Urteil des LSG Hessen vom 12.05.1997
LSG Hes: arbeitsmarkt, auskunft, zumutbare tätigkeit, erwerbsunfähigkeit, rente, erwerbsfähigkeit, belastung, berufsunfähigkeit, hessen, erwerbstätigkeit
Hessisches Landessozialgericht
Urteil vom 12.05.1997 (rechtskräftig)
Sozialgericht Gießen S 11 J 623/94
Hessisches Landessozialgericht L 12 J 565/96
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 18. März 1996 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens in vollem Umfange zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.
Der 1944 in der Türkei geborene Kläger hat keine Ausbildung absolviert. Zwischen 1969 und 1990 war er als Arbeiter
an der Stanze, in der Bauelementeinstallation, an der Reifenpresse und an der Fräsmaschine sowie zuletzt als Platin
beschäftigt. Er wurde nach der Lohngruppe 6 des Lohntarifvertrages der Hessischen Eisen-, Metall- und
Elektroindustrie entlohnt, wobei laut Auskunft dieses Arbeitgebers vom 4. April 1997 diese Eingruppierung wegen der
besonderen umweltbedingten Erschwernisse bei den Arbeitsbedingungen erfolgte. Die von der Ausbildung und den
Anforderungen her korrekte Lohngruppe sei die 3.
Am 26. Oktober 1990 erkrankte er arbeitsunfähig, bezog zunächst Krankengeld, dann Arbeitslosengeld und war erneut
arbeitsunfähig. Am 5. September 1991 beantragte er die Gewährung von Leistungen wegen verminderter
Erwerbsfähigkeit. Durch Bescheid vom 8. Oktober 1993 lehnte die Beklagte dies ab. Zuvor waren diverse Arztbriefe
und vertrauensärztliche Gutachten zu den Akten gelangt und die Beklagte hatte einen Befundbericht bei Dr.
(Allgemeinmediziner, Büdingen) vom 13. September 1991 eingeholt. In einem ebenfalls in der Verwaltungsakte
befindlichen Heilverfahrensentlassungsbericht der Kliniken Bad , nach der Absolvierung eines Heilverfahrens vom 8.
Oktober 1991 bis 5. November 1991, wird ausgeführt, daß dem Kläger nach Beendigung des Heilverfahrens die
Fortsetzung der zuletzt ausgeübten Tätigkeit zumutbar sei. Dr. gelangte in einem ärztlichen Gutachten vom 14. Mai
1993, das er im Auftrag der Beklagten erstellte, zu dem Ergebnis, daß der Kläger nicht mehr leistungsfähig sei. In
einem ausführlichen ärztlichen Bericht des Dr. vom 21. Mai 1993 heißt es, daß der Kläger noch leichte Tätigkeiten
unter zweistündig verrichten könne. Die Beklagte holte daraufhin ein nervenärztliches Gutachten bei dem Neurologen
und Psychiater vom 14. September 1993 ein. Dieser erachtete den Kläger noch für in der Lage, vollschichtig leichte
Tätigkeiten mit Einschränkungen zu verrichten. Hierzu nahm Dr. für die Beklagte am 16. September 1993 Stellung.
Den Widerspruch des Klägers vom 20. Oktober 1993 wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 5. Januar
1994 zurück.
Nach der Klageerhebung vom 24. Januar 1994 beim Sozialgericht Frankfurt am Main hat dieses den Rechtsstreit
durch Beschluss am 25. März 1994 an das örtlich zuständige Sozialgericht Gießen verwiesen. Dieses hat
Befundberichte bei Dr. vom 19. Mai 1994 und Dr. (Orthopäde, ) vom 15. August 1994, dem diverse medizinische
Unterlagen beigefügt waren, eingeholt. Des weiteren ist ein Arztbrief der Universitätsklinik (Orthopädie) vom 20. Juli
1994 zu den Akten gelangt und das Sozialgericht Gießen hat ein medizinisches Sachverständigengutachten auf
orthopädischem Fachgebiet bei Dr. ( Bad Nauheim) vom 5. Mai 1995 eingeholt. Hierin wird ausgeführt, daß sich
Leistungseinschränkungen beim Kläger aus den Schmerzen in Nacken, Armen, Wirbelsäule, Knien und Fingern sowie
der gesamten Muskulatur ergäben. Der Kläger könne jedoch noch leichte, keine schweren und keine mittelschweren
körperlichen Arbeiten vollschichtig ohne Extrapausenregelung und ohne Sonderbedingungen am Arbeitsplatz
verrichten. Die Arbeiten sollten allerdings in wechselnder Körperhaltung, vorwiegend im Sitzen, ohne Zwangshaltung,
nur gelegentlich mit Arbeiten über Kopfhöhe, nur gelegentlich im Bücken, nicht verbunden mit Heben und Tragen von
mittelschweren und schweren Gegenständen und nicht unter Einwirkung von erheblicher Kälte, Nässe und Zugluft zu
verrichten sein. Auszuschließen seien Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, Arbeiten unter Streßbelastung,
Schichtarbeiten und Akkordarbeiten sowie solche, die lang andauernde Haltearbeiten durch die Hände erforderten.
