Urteil des LSG Hessen vom 03.09.2007
LSG HES: verfassungskonforme auslegung, gemeinnützige arbeit, konzept, alter, ausschluss, arbeitsmarkt, hessen, verfügung, unterkunftskosten, sozialarbeiter
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Gericht:
Hessisches
Landessozialgericht
9. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 9 AS 54/07
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Gießen
vom 12. Januar 2007 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt im vorliegenden Rechtsstreit Leistungen zur Grundsicherung
für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für die Zeit
vom 01.01.2005 bis zum 31.03.2006.
Der Kläger wurde am 03.07.2003 im Hilfeverbund Wohnen und Arbeit (HWA)
aufgenommen und verblieb dort bis zum 31.03.2006. Seit dem 01.04.2006
befindet er sich in ambulanter Betreuung des HWA. Es handelt sich bei dem HWA
um eine gemeinnützige Gesellschaft für soziale Dienste der Arbeiterwohlfahrt,
Stadtkreis G mbH. Die Einrichtung verfügt über 85 Plätze und bietet einen
Aufenthalt bei Tag und Nacht. Die Bewohner leben in Einzelzimmern oder kleinen
Appartements, die in der Einrichtung zur Verfügung gestellt werden. Es gibt
Gemeinschaftsverpflegung in einem Speisesaal, auf Wunsch ist in den
Nebenhäusern auch Selbstverpflegung möglich. Ebenso sind Aufenthaltsräume
vorhanden. Den Bewohnern wird ein Barbetrag und eine Bekleidungspauschale
gezahlt. Nach der Gesamtkonzeption ist es das Ziel des HWA, Klienten, die
aufgrund ihrer besonderen sozialen Schwierigkeiten nicht in der Lage sind,
selbständig und eigenverantwortlich zu leben, Betreuung und auf den persönlichen
Hilfebedarf zugeschnittene Hilfen in sämtlichen Lebensbereichen anzubieten und
die Hilfeempfänger dadurch zu befähigen, im Laufe der Zeit wieder ein
unabhängiges Leben zu führen.
Der Kläger wurde ausweislich des Aufnahmeantrags wegen folgender Problematik
in die Einrichtung aufgenommen: erhebliche Schuldenproblematik,
Vorstrafen/Bewährungsaufsicht, Suchtabhängigkeit, keinerlei soziale Bindungen,
keine ausreichende Unterkunft, Arbeitslosigkeit. Der Beigeladene zu 2. bewilligte
sodann Leistungen nach § 72 BSHG. Unter dem 22.07.2003 vereinbarten der
Kläger und der HWA einen Hilfeplan für die stationäre Maßnahme nach § 72 BSHG,
wonach der HWA ein Einzelzimmer und Vollverpflegung bereitstellen und im
Einzelnen aufgeführte Hilfen in verschiedenen Bereichen (Hilfen bei der
Inanspruchnahme des medizinischen Hilfssystems, Hilfen im Bereich Bildung und
Arbeit, bei finanziellen Angelegenheiten und im Umgang mit Institutionen) leisten
sollte. Wegen des genauen Inhalts wird auf den Hilfeplan vom 22.07.2003 Bezug
genommen.
