Urteil des LSG Hessen vom 11.07.2007
LSG Hes: aufschiebende wirkung, wiedereinsetzung in den vorigen stand, elektronische signatur, auflage, absender, anfechtungsklage, erlass, verkehr, gefahr, täuschung
Hessisches Landessozialgericht
Beschluss vom 11.07.2007 (rechtskräftig)
Sozialgericht Wiesbaden S 12 AS 84/07 ER
Hessisches Landessozialgericht L 9 AS 161/07 ER
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichtes Wiesbaden vom 18. April 2007 wird
zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Gründe:
Die am 18. Mai 2007 beim Sozialgericht eingelegte Beschwerde, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat, mit dem
sinngemäßen Antrag,
den Beschluss des Sozialgerichtes Wiesbaden vom 18. April 2007 aufzuheben und die Antragsgegnerin zu
verpflichten, ihm ungekürzte Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für
Arbeitssuchende - (SGB II) zu gewähren,
hat keinen Erfolg.
Der Antrag, im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs gegen den
Sanktionsbescheid der Antragsgegnerin vom 9. Februar 2007 anzuordnen, ist unzulässig.
Nach § 86 b Abs. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache zwar auf Antrag in den
Fällen, in denen Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung
ganz oder teilweise anordnen. Dies setzt jedoch voraus, dass gegen den Sanktionsbescheid Widerspruch eingelegt
oder Anfechtungsklage erhoben worden ist (Meyer-Ladewig/Keller, SGG, 8. Auflage, § 86 b Rdnr. 7). Hieran fehlt es
jedoch im vorliegenden Fall. Die E-Mail des Klägers, die dieser am 09. März 2007 unter dem Absender c.@f.de an die
Internetadresse c.j.@w.de mit dem folgenden Text: "Widerspruch gegen Sanktionsbescheid Sehr geehrte Frau J., ich
erhebe hiermit Widerspruch gegen den Sanktionsbescheid. Mit freundlichen Grüßen A." abgesandt hat, kann nicht als
formgerechte und damit wirksame Widerspruchseinlegung angesehen werden.
Nach § 84 Abs. 1 SGG muss der Widerspruch schriftlich eingelegt oder zur Niederschrift der Stelle erklärt werden, die
den Verwaltungsakt erlassen hat. Aus der "Soll-Formulierung" des § 92 SGG, der die Anforderungen an den Inhalt der
Klageschrift normiert, wird zwar überwiegend gefolgert, dass an den Widerspruch keine höheren Anforderungen
gestellt werden können als an die Klage (Meyer-Ladewig/Leitherer, a.a.O., § 84 Rdnr. 3; Rohwer-Kahlmann, Aufbau
und Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit, Kommentar, 4. Auflage, § 84 Rdnr. 4; Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur
Sozialgerichtsbarkeit, 4. Auflage, § 84 Anm. 3). Gemäß § 65 a Abs. 1 SGG (in der Fassung des Gesetzes vom 22.
März 2005, BGBl. I, S. 837 mit Wirkung ab dem 01. April 2005) können die Beteiligten dem Gericht auch
elektronische Dokumente übermitteln, soweit dies für den jeweiligen Zuständigkeitsbereich durch Rechtsverordnung
der Bundesregierung oder der Landesregierungen zugelassen worden ist. Nach der hessischen Verordnung über den
elektronischen Rechtsverkehr vom 22. November 2006 (gültig ab dem 30. November 2006) ist jedoch lediglich bei den
in der Stadt F. ansässigen Gerichten und Staatsanwaltschaften sowie dem Amtsgericht K., dem Landgericht K. und
der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht K. und weiteren Amtsgerichten vorgesehen, dass elektronische
Dokumente eingereicht werden können. Für Dokumente, die wie der Widerspruch nach § 84 Abs. 1 SGG, einem
schriftlich zu unterzeichnenden Schriftstück gleichstehen, ist zudem eine qualifizierte elektronische Signatur nach § 2
Nr. 3 des Signaturgesetzes (SigG) vorzuschreiben, § 65 a Abs. 1 Satz 3 SGG. Diesen Erfordernissen entspricht die
E-Mail des Antragstellers vom 09. März 2007 nicht. Nach § 2 Nr. 3 SigG sind "qualifizierte elektronische Signaturen"
elektronische Signaturen, die auf einem zum Zeitpunkt ihrer Erzeugung gültigen qualifizierten Zertifikat beruhen und
mit einer sicheren Signaturerstellungseinheit erzeugt werden.
Dies entspricht der bereits vor der Rechtsänderung übereinstimmend vertretenen Rechtsauffassung, dass trotz der
Verfügbarkeit moderner Kommunikationsmittel und dem sich allgemein durch Bürgerfreundlichkeit und fehlende
Formstrenge auszeichnenden sozialrechtlichen Verwaltungs- und Gerichtsverfahren für die Wirksamkeit der
Widerspruchseinlegung (wie auch der Klage) zur Sicherung der Authentizitäts- und Sicherungsfunktion besondere
Anforderungen erfüllt sein müssen. Für die Behörde muss erkennbar sein, dass der Widerspruch von dem
Widerspruchsführer herrührt und dieser die Widerspruchsschrift wissentlich und willentlich in den Verkehr gebracht hat
(Bundesverfassungsgericht - BVerfG -, Beschluss vom 11. Februar 1987, 1 BvR 475/85; BVerfG, Beschluss vom 4.
Juli 2002, 2 BvR 2168/00, NJW 2002, 3534; Gemeinsamer Senat der Obersten Bundesgerichte zum
Schriftformerfordernis bei Prozesshandlungen, Beschluss vom 5. April 2000, GmS OGB 1/98 = BGHZ 144, 160, 165;
Bundessozialgericht - BSG -, Beschluss vom 18. November 2003, B 1 KR 1/02 S; Urteil vom 21. Juni 2001, B 13 RJ
5/01 R). Diese Sicherung der Authentizität ist durch einfache E-Mails nicht gewährleistet. Der Absender ist, wie im
vorliegenden Fall, nicht ausreichend sicher identifizierbar und es besteht eine größere Gefahr von Missbrauch und
Täuschung durch Unbefugte (vergleiche insoweit auch: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom
17. Januar 2005, 2 PA 108/05).
Die Frage einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Falle einer formwidrigen Widerspruchseinlegung stellt sich
ihm vorliegenden Fall nicht. Die Antragsgegnerin hat den Antragsteller bereits mit Schreiben vom 9. März 2007 auf die
Beseitigung des Formmangels hingewiesen. Eine formgerechte Widerspruchserhebung durch den Antragsteller ist
dennoch nicht erfolgt und kann auch nicht durch Auslegung ermittelt werden.
Im Anwendungsbereich des § 86 b Abs. 1 SGG ist für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86 b Abs. 2
Satz 2 SGG kein Raum (Meyer-Ladewig, a.a.O., § 86 b Rdnr. 24 f).
Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist gemäß 177 SGG unanfechtbar.