Eine Wegstrecke von mehr als 500 Metern je Wegeinheit sei aus orthopädischer Sicht zumutbar. Zugleich hat Dr. eine
Begutachtung auf psychiatrischem Fachgebiet für erforderlich gehalten. Das Sozialgericht Gießen hat alsdann bei
dem Psychiater Dr. (Psychiatrisches Krankenhaus ) ein Sachverständigengutachten vom 12. September 1995
eingeholt. Dieser hat beim Kläger eine Somatisierungsstörung diagnostiziert. Des weiteren hat er die Diagnose der
Dysthymia erwogen und ist von einem chronischen Erschöpfungssyndrom beim Kläger ausgegangen. Insgesamt
vertritt er die Auffassung, daß der Kläger noch in der Lage ist, leichte körperliche Arbeiten vollschichtig zu verrichten.
Hinsichtlich der an den Arbeitsplatz zu stellenden Anforderungen bezüglich der Arbeitsbedingungen kommt er im
wesentlichen zu dem gleichen Ergebnis wie Dr ... Zusätzlich hat er ausgeführt, daß die Arbeiten ohne besondere
nervliche Belastung, ohne besonderen Zeitdruck und ohne besondere Anforderungen an die Umstellungs- und
Anpassungsfähigkeit durchführbar sein sollten. Objektiv sei dem Kläger ein Fußweg von mehr als 500 Metern
zumutbar, subjektiv sei dieser jedoch wegen des chronifizierten Schmerzsyndroms vom Kläger nicht schmerzfrei
zurücklegbar. Die Einhaltung zusätzlicher betriebsunüblicher Pausen sei auch aus psychiatrischer Sicht nicht
erforderlich. Es müsse jedoch von einer verlängerten Einarbeitungszeit ausgegangen werden. Die Diplom-Psychologin
hat in ihrem psychologischen Zusatzgutachten vom 19. September 1995 ausgeführt, daß keine Anhaltspunkte für eine
schwere psychische und/oder psychosomatische Störung beim Kläger vorlägen. Das Sozialgericht Gießen hat des
weiteren die Arbeitsamtsakte des Arbeitsamtes Gießen zur Stamm-Nummer 71966 beigezogen und eine
berufskundliche Stellungnahme beim Landesarbeitsamt Hessen vom 19. Dezember 1995 eingeholt. Hierin wird
ausgeführt, daß der Kläger unter Berücksichtigung der ärztlicherseits festgestellten Leistungseinschränkungen nicht
mehr in der Lage sei, irgendwelche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszuüben. Hierzu hat die
Medizinaloberrätin Dr. für die Beklagte am 12. Januar 1996 eine ärztliche Stellungnahme abgegeben und das
Sozialgericht Gießen hat durch Urteil ohne mündliche Verhandlung am 18. März 1996 der Klage stattgegeben und die
Beklagte verurteilt, dem Kläger ab dem 1. Mai 1995 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu gewähren. Zur
Begründung hat es ausgeführt, daß der Kläger aufgrund der ärztlicherseits festgestellten Gesundheitsstörungen unter
einer Summierung von Leistungseinschränkungen verbunden mit einer eingeschränkten Umstellungs- und
Anpassungsfähigkeit leide, so daß ernsthafte Zweifel daran aufkommen müßten, ob er seine Arbeitskraft auf dem
Arbeitsmarkt überhaupt noch in geldwerte Güter umsetzen könne. Hieraus ergebe sich die Notwendigkeit der
Benennung eines konkreten, seinem Leistungsvermögen angepassten Arbeitsplatzes. Eine derartige
Verweisungstätigkeit könne ihm unter Berücksichtigung der Auskunft des Landesarbeitsamtes vom 19. Dezember
1995 nicht benannt werden. Aus diesem Grunde sei der Kläger auf Dauer als erwerbsunfähig anzusehen und diese
Erwerbsunfähigkeit beruhe auch nicht überwiegend auf der jeweiligen Arbeitsmarktlage. Der Arbeitsmarkt sei dem
Kläger allein aufgrund seines Gesundheitszustandes verschlossen.