Am 09.12.2004 beantragte der Kläger bei der Beklagten Leistungen nach dem
SGB II. Mit Bescheid vom 02.02.2005 wurde zunächst eine monatliche
Regelleistung in Höhe von 310,50 € für die Zeit vom 01.01.2005 bis zum
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Regelleistung in Höhe von 310,50 € für die Zeit vom 01.01.2005 bis zum
02.04.2005 bewilligt und zugleich eine monatliche Kostenbeteiligung von 190,30 €
festgesetzt. Mit Bescheid vom 17.03.2005 wurde der zuvor genannte Bescheid
teilweise aufgehoben und die monatliche Regelleistung auf 345,– € festgesetzt,
wobei die Nachzahlung in Höhe von 126,50 € für den Zeitraum vom 01.01.2005 bis
zum 02.04.2005 an den Beigeladenen zu 1. erfolgen sollte. Gegen diesen
Bescheid legte der Kläger Widerspruch ein mit der Begründung, es fehlten die
Kosten für Unterkunft und Heizung und im Übrigen sei die Leistungsbefristung bis
zum 02.04.2005 fehlerhaft. Hinsichtlich der Unterkunftskosten erfolgte später mit
Bescheid vom 20.02.2006 eine Abhilfe. Mit Schreiben vom 11.04.2005 wies die
Techniker Krankenkasse die Beklagte darauf hin, dass der Kläger nach den
dortigen Unterlagen nicht die Voraussetzungen für den Bezug von
Arbeitslosengeld II erfülle, da er nicht erwerbsfähig sei. Die Beklagte sah dieses
Schreiben durch die ausgesprochene Befristung als erledigt an und wies den
Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 20.12.2005 mit der
Begründung zurück, der Kläger sei für länger als 6 Monate bei dem HWA und damit
in einer stationären Einrichtung untergebracht, weshalb gemäß § 7 Abs. 4 SGB II
ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II ausscheide. Dagegen hat der Kläger
rechtzeitig am 13.01.2006 Klage bei dem Sozialgericht erhoben.
Zur Begründung hat der Kläger ausgeführt, er sei erwerbsfähig, denn er sei mehr
als 3 Stunden täglich arbeitsfähig und auch arbeitswillig. Bei den ihm gewährten
Hilfen handele es sich nicht um eine Therapie, es bestehe daher auch kein
Therapiekonzept, sondern ein individueller Hilfeplan. Die Einrichtung trage auch
keine Verantwortung für die tägliche Lebensführung, insbesondere bestehe nicht
für alle Bewohner eine verbindliche Tagesstruktur.
Der Beigeladene zu 1. ist dagegen der Meinung, eine stationäre Einrichtung liege
nicht vor, da es insgesamt keine allgemein verbindliche Tagesstruktur gebe.
Der Beigeladene zu 2., der LWV, hat ebenfalls die Auffassung vertreten, es
handele sich bei dem HWA um eine stationäre Einrichtung und verweist dabei auf
eine allgemeine Stellungnahme zum Status von Einrichtungen nach den §§ 67 ff.
SGB XII. Dennoch schließe im Falle des Klägers § 7 Abs. 4 SGB II Leistungen nach
dem SGB II nicht aus, da es sich nur um eine gesetzliche Fiktion der
Nichterwerbsfähigkeit handele. Sei ein Hilfeempfänger – wie hier – eindeutig
erwerbsfähig, so spiele der Ausschluss keine Rolle.
Das Sozialgericht hat am 12.01.2007 eine mündliche Verhandlung durchgeführt, in
die Verhandlung wurde das Protokoll einer mündlichen Verhandlung in
Parallelrechtsstreitigkeiten vom 01.12.2006 eingeführt, in deren Rahmen der
Sozialarbeiter R K vom HWA als Zeuge vernommen worden war. Wegen des
Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die zum hiesigen Protokoll genommene
Sitzungsniederschrift verwiesen.
Mit Urteil vom 12.01.2007 ist die Beklagte verurteilt worden, unter Aufhebung des
Bescheids vom 17.03.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.12.2005
und des Bescheids vom 20.02.2006 dem Kläger Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhaltes nach dem SGB II ab 01.01.2005 in gesetzlicher Höhe zu
bewilligen.
Das Sozialgericht ist dabei davon ausgegangen, dass der Hilfeverbund Wohnen
und Arbeit nicht als stationäre Einrichtung i.S.d. § 7 Abs. 4 SGB II angesehen
werden könne. Die Einrichtung beschränke sich im Wesentlichen darauf, den
Bewohnern eine Unterkunft und eine Essensmöglichkeit zu gewähren sowie bei
Bedarf Betreuung in mannigfaltiger Weise zu leisten. Die Bewohner der Einrichtung
seien aber nicht typischerweise nicht erwerbsfähig. Die Zeugenaussage habe
ergeben, dass ca. die Hälfte der 85 Bewohner 6 Stunden täglich angebotene
Arbeiten verrichten könnten, auch hinsichtlich der übrigen Bewohner sei weder
vorgetragen noch ersichtlich, dass diese nicht erwerbsfähig seien. Regelmäßig
seien sogar 2 bis 3 Bewohner in einem sozialversicherungspflichtigen
Beschäftigungsverhältnis angestellt. Bei dieser Sachlage lägen die
Anspruchsvoraussetzungen nach § 7 Abs. 1 SGB II für Leistungen nach dem SGB II
für den Kläger vor.
