Urteil des LSG Hessen vom 29.03.2007

LSG Hes: arbeitsentgelt, gemeinde, hessen, vertretung, abgrenzung, arbeitsmarkt, erfüllung, beitragspflicht, legitimation, kontrolle

Hessisches Landessozialgericht
Urteil vom 29.03.2007 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Wiesbaden S 12 KR 462/01
Hessisches Landessozialgericht L 1 KR 86/06
Bundessozialgericht B 12 KR 61/07 B
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 28. Januar 2004 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Umstritten ist die Beitragspflicht der Klägerin zur Sozialversicherung für eine ehrenamtliche Erste Beigeordnete der
klagenden Gemeinde.
Im Sommer 1999 führte die Beklagte bei der Klägerin eine Betriebsprüfung nach § 28p SGB IV für die Jahre 1995 bis
1998 durch. Hierbei wurde u.a. festgestellt, dass die ehrenamtliche Erste Beigeordnete der Klägerin - die Beigeladene
zu 1. - im Prüfzeitraum pauschale Aufwandsentschädigungen erhalten hatte, welche den nach § 3 Nr. 12 S. 2
Einkommensteuergesetz (EStG) steuerfreien Betrag deutlich überschritten.
Durch Bescheid vom 16. Dezember 1999 in der Gestalt des während des Widerspruchsverfahrens ergangenen
Teilabhilfebescheides vom 26. Oktober 2000 wurde insoweit eine Beitragsschuld der Klägerin wegen
Pflichtversicherung der Beigeladenen zu 1. in der Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung festgestellt. Hinsichtlich
der Arbeitslosenversicherung wurde Versicherungsfreiheit nach § 27 Abs. 3 Nr. 4 SGB III angenommen. Als
beitragspflichtiges Arbeitsentgelt wurden die gemäß der Entschädigungssatzung der Klägerin monatlich gezahlte
pauschale Aufwandsentschädigung von 500 DM sowie die für jeden Tag der Vertretung des Bürgermeisters gezahlte
zusätzliche pauschale Aufwandsentschädigung von 100 DM, abzüglich eines lohn- und einkommensteuerfreien
Betrages von monatlich 175 DM zugrundegelegt. Die demgemäß als beitragspflichtiges Arbeitsentgelt angesehenen
Beträge waren für 1995 12.100 DM, für 1996 9.300 DM, für 1997 9.600 DM und für 1998 10.400 DM. Hieraus
errechnete die Beklagte eine Beitragsnachforderung von 13.709,36 DM, welche durch den genannten Bescheid
festgesetzt wurde. Schon am 27. Dezember 1999 hatte die Klägerin gegen den Bescheid vom 16. Dezember 1999
Widerspruch eingelegt. Durch Widerspruchsbescheid vom 22. März 2001, aufgegeben zur Post am 29. März 2001,
wurde der Widerspruch mit der Begründung zurückgewiesen, die Beigeladene zu 1. sei im fraglichen Zeitraum mehr
als geringfügig versicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Im kommunalen Bereich ehrenamtlich Tätige seien
nämlich gemäß gefestigter Rechtsprechung insoweit im Sinne des Sozialversicherungsrechts Beschäftige, als sie
nicht nur Repräsentativaufgaben, sondern auch Verwaltungsaufgaben wahrnähmen. Versicherungsfreiheit wegen
geringfügiger Beschäftigung sei wegen der nach Abzug der steuerfreien Anteile verbleibenden monatlichen Beträge zu
verneinen.
