Urteil des LSG Hessen vom 11.01.1984

LSG Hes: unterbrechung der frist, arbeitsunfähigkeit, rehabilitation, krankengeld, verfügung, eingliederung, beendigung, arbeitslosenhilfe, krankheitsfall, behinderung

Hessisches Landessozialgericht
Urteil vom 11.01.1984 (rechtskräftig)
Sozialgericht Wiesbaden S 5 Ar 171/81
Hessisches Landessozialgericht L 6 Ar 465/83
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 24. Februar 1983 wird
zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Ersatzanspruches der Klägerin gem. § 182 Abs. 10 RVO.
Der bei der Klägerin gegen Krankheit versicherte Beigeladene bezog vom 18. Juni 1979 bis 3. Dezember 1980 von der
Beklagten Übergangsgeld im Rahmen der Teilnahme an einer Maßnahme der beruflichen Rehabilitation beim
Berufsförderungswerk B. V ... Am 4. Dezember 1980 beantragte der Beigeladene bei der Beklagten Arbeitslosengeld
und stellte sich der beruflichen Eingliederung zur Verfügung. Die Beklagte zahlte ihm daraufhin ab 4. Dezember 1980
weiter Übergangsgeld. Ab 8. Januar 1981 war der Beigeladene arbeitsunfähig erkrankt, und zwar bis 15. Februar 1981.
Die Zahlung des Übergangsgeldes wurde von der Beklagten mit dem 7. Januar 1981 eingestellt. Dies teilte die
Beklagte dem Beigeladenen mit Bescheid vom 4. Februar 1981 mit. Gegen diesen Bescheid legte der Beigeladene
Widerspruch am 24. Februar 1981 ein. Er forderte die Beklagte auf, vom 8. Januar bis 15. Februar 1981 weiterhin
Übergangsgeld zu bezahlen. Darüber hinaus bemängelte er die Höhe des Übergangsgeldes. Die Beklagte stellte die
Entscheidung über diesen Widerspruch im Einblick auf vorliegendes Klageverfahren zunächst zurück, wies dann aber
mit Widerspruchsbescheid zum 26. November 1982 den Widerspruch zurück.
Ab 8. Januar 1981 bis 15. Februar 1981 zahlte die Klägerin an den Beigeladenen Krankengeld.
Mit Schreiben vom 12. Juni 1981 und vom 9. Juli 1981 machte die Klägerin einen Ersatzanspruch gegenüber der
Beklagten für geleistetes Übergangsgeld in der Zeit vom 8. Januar bis 14. Januar 1981 geltend.
Mit Bescheid vom 25. August 1981 lehnte die Beklagte den Ersatzanspruch ab, wogegen die Klägerin am 21.
September 1981 Widerspruch einlegte.
Mit Widerspruchsbescheid vom 7. Dezember 1981 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Die Beklagte vertrat darin
die Auffassung, daß gem. § 59 d Abs. 2 AFG das Übergangsgeld während der Arbeitslosigkeit bis zu 6 Wochen nur
dann weiter gewährt werde, solange der Beigeladene zur beruflichen Eingliederung zur Verfügung gestanden habe.
Dies sei bei Arbeitsunfähigkeit nicht mehr der Fall. Der § 105 b AFG finde für solche Fälle keine Anwendung.
Gegen diesen Widerspruchsbescheid hat die Klägerin am 19. Dezember 1981 Klage beim Sozialgericht Wiesbaden
erhoben. Darin hat sie die Ansicht vertreten, daß die Weitergewährung des Übergangsgeldes nicht von
gesundheitlichen Gründen abhängig sei, da eine Arbeitsunfähigkeit nur als vorübergehende Beeinträchtigung
anzusehen sei.
Mit Urteil vom 24. Februar 1983 hat das Sozialgericht Wiesbaden der Klage stattgegeben.
Gem. § 182 Abs. 10 RVO sei die Beklagte als Arbeitgeber anzusehen und § 105 d AFG entsprechend anzuwenden;
das Übergangsgeld übernehme hier die Funktion des Arbeitsentgeltes. Bis 6 Wochen nach Beginn der erneuten
Zahlung von Übergangsgeld habe der Beigeladene Anspruch auf Übergangsgeld gehabt, der Anspruch sei daher
hinsichtlich der gleichzeitigen Zahlung von Krankengeld für die Zeit vom 8.1. bis 14.1.1981 auf die Klägerin
übergegangen. Zwar habe der Beigeladene ab 8.1. nicht mehr der beruflichen Eingliederung zur Verfügung gestanden,
dies sei aber im Hinblick auf § 105 b AFG unbeachtlich, der auch für Übergangsgeld Gültigkeit besitze, was sich
bereits aus der Systematik des Gesetzes ergebe und daraus, daß sowohl Übergangsgeld als auch Arbeitslosengeld
Lohnersatzfunktion besitze. Die Berufung hat das Sozialgericht Wiesbaden im Tenor und in den Gründen zugelassen.