Gegen dieses der Beklagten am 24. April 1996 zugestellte Urteil hat sie am 30. April 1996 Berufung beim Hessischen
Landessozialgericht eingelegt.
Der Senat hat eine weitere ergänzende Auskunft vom Landesarbeitsamt Hessen vom 15. Oktober 1996 insbesondere
zu den von der Beklagten in ihrem Berufungsschriftsatz benannten ihrer Ansicht nach dem Kläger zumutbaren
Tätigkeiten des einfachen Montierens und Sortierens im Sitzen, an halbautomatischen Stanzen oder Pressen sowie
der Tätigkeit eines Parkhauskassierers mit Wächterhäuschen und im Sitzen auszuführenden Kontroll- und
Bewachungsarbeiten eingeholt. In der Stellungnahme des Landesarbeitsamtes wird die Auffassung vertreten, daß der
Kläger auch unter Berücksichtigung dieser Tätigkeiten nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einsetzbar sei, da es
sich bei den genannten Tätigkeiten nur um Teiltätigkeiten bestimmter Berufe handele und insoweit keine Stellen in
nennenswertem Umfang auf dem Arbeitsmarkt vorhanden seien. Des weiteren hat der Senat eine Auskunft bei der
Firma vom 4. April 1997 hinsichtlich der zuletzt vom Kläger verrichteten Tätigkeit eingeholt. Es wird hierin u.a.
ausgeführt, daß diese eine Zweckausbildung von 2–3 Wochen erfordert und keine Facharbeitertätigkeiten umfaßt
habe.
Die Beklagte vertritt die Auffassung, daß entgegen den Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil nicht von einer
Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen und von schweren spezifischen Leistungseinschränkungen
bei dem Kläger auszugehen sei. Auch sei die Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit des Klägers nicht so weit
herabgesetzt, daß er nicht mehr in der Lage sei, sich auf leichte Tätigkeiten unter den in den
Sachverständigengutachten benannten Einschränkungen einzufinden. Eine zumutbare Verweisungstätigkeit sei ihm
daher nicht zu benennen und im übrigen komme eine Rentengewährung bereits deswegen nicht in Betracht, weil die
Ursache für die Erwerbsunfähigkeit des Klägers im wesentlichen in der Arbeitsmarktlage begründet sei.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 18. März 1996 abzuändern und die Klage in vollem
Umfang abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil für zutreffend und sieht sich durch die Auskunft des
Landesarbeitsamtes Hessen vom 15. Oktober 1996 bestätigt.
Wegen der weiteren Einzelheiten sowie zum Vorbringen der Beteiligten im übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte
sowie den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist,
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, denn sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt sowie an sich statthaft (§§ 143,
151 Sozialgerichtsgesetz –SGG–).
Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 18. März 1996 ist vom Ergebnis her
nicht zu beanstanden. Der Bescheid der Beklagten vom 8. Oktober 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 5. Januar 1994 ist rechtswidrig. Der Kläger wird dadurch in seinen Rechten verletzt. Der Kläger hat ab dem 1.
Mai 1995 Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Dauer.
Zutreffend geht das Vordergericht davon aus, daß der Kläger ab dem 1. Mai 1995 die Tatbestandsvoraussetzungen
des § 44 Sozialgesetzbuch – 6. Buch (SGB 6) erfüllt. Der Senat stützt sich insoweit ebenso wie das Sozialgericht
Gießen auf die Sachverständigengutachten der Dres. vom 5. Mai 1995 auf orthopädischem Fachgebiet und Koch vom
12. September 1995 auf psychiatrischem Fachgebiet sowie der Dipl.-Psychologin vom 9. September 1995 auf
psychologischem Fachgebiet. Da Dr. das Absinken des Leistungsvermögens des Klägers bereits für einige Monate
vor Mai 1995 annimmt, war der Rentenbeginn auf Mai 1995 festzulegen. Bezüglich der weiteren Feststellungen und
der Würdigung der von den Sachverständigen festgestellten Gesundheitsstörungen des Klägers wird auf die
Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen. Um Wiederholungen zu vermeiden wird
insoweit von einer erneuten Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen (§ 153 Abs. 2 SGG).
