Urteil des LSG Hessen vom 09.05.2006
LSG Hes: krankenversicherung, freiwillige versicherung, mitgliedschaft, krankenkasse, erlass, amt, stadt, gefahr, zivilprozessordnung, versicherungspflicht
Hessisches Landessozialgericht
Beschluss vom 09.05.2006 (rechtskräftig)
Sozialgericht Wiesbaden S 17 KR 198/05 ER
Hessisches Landessozialgericht L 8 KR 30/06 ER
Die Beschwerde des Antragstellers und Beschwerdeführers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Wiesbaden vom
10. Januar 2006 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe:
I.
Das Verfahren betrifft die Frage der Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung nach Beendigung des
Bezugs von Arbeitslosengeld.
Der Antragsteller war zuletzt in der Zeit vom 1. März 2005 bis 1. August 2005 über den Bezug von Arbeitslosengeld
bei der Antragsgegnerin in der Krankenversicherung pflichtversichert. Der Bezug von Arbeitslosengeld endete am 1.
August 2005. Am 28. Juli 2005 beantragte er bei dem Magistrat der Landeshauptstadt A-Stadt - Amt für Soziale Arbeit
- Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ("Arbeitslosengeld II"). Den Antrag lehnte diese Behörde mit
Bescheid vom 26. Oktober 2005 ab, weil das Einkommen der Lebensgefährtin des Antragstellers ausreiche, den
Lebensunterhalt beider zu finanzieren.
Am 11. November 2005 beantragte der Antragsteller im Beratungscenter der Antragsgegnerin den Beitritt zur
freiwilligen Krankenversicherung und zur Pflegeversicherung. Dies lehnte die Antragsgegnerin ab (Bescheid vom 11.
November 2005). Eine freiwillige Versicherung sei nicht mehr möglich, "weil der Antragsteller die gesetzlich
festgelegte Antragsfrist von drei Monaten nach der letzten Pflichtversicherung überschritten habe". Die
Pflichtversicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung habe mit dem Ablauf der Zahlungen von
Arbeitslosengeld am 1. August 2005 geendet. Der hiergegen eingelegte Widerspruch blieb erfolglos
(Widerspruchsbescheid der AOK vom 8. Dezember 2005). Klage hiergegen hat der Antragsteller nicht erhoben.
Am 16. November 2005 hat der Antragsteller vor dem Sozialgericht Wiesbaden beantragt, die Antragsgegnerin im
Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, seinem Antrag auf freiwillige Mitgliedschaft vom 11. November
2005 zu entsprechen und ihn als freiwillig versichertes Mitglied aufzunehmen. Aufgrund erheblicher gesundheitlicher
Einschränkungen sei eine ständige Medikamenteneinnahme und ärztliche Betreuung dringend erforderlich. Deshalb
sei die Frage der Krankenversicherung für ihn sehr wichtig und müsse alsbald geklärt werden. Bei Abgabe des
Antrags auf Gewährung der Grundsicherung für Arbeitsuchende sei er der festen Überzeugung gewesen, damit auch
weiter krankenversichert zu sein.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung blieb ohne Erfolg (Beschluss des Sozialgerichts Wiesbaden vom
10. Januar 2006). Das Sozialgericht bestätigte den ablehnenden Bescheid der AOK, weil der Antragsteller die zu
beachtende Drei-Monats-Frist versäumt habe. Seine Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung habe mit
dem Bezug des Arbeitslosengeldbezuges am 1. August 2005 geendet. Erst am 11. November 2005 habe der
Antragsteller die freiwillige Mitgliedschaft in der Krankenversicherung beantragt.
Gegen diesen dem Antragsteller am 13. Januar 2006 zugestellten Beschluss richtet sich seine am 30. Januar 2006
eingelegte Beschwerde, mit der der Antragsteller sein Begehren auf fortbestehende Mitgliedschaft in der
Krankenversicherung weiter verfolgt.
Der Antragsteller beantragt (sinngemäß), den Beschluss des Sozialgerichts Wiesbaden vom 10. Januar 2006 sowie
die Bescheide der Antragsgegnerin aufzuheben und seinem Antrag auf freiwillige Mitgliedschaft vom 11. November
2005 zu entsprechen.
Die Antragsgegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie trägt vor, dass die Beschwerde des Antragstellers gegenstandslos geworden sei, weil dieser gegen ihre
ablehnenden Bescheide keine Klage erhoben habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichts- und der
Verwaltungsverfahrensakte der Antragsgegnerin, die Gegenstand der Beratung gewesen sind, Bezug genommen.