Gegen das am 15. April 1983 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten vom 10. Mai 1983 beim
Hessischen Landessozialgericht.
Die Beklagte begründet die Berufung damit, daß der § 105 b RVO nicht für Empfänger von Übergangsgeld Gültigkeit
habe, vielmehr enthielten die Vorschriften für das Übergangsgeld eine eigene Regelung für den Fall der Krankheit in §
59 d Abs. 2 AFG.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 24. Februar 1983 aufzuheben und die Klage
abzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.
Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.
Die Klägerin hält die Rechtsauffassung des Sozialgerichts Wiesbaden in der Anwendung des § 105 d AFG für
begründet. Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Beklagtenakte und auf den Inhalt
der Gerichtsakte, die beide Inhalt und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht erhobene Berufung ist zulässig und kraft ausdrücklicher Zulassung durch das
erstinstanzliche Gericht nach § 150 Ziff. 1 Sozialgerichtsgesetz statthaft.
Sie ist jedoch unbegründet. Das Sozialgericht Wiesbaden hat im Ergebnis rechtsfehlerfrei den Bescheid der Beklagten
vom 25. August 1981 i.d.F. des Widerspruchsbescheides vom 7. Dezember 1981 aufgehoben und die Beklagte zur
Zahlung von 335,16 DM Krankengeld an die Klägerin verurteilt. Die Beklagte war verpflichtet, dem Beigeladenen auch
vom Beginn der Arbeitsunfähigkeit am 8. Januar 1981 bis zum 14. Januar 1981 Übergangsgeld zu zahlen. Die
Krankengeldzahlung der Klägerin im gleichen Zeitraum wurde als Vorleistung ohne Rechtsgrund erbracht, weil die
Beklagte Leistungsverpflichteter für diesen Zeitraum war. Dem Sozialgericht Wiesbaden ist insofern beizupflichten,
daß der nicht von der Beklagten geleistete Übergangsgeldanspruch des Beigeladenen in entsprechender Anwendung
des § 182 Abs. 10 RVO auf die Klägerin übergeht.
Gem. § 59 d Abs. 2 AFG hat der Rehabilitand einer beruflichen Rehabilitation einen Anspruch auf Zahlung von
Übergangsgeld für weitere 6 Wochen nach Beendigung der Rena-Maßnahme, wenn er im Anschluß an die Maßnahme
arbeitslos ist, sich beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet hat und zur beruflichen Eingliederung zur Verfügung steht.
Gem. dieser Vorschrift hat die Beklagte ab 4. Dezember 1980 das Übergangsgeld dem Beigeladenen weitergezahlt.
Über die Berechtigung dieses Anspruches besteht kein Streit. Die 6 Wochen-Frist des § 59 d Abs. 2 AFG lief am 14.
Januar 1981 ab. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die Beklagte das Übergangsgeld zu zahlen. Die Tatsache, daß der
Beigeladene ab 8. Januar 1981 arbeitsunfähig erkrankte, ändert nichts an dieser Verpflichtung der Beklagten. In Fällen
der beruflichen Rehabilitation hat das Übergangsgeld eine reine Lohnersatzfunktion und konkurriert insoweit nicht –
wie bei der medizinischen Rehabilitation – mit dem Krankengeld (BSG v. 13.5.1980 – 12 RK-40/79 – in SozR 2200 §
381 Nr. 40). Die Gewährung des Übergangsgeldes ist in Fällen der beruflichen Rehabilitation eine Maßnahme dieser
Berufshilfe. Die Beitragspflicht nach § 165 Abs. 1 Nr. 4 RVO ist insofern eine Reflexwirkung der Pflicht zur Zahlung
von Übergangsgeld (BSG a.a.O.).
Der Anspruch auf Zahlung von Übergangsgeld ergibt sich für den Beigeladenen bei innerhalb der 6-Wochen-Frist des §
59 d Abs. 2 AFG auftretender Arbeitsunfähigkeit dann aber in entsprechender Anwendung des § 59 d Abs. 1 AFG.