Unter Berücksichtigung dieser Gesundheitsstörungen ist davon auszugehen, daß der Kläger noch in der Lage ist,
vollschichtig einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Es darf sich insoweit zwar nur noch um leichte Arbeiten in
wechselnder Körperhaltung, vorwiegend im Sitzen, ohne Zwangshaltung und nur gelegentlich über Kopfhöhe handeln.
Auch dürfen diese Arbeiten nur mit gelegentlichem Bücken, nicht mit dem Heben und Tragen von mittelschweren und
schweren Gegenständen, nicht unter Einwirkung von erheblicher Kälte, Nässe und Zugluft, nicht auf Leitern und
Gerüsten, nicht unter Streßbelastung und nicht als Schicht- und Akkordarbeiten verrichtet werden. Die Arbeiten dürfen
darüber hinaus nicht mit langanhaltender Haltearbeit durch beide Hände verbunden sein, es muß sich um geistig
einfache Arbeiten, die ohne besondere nervliche Belastung und ohne besonderen Zeitdruck verrichtet werden können,
handeln. Des weiteren dürfen an den Kläger keine besonderen Anforderungen bezüglich der Umstellungs- und
Anpassungsfähigkeit gestellt werden, denn unter Berücksichtigung der Ausführungen des Dr. und der Dipl.-
Psychologin liegt beim Kläger eine geminderte Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit vor.
Die Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit des Klägers ist unter Berücksichtigung der Ausführungen der
Sachverständigen auf psychiatrischem/psychologischem Fachgebiet damit zwar noch nicht aufgehoben, so daß diese
Leistungseinschränkung für sich alleine genommen noch nicht zur Erwerbsunfähigkeit führen kann, wenn keine
konkrete zumutbare Tätigkeit nachgewiesen wird. Es muß allerdings aufgrund der Fülle der beim Kläger vorhandenen
Leistungseinschränkungen davon ausgegangen werden, daß hier eine Summierung ungewöhnlicher
Leistungseinschränkungen vorliegt. Dies ergibt sich insbesondere aus den Leistungseinschränkungen bezüglich der
Haltung, in der die Arbeiten verrichtet werden können, aus der eingeschränkten Einsatzfähigkeit der Hände und der
Einschränkung der Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit des Klägers.
Wenn auch, insoweit ist der Beklagten Recht zu geben, ausschließlich unter Betrachtung der
Leistungseinschränkungen des Klägers ein Grenzfall hinsichtlich des Vorliegens einer Summierung ungewöhnlicher
Leistungseinschränkungen im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gegeben sein mag. Das BSG hat
in mehreren Entscheidungen ausgeführt, daß eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen dann
vorliegt, wenn es sich um Einschränkungen handelt, die so erheblich sind, daß von vornherein ernste Zweifel daran
aufkommen müssen, ob der Versicherte mit dem ihm verbliebenen Leistungsvermögen auch noch in einem Betrieb
einsetzbar ist. Als Beispielsfälle hat der 4. Senat des Bundessozialgerichts u.a. das Erfordernis häufiger, wenngleich
kürzerer Pausen, besondere Schwierigkeiten hinsichtlich der Gewöhnung und Anpassung an einen Arbeitsplatz sowie
das Erfordernis besonderer Überprüfung wegen stärkerer Konzentrationsmängel angeführt (vgl. Entscheidung des 4.
