Urteil des LSG Bayern vom 25.02.2005
LSG Bayern: ausstattung, bedürftigkeit, arbeitslosenhilfe, schenkung, eