Urteil des LSG Hessen vom 30.09.1997

LSG Hes: behinderung, zustand, form, skoliose, herausgabe, minderung, erwerbsfähigkeit, gleichbehandlung, herausgeber, operation

Hessisches Landessozialgericht
Urteil vom 30.09.1997 (rechtskräftig)
Sozialgericht Wiesbaden S 4 Vb 175/95
Hessisches Landessozialgericht L 4 Vb 1327/96
Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 29. August 1996 und der
Bescheid vom 13. Dezember 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Februar 1995 und des
Schriftsatzes vom 25. August 1997 abgeändert. Der Beklagte wird verurteilt, den GdB ab dem 1. November 1996 mit
40 festzustellen. Im übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Der Beklagte hat der Klägerin die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Höhe des Grades der Behinderung – GdB – nach dem Schwerbehindertengesetz – SchwbG –.
Die 1952 geborene Klägerin beantragte am 26. August 1993 Feststellungen nach dem Schwerbehindertengesetz. Sie
übersandte einen Bescheid der Hessischen Ausführungsbehörde für Unfallversicherung vom 21. Dezember 1987, in
dem diese als Folgen eines Arbeitsunfalls vom 25. Januar 1973 eine Konturvergrößerung des rechten Kniegelenks,
geringe Muskelverschmächtigung im Bereich des rechten körpernahen Unterschenkels, Verdacht auf mediale
Seitenbandlockerung rechtes Kniegelenk, nach klinisch nachweisbarem vorderen Kreuzbandschaden am rechten
Kniegelenk anerkannte. Die MdE bewertete der Unfallversicherungsträger mit 20 v.H. In einem weiteren Bescheid des
Regierungspräsidenten Darmstadt vom 25. März 1991 erkannte dieser als Folgen eines am 18. Februar 1991 von der
Klägerin erlittenen Dienstunfalls eine Chondromalazie med. u. lat., Innenmeniskuslaesion, Teilruptur VKB an. Es
gelangte alsdann noch ein Bericht über eine arthroskopische Operation vom 10. Dezember 1992 des Zentrums für
Arthroskopische Chirurgie (WX.) zu den Akten. Der Beklagte holte Befundberichte ein bei Dr. (Internist, WX.) vom 11.
September 1993 und Dr. (Orthopäde, WX.) vom 4. Oktober 1993. Letzterer berichtet über Schmerzen der Klägerin an
der Wirbelsäule und besonders im rechten Kniegelenk und stellte ein deutliches rechtsseitiges Hinken des Gangbildes
fest. Durch Bescheid vom 13. Dezember 1993 stellte der Beklagte daraufhin als Behinderung zu 1. die im Bescheid
der Hessischen Ausführungsbehörde für Unfall vom 21. Dezember 1987 anerkannten Folgen des Arbeitsunfalls aus
dem Jahre 1973 mit einem GdB von 20, sowie zu 2. ein Verschleißleiden der Wirbelsäule, occipitale Neuralgien mit
einem Einzel-GdB von 20 und einen Gesamt-GdB von 30 fest. Auf den Widerspruch der Klägerin vom 28. Dezember
1993, mit dem sie insbesondere darauf hinwies, daß die Folgen des zweiten Dienstunfalls vom Februar 1991 nicht
berücksichtigt worden seien, und nach Übersendung des Bescheides des Regierungspräsidenten Darmstadt vom 16.
Mai 1994 über die Ablehnung von Unfallausgleich wegen des Dienstunfalls vom 18. Februar 1991, forderte der
Beklagte ärztliche Unterlagen vom Regierungspräsidium Darmstadt an. In einem Gutachten für den
Regierungspräsidenten führt Dr. aus, daß ein Körperschaden nach dem Unfall vom 18. Februar 1991 nicht
zurückgeblieben sei. Es ist alsdann noch ein Bericht über eine arthroskopische Operation vom 15. April 1994 des
Zentrums für Arthroskopische Chirurgie (WX.) zu den Akten gelangt, und der Beklagte hat durch
Widerspruchsbescheid vom 21. Februar 1995 den Widerspruch unter der Maßgabe zurückgewiesen, als Behinderung
zu 3. eine Retropatellaarthrose beiderseits mit Bewegungseinschränkung beider Kniegelenke zusätzlich festzustellen.