Senats des Bundessozialgerichts vom 30. November 19.82, Az.: 4 RJ 1/82, S. 5). Allerdings ist, und dies verkennt
die Beklagte, gerade die Kombination der Leistungseinschränkungen im vorliegenden Fall dafür verantwortlich, daß
der Kläger mit dem ihm verbliebenen Restleistungsvermögen keiner Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen
Arbeitsmarkt nachgehen kann. Entscheidend ist nämlich, ob der Versicherte selbst leichte Tätigkeiten des
allgemeinen Arbeitsmarktes nur noch mit vielfältigen und/oder erheblichen gesundheitlichen Einschränkungen
ausführen kann (vgl. Entscheidung des 4. Senats des Bundessozialgerichts vom 1. März 1984, Az.: 4 RJ 43/83,
SozR 2200, § 1246 RVO Nr. 117, S. 374; so auch der 5. Senat des Bundessozialgerichts in seinen Entscheidungen
vom 14. September 1995, Az.: 5 RJ 28/95, S. 6 und 5 RJ 8/95, ebenfalls S. 6; 5 RJ 22/95, S. 6, 7 sowie 5 RJ 50/94,
S. 14). Bestätigt wird diese Feststellung durch die berufskundlichen Stellungnahmen des Landesarbeitsamtes vom
19. Dezember 1995 und 15. Oktober 1996. In beiden Stellungnahmen wird ausführlich und sorgfältig begründet, daß
der Kläger wegen der vielfältigen gesundheitlichen Einschränkungen sowie der daraus resultierenden Einschränkung
der Leistungsbreite keine mehr als geringfügige Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verrichten kann.
Anders als von der Beklagten angenommen, stellt das Landesarbeitsamt insoweit nicht auf die Arbeitsmarktlage ab,
sondern ausschließlich auf die gesundheitlichen Einschränkungen des Klägers. Wenn auch die Wahl der Worte
"Verweisungstätigkeit und Einarbeitungszeit bis zu drei Monaten Dauer” rechtlich betrachtet einem anderen
Tatbestand, nämlich dem der Berufsunfähigkeit zuzuordnen sind, so ändert dies nichts an der Eindeutigkeit der
Aussage des Landesarbeitsamtes. Entscheidend insoweit ist nämlich nicht die rechtliche Bewertung des
Landesarbeitsamtes bzw. die Verwendung von rechtlich eindeutig belegten Begriffen, sondern das, was vom
Landesarbeitsamt als in berufskundlicher Hinsicht kompetenter Stelle tatsächlich bekundet werden kann. In der
Auskunft vom 19. Dezember 1995 wird ausdrücklich ausgeführt, daß unter Berücksichtigung der ärztlicherseits
festgestellten erheblichen gesundheitlichen Einschränkungen, insbesondere auf orthopädischem und
psychologischem Gebiet, der Kläger nicht mehr für in der Lage erachtet werde, noch irgendwelche
Verweisungstätigkeiten auszuüben. Manuelle Tätigkeiten würden wegen der Vielzahl der gesundheitlichen
Einschränkungen auf orthopädischem Gebiet und kaufmännische Tätigkeiten wegen der mangelnden Umstellungs-
und Anpassungsfähigkeit ausscheiden. Gerade das Zusammenwirken der Gesundheitsstörungen mit dem Erfordernis,
daß der Kläger nur noch leichte und geistig einfache Tätigkeiten verrichten könne, führt nach Auskunft des
Landesarbeitsamtes dazu, daß es keine Beschäftigungsmöglichkeiten für den Kläger auf dem allgemeinen
Arbeitsmarkt mehr gibt. Dies hat das Landesarbeitsamt in der ergänzenden Stellungnahme vom 15. Oktober 1996, die
der Senat eingeholt hat, nochmals bestätigt. Diese berufskundliche Auskunft gebietet es nun aber von den eingangs
benannten ernsten Zweifeln daran auszugehen, ob der Versicherte mit dem ihm verbliebenen Restleistungsvermögen
noch in einem Betrieb einsetzbar ist (vgl. a.a.O.).
In einem solchen Fall ist dem Versicherten eine konkrete Tätigkeit zu benennen, die er mit dem eingeschränkten
Leistungsvermögen noch verrichten kann, auch wenn von einem vollschichtigen Leistungsvermögen auszugehen ist,
das an sich die Annahme nahe legt, daß es eine hinreichende Zahl von Erwerbsmöglichkeiten für ihn auf dem
allgemeinen Arbeitsmarkt gibt. Diese Benennung einer konkreten Tätigkeit ist unter Berücksichtigung der Auskünfte
des Landesarbeitsamtes im vorliegenden Fall nicht möglich. Um Wiederholungen zu vermeiden wird insoweit auf die
ausführliche Begründung des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen. Auch im Hinblick auf die von der Beklagten
im Berufungsverfahren benannten weiteren Tätigkeiten vermochte der Senat nicht zu anderen Erkenntnissen zu
gelangen. In der ergänzenden Auskunft vom 15. Oktober 1996 hat das Landesarbeitsamt ausgeführt, daß der Kläger
auch diese Tätigkeiten nicht verrichten könne. Anders als die Beklagte vermochte das Landesarbeitsamt dem Kläger
keine konkrete, seinen Leistungseinschränkungen angepaßte, Tätigkeit anzugeben. Da nach Auffassung des Senats
das Landesarbeitsamt jedoch die Kompetenz zur Beurteilung des Übereinstimmens von Anforderungs- und
Leistungsprofil sämtlicher Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes besitzt, stützt sich der Senat auf diese
Auskunft, ohne Veranlassung zu haben, insoweit weitere Auskünfte einholen zu müssen. Dies war auch selbst nach
den Ausführungen der Beklagten nicht geboten, denn nach deren Ansicht liegt im vorliegenden Fall bereits keine
Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor. Insoweit wird auf die vorangegangenen Ausführungen
verwiesen.