Gegen dieses am 24.01.2007 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit am
07.02.2007 eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese damit
begründet, dass auch der Hilfeverbund Wohnen und Arbeit selbst davon ausgehe,
eine stationäre Einrichtung zu betreiben. Vergleichbare Einrichtungen seien auch
schon von anderen Landessozialgerichten als Einrichtung i.S.d. § 7 Abs. 4 SGB II
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schon von anderen Landessozialgerichten als Einrichtung i.S.d. § 7 Abs. 4 SGB II
bewertet worden. Im Übrigen habe auch der LWV Hessen die Einrichtung als
vollstationäre Einrichtung anerkannt und eine Vergütungsvereinbarung
abgeschlossen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 12. Januar 2007 aufzuheben und die
Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger trägt im Berufungsverfahren vor, der Hilfeverbund Wohnen und Arbeit
sei eine vollstationäre Einrichtung, wie sich auch aus der Stellungnahme des
Landeswohlfahrtsverbandes ergebe. Es handele sich jedoch nicht um eine
stationäre Einrichtung i.S.d. § 7 Abs. 4 SGB II. Die Einrichtung sei nämlich so
organisiert, dass sie den sich dort aufhaltenden Personen Freiraum für
eigenverantwortliches Handeln und aktive Hilfestellung zum Auffinden eines
regulären Arbeitsplatzes gebe. Die Struktur der Einrichtung stehe einer Tätigkeit
auf dem regulären Arbeitsmarkt auch nicht entgegen, sondern fördere eine solche
eher noch.
Auch der Landeswohlfahrtsverband bleibt im Berufungsverfahren bei seiner
Auffassung, der HWA sei eine vollstationäre Einrichtung, allerdings könne der
Ausschluss des § 7 Abs. 4 SGB II aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht
durchgreifen.
Der in der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren nicht vertretene
Landeswohlfahrtsverband hat schriftsätzlich keinen Antrag angekündigt.
Der Beigeladene zu 1. pflichtet dem Urteil des Sozialgerichts bei und bleibt bei
seiner Meinung, der HWA sei keine stationäre Einrichtung.
Der Beigeladene zu 1. hat keinen Antrag gestellt.
Der Senat hat am 03.09.2007 eine mündliche Verhandlung in den Räumlichkeiten
des HWA im F 8 in G durchgeführt. Dabei wurde die Einrichtung in Augenschein
genommen und der Einrichtungsleiter, der Zeuge G, als sachverständiger Zeuge
vernommen. Der Kläger war persönlich anwesend und hat sich zur Sache
geäußert. Wegen des Ablaufs der mündlichen Verhandlung und des Ergebnisses
der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
Gerichtsakte sowie die beigezogenen Behördenakten (2 Bände) Bezug
genommen, die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung
gemacht wurden.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte verhandeln und entscheiden, obwohl der Beigeladene zu 2. im
Termin nicht vertreten war, da er rechtzeitig und ordnungsgemäß geladen worden
war und durch seine kurzfristig erkrankte Terminsvertreterin telefonisch hat
mitteilen lassen, dass trotz ihrer Abwesenheit verhandelt und entschieden werden
könne.
Die form- und fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegte sowie auch ansonsten
statthafte Berufung der Beklagten (§§ 143, 144 SGG) hat Erfolg.
Das Sozialgericht hat in dem angegriffenen Urteil die Beklagte zu Unrecht
verurteilt, unter Aufhebung ihres Bescheids vom 17.03.2005 in Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 20.12.2005 und des Bescheids vom 20.02.2006 dem
Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ab
01.01.2005 in gesetzlicher Höhe zu bewilligen.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Leistungen gemäß § 7 Abs. 1 SGB II für den
streitigen Zeitraum vom 01.01.2005 bis zum 31.03.2006.