Da dies einen Einzel-GdB von 10 nach sich ziehe, verbleibe es bei dem Gesamt-GdB von 30.
Auf die Klage vor dem Sozialgericht Wiesbaden vom 2. März 1995 hat dieses Befundberichte eingeholt bei Dr. vom
15. Mai 1995 und Dr. vom 22. Mai 1995. Hierzu hat Dr. für den Beklagten am 27. Juni 1995 Stellung genommen, und
das Sozialgericht Wiesbaden hat ein orthopädisches Sachverständigengutachten bei Dr. (GX.) vom 11. September
1995 in Auftrag gegeben. Dieser diagnostiziert ein rezidivierendes HWS- und Schulter-Nacken-Syndrom, ein
rezidivierendes pseuderadikuläres Syndrom der Lendenwirbelsäule bei mäßigen Spondylarthrosen und Baastrup-
Phänomen im Lendensattel sowie funktionell bedeutender rechtskonvexer Skoliose, Chondropathie des rechten Knies
2. bis 4. Grades in sämtlichen Gelenkkompartements mit geringen Aktivierungszeichen, gering eingeschränkter
aktiver Beweglichkeit und erheblichen Gangstörungen, drittgradiger Knorpelschaden im retropatellaren Gleitlager des
linken Knies, guter Zustand nach Innenmeniskussanierung linkes Knie, kompensierbare geringe vordere Instabilität
des linken Sprunggelenks und Spreizfuß beiderseits. Im Hinblick auf die Auswirkungen der
Funktionsbeeinträchtigungen der Kniee hat Dr. einen Einzel-GdB von 20 und hinsichtlich der Cervicocephales- und
Schulter-Nacken-Syndrome sowie des rezidivierenden pseuderadikulären Syndroms der LWS bei Spondylarthrosen,
Baastrup-Phänomen und geringer rechtskonvexer Skoliose ebenfalls einen GdB von 20 benannt. Den Gesamt-GdB
hat er mit 30 eingeschätzt. Das Sozialgericht hat des weiteren einen Bericht der Frauenklinik der Städtischen Kliniken
Darmstadt ( ) vom 5. Januar 1990, in dem über eine Laparotomie mit Hysterektomie ohne Adnexe und Adhäsiolyse
berichtet wird, beigezogen. In einem Arztbrief des Prof. vom 5. Januar 1990 heißt es, daß bei der Klägerin ein
Suspekter Smear und Uterusbieorins, bei abgeschlossener Familienplanung vorgelegen habe. Prof. berichtet am 12.
Dezember 1989, daß ein Anhalt für ein bösartiges Wachstum nicht vorläge. Hierzu hat Dr. für den Beklagten am 30.
Mai 1996 nochmals Stellung genommen, und das Sozialgericht Wiesbaden hat durch Urteil 29. August 1996 die Klage
abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, daß der von dem Beklagten im angefochtenen Bescheid festgestellte
GdB von 30 zutreffend sei. Bei dieser Bewertung seien die Ausführungen des Sachverständigen Dr. berücksichtigt
worden. Sie seien schlüssig, widerspruchsfrei und überzeugend. Die von der Klägerin als Behinderung geltend
gemachte Hysterektomie bedinge keinen GdB. Damit sei der Gesamt-GdB mit 30 festzustellen.