Hiergegen hat die Klägerin am 26. April 2001 Klage erhoben. Sie greift nicht die dem Widerspruchsbescheid zugrunde
liegenden Zahlen an. Vielmehr vertritt sie die bereits im Widerspruchsverfahren geäußerte Ansicht, die Beigeladene zu
1. sei mangels Beschäftigteneigenschaft nicht versicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Zwar seien gemäß der
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ehrenamtliche Inhaber kommunaler Ämter Beschäftigte im Sinne des
Sozialversicherungsrechts, wenn deren Tätigkeit über die Wahrnehmung von Repräsentationsaufgaben hinausgehe
und sich in einer die Tätigkeit prägenden Weise auf Verwaltungstätigkeiten erstrecke, die dem allgemeinen
Arbeitsmarkt zugänglich seien. Jedoch sei die Stellung einer ehrenamtlichen Ersten Beigeordneten in Hessen nach
hessischem Verfassungs- und Kommunalrecht so ausgestaltet, dass sie weisungsfrei und darum nicht im Sinne von
§ 7 Abs. 1 SGB IV nichtselbständig sei. Der Bürgermeister sei ein durch Wahl legitimiertes Organ, welches
weisungsfrei in seinem Zuständigkeitsbereich die Selbstverwaltungskompetenz der Gemeinde ausübe. Er sei mit
einem "leitenden Angestellten” nicht vergleichbar. Dasselbe gelte für die ehrenamtliche Erste Beigeordnete, welche
dessen Vertreterin sei. Im Übrigen seien die Verwaltungsfunktionen einer ehrenamtlichen Ersten Beigeordneten schon
wegen der Erfordernisse des aktiven und passiven Wahlrechts sowie der Vollendung des 18. Lebensjahres und von
mindestens 6 Monaten Ortsansässigkeit am Wahltag dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht zugänglich.
Die Klägerin hat beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 16. Dezember 1999 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 22. März 2001 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Rückzahlung der in
Erfüllung des angefochtenen Bescheides gezahlten Beiträge durch die Beigeladenen zu 2. und 3. zu veranlassen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Auch in Hessen seien die Voraussetzungen erfüllt, wegen derer das Bundessozialgericht entschieden habe, dass
ehrenamtliche Bürgermeister, Amtsvorsteher und Ortsvorsteher dann Beschäftigte seien, wenn sie nicht nur
Repräsentationsaufgaben wahrnähmen, sondern dem allgemeinen Arbeitsmarkt zugängliche Verwaltungstätigkeiten
ausübten. Die Kriterien für die Wählbarkeit und die Auswahl der Beigeladenen zu 1. stellten lediglich Elemente des
Bewerberauswahlverfahrens dar.
Das Sozialgericht hat Frau A. (Beigeladene zu 1.), die AOK Hessen (Beigeladene zu 2.) und die BKK Hoechst
(Beigeladene zu 3.) gemäß § 75 Abs. 2 SGG beigeladen. Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.
Mit Urteil vom 28. Januar 2004 hat das Sozialgericht Wiesbaden die Klage abgewiesen. Es ist im Wesentlichen den
Argumenten der Beklagten gefolgt. Ergänzend hat es ausgeführt, die Beigeladene zu 1. sei bei der Wahrnehmung von
Verwaltungsaufgaben den Beschlüssen der Gemeindevertretung und des Gemeindevorstands sowie den Weisungen
des Bürgermeisters unterworfen gewesen. Das genüge für die Annahme einer abhängigen Tätigkeit.
Gegen das der Klägerin am 9. Februar 2004 zugestellte Urteil hat diese am 4. März 2004 Berufung eingelegt.
Sie vertritt weiterhin ihre bereits in der ersten Instanz begründete Auffassung. Ergänzend führt sie aus, gemäß § 73
Abs. 2 HGO sei die Beigeladene zu 1. als Beigeordnete nicht an Weisungen des Bürgermeisters gebunden. Sie habe
auch – abgesehen von den ausnahmsweise vorgekommenen Fällen der Vertretung des Bürgermeisters – nicht an der
laufenden Verwaltung der Gemeinde teilgenommen, sondern nur Repräsentationsaufgaben erfüllt. Auch seien die der
Beigeladenen zu 1. gemäß der Entschädigungssatzung der Klägerin gezahlten Beträge in vollem Umfang kein Entgelt
für geleistete Arbeit gewesen sondern, allein echte, wenn auch pauschalierte Aufwandentschädigung. Das ergebe sich
auch aus der Höhe der für vier Jahre verlangten Beitragsnachzahlung.