Für die Monate Januar bis Anfang April 2005 (vom 01.01.2005 bis zum 02.04.2005)
gilt dies schon deshalb, weil der Kläger in dieser Zeit Leistungen nach dem SGB II
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gilt dies schon deshalb, weil der Kläger in dieser Zeit Leistungen nach dem SGB II
erhalten hatte und diese nachträglich sogar durch den Bescheid vom 20.02.2006
hinsichtlich der Unterkunftskosten aufgestockt worden waren. Bereits in erster
Instanz ist aber der Antrag ab dem 01.01.2005 gestellt worden, so dass auch
dieser gesamte Zeitraum im Berufungsverfahren weiter streitbefangen ist und die
Berufung für die genannte Zeit schon deshalb erfolgreich war, weil der Kläger
insofern nicht beschwert ist.
Aber auch für den restlichen streitigen Zeitraum bis zum 31.03.2006 war das Urteil
des Sozialgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen, denn ein Anspruch des
Klägers ist im vorliegenden Fall durch § 7 Abs. 4 SGB II ausgeschlossen.
Die genannte Vorschrift bestimmte in der hier heranzuziehenden und auch vom
Sozialgericht zugrunde gelegten, bis zum 31.07.2006 gültigen Fassung, dass keine
Leistungen nach diesem Buch (SGB II) erhält, wer für länger als 6 Monate in einer
stationären Einrichtung untergebracht ist oder Rente wegen Alters bezieht.
Es kann dabei vorliegend dahingestellt bleiben, ob § 7 Abs. 4 SGB II in der hier
maßgeblichen Fassung verfassungsgemäß war. Entsprechende Zweifel sind im
vorliegenden Verfahren unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 Abs. 1 GG von dem
Beigeladenen zu 2. geäußert worden. Zweifel an dem Sinn der Vorschrift tauchen
auch an anderer Stelle auf, weil es sinnlos sei, unstreitig erwerbsfähige Personen
mit Hilfebedarf bei der Arbeitsmarktintegration von SGB II-Leistungen
auszuschließen, weil sie mit Aufenthalt in einer stationären Einrichtung als
erwerbsunfähig gelten (vgl. Gutachten von Münder, Bl. 185 ff. der Akte L 9 AS
50/07, veröffentlicht unter dem Titel "Stationäre Einrichtungen im Sinne des § 7
Abs. 4 SGB II" in SGb 1/07, S. 1 ff. zusammen mit Geiger). Gegebenenfalls hätte
eine verfassungskonforme Auslegung der ausgelaufenen Vorschrift im Sinne des
durch das Fortentwicklungsgesetz geänderten und seit 01.08.2006 gültigen § 7
Abs. 4 SGB II zu erfolgen. Die nunmehr gültige Fassung der Vorschrift ermöglicht
erwerbsfähigen Personen den Zugang zu SGB II-Leistungen, wenn diese
tatsächlich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts
mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig sind. Ausweislich der Aktenlage
ist eine Beschäftigung des Klägers zu diesen Bedingungen nicht zu verzeichnen.
Soweit er im Rahmen einer Bewährungsauflage 300 Stunden gemeinnützige Arbeit
abgeleistet hat, handelt es sich jedenfalls nicht um eine Beschäftigung im Rahmen
des regulären Arbeitsmarkts. Dadurch erübrigt sich eine Untersuchung
dahingehend, ob der Kläger erwerbstätig hätte sein können.
Für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits ist deshalb allein
ausschlaggebend, ob die Einrichtung "Hilfeverbund Wohnen und Arbeit" (HWA) als
stationäre Einrichtung zu qualifizieren ist. Dies ist aufgrund der
Augenscheinnahme und der erfolgten Beweisaufnahme sowie der Erklärungen der
Beteiligten im Termin zur mündlichen Verhandlung am 03.09.2007 zu bejahen.