Gegen dieses Klägerin am 11. Oktober 1996 zugestellte Urteil hat sie am 17. Oktober 1996 Berufung beim
Hessischen Landessozialgericht eingelegt. Sie weist insbesondere darauf hin, daß das Vordergericht die
gynäkologischen Beeinträchtigungen zu Unrecht nicht berücksichtigt habe, sowie die Gesamt-GdB-Bildung fehlerhaft
sei. Des weiteren verweist sie auf ein orthopädisches Gutachten des Prof. Dr. vom 22. August 1996, das im Rahmen
des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens um die Anerkennung der Folgen des 2. Dienstunfalls erstattet worden ist.
Hierin gelangt Prof. Dr. (Orthopädische Universitätsklinik Frankfurt am Main) zu dem Ergebnis, daß davon
auszugehen sei, daß die Klägerin sich bei dem Unfall vom 18. Februar 1991 eine Teilruptur des vorderen Kreuzbandes
zugezogen habe. Die von ihm festgestellte drittgradige Instabilität des Kniegelenks bedinge eine Minderung der
Erwerbsfähigkeit um 25 v.H. Dr. weist in seiner Stellungnahme vom 2. Dezember 1996 für den Beklagten darauf hin,
daß auch bereits in dem Gutachten des Dr. eine etwas verstärkte vordere Schublade, die aber muskulär voll
kompensiert gewesen sei, benannt werde. Es könne angesichts dessen der vorgeschlagenen MdE-Erhöhung keine
GdB-Erhöhung folgen. Der Senat hat die Akten des Verwaltungsgerichts Wiesbaden zur Einsichtnahme beigezogen
und festgestellt, daß das Gutachten des Prof. Dr. der letzte dort enthaltene medizinische Befund ist. Des weiteren hat
der Senat einen Befundbericht bei Dr. (Gynäkologe, WX.) vom 21. Juli 1997 eingeholt, in dem u.a. über
therapieresistente Schlafstörungen der Klägerin berichtet wird. Sie klage über dauerhafte Müdigkeit und Erschöpfung
sowie Konzentrationsschwäche und Vergeßlichkeit und sei auch vermehrt reizbar. Es bestünden Versagensängste
und Minderwertigkeitsgefühle, insbesondere an harten Arbeitstagen.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 29. August 1996 aufzuheben und den Bescheid
des Beklagten vom 13. Dezember 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Februar 1995
abzuändern sowie den Gesamt-GdB mit 40 festzustellen.
Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Er bezieht sich im wesentlichen auf die Entscheidungsgründe im erstinstanzlichen Urteil, die Stellungnahme des Dr.
zum Gutachten des Prof. Dr. und hat sich bereit erklärt, als weitere Behinderung psychovegetative Beschwerden mit
einem Einzel-GdB von 10, ohne Erhöhung des Gesamt-GdB festzustellen.
Wegen der weiteren Einzelheiten sowie zum Vorbringen der Beteiligten im übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte
sowie den Inhalt der Verwaltungsakte des Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist,
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, denn sie ist form- und fristgerecht eingelegt sowie an sich statthaft (§§ 143, 151
Sozialgerichtsgesetz – SGG – i.V.m. § 4 Abs. 6 SchwbG).
Die Berufung ist auch überwiegend, jedenfalls ab November 1996 begründet. Das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden
vom 29. August 1996 kann keinen Bestand haben. Der Bescheid des Beklagten vom 13. Dezember 1993 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Februar 1995 ist ab November 1996 rechtswidrig. Die Klägerin wird
dadurch in ihren Rechten verletzt. Der Beklagte ist verpflichtet, ab diesem Zeitpunkt den Gesamt-GdB mit 40
festzustellen.