Auch im Lichte des Urteils des Bundessozialgerichts vom 25. Januar 2006 ergebe sich keine andere Einschätzung
der Tätigkeit der Beigeladenen zu 1. Wie das Bundessozialgericht in dem genannten Urteil bestätigt habe, komme es
auf eine Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalles an. Dazu gehörten auch die
kommunalverfassungsrechtlichen Besonderheiten im jeweiligen Bundesland. Schon deshalb sei das Urteil zu einem
ehrenamtlichen Bürgermeister in Sachsen nicht präjudiziell für die Qualifikation der Tätigkeit einer ehrenamtlichen
Ersten Beigeordneten in Hessen.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 28. Januar 2004 und den Bescheid der
Beklagten vom 16. Dezember 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. März 2001 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie stützt sich auf ihre Ausführungen im Widerspruchsverfahren sowie in der ersten Instanz und auf die Begründung
des angegriffenen Urteils. Auch die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 25. Januar 2006 bestätige ihre
Auffassung und das erstinstanzliche Urteil. Bei kommunalen Ehrenbeamten komme es darauf an, ob ihre Aufgaben
nach den jeweiligen kommunalverfassungsrechtlichen Normen Verwaltungstätigkeiten seien, welche dem allgemeinen
Erwerbsleben zugänglich seien und ob ihre Aufwandsentschädigungen ohne Bezug zu konkreten Kosten oder
Verdienstausfällen seien. Dies sei bei einer Ersten Beigeordneten nach hessischem Recht der Fall, wie sich aus §§
47, 70 Abs. 1 und 2 und 71 Abs. 1 HGO ergebe.
Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.
Wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und dem des Verwaltungsvorgangs der
Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen.
Die Feststellung der Beitragspflicht für die Beigeladene zu 1. in der Zeit vom 1. Januar 1995 bis zum 31. Dezember
1998 zur Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung ist dem Grunde nach rechtmäßig und der Höhe
nach nicht strittig.
Die Beigeladene zu 1. war in der fraglichen Zeit nach § 1 S. 1 Nr. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) in der
gesetzlichen Rentenversicherung, nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) in der gesetzlichen
Krankenversicherung und nach § 20 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 erster Halbsatz Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) in der
sozialen Pflegeversicherung versicherungspflichtig, da sie mehr als geringfügig gegen Arbeitsentgelt beschäftigt war.
Versicherungsfreiheit wegen geringfügiger oder kurzzeitiger Beschäftigung kommt nicht in Betracht, da die insoweit
einschlägigen Tatbestände angesichts der Zeiten der Tätigkeit und der gezahlten Beträge unstrittig nicht erfüllt sind.
Die monatlichen Geringfügigkeitsgrenzen lagen nach § 8 Abs. 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) in der
Fassung des Gesetzes vom 13. Juni 1994 (BGBl. I S. 1229) i.V.m. § 18 SGB IV in der Fassung des Gesetzes vom
18. Dezember 1992 (BGBl. I S. 2044) für 1995 und des Gesetzes vom 15. Dezember 1995 (BGBl. I S. 1824) für die
Folgejahre bei den folgenden Beträgen: 1995 bei 580 DM, 1996 bei 590 DM, 1997 bei 610 DM und 1998 bei 620 DM.
Strittig ist im vorliegenden Fall allein, ob im Falle der Beigeladenen zu 1. das Tatbestandsmerkmal der Beschäftigung
gegen Arbeitsentgelt erfüllt war. Das ist, wie das Sozialgericht zu Recht angenommen hat, der Fall.
Nach § 7 Abs. 1 S. 1 SGB IV ist Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis.
Die Beigeladene zu 1. hat im fraglichen Zeitraum mit ihrer Tätigkeit als ehrenamtliche Erste Beigeordnete
nichtselbständige Arbeit im Sinne dieser für alle einschlägigen Sozialversicherungsverhältnisse geltenden Vorschrift
geleistet. Es ist seit langem in ständiger Rechtsprechung anerkannt, dass auch ehrenamtliche kommunale
Funktionsträger Beschäftigte sein können. Voraussetzung ist, wie das Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 25.