Auszugehen ist dabei von der klassischen Definition einer stationären Einrichtung,
wie sie das Bundesverwaltungsgericht in einer grundlegenden Entscheidung zu §
100 Abs. 1 BSHG geprägt hat (vgl. BVerwGE 95, 149 ff.). Danach ist unter einer
stationären Einrichtung eine auf Dauer angelegte Kombination von sächlichen und
personellen Mitteln zu verstehen, die zu einem besonderem Zweck und unter der
Verantwortung eines Trägers zusammen gefasst wird und die für einen größeren
wechselnden Personenkreis bestimmt ist. Der Einrichtungsbegriff ist grundsätzlich
erfüllt, wenn neben der Vollunterbringung der Einrichtungsträger von der
Aufnahme des Hilfeempfängers bis zu dessen Entlassung nach Maßgabe des
angewandten Therapiekonzepts die Gesamtverantwortung für die tägliche
Lebensführung des Hilfeempfängers übernimmt und Gemeinschaftseinrichtungen
vorhanden sind. Diese Definition ist auch in der Sozialgerichtsbarkeit ausdrücklich
übernommen worden (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 13.03.2006 –
L 13 AS 4377/05 ER B; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 22.02.2007 – L 8
AS 53/06).
Legt man diesen Einrichtungsbegriff zugrunde, ist der HWA als stationäre
Einrichtung anzusehen. Auch die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts
erging für einen Hilfesuchenden, der in einer sozialtherapeutischen
Außenwohngruppe Hilfe nach § 72 BSHG erhalten hatte, wie dies beim Kläger auch
vor dem 01.01.2005 der Fall war.
Das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner Entscheidung dargelegt, dass der
Hilfesuchende nach einem Konzept untergebracht sei, bei dem ein
sozialtherapeutisch begleitetes Wohnen bei regelmäßiger, wenn auch
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sozialtherapeutisch begleitetes Wohnen bei regelmäßiger, wenn auch
unterschiedlich intensiver Betreuung durch die Mitarbeiter der Einrichtung mit dem
Ziel erfolge, den Hilfeempfänger zu selbständiger und selbstbestimmter
Lebensgestaltung zu befähigen. Solange dieses Therapieziel noch nicht erreicht
sei, habe die Verantwortung für die tägliche Lebensgestaltung des Hilfesuchenden
bei dem Sozialzentrum gelegen, das auch begleitende Kontrollen wahrgenommen
habe. Das Vorliegen einer stationären Einrichtung könne auch nicht deshalb
verneint werden, weil die Betreuungsleistungen des Sozialzentrums in nicht
unerheblichem Umfang am Tage in Ansprechbereitschaft und abends und in der
Nacht in Rufbereitschaft der Mitarbeiter der Einrichtung bestanden habe, denn
diese Leistungen seien selbst Bestandteil des vom Einrichtungsträger praktizierten
Therapiekonzepts, wonach dem Hilfesuchenden der erforderliche psychologische
Rückhalt im Prozess des Selbständigwerdens vermittelt werden solle.
Diese beschriebene Situation trifft nach den vom Senat gewonnenen
Erkenntnissen exakt auf die Einrichtung HWA zu. Selbst wenn der Zeuge G
bekundet, er empfinde den Begriff "Therapiekonzept" als nicht zutreffend, da die
Bewohner weder krank noch behindert seien, so zeigen aber seine nachfolgenden
Ausführungen, dass die gesamte Einrichtung durchaus auf einem übergreifenden
Konzept beruht, das lediglich in den einzelnen Hilfeplänen individuell auf die
Bedürfnisse des jeweiligen Hilfeempfängers angepasst wird. Es wird danach
versucht, mit sozialarbeiterischen Mitteln die Betreuung der Klienten zu
gewährleisten, wobei man bestrebt ist, im Dialog mit den pädagogischen
Mitarbeitern die gesteckten Ziele zu erreichen. Der Klient erklärt mit der Aufnahme
seine Bereitschaft, an der Überwindung seiner besonderen sozialen
Schwierigkeiten aktiv mitzuarbeiten. Wenn ein Klient seine Mitarbeit verweigert und
sich der Hilfen entzieht, wird die gesamte Maßnahme abgebrochen. Die Hilfen
bestehen in der Betreuung durch die Mitarbeiter mit unterschiedlicher Intensität.