Nach § 3 Abs. 1 SchwbG ist eine Behinderung im Sinne des Gesetzes die Auswirkung einer nicht nur
vorübergehenden Funktionsbeeinträchtigung, die auf einem regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen
Zustand beruht. Regelwidrig ist der Zustand, der von dem für das Lebensalter typischen abweicht. Als nicht nur
vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als 6 Monaten. Bei mehreren sich gegenseitig beeinflussenden
Funktionsbeeinträchtigungen ist deren Gesamtauswirkung maßgeblich. Die Auswirkung der Funktionsbeeinträchtigung
ist als Grad der Behinderung nach 10-er Graden abgestuft von 20 bis 100 festzustellen (§ 3 Abs. 2 SchwbG). Gemäß
§ 4 Abs. 3 SchwbG ist dann, wenn mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, der Grad der Behinderung nach
den Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen
Beziehungen festzustellen. Unter Berücksichtigung der medizinischen Dokumentationen in den Akten, insbesondere
des orthopädischen Sachverständigengutachtens des Dr. vom 11. November 1995, geht der Senat davon aus, daß
die Klägerin im wesentlichen unter zwei Behinderungen auf orthopädischem Fachgebiet leidet. Zum einen handelt es
sich dabei um das Cervicocephale- und Schulter-Nackensyndrom sowie ein rezidivierendes pseuderadikuläres
Syndrom der LWS bei Spondylarthrosen, Baastrup-Phänomen und gering rechtskonvexer Skoliose. Diese als
Behinderung zu 2. im Bescheid vom 13. Dezember 1993 festgestellten Erkrankungen hat Dr. zutreffend und
unbestritten mit einem Einzel-GdB von 20 bewertet. Die zweite Behinderung betrifft die Kniegelenke der Klägerin.
Hierbei ist der Beklagte hinsichtlich der GdB-Einschätzung zum einen an den bindenden Bescheid der
Berufsgenossenschaft vom 21. Dezember 1987 wegen der Folgen des Arbeitsunfalls in Form einer
Konturvergröberung des rechten Kniegelenks, geringer Muskelverschmächtigung im Bereich des rechten körpernahen
Unterschenkels sowie des Verdachts auf mediale Seitenbandlockerung des rechten Kniegelenks, nach klinisch
nachweisbarem vorderen Kreuzbandschaden am rechten Kniegelenk gebunden. Dies gilt auch hinsichtlich der MdE-
Bewertung, die durch die BG mit 20 v.H. festgesetzt wurde. Darüber hinaus hat der Beklagte aber in dem
Widerspruchsbescheid vom 21. Februar 1995 eine Retropatellaarthrose beiderseits mit Bewegungseinschränkung
beider Kniegelenke mit einem Einzel-GdB von 10 angegeben. Wenn auch Dr. in seiner Stellungnahme vom 2.
Dezember 1996 nunmehr daran zweifelt, ob die im Erstbescheid der Berufsgenossenschaft festgestellte mediale
Seitenbandlockerung nach dem Gutachten des Prof. überhaupt noch angenommen werden kann und er deswegen
Zweifel daran hegt, ob die Berufsgenossenschaft die MdE tatsächlich insoweit erhöhen werde, hat Dr. in seinem im
erstinstanzlichen Verfahren eingeholten Sachverständigengutachten jedoch eine Behinderung an den Kniegelenken
der Klägerin beschrieben, die für sich alleine genommen bereits einen GdB von 30 ausmacht. Dr. hat ausgeführt, daß
die Klägerin unter ausgedehnten Knorpelschäden am rechten Knie und dadurch bedingter Minderbelastung des
rechten Knies sowie geringgradiger Bewegungseinschränkung des rechten Knies und über den Reservestreckapparat
kompensierbare vordere Instabilität des rechten Knies sowie einem drittgradigen Knorpelschaden am rechten Knie
(Anm. des Senats, dies muß wohl nach seinen vorangegangenen Ausführungen linken Knie heißen) im
kniebelastenden Gelenkflächenbereich leidet. Er führt hierzu weiter aus, daß sich arthroskopisch ausgedehnte
Knorpelschäden in beiden Knien gefunden hätten, rechts 2. bis 4. und links 1. bis 3. Grades. Durch diese
ausgedehnten Knorpelschäden, welche in der Belastungszone des Kniescheibengelenks sowie des
Femorotibialgelenks lägen, seien deutliche Einschränkungen der Belastbarkeit erklärbar. Infolge dieser
Knorpelschäden komme es auch zu Ergußbildungen im rechten Knie sowie zu den beschriebenen Gangstörungen, der
erheblichen Einschränkung der belastenden Kniebeuge (der Hocke). Es sei auch insoweit eine Verschlechterung im
Hinblick auf die Funktionsfähigkeit des linken Knies eingetreten, als sich bei der arthroskopischen Untersuchung des
linken Knies im April 1994 ein drittgradiger Knorpelschaden dort gezeigt habe. In den Anhaltspunkten für die ärztliche
Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz aus dem Jahre 1983
(Herausgeber: Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Bonn, 1983, Ziff. 26.18, S. 116) wird keine spezielle MdE
bzw. kein spezieller GdB für Funktionsbeeinträchtigungen durch ausgeprägte Knorpelschäden der Kniegelenke
angegeben. Angesichts dessen ist bei der GdB-Bildung nach den alten Anhaltspunkten – AHP – bei Knorpelschäden
immer ein Vergleich zur Lockerung des Kniebandapparates/Kniegelenksarthrosen erfolgt, und es sind bei der GdB-
Bewertung die Bewegungseinschränkungen im Kniegelenk in starkem Maße herangezogen worden. Danach war etwa
bei einer Lockerung des Kniebandapparates, die unvollständig kompensierbar war, also eine Gangunsicherheit nach
sich zog, ein GdB von 20 anzunehmen. Dies galt auch bei einer Bewegungseinschränkung im Kniegelenk mittleren
Grades. Da aber auch bereits nach dem Gutachten des Dr. die Kniebandinstabilität zumindest zweifelhaft sein muß,
muß die Bewertung des Beklagten in bezug auf die Kniegelenke nach den alten AHP zum einen mit 20 für die von der
Berufsgenossenschaft festgestellten Folgen des Arbeitsunfalls und mit 10 für die von dem Beklagten selbst
festgestellte Behinderung zu 3. als angemessen angesehen werden. Die von Dr. beschriebenen ausgeprägten
Knorpelschäden der Kniegelenke sind nach den Anhaltspunkten – Stand: November 1996 – allerdings anders zu
bewerten. Danach (vgl. AHP 1996, a.a.O., Ziff. 26.18, S. 152) sind ausgeprägte Knorpelschäden der Kniegelenke
(z.B. Condromalaciapatellae Stadium II bis IV) mit anhaltenden Reizerscheinungen einseitig ohne
Bewegungseinschränkung mit einem GdB von 10 bis 30 und mit Bewegungseinschränkung mit einem GdB von 20 bis
40 zu bewerten. Bei beiden Knien handelt es sich nach den Feststellungen des Dr. bei der Klägerin um derartige
ausgeprägte Knorpelschäden, rechts 2. bis 4. Grades und links 1. bis 3. Grades. Dr. Hohneck beschreibt die
Bewegungseinschränkungen bei der Klägerin damit, daß sich rechts ein hinkendes Gangbild mit unterschiedlicher
Schrittlänge gezeigt habe, die Hocke unter Belastung ausschließlich des linken Beines möglich gewesen sei. Zudem
handelt es sich nicht nur um einen einseitig ausgeprägten Knorpelschaden, sondern um beidseitig ausgeprägte
Knorpelschäden, so daß es unabhängig davon, wie die Bewegungseinschränkungen sich im Einzelnen auswirken
mögen, auf jeden Fall gerechtfertigt erscheint einen GdB von 30 für die Auswirkungen der Funktionseinschränkungen
der Klägerin im Kniebereich insgesamt, also auch unter Berücksichtigung der von der Berufsgenossenschaft
festgestellten Folgen des Arbeitsunfalls, anzunehmen. Den Aspekt der Knorpelschäden läßt Dr. in seiner
Stellungnahme völlig außer Betracht, so daß er bereits deswegen von dem Beklagten keine Erhöhung des GdB für die
Kniegelenksbeschwerden der Klägerin vorgeschlagen hat.
Soweit der Beklagte sich darauf bezieht, daß er an die Feststellungen des Unfallversicherungsträgers im Hinblick auf
die Höhe der MdE für seine GdB-Bewertung nach § 4 Abs. 2 SchwbG gebunden sei, so hat diese Regelung nur
teilweise Auswirkungen auf die Bewertung im vorliegenden Fall. Wie zuvor bereits ausgeführt, ist der Beklagte an die
Feststellungen der Berufsgenossenschaft im Bescheid vom 21. Dezember 1987 gebunden. Es handelt sich hierbei
um einen bindenden, nicht angefochtenen Bescheid. Der GdB ist insoweit mit 20 zu bewerten. Etwas anderes gilt für
die im Bescheid des Regierungspräsidenten vom 16. Mai 1994 angegebene degenerative Schädigung des Meniskus
des rechten Knies, die Condromalacia und die Teilruptur des vorderen Kreuzbandes. Im Hinblick auf diese
Erkrankungen hat der Regierungspräsident lediglich festgestellt, daß sie nicht Folgen des Dienstunfalls vom 18.
Februar 1991 gewesen seien. Dies hat die Klägerin vor dem Verwaltungsgericht Wiesbaden angegriffen und hierüber
ist noch keine rechtskräftige Entscheidung getroffen worden. Im Falle des Unterliegens der Klägerin ist auch mit
keiner rechtskräftigen Entscheidung im Hinblick auf die Höhe der MdE zu rechnen und im Falle des Obsiegens hat der
Beklagte sich nachträglich, sofern die Entscheidung auch die von Dr. und dem Senat zuvor benannten
Knorpelschäden der Kniegelenke betrifft, an dieser zu orientieren; er darf zumindest keinen niedrigeren GdB
feststellen. Insoweit ist aber noch gar keine Feststellung im Sinne des § 4 Abs. 2 SchwbG von einem der dort
genannten Träger getroffen worden und wann es insoweit zu einer bindenden Feststellung kommt, ist auch nicht
absehbar. Nur in dem Fall, in dem bereits eine Feststellung über das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der
auf ihr beruhenden Minderung der Erwerbsfähigkeit von einem anderen Träger getroffen worden ist, ist der Beklagte an
diese Feststellung gebunden. Ansonsten hat er die Feststellungen nach § 4 Abs. 1 SchwbG selbst zu treffen, also
auch im vorliegenden Fall und an seiner Stelle der Senat.
Der Senat vertritt auch die Auffassung, daß die AHP in der Fassung von November 1996 in einem vor diesem
Zeitpunkt begonnenen Klageverfahren zur Überprüfung eines vor diesem Zeitpunkt erlassenen und angefochtenen
Bescheides anzuwenden sind. Grundsätzlich legt der Senat seinen Entscheidungen die AHP, sei es in der Fassung
1983, sei es in der Fassung von November 1996, im Interesse einer Gleichbehandlung aller Behinderten zugrunde,
denn sie bilden ein in sich geschlossenes Bewertungssystem in der Art antizipierter Sachverständigengutachten. Mit
der Änderung der AHP durch Herausgabe im November 1996 hat der Senat nun aber auch diese neuen AHP seiner
Entscheidung zugrunde zu legen, denn nur so kann eine Gleichbehandlung aller Behinderten möglichst zeitnah
erreicht werden. Andererseits können die neuen AHP jedoch erst ab dem Zeitpunkt ihrer Herausgabe im November
1996 den Entscheidungen zugrunde gelegt werden, denn erst ab diesem Zeitpunkt standen sie als Bewertungsgefüge
den den GdB feststellenden Verwaltungen und Gerichten zur Verfügung, und der Herausgeber hat sich nicht zu einem