Januar 2006 - B 12 KR 12/05 R, SozR 4-2400 § 7 Nr. 6 - erneut bestätigt hat, dass solche Personen gegebenenfalls
neben der Wahrnehmung weisungsfreier Repräsentativaufgaben - weisungsgebunden "dem allgemeinen Erwerbsleben
zugängliche Verwaltungsaufgaben wahrnehmen und hierfür eine den tatsächlichen Aufwand übersteigende pauschale
Aufwandsentschädigung erhalten” (Tz. 15 des amtlichen Umdrucks). Entscheidend ist in einer Gemengelage solcher
unterschiedlicher Aufgaben eine "Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalles unter Berücksichtigung der
Ausgestaltung des Ehrenamtes in der Kommunalverfassung des jeweiligen Bundeslandes” (BSG a.a.O.). Für diese
Gesamtwürdigung bedarf es im Interesse der Praktikabilität nicht einer quantitativen und qualitativen Bewertung der
konkret vom betreffenden Amtsträger wahrgenommenen Aufgaben. Insofern genügt eine typisierende, an den
gesetzlichen oder auf anderen Rechtsgrundlagen beruhenden Aufgaben orientierte Betrachtung. In diesem Verzicht
auf gar nicht oder nur mit großem Verwaltungsaufwand zu leistende Detailuntersuchungen hat das
Bundessozialgericht zu erkennen gegeben, dass die Abgrenzung aufgrund der Gesamtwürdigung aller Umstände
sowohl für die betroffenen Sozialversicherungsträger als auch für die betroffenen Arbeitgeber praktikabel sein muss.
Dem folgt der Senat.
Die Tätigkeit jedes Beigeordneten nach hessischem Kommunalrecht außerhalb der repräsentativen Tätigkeit ist eine
dem allgemeinen Erwerbsleben zugängliche Verwaltungstätigkeit. Dabei darf das Kriterium, dass die Tätigkeit dem
allgemeinen Erwerbsleben zugänglich sein muss, nicht etwa personenbezogen dahingehend missverstanden werden,
die Aufgabe müsse im Prinzip jedem fachlich und qualitativ geeigneten Bewerber zugänglich sein. Insbesondere
stehen die persönlichen Anforderungen, die sich aus dem Erfordernis und den Umsetzungselementen demokratischer
Legitimation ergeben, einer entsprechenden Einordnung der Verwaltungstätigkeit nicht entgegen. Insofern kommt es
entgegen der Auffassung der Klägerin nicht auf die spezifischen kommunalrechtlichen Wählbarkeitsvoraussetzungen
und das Erfordernis einer Wahl durch die Gemeindevertretung an. Dem entspricht auch die Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts. So wurden durch das Bundessozialgericht schon Tätigkeiten von Personen mit entsprechenden
Anforderungen demokratischer Legitimation als Beschäftigung qualifiziert, nämlich diejenige eines ehrenamtlichen
Bürgermeisters im Saarland (BSG, Breithaupt 1969, 823); ebenso die Tätigkeit eines ehrenamtlichen
Ortsbürgermeisters einer amtsangehörigen Gemeinde in Schleswig-Holstein (BSG, SozR 2200 § 165 Nr. 44, S. 61 f.;
entsprechend auch BSG, SozR 2200 § 1248 Nr. 41, S. 103 f. für Rheinland-Pfalz) und schließlich auch die Tätigkeit
eines ehrenamtlichen Bürgermeisters einer verbandsangehörigen Gemeinde in Sachsen (BSG, Urteil vom 25. Januar
2006, a.a.O.).
Insofern folgt der Senat nicht dem Urteil des 8. Senats des Hessischen Landessozialgerichts vom 28. Juli 2005 (L
8/14 KR 331/04), welches das genannte Kriterium aus der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts
personenbezogen verstanden hat und der Tatsache, dass Ortsvorsteher aus dem Kreis der Mitglieder des
Ortsbeirates zu wählen seien und damit auch alle einschlägigen Voraussetzungen des passiven Wahlrechts zu
erfüllen hätten, für die Frage entscheidende Bedeutung beigemessen hat, ob die Tätigkeit die Erfüllung einer dem
allgemeinen Erwerbsleben zugänglichen Verwaltungsaufgabe ist.