Bei schweren und krisenhaften Fällen kann die Betreuung mehrere Stunden täglich
bis zu 8 Stunden und über Tage hinweg andauern, während eine geringe
Betreuung bei fortgeschrittenen Klienten nur etwa einmal pro Woche erfolgt. Die
Häufigkeit der Hilfen kann nicht pauschal ausgedrückt werden, insofern hat der
Zeuge G erklärt, es gebe durchaus auch "Wellenbewegungen". Unter Umständen
könne ein großer Hilfebedarf auch erst nach längerer Zeit oder erst zum Auszug
entstehen, während umgekehrt immer wieder auch eine Phase des "In-
Ruhelassens" erforderlich sein könne. Für die Klienten, die geringere Betreuung
benötigten, böten im Übrigen die alle 10 Tage stattfindenden Auszahlungen der
Barbeträge eine Möglichkeit, die Klienten zu sehen und gegebenenfalls Probleme
anzugehen. Im Übrigen seien auch immer ca. 20 Bewohner in dem von der
Einrichtung betriebenen Arbeitsprojekt in unterschiedlichen Bereichen beschäftigt.
Diese Beschäftigung erfordere die regelmäßige Anwesenheit des Hilfeempfängers,
die wöchentliche Stundenzahl und die verschiedenen Arbeitsangebote seien
hinterlegt, wenn jemand mehrfach seiner Tätigkeit nicht nachkomme, werde diese
einem anderen Klienten angeboten. Es bestehe außerdem die Verpflichtung, sich
im Arbeitsprojekt auch bei einem nur eintägigen Fernbleiben abzumelden,
außerdem müssen sich die Klienten, die die Einrichtung mehrere Tage verlassen
wollten, ebenfalls abmelden.
Die Ausführungen des Zeugen G, die dieser überzeugend vorgebracht hat,
entsprechen auch den Angaben, die ein Sozialarbeiter, der Zeuge K, in der
mündlichen Verhandlung in der 1. Instanz gemacht hat (vgl. insoweit
beigezogenes Protokoll vom 1.12.2006). Auf die nochmalige Einvernahme des
Zeugen wurde allseits verzichtet.
Die Gesamtschau der Angaben zeigt, dass das Ziel der Einrichtung nicht nur – wie
das Sozialgericht meint – darin besteht, den Bewohnern eine Unterkunft und eine
Essensmöglichkeit zu gewähren sowie bei Bedarf Betreuung in verschiedener
Weise. Vielmehr ist klar erkennbar, dass hinter der Arbeit in der Einrichtung ein
sozialpädagogisches Konzept steht, das zwar so angelegt ist, dass den Klienten
eine größtmögliche Freiheit gewährt wird, da sie ja wieder an eine selbständige und
eigenverantwortliche Lebensgestaltung herangeführt werden sollen, andererseits
aber verschiedene tagesstrukturierende Maßnahmen und vor allen Dingen die
Betreuungsangebote rund um die Uhr sicherstellen, dass die Klienten,
insbesondere bei Suchtproblematik, stets aufgefangen werden. Der Eindruck bei
der Ortsbegehung war auch so, dass für den Senat offenkundig war, dass die
angetroffenen Hilfeempfänger noch der mannigfaltigen Hilfe bedürfen.
Daneben weist auch die räumliche Situation auf eine stationäre Einrichtung hin.
Die Klienten sind entweder in Einzelzimmern untergebracht, Dusche und WC
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Die Klienten sind entweder in Einzelzimmern untergebracht, Dusche und WC
befinden sich für ca. 5 Zimmer jeweils auf dem Flur. Weiterhin gibt es kleine
Appartements mit eigener Küche und Bad, die von 2 bis 3 Personen genutzt
werden. Es gibt Gemeinschaftsverpflegung in einem Speisesaal, die auch die
Klienten in den kleinen Appartements in Anspruch nehmen können, sofern sie sich
nicht selbst verpflegen wollen. Außerdem existiert ein gesonderter
Aufenthaltsraum mit Fernsehmöglichkeit. Die Wäsche wird zentral gewaschen, dies
gilt auf Wunsch auch für die Appartement-Nutzer. Es handelt sich bei der
Wäscherei ebenfalls um eine Beschäftigungsmöglichkeit im Rahmen des
Arbeitsprojekts.