Danach wird das Übergangsgeld bis zu 6 Wochen, längstens jedoch bis zum Tage der Beendigung der Maßnahme,
auch dann weiter gewährt, wenn der Behinderte an einer berufsfördernden Maßnahme zur Rehabilitation aus
gesundheitlichen Gründen nicht teilnehmen kann. Zwar hat § 59 d Abs. 1 AFG praktisch eine Lohnersatzfortzahlung
im Krankheitsfalle während einer berufsfördernden Maßnahme zunächst zum Ziele. Dies muß aber auch für diesen
Fall gelten, in dem der Behinderte während des Bezugs von Übergangsgeld nach § 59 d Abs. 2 AFG erkrankt. Zwar
ist dann die berufsfördernde Maßnahme bereits abgeschlossen, aber der Behinderte steht weiter im Schutz des
Rehabilitationsträgers; dies muß genauso im Krankheitsfalle gelten, wie es für einen Arbeitnehmer Gültigkeit besitzt,
der während des Lohnbezuges erkrankt. Dabei hat es keine Bedeutung, daß durch entsprechende Anwendung des §
59 d Abs. 1 AFG auf Fälle vorliegender Art sich die 6-Wochen-Frist des § 59 d Abs. 2 AFG im Extremfall auf weitere
6 Wochen durch Eintritt einer Arbeitsunfähigkeit verlängern kann. Aus der Zielsetzung des Rena-
Angleichungsgesetzes vom 7.8.1974 folgt nämlich, daß der Anspruch auf Fortzahlung des Übergangsgeldes z.B. in
jedem Wiedererkrankungsfall erst nach Ablauf der 6. Woche endet. Der Gesetzgeber hat in § 59 d Abs. 1 dem
endgültigen Abbruch die kurzfristige Unterbrechung gegenübergestellt und für jede Unterbrechung den 6-Wochen-
Zeitraum angesetzt (BSG a.a.O.). Wenn demnach der Eintritt der Arbeitsunfähigkeit zum 8. Januar 1981 als
Unterbrechung der Frist des § 59 d Abs. 2 zu betrachten ist, ist es folgerichtig, die 6-Wochen-Frist des § 59 d Abs. 1
auch in solchen Fällen anzuwenden, wo die Arbeitsunfähigkeit in die Zeit der Fortzahlung des Bezugs von
Übergangsgeld nach § 59 d Abs. 2 AFG fällt. Dies aber nur bis zur Beendigung der Maßnahme i.S. des § 59 d Abs. 1
AFG, was im vorliegenden Fall gleichbedeutend mit dem Ende der 6-Wochen-Frist gem. § 59 d Abs. 2 zum 14. Januar
1981 ist.
Das Sozialgericht Wiesbaden und die Klägerin gehen jedoch fehl in ihrer Rechtsauffassung, daß die
Anspruchsgrundlage für den Bezug von Übergangsgeld auch während der Arbeitsunfähigkeit in § 105 b AFG zu
suchen ist. Nach dieser Vorschrift verliert der Arbeitslose während des Bezugs von Arbeitslosengeld infolge von
Krankheit, die zur Arbeitsunfähigkeit führt, nicht seinen Anspruch auf Arbeitslosengeld für die Zeit der
Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von 6 Wochen. Bereits daraus ergibt sich, daß der § 105 b AFG ausschließlich und
abschließend auf den Bezug von Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe und Unterhaltsgeld anzuwenden ist, was auch im
Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung (BT Drucks. 8/4022, S. 90) zum Ausdruck kommt. Er sagt
hierzu:
"Abs. 1 regelt die Fortzahlung des Arbeitslosengeldes im Krankheitsfall bis zu 6 Wochen unter weitgehender
Übernahme der Regelung des Lohnfortzahlungsgesetzes; für die Arbeitslosenhilfe und das Unterhaltsgeld gilt sie
entsprechend. Abweichend vom Lohnfortzahlungsgesetz soll das Arbeitslosengeld auch bei selbstverschuldeter
Krankheit und bei Wiederholungskrankheiten fortgezahlt werden. Anderenfalls müßte die Krankenkasse – also
lediglich ein anderer Sozialleistungsträger – Krankengeld zahlen. Ein Wechsel des Sozialleistungsträgers bei
Krankheiten von weniger als 6 Wochen soll jedoch vermieden werden.”
Behinderte können, anders als Nichtbehinderte, in der Regel gar nicht die Voraussetzungen für Arbeitslosengeld nach
§ 100 ff. AFG erfüllen. Das schließt auch ein, daß sie wegen ihrer Behinderung häufig auch deshalb im Anschluß an
die Maßnahme gar nicht vermittelt werden können. Der § 105 AFG hat insofern schon eine ganz andere Zielrichtung
und eine andere Zielgruppe im Auge als der § 59 d AFG. Dies zeigt auch, daß der § 105 b erst ab 1.1.1981 in
Ergänzung des § 59 d Abs. 1 für die Arbeitslosengeldempfänger, Arbeitslosenhilfeempfänger und
Übergangsgeldempfänger eingeführt wurde (so auch Henning-Kühl-Heuer, Anm. 3.2 zu § 105 b AFG). Die Tatsache,
daß § 44 Abs. 7 AFG in § 58 Abs. 1 Satz 1 AFG erwähnt ist, läßt nicht den Schluß zu, wie es das Sozialgericht
Wiesbaden getan hat, daß der § 105 b über den § 44 Abs. 7 AFG auch auf Übergangsgeld anwendbar ist. Vielmehr
schließt § 58 Abs. 1 Satz 1 AFG gerade die §§ 41 bis 47 AFG von der Anwendung aus.
Der Anspruch des Beigeladenen auf Übergangsgeld bis 14. Januar 1981 ergibt sich vielmehr aus § 59 d Abs. 2 AFG
und für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit vom 8.1. bis 14.1.1981 aus entsprechender Anwendung des § 59 d Abs. 1.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.
Die Revision wurde zugelassen, da der Senat gem. § 160 Nr. 1 SGG dem Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung
beimißt.