Das Kriterium, dass die Tätigkeit im Prinzip auch im allgemeinen Erwerbsleben in Betracht kommen kann, ist – nur
dieses Verständnis ist auch mit den zitierten Entscheidungen des Bundessozialgerichts zu kommunalen Amtsträgern
kompatibel – vielmehr sachbezogen zu verstehen. Es geht um den Inhalt der Verwaltungstätigkeit gerade in der
Abgrenzung gegenüber den Repräsentationsfunktionen, wie sie insbesondere die Tätigkeit eines Gemeindevertreters
kennzeichnen. Im Erwerbsleben prinzipiell in Betracht kommende Tätigkeiten sind insbesondere solche, die –
abgesehen vom Umfang, der bei Ehrenämtern typischerweise geringer ist – auch hauptamtlich vorstellbar wären. Für
die Abgrenzung gegenüber den selbständigen, nämlich nach den Kommunalverfassungen explizit weisungsfreien,
Repräsentativaufgaben ist auch die typische Entgegensetzung von Gemeindevertretung und "Verwaltung” als Inbegriff
der Administrativorganisation einschließlich ihrer Spitze relevant. Dieser Unterscheidung hat auch das
Bundessozialgericht im Urteil vom 25. Januar 2006 Rechnung getragen, indem es die Auffassung der Vorinstanz
bestätigte, welche im Falle des sächsischen Bürgermeisters, der auch Vorsitzender der Gemeindevertretung ist, die
administrative Vorbereitung von Beschlüssen der Gemeindevertretung außerhalb von deren Sitzungen als Tätigkeiten
eingeordnet hatte, die für eine Gesamtwürdigung als Beschäftigung sprachen.
Im vorliegenden Fall einer ehrenamtlichen Ersten Beigeordneten nach hessischem Kommunalrecht geht es zunächst
um die Beigeordnetenposition als solche. Diese Tätigkeit wird geprägt durch die Aufgaben des Gemeindevorstands.
Denn – abgesehen von der zunächst noch außer Acht gelassenen Aufgabe der Vertretung des Bürgermeisters nach §
47 HGO und von der hier mangels entsprechender Aufgabenzuweisung nach § 70 Abs. 1 S. 3 HGO nicht
einschlägigen eigenständigen Erledigung laufender Verwaltungsangelegenheiten durch einen Beigeordneten selbst in
einem eigenen Ressort – ergeben sich die Aufgaben des Beigeordneten aus denen des Gemeindevorstands. Diese
bestehen gemäß der Grundvorschrift des § 9 Abs. 2 HGO in der kollegialen Besorgung der laufenden Verwaltung.
Genauer sind die Aufgaben und die Art und Weise ihrer Erledigung in §§ 66 - 73 HGO beschrieben. Hieraus ergibt sich
deutlich, dass dem Gemeindevorstand insgesamt und damit auch jedem einzelnen seiner Mitglieder grundsätzlich alle
Aufgaben nach § 66 HGO überantwortet sind. Denn es gehört zum Wesen eines Kollegialorgans, dass alle Mitglieder,
soweit sie an der Beschlussfassung teilnehmen, auch die Verantwortung für die Beschlüsse gemeinsam tragen. Wie
Beigeordnete im Detail in die Vorbereitung der Beschlüsse und deren Ausführung einbezogen sind, kann stark
variieren – insbesondere auch im Laufe einer Amtszeit eines Beigeordneten. Solche Einzelheiten eignen sich, wie
oben mit Bezug auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ausgeführt, schon deshalb nicht als Kriterien für
die Gesamtwürdigung des Ehrenamtes, da sie nicht praktikabel sind und sowohl für die betroffenen Kommunen als
auch für die zuständigen Sozialversicherungsträger keine einigermaßen klaren und einfach handhabbaren
Abgrenzungskriterien geben. Diese können sich nur aus den zwingenden und im Übrigen typischen Merkmalen des
jeweiligen Ehrenamtes ergeben. Das ist hier die kollektive administrative Führung der Gemeinde nach den
Beschlüssen der Gemeindevertretung (§§ 50, 51, 66 Abs. 1 S. 2 HGO). Dabei besteht als Maßgabe für den
Bürgermeister, der nach § 70 Abs. 1 S. 2 HGO die Kompetenz und die Verantwortung für die Verteilung der Aufgaben
unter den Mitgliedern des Gemeindevorstands hat, nach § 9 Abs. 2 S. 2 HGO die verpflichtende Leitlinie, dass der
Gemeindevorstand kollegial zu gestalten ist.