Zeitpunkt des Wirksamwerdens bzw. des Anwendungsbeginns der AHP geäußert. Da es sich bei den APH weder um
Gesetze, noch um untergesetzliche Regelungen handelt, sondern wie eingangs bereits ausgeführt, um ein gesetzlich
nicht vorgegebenes Bewertungsgefüge in Form von antizipierten Sachverständigengutachten, können Regeln über
Rückwirkung von gesetzlichen Normen oder über das Inkrafttreten von Normen hier keine Anwendung finden. Die
Bewertungsmaßstäbe der AHP spiegeln die herrschende medizinische Lehrmeinung wieder, und diese ist in jedem
Fall ab dem Zeitpunkt den rechtlichen Bewertungen zugrunde zu legen, ab dem sie durch schriftliche Fixierung als
herrschende medizinische Lehrmeinung angesehen werden muß. Dem steht auch nicht die in dem Rundschreiben des
BMA vom 19. Dezember 1996 (Az.: VI 5-55463-4) vertretene Auffassung entgegen, daß die neuen AHP ab 1. Januar
1997 allen Begutachtungen zu Grunde zu legen seien (Bundesarbeitsblatt 1997, Heft 2, S. 98). Da, wie oben bereits
ausgeführt, die AHP die herrschende medizinisch-wissenschaftliche Lehrmeinung beschreiben, müssen deren
Maßstäbe ab dem Zeitpunkt der Überarbeitung im November 1996 als Grundlage der Bewertung dienen (vgl. auch
Niederschrift über die Tagung der Sektion "Versorgungsmedizin” des Ärztlichen Sachverständigenbeirats beim BMA
vom 15. April 1997, Punkt 1.2 Handhabung der neuen AHP). Dies gilt auch nicht nur für beispielsweise Neuanträge
(vgl. Rundschreiben des BMA, a.a.O.), sondern in Gerichtsverfahren ebenso für vor dem 31. Dezember 1996 gestellte
Überprüfungsanträge oder vor diesem Zeitpunkt erlassene und angefochtene Bescheide. Im Rahmen der Leistungs-
und/oder Verpflichtungsklage ist der maßgebliche Beurteilungszeitpunkt nämlich der der letzten mündlichen
Verhandlung (vgl. Meyer-Ladewig, SGG mit Erläuterungen, 5. Auflage, München 1993, § 54 Rdnr. 34).
Unter Beachtung der Regeln zur Gesamt-GdB-Bildung in Ziff. 19 der AHP (a.a.O., S. 33 ff.) ist bei Einzel-GdB’en von
30 und 20, die zudem unterschiedliche körperliche Bereiche betreffen und unterschiedliche Auswirkungen insoweit
haben, von einem Gesamt-GdB von 40 auszugehen. Keinen Einfluß auf diesen Gesamt-GdB hat die von dem
Beklagten im Schriftsatz vom 25. August 1997 festgestellte weitere Behinderung der psychovegetativen
Beschwerden. Diese sind mit einem GdB von 0 bis 20 (vgl. AHP Ziff. 26.3, a.a.O., S. 60) im Falle von leichteren
psychovegetativen oder psychischen Störungen zu beurteilen. Bei den von Dr. Worthmann in seinem Befundbericht
angegebenen Schlafstörungen der Klägerin handelt es sich allenfalls um leichtere psychovegetative Störungen, so
daß der GdB von 10, wie von dem Beklagten angegeben, durchaus gerechtfertigt ist. Andere Behinderungen
vermochte der Senat nicht festzustellen. Im Hinblick auf die von der Klägerin geltend gemachte Hysterektomie wird
auf die zutreffenden Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil Bezug genommen und auf eine erneute Wiederholung
der Entscheidungsgründe insoweit verzichtet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war zuzulassen, da die Entscheidung im Hinblick auf den Zeitpunkt der Anwendbarkeit der AHP
grundsätzliche Bedeutung hat.