Urteil des LSG Hessen vom 25.11.2004

LSG Hes: rente, auskunft, hessen, erwerbsunfähigkeit, arbeitsmarkt, brief, berufsunfähigkeit, orthopädie, gefährdung, ausführung

Hessisches Landessozialgericht
Beschluss vom 25.11.2004 (rechtskräftig)
Sozialgericht Kassel S 9 RJ 1369/00
Hessisches Landessozialgericht L 2 RJ 928/02
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 27. Juni 2002 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
Die Beteiligten streiten über den Anspruch des Klägers auf Gewährung von Rente wegen verminderter
Erwerbsunfähigkeit.
Der 1955 geborene Kläger absolvierte eine Ausbildung zum Kfz-Schlosser, die er jedoch nicht abschloss. Er war in
der Folgezeit in verschiedenen Berufstätigkeiten beschäftigt, von 1978 an als Baumaschinenführer und als Arbeiter im
Straßenbau bzw. Tiefbau. Im September 1993 wurde er arbeitsunfähig, seit 18. Oktober 1993 ist er arbeitslos. Ein
erster Rentenantrag des Klägers aus dem Jahre 1987 blieb erfolglos (Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 26. Juni
1998). Von Juli 1994 bis Mai 1995 und von März 1996 bis Juni 1997 wurde der Kläger von der Beklagten erfolgreich
umgeschult zum Industriemechaniker.
Im November 1999 beantragte der Kläger erneut die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit
unter Vorlage eines Befundberichts des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. G. vom 31. Oktober 1999. Die Beklagte zog
die Akte des Klägers von der Bau-Berufsgenossenschaft Frankfurt am Main bei und veranlasste eine orthopädische
Begutachtung des Klägers. Der Facharzt für Orthopädie Dr. W. kam im Gutachten vom 11. April 2000 zu dem
Ergebnis, der Kläger sei für die umgeschulte Tätigkeit als Industriemechaniker vollschichtig leistungs- und
arbeitsfähig. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt könne er noch vollschichtig leichte bis mittelschwere Arbeiten in
wechselnder Körperhaltung, ohne Heben und Tragen von schweren Lasten und ohne ständige Überkopfarbeiten
ausführen. Nach Einholung einer Stellungnahme ihrer ärztlichen Beraterin Dr. M. vom 12. April 2000 lehnte die
Beklagte den Rentenantrag mit Bescheid vom 18. April 2000 ab. Den hiergegen gerichteten Widerspruch des Klägers
wies die Beklagte mit Bescheid vom 29. August 2000 zurück. Das Leistungsvermögen des Klägers sei zutreffend
beurteilt worden. Neue medizinische Gesichtspunkte habe der Kläger nicht vorgetragen. Der Kläger könne, selbst
wenn er als Facharbeiter zu beurteilen sei, zumutbar verwiesen werden auf die Tätigkeit eines Poststellenmitarbeiters,
einer Bürohilfskraft, eines Versandfertigmachers, eines Montierers und eines Gerätezusammensetzers. Damit sei der
Kläger nicht berufsunfähig und auch erst recht nicht erwerbsunfähig.
Gegen den Widerspruchsbescheid erhob der Kläger am 20. September 2000 Klage vor dem Sozialgericht Kassel. Er
hielt sein Leistungsvermögen für nicht zutreffend festgestellt und legte hierzu einen Brief des Arztes für Chirurgie I. S.
vom 22. September 2000 vor.
Das Sozialgericht zog die Leistungsakte des Klägers vom Arbeitsamt Korbach bei und erhob Beweis durch die
Einholung eines orthopädischen Gutachtens des Dr. E. vom 28. September 2001. Dieser diagnostizierte bei dem
Kläger eine mäßige konzentrische Dreh- und Kantungsbeeinträchtigung der Halswirbelsäule bei fühlbarer Verhärtung
des rechten Schulterkammes, eine Bereitschaft zu zeitweiligen Rücken- und Kreuzschmerzen bei diskreter
Bandscheibeneinengung links der oberen Hälfte der BWS sowie leichter Bewegungseinschränkung der BWS und LWS
sowie zeitweilige Nervenwurzelreizung L 5 rechts, ein rezidivierendes Reizknie links mit Belastungsempfindlichkeit der
Menisci, eine Belastungsempfindlichkeit des rechten Schultergelenkes bei Sehnenansatzschmerz, einen Zustand
nach Teilamputation der Fingerendgelenke III bis V links. Außerdem erhob er den Verdacht auf ein leichtes
linksseitiges Carpaltunnelsyndrom. Unter Berücksichtigung dessen könne der Kläger sowohl im Sitzen als auch im
Gehen und im Stehen arbeiten. Er könne wechselnde Körperhaltungen einnehmen. Anhaltende Bückbelastungen des
Rumpfes seien nicht zu empfehlen, abzulehnen seien Zwangshaltungen in gebückter und körperverdrehender Haltung.
Hebebelastungen seien möglichst zu vermeiden, eine Einzelleistung erscheine bis gelegentlich 10 kg möglich. Die
Gebrauchsfähigkeit der Hände sei zufriedenstellend. Zu empfehlen sei die Normalschicht, ggf. auch eine Früh- und
Spätschicht im Wechsel. Bedenklich seien Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, Gefährdungen durch Reizstoffe sollten
unterbleiben. Die Tätigkeiten sollten geistig einfacher Art sein. Für überwiegend praktische Arbeiten körperlich leichter
und mittelschwerer Art sei der Kläger uneingeschränkt einsatzfähig. Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit sei
gegeben. In dem angezeigten Umfang könne der Kläger vollschichtig arbeiten. Dies gelte seit Rentenantragstellung.
Die Begutachtung auf einem anderen ärztlichen Fachgebiet werde nicht für erforderlich gehalten. Das Sozialgericht
machte noch eine Auskunft des Landesarbeitsamtes Hessen vom 16. Mai 2000 zum Gegenstand des Verfahrens. Mit
Urteil vom 27. Juni 2002 wies das Sozialgericht die Klage ab. Zur Begründung seiner Entscheidung führte es im
Wesentlichen aus, die Klage sei nicht begründet. Der Kläger habe keinen Anspruch auf die Gewährung einer Rente
wegen Erwerbsunfähigkeit oder Berufsunfähigkeit. Der bisherige Beruf des Klägers sei der eines
Baumaschinenführers im Tiefbau. Den durch Umschulung erlernten Beruf des Industriemechanikers habe er nicht
ausgeübt. Es könne dahingestellt bleiben, ob der Kläger als Facharbeiter einzustufen sei. Nach den getroffenen
Feststellungen könne der Kläger mit qualitativen Einschränkungen noch vollschichtig leichte bis mittelschwere
Arbeiten verrichten. Dies ergebe sich für das Gericht aus dem Gutachten des Dr. E. vom 28. September 2001, dem
sich das Gericht anschließe. Aus dem vom Kläger vorgelegten Brief des Chirurgen I. S. folge keine abweichende
Beurteilung. Eine nennenswert einschränkende funktionelle Beeinträchtigung im Bereich des Handgelenkes habe sich
nicht feststellen lassen. Mit dem festgestellten Leistungsvermögen könne der Kläger seinen bisherigen Beruf nicht
mehr ausüben; er sei jedoch verweisbar auf die Tätigkeit eines Poststellenmitarbeiters oder eines
Versandfertigmachers. Hierbei handele es sich um Tätigkeiten, die tarifvertraglich auf der Ebene von angelernten
Tätigkeiten stünden.
Mit seiner am 26. August 2002 eingelegten Berufung richtet sich der Kläger gegen das ihm am 9. August 2002
zugestellte Urteil. Er vertritt die Auffassung, er sei nicht mehr in der Lage, vollschichtig im Erwerbsleben tätig zu sein.
Insbesondere könne er die Tätigkeiten als Poststellenmitarbeiter oder als Waren- bzw. Versandfertigmacher nicht
mehr verrichten. Sein Leistungsvermögen und die zu beachtenden qualitativen Leistungseinschränkungen stünden mit
den Arbeitsbedingungen der benannten Tätigkeiten nicht in Einklang. Der Kläger hat einen Arztbrief des Facharztes
für Orthopädie Dr. S. vom 21. Januar 2003 vorgelegt und die Einholung eines Gutachtens nach § 109
Sozialgerichtsgesetz (SGG) beantragt, den Kostenvorschuss jedoch nicht eingezahlt.
Der Kläger beantragt (sinngemäß), das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 27. Juni 2002 aufzuheben und die
Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 18. April 2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.
August 2000 zu verurteilen, ihm ab 1. Januar 2000 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise, Rente wegen
Berufsunfähigkeit zu gewähren.
Die Beklagte beantragt (sinngemäß), die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend. Aus dem Arztbrief des Dr. S. vom 21. Januar 2003 sei
nicht zu entnehmen, dass nunmehr eine Entwicklung eingetreten sei, die das Leistungsvermögen des Klägers
quantitativ herabsetze. Der Kläger könne außerdem noch als Montierer oder Gerätezusammensetzer in der Metall
verarbeitenden oder elektronischen Industrie tätig sein. Auch sei er einsatzfähig als Telefonist oder Bürokraft.