Demgegenüber gibt es für fortgeschrittene Klienten die Möglichkeit, in
benachbarten regulären Mietshäusern, die demselben Träger gehören, im Rahmen
des betreuten Wohnens ambulant nachbetreut zu werden. Eine Abgrenzung zum
stationären Bereich ist also auch rein optisch nachvollziehbar.
Darüber hinaus spricht für das Vorliegen einer stationären Einrichtung, dass die
Einrichtung bereits in den 70-er Jahren vom Landeswohlfahrtsverband H als
stationäre Einrichtung für Hilfen nach § 72 BSHG anerkannt worden ist. Die
Einrichtung ist im Übrigen seit dem Jahre 2003 zertifiziert nach DIN ISO 9000.
Der somit als stationäre Einrichtung einzustufende HWA ist auch als stationäre
Einrichtung im Sinne von § 7 Abs. 4 SGB II sowohl alter als auch neuer Fassung
anzusehen.
Ziel von § 7 Abs. 4 SGB II sowohl alter als auch neuer Fassung ist nach der
gesetzgeberischen Konzeption letztlich, dass diejenigen Personen Hilfe nach dem
SGB II nicht bekommen sollen, bei denen die Leistungen ins Leere gehen würden,
weil sie aufgrund ihrer persönlichen Situation der Konzeption des Förderns und
Forderns gar nicht nachkommen könnten. Die Richtigkeit dieser Sichtweise wird
dadurch belegt, dass der Leistungsausschluß auch für solche Personen gilt, die
Rente wegen Alters beziehen und damit aus dem Erwerbsleben ausgeschieden
sind. Die Herausnahme von Personen, die in einer stationären Einrichtung
untergebracht sind, erfolgt letztlich unter demselben Gesichtspunkt. Es ist nämlich
davon auszugehen, dass eine Person, die sich in einer stationären Einrichtung
befindet, dem regulären Arbeitsmarkt nicht zu den üblichen Bedingungen zur
Verfügung steht, sei es, weil der Tagesablauf so gestaltet ist, dass die Person dem
üblichen Instrumentarium des Forderns und Förderns gar nicht nachkommen
könnte, oder sei es, weil die Person aufgrund der Problematik, wegen derer sie sich
in der Einrichtung befindet, einen normal strukturierten Arbeitstag (z. B. wegen
Suchtproblematik) gar nicht durchstehen könnte. Auch die im Rahmen des SGB II
angebotenen Maßnahmen zur Wiedereingliederung in das Arbeitsleben erfordern,
dass eine Person überhaupt in der Lage ist, pünktlich morgens zu erscheinen und
einen ganzen Tag durchzuhalten.
Die Vorschrift des § 7 Abs. 4 SGB II ist deshalb sowohl nach alter als auch nach
neuer Fassung so gestaltet worden, dass Personen, die in stationären
Einrichtungen untergebracht sind, vom Leistungsbezug nach diesem Buch
grundsätzlich ausgeschlossen bleiben. Der zuvor bestehenden Problematik, dass
Personen, die – wie der Kläger – länger als 6 Monate in der stationären Einrichtung
untergebracht waren, auch bei fortschreitendem Therapieerfolg von den Hilfen
nach dem SGB II ausgeschlossen waren, ist – wie bereits ausgeführt – durch die
Neufassung der Vorschrift in der Weise begegnet worden, dass der Gegenbeweis
zur vermuteten Nichterwerbsfähigkeit dadurch erbracht werden kann, dass eine
Person unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts
mindestens 15 Stunden in der Woche erwerbstätig ist. Damit sollte bewirkt werden,
dass die langwierige und schwierige Feststellung, ob im Einzelfall Erwerbsfähigkeit
vorliegt, entfällt (siehe BT-Drucks. 16/1410, S. 20).
