht ausgeführt werden.
Mit Gerichtsbescheid vom 26. Mai 2000 hat das SG die Klage abgewiesen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme
könne der Kläger noch vollschichtig körperlich leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verrichten.
Der Kläger hat gegen den ihm am 15. Juni 2000 zugestellten Gerichtsbescheid am 14. Juli 2000 Berufung eingelegt.
Er ist weiterhin der Ansicht, ihm stehe eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu.
Der Kläger beantragt,
1. den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Braunschweig vom 26. Mai 2000 und den Bescheid der Beklagten vom
19. Februar 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. August 1997 aufzuheben,
2. die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit, zu
gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Braunschweig vom 26. Mai 2000
zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.
Der Senat hat den Befundbericht des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. ML. vom 10. Oktober 2000 eingeholt.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden
erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG -).
Dem Senat haben außer den Prozessakten die Verwaltungsakten der Beklagten vorgelegen. Sie sind Gegenstand der
Beratung gewesen. Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf
den Akteninhalt Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und damit zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet.
Der Gerichtsbescheid des SG Braunschweig vom 26. Mai 2000 sowie der angefochtene Bescheid der Beklagten vom
19. Februar 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. August 1997 sind zutreffend und nicht zu
beanstanden. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit gemäß den §§ 44, 43
Sozialgesetzbuch Sechstes Buch in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung (SGB VI aF) zu.
Der in diesem Verfahren erhobene Anspruch des Klägers richtet sich noch nach den Vorschriften des SGB VI in der
bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung, da er einen vor dem 1. Januar 2001 und damit vor Inkrafttreten des
Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20. Dezember 2000 (BGBl I S 1827 ff)
liegenden Leistungsbeginn geltend macht (§ 300 Abs 2 SGB VI).
Erwerbsunfähig sind gem § 44 Abs 2 Satz 1 SGB VI aF Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht
absehbare Zeit außerstande sind, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt
oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das monatlich 630,00 DM übersteigt. Diese Voraussetzungen sind hier nicht
erfüllt. Erwerbsunfähig ist nach § 44 Abs 2 Satz 2 Nr 2 SGB VI aF nicht, wer - wie der Kläger - eine Tätigkeit
vollschichtig ausüben kann.
Die Feststellung des vollschichtigen Leistungsvermögens trifft der Senat aufgrund der vorliegenden medizinischen
Unterlagen, insbesondere der Gutachten des Arztes für Innere Medizin/Sozialmedizin SK. vom 7. Juli 1997 und der
Sachverständigen Dr. SN. vom 12. Januar 2000. Von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe sieht der
Senat ab; er nimmt gem § 153 Abs 2 SGG insoweit auf die zutreffenden Ausführungen in den Entscheidungsgründen
des angefochtenen Gerichtsbescheides vom 26. Mai 2000 (S 4) Bezug. Lediglich der Vollständigkeit halber ist
festzustellen, dass sowohl der Gutachter SK. als auch die Sachverständige Dr. SN. in jeder Hinsicht
übereinstimmende Befunde erhoben haben. Danach fanden sich im Zeitpunkt der Untersuchungen im Juni 1997 bzw
im Januar 2000 weder frische Thrombosezeichen noch Ulcerationen im Bereich der Unterschenkel. Lediglich
trophische Störungen konnten jeweils im Bereich des Innen- und Außenknöchels am rechten Bein festgestellt werden.
Die Hautveränderungen waren geschlossen und zeigten keine frischen Narben. Zweifel an der vollschichtigen
Leistungsfähigkeit des Klägers ergeben sich deshalb nicht. Anhaltspunkte für eine eingeschränkte Wegefähigkeit sind
daraus ebensowenig abzuleiten, wie aus dem Erfordernis des Tragens von Kompressionsstrümpfen.
Weitere medizinische Sachaufklärung – insbesondere in psychiatrischer Hinsicht – ist nicht erforderlich. Aus der
Bescheinigung des behandelnden Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. ML. vom 4. Juli 2000 ergeben sich keine
weiteren Einschränkungen im Hinblick auf eine vollschichtige Leistungsfähigkeit. Soweit Dr. ML. im Befundbericht
vom 10. Oktober 2000 unverändert depressive Stimmungen mitteilt, sind diese behandlungsbedürftig und
behandlungsfähig. Anhaltspunkte für eine unüberwindbare psychische Fehlhaltung von rentenrechtlicher Bedeutung
lassen sich den vorliegenden ärztlichen Unterlagen nicht entnehmen. Der Senat hat deshalb von der Einholung eines
nervenärztlichen Gutachtens abgesehen.
Der Kläger kann auch keine Rente wegen BU gem § 43 SGB VI aF beanspruchen, da er in seiner letzten beruflichen
Tätigkeit als Produktionswerker keinen Berufsschutz erworben hat. Die Fähigkeit, eine zumutbare Tätigkeit auf dem
allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig ausüben zu können, steht dem Anspruch auf Rente wegen BU entgegen, § 43
Abs 2 Satz 4 SGB VI aF.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1 SGG.
Ein gesetzlicher Grund zur Zulassung der Revision gem § 160 Abs 2 SGG liegt nicht vor.