In einer Gesamtwürdigung dieser Elemente ist die Tätigkeit von Mitgliedern eines hessischen Gemeindevorstands –
und zwar auch dann, wenn ein solches Mitglied lediglich Beigeordneter ohne eigenen vom Bürgermeister
zugewiesenen Geschäftsbereich ist – als eine im Prinzip auch hauptamtlich mögliche und insofern dem allgemeinen
Erwerbsleben zugängliche Tätigkeit. Darum bedarf es im vorliegenden Fall auch keiner getrennten Betrachtung der
Tätigkeit der Beigeladenen zu 1. als allgemeine Vertreterin des Bürgermeisters und als Beigeordnete ohne eigenen
Geschäftsbereich. Dennoch sei darauf hingewiesen, dass die Gründe, welche für die dargelegte Einordnung der
Funktion aller ehrenamtlichen Mitglieder des Gemeindevorstands als dem allgemeinen Erwerbsleben zugänglich
sprechen, besonders deutlich für eine Erste Beigeordnete gelten, die zusätzlich auch noch die Funktion der
allgemeinen Vertretung des Bürgermeisters nach § 47 HGO hat und/oder der spezifische Verwaltungsaufgaben
zugeordnet sind.
Die Tätigkeit als Mitglied des Gemeindevorstands ist – wiederum ohne Unterscheidung der Aufgabenverteilung
innerhalb des Kollegialorgans – nichtselbständig im Sinne von § 7 Abs. 1 S. 1 SGB IV. Alle Aufgaben unterliegen
nämlich nach §§ 9 Abs. 1 S. 2 und 50 Abs. 2 HGO umfassend der Kontrolle und nach §§ 50 Abs. 1, 66 Abs. 1 S. 2
HGO überwiegend den vom Gemeindevorstand zu befolgenden Beschlüssen der Gemeindevertretung. Insofern ist die
Gemeindevertretung, wie § 9 Abs. 1 S. 1 HGO formuliert "oberstes Organ” der Gemeinde, und ist der
Gemeindevorstand ihr nachgeordnet. Da hinsichtlich des Ausmaßes von Weisungsgebundenheit ohnehin
funktionsspezifische Unterschiede bestehen bis hin zu weitgehender Weisungsfreiheit bei manchen Diensten höherer
Art (Nachweise bei Seewald, in Kasseler Kommentar, Stand: 51. Lief. Sept. 2006, § 7 Rz. 74), ist die Abhängigkeit
der Mitglieder des Gemeindevorstands von den Vorgaben und der Kontrolle der Gemeindevertretung hinreichend
ausgeprägt, um die Tätigkeit als weisungsgebunden zu qualifizieren. Auch ist der Gemeindevorstand durch seine
Funktionsbestimmung als "Verwaltungsbehörde der Gemeinde” (§ 66 Abs. 1 S. 1 HGO) ebenso wie durch die
Organisationsnormen der §§ 67 - 70 HGO hinreichend in die Arbeitsorganisation der Gemeinde eingegliedert. Auch
das stützt die Gesamtwürdigung der Tätigkeit aller Mitglieder des Gemeindevorstands als nichtselbständig.
Schließlich sind die Aufgaben aller Mitglieder des Gemeindevorstands einschließlich der ehrenamtlichen
Beigeordneten ohne eigenen Geschäftsbereich klar getrennt von etwaigen als selbständig zu qualifizierenden
Repräsentativtätigkeiten. Dies ergibt sich nach hessischem Kommunalrecht schon aus der klaren Trennung der
Administrativspitze von der Gemeindevertretung. Das drückt sich zum einen darin aus, dass der Bürgermeister
anders als nach dem Kommunalrecht einiger anderer Bundesländer nicht Vorsitzender der Gemeindevertretung ist.