Für die vorliegende Fallkonstellation bedeutet dies, dass die Vorschrift des § 7 Abs.
4 SGB II a. F. im Lichte dieser gesetzgeberischen Überlegungen auszulegen ist.
Der Gesetzgeber hat nämlich durch die Neufassung einerseits zuvor bestehende
verfassungsrechtliche Bedenken ausgeräumt, andererseits aber auch die Grenzen
für Hilfen nach dem SGB II für Personen, die in stationären Einrichtungen
untergebracht sind, genau gezogen. Dies geschah offenbar aus
Praktikabilitätsgründen, denn eine andere Handhabung würde dazu führen, dass
die Hilfebedürftigen in einer stationären Einrichtung praktisch ständig dahingehend
überprüft werden müssten, ob sie durch Therapiefortschritt eine Erwerbsfähigkeit
im Sinne von § 8 SGB II erreicht haben, bzw. ob eine solche bei Rückfällen wieder
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im Sinne von § 8 SGB II erreicht haben, bzw. ob eine solche bei Rückfällen wieder
verloren gegangen ist. Dies wäre kaum durchführbar und würde die Einrichtung
überfordern. Im Übrigen würde ein solches Verständnis der Vorschrift des § 7 Abs.
4 SGB II dazu führen, dass dieselbe Einrichtung einmal als stationäre und einmal
als nicht stationäre Einrichtung anzusehen wäre, je nachdem, welcher
Hilfebedürftige zu welcher Zeit in dem jeweiligen Zustand einer Überprüfung
zugeführt wird (vgl. dazu auch LSG Niedersachsen-Bremen, a.a.O.).
Für den vorliegenden Fall verbleibt es damit bei dem Ausschluss von SGB II-
Leistungen für den Kläger nach § 7 Abs. 4 SGB II a. F. Der Kläger hat sich weit über
6 Monate lang in der Einrichtung des HWA aufgehalten und ist während dieser Zeit
mit seiner Therapie nicht so weit vorangeschritten, dass ihm die Aufnahme einer
regulären Arbeit auf dem freien Arbeitsmarkt unter den üblichen Bedingungen des
allgemeinen Arbeitsmarktes gelungen wäre. Im Gegenteil ist unter dem
31.03.2005 vermerkt, der Kläger habe seine Abstinenz nur für kurze Zeit
aufrechterhalten können und habe sein Zimmer im "Trockendock" räumen
müssen, weil er erneut rückfällig geworden sei. Dies zeigt, dass es der Kläger
seinerzeit nicht geschafft hat, den Schritt weg von der stationären Einrichtung hin
zu einer weitgehenden Selbständigkeit vorzunehmen. Gerade die Tatsache, dass
der Kläger therapieabhängig in ein anderes Zimmer bzw. in einen anderen
Wohntrakt verlegt wurde, zeigt auch für den konkreten Fall, dass der Kläger im
streitigen Zeitraum des Schutzes der Einrichtung bedurfte, die letztlich die
Gesamtverantwortung für die tägliche Lebensführung entsprechend dem
individuellen Hilfeplan getragen hat (LSG Baden-Württemberg, a.a.O.). Erst zum
01.04.2006 hatte sich der Kläger so weit stabilisiert, dass er umziehen konnte und
nunmehr im Rahmen des betreuten Wohnens weiter betreut wird.
Dass bei fortgeschrittenem Therapieerfolg im Übrigen auch Personen in
stationären Einrichtungen Leistungen der Arbeitsförderung von der Bundesagentur
für Arbeit oder gegebenenfalls auch durch die Beklagte erhalten können, ergibt
sich aus den allgemeinen Vorschriften des 1. Kapitels des SGB III. Dadurch kann
letztlich das Therapieziel der Selbständigkeit gefördert und die Aufnahme einer
versicherungspflichtigen Beschäftigung erreicht werden. Dies ist jedoch nur
möglich, wenn die Zeit für solche Maßnahmen reif ist, was vorliegend bei dem
Kläger im streitbefangenen Zeitraum nicht der Fall war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nrn. 1
und 2 SGG nicht vorliegen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.