II.
Die gegen den Beschluss des Sozialgerichts Wiesbaden vom 10. Januar 2006 eingelegte Beschwerde, der das
Sozialgericht nicht abgeholfen hat, ist zulässig, denn sie ist form- und fristgerecht eingelegt sowie an sich statthaft
(§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz SGG -).
Die Beschwerde kann jedoch keinen Erfolg haben. Der angefochtene Beschluss des Sozialgerichts Wiesbaden war zu
bestätigen. Der Antragsteller und Beschwerdeführer hat keinen Anspruch auf Erlass einer einstweiligen Anordnung,
weil die angefochtenen Bescheide der Antragsgegnerin wegen nicht erhobener Klage bestandskräftig geworden sind.
Der Antragsteller hätte gegen die ablehnenden Bescheide Klage erheben müssen.
Nach § 86 b Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den
Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die
Verwirklichung eines Rechts (Anordnungsanspruch) des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden
könnte (Anordnungsgrund; Satz 1). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in
Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile
nötig erscheint (Satz 2).
Eine solche einstweilige Anordnung konnte auch im Beschwerdeverfahren nicht erlassen werden, weil weder ein
Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht worden sind (§ 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung -
ZPO -). Nach § 9 Abs. 2 Nr. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) können
der Krankenversicherung freiwillig beitreten u. a. Personen, die als Mitglieder aus der Versicherungspflicht
ausgeschieden sind und in den letzten fünf Jahren vor dem Ausscheiden mindestens 24 Monate oder unmittelbar vor
dem Ausscheiden ununterbrochen mindestens 12 Monate versichert waren. Diese Voraussetzungen lagen bei dem
Antragsteller vor. Der Antragsteller war über den Bezug von Arbeitslosengeld bei der AOK bis zum 1. August 2005
pflichtversichert. Diese Pflichtversicherung erlosch jedoch mit dem letzten Tage des Arbeitslosengeldbezuges. Von
da an musste der Krankenkasse der Beitritt zur (freiwilligen) Weiterversicherung innerhalb von drei Monaten
angezeigt, also bei der Krankenkasse beantragt werden. Diese Frist hat der Antragsteller versäumt, weil er erst am
11. November 2005 den Beitritt bei der AOK erklärte.
Die Fristversäumnis kann nicht geheilt werden, weil der Antragsteller die gesetzliche Drei-Monats-Frist nicht
unverschuldet versäumt hat. Die Agentur für Arbeit in A-Stadt hat dem Antragsteller mit Bescheid vom 2. August
2005 mitgeteilt, dass die Zahlung von Arbeitslosengeld zum 1. August 2005 eingestellt worden sei. Das Dokument
enthält folgenden Hinweis: "Für die Zeit, in der Sie keine Leistungen beziehen, sind Sie durch die Agentur für Arbeit
nicht krankenversichert. Um Nachteile zu vermeiden, erkundigen Sie sich bitte umgehend bei Ihrer Krankenkasse
über Möglichkeiten zur Wahrung des weiteren Versicherungsschutzes (z. B. durch freiwillige Weiterversicherung)."
Aus dem Inhalt der beigezogenen Unterlagen ist nicht ersichtlich, dass der Antragsteller dies getan hat. Am 28. Juli
2005 hat er zwar einen Antrag auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch
Sozialgesetzbuch (SGB II) bei der Landeshauptstadt Wiesbaden - Amt für Soziale Arbeit - gestellt. Bei seiner
bisherigen Krankenkasse hat er sich aber nachweislich erst am 11. November 2005 um einen Beitritt zur (freiwilligen)
Krankenversicherung bemüht.
Bereits das Sozialgericht hat darauf hingewiesen, dass sich gerade ein rechtsunkundiger Antragsteller bei
gewissenhafter Vorgehensweise nicht darauf verlassen durfte, nach dem SGB II leistungsberechtigt und damit auch
krankenversichert zu sein. Er hätte sich auf jeden Fall auch über die Möglichkeit der Krankenversicherung bei der
Krankenkasse erkundigen müssen, wenn er - wie hier - von der Agentur für Arbeit darauf hingewiesen worden ist. Ein
weiteres Versäumnis liegt auch darin, dass die ablehnenden Bescheide der Antragsgegnerin (AOK) nicht mit der
Klage angefochten worden sind. Deshalb musste die Beschwerde zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss kann mit der Beschwerde nicht angefochten werden (§ 177 SGG).