Der Senat hat eine Auskunft der Bundesagentur für Arbeit, Regionaldirektion Hessen, vom 3. September 2004
eingeholt und Auskünfte der Hessen-Metall vom 17. Juni 1996 und 28. Januar 1997 zum Gegenstand des Verfahrens
gemacht. Weiter hat der Senat die Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 SGG gehört.
Wegen der Einzelheiten im Übrigen wird auf die Gerichts- und Rentenakten, die vorgelegen haben, Bezug genommen.
Der Senat konnte gemäß § 153 Abs. 4 Satz 1 SGG durch Beschluss ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter
entscheiden, da er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich
hielt.
Die zulässige Berufung ist sachlich unbegründet.
Das Sozialgericht hat mit dem angefochtenen Urteil zu Recht entschieden, dass der Kläger keinen Anspruch auf die
Gewährung von Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit hat und auch nach dem seit 1. Januar 2001 geltenden
Erwerbsminderungsrecht nicht die Zahlung einer Rente verlangen kann. Der Senat bezieht sich gemäß § 153 Abs. 2
SGG auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils, denen er sich anschließt. Das Sozialgericht hat den
bisherigen Beruf des Klägers und sein Leistungsvermögen zutreffend festgestellt. Der Befundbericht des Dr. S. vom
21. Januar 2003 beschreibt keine Gesundheits- und Funktionsstörungen von rentenrelevantem Ausmaß. Die
angegebenen Beschwerden wurden bereits im Gutachten des Dr. E. vom 28. September 2001 berücksichtigt. Der
Senat hält den Gesundheitszustand und das Leistungsvermögen des Klägers damit für geklärt und weitere
medizinische Ermittlungen nicht für erforderlich. Das Leistungsvermögen des Klägers reicht nach den vom Senat
getroffenen Feststellungen aus, noch vollschichtig leichte bis mittelschwere Arbeiten geistig einfacher Art in
wechselnder Körperhaltung zu verrichten. Nicht zugemutet werden können dem Kläger Arbeiten in Zwangshaltung,
das Heben von mehr als 5 kg, das Steigen auf Leitern und Gerüsten und die Gefährdung durch Reizstoffe. Zwar kann
der Kläger mit dem ihm verbliebenen gesundheitlichen Leistungsvermögen seinen bisherigen Beruf als
Baumaschinenführer nicht mehr verrichten. Er kann außerdem nicht mehr eingesetzt werden im Beruf des
Industriemechanikers, für den er erfolgreich umgeschult worden ist. Gleichwohl ist der Kläger nicht berufsunfähig.
Denn er ist noch einsatzfähig z.B. als Montierer in der Metall- und Elektroindustrie, wie die Bundesagentur in der
Auskunft vom 3. September 2004 ausgeführt hat. Diese Tätigkeit wird nach der Lohngruppe 4 des Metalltarifvertrages
entlohnt. Die Lohngruppe 4 erfasst Arbeiten zu deren Ausführung die erforderlichen Kenntnisse durch Anlernen
erworben sind. Die Anlernzeit für eine Einstufung in die Lohngruppe 4 beträgt regelmäßig 6 Monate, wie sich aus der
Auskunft der Hessen-Metall vom 17. Juni 1996 ergibt. Damit gehören die Arbeiten der Lohngruppe 4 zu den
Anlerntätigkeiten, auf die auch ein Facharbeiter grundsätzlich verwiesen werden kann. Zwar kommt die Verweisung
nur auf eine Tätigkeit in Betracht, die der Versicherte nach einer Einweisungs- bzw. Einarbeitungszeit von längstens
drei Monaten Dauer vollwertig verrichten kann, diese Voraussetzung wird jedoch von dem Kläger erfüllt. Der Kläger
könnte die Tätigkeit eines Montierers in der Metall- oder Elektroindustrie unter Berücksichtigung seiner früheren
Berufstätigkeiten bzw. seines Umschulungsberufes bereits nach einer Anlernzeit von 6 – 8 Wochen verrichten, denn
diese Tätigkeit ist im Verhältnis zu den früheren Tätigkeiten des Klägers bzw. zu seinem Umschulungsberuf als
berufsnah anzusehen (vgl. auch Auskunft der Hessen-Metall, a.a.O.). Arbeitsplätze für die Tätigkeit des Montierers in
der Metall- und Elektroindustrie stehen nach der Auskunft der Bundesagentur für Arbeit auf dem allgemeinen
Arbeitsmarkt der Bundesrepublik Deutschland in nennenswertem Umfang zur Verfügung. Aus alledem folgt, dass der
Kläger schon nicht berufsunfähig ist. Die Berufung musste somit erfolglos bleiben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, da es an den Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG
fehlt.