Des weiteren vertritt die Beklagte die Auffassung, daß vorliegend von einem Fall des § 44 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB 6
auszugehen ist.
Dem vermag der Senat jedoch nicht zu folgen. Nach § 44 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB 6 hat die Arbeitsmarktlage bei der
Beurteilung der Erwerbsunfähigkeit, jedenfalls eines vollschichtig leistungsfähigen Versicherten, außer Betracht zu
bleiben. Im vorliegenden Fall ist jedoch die Arbeitsmarktlage nicht der ausschlaggebende Gesichtspunkt für die
Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 44 Abs. 2 SGB 6. Der Kläger ist aus gesundheitlichen Gründen,
nämlich aufgrund der Summierung der ungewöhnlichen Leistungseinschränkungen, nicht mehr in der Lage, seine
Arbeitskraft in geldwerte Güter auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt umzusetzen. Erst dies hat dazu geführt, daß ihm
eine konkrete Verweisungstätigkeit hätte benannt werden müssen, wenn trotzdem von dem Bestehen von
Erwerbsfähigkeit hätte ausgegangen werden sollen. Dies war, insoweit wird auf die vorangegangenen Ausführungen
Bezug genommen, jedoch nicht möglich. Damit ist das Benennungserfordernis einer konkreten Tätigkeit der Frage der
allgemeinen Zugänglichkeit einer Erwerbsmöglichkeit, der sogenannten Verschlossenheit des Arbeitsmarktes
zuzuordnen (vgl. Entscheidung des 5. Senats des Bundessozialgerichts vom 14. September 1995, Az.: 5 RJ 50/94,
S. 13), allerdings aus gesundheitlichen Gründen. Die Arbeitsmarktlage ist mithin im vorliegenden Fall nicht die
eigentliche Ursache für die mangelnde Möglichkeit der Erzielung von Einkommen auf dem Arbeitsmarkt (vgl. hierzu
auch Knispel, Zur Bedeutung des 2. SGB-ÄndG für die Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, NZS 96, 513 ff.).
Hinsichtlich der Verpflichtung der Beklagten zur Gewährung der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Dauer und des
Zeitpunkts des Eintritts des Versicherungsfalls sowie des Rentenbeginns wird auf die weitere zutreffende und
ausführliche Begründung im erstinstanzlichen Urteil Bezug genommen. Der Kläger ist zwar, da er nach den
vorangegangenen Ausführungen erwerbsunfähig ist, auch – vom gesundheitlichen Leistungsvermögen her gesehen –
berufsunfähig im Sinne des § 43 SGB 6. Die Berufsunfähigkeit stellt insoweit ein Minus zur Erwerbsunfähigkeit dar.
Allerdings ist er nach der Auskunft des letzten Arbeitgebers, der Firma vom 4. April 1997, als ungelernter Arbeiter im
Rahmen des Mehrstufenschemas, also in die unterste Stufe, einzuordnen. Damit wären ihm sämtliche Tätigkeiten,
auch der einfachsten Art, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zumutbar. Weil ihm jedoch aufgrund seines
gesundheitlichen Leistungsvermögens überhaupt keine Erwerbstätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mehr
benannt werden können, brauchte die Frage der Berufsunfähigkeit im vorliegenden Fall nicht weiter erörtert zu werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war zuzulassen, denn die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG sind im Hinblick auf den hier
vorliegenden Grenzfall der Summierung der ungewöhnlichen Leistungseinschränkungen und der Indizwirkung der
Auskunft des Landesarbeitsamtes gegeben.