Zum anderen ergibt es sich aus der auch für Beigeordnete ohne eigenen Geschäftsbereich geltenden
Unvereinbarkeitsbestimmung des § 65 Abs. 2 S. 1 HGO. Insbesondere für ehrenamtliche Beigeordnete folgt aus der
Unvereinbarkeit mit dem Amt eines Gemeindevertreters, dass ihre Tätigkeit nicht etwa – in einer als Modell auch
vorstellbaren Vermischung von administrativer Leitung und Gemeindevertretung – als Repräsentation der
Gemeindevertretung im Gemeindevorstand verstanden werden kann.
Die Beigeladene zu 1. ist auch im Sinne der einschlägigen, eine Versicherungspflicht begründenden Tatbestände
gegen Arbeitsentgelt beschäftigt gewesen. Insoweit hat die Beklagte zutreffend das für die Beitragsbemessung
relevante Arbeitsentgelt zugrunde gelegt.
Unstrittig kommt es für eine Qualifikation der bezogenen Geldbeträge nicht darauf an, ob sie nach den jeweiligen
kommunalrechtlichen Bestimmungen ausdrücklich als Arbeitsentgelt oder als Aufwandsentschädigung bezeichnet
werden. Vielmehr sind nach § 14 Abs. 1 S. 1 SGB IV Arbeitsentgelt grundsätzlich alle laufenden oder einmaligen
Einnahmen aus einer Beschäftigung. Aufwandsentschädigungen gelten nach § 14 Abs. 1 S. 3 SGB IV in der hier noch
nicht anwendbaren Fassung des Gesetzes vom 24. März 1999 (BGBl. I S. 388) insoweit nicht als Arbeitsentgelt, als
sie steuerfrei sind. Das hat nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts allerdings auch schon zuvor so
gegolten (BSGE 78, 34, 38 f.; siehe auch BSG vom 25. Januar 2006, a.a.O., Tz. 19). Hieran hat sich die Beklagte
gehalten, indem sie genau den Anteil der Aufwandsentschädigung als Arbeitsentgelt berücksichtigte, der auch in
Anwendung von § 3 Nr. 12 S. 2 EStG in der jeweils geltenden Fassung von der Steuerbehörde unangegriffen der
Einkommensbesteuerung zugrunde gelegt wurde.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 4 in der Fassung durch das 6. SGG-Änderungsgesetz vom 17. August
2001 mit Wirkung vom 2. Januar 2002, da die Berufung nach Inkrafttreten des 6. SGG-Änderungsgesetzes eingelegt
worden ist (vgl. dazu BSG, Urteil vom 8. Juli 2002 - B 3 P 3/02 R -) Gebühren nach § 197 a waren vorliegend nicht zu
erheben. Anstelle von § 197 a SGG gilt § 183 SGG in der bisherigen Fassung, wenn das von § 197 a erfasste
Verfahren wie hier vor dem 2. Januar 2002 rechtshängig geworden ist. Das Verfahren ist dann in allen
Rechtmittelzügen kostenfrei (vgl. die Übergangsregelung nach Art. 17 des 6. SGG-Änderungsgesetzes vom 17.
August 2001; Meyer-Ladewig, SGG, 7. Auflage, § 197 a Rdnr. 1).
Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Soweit es um die Auslegung von
Bundesrecht geht, sind alle hier relevanten Rechtsfragen, insbesondere die sozialrechtlichen Grundsätze für die
Abgrenzung der Beschäftigteneigenschaft bei Inhabern kommunaler Ehrenämter, höchstrichterlich geklärt. Von diesen
Grundsätzen ist der Senat nicht abgewichen. Soweit es um die kommunalrechtlichen Vorschriften und um deren
Auslegung geht, ist die Revision nicht zuzulassen, da diese nach § 162 SGG als Landesrecht nicht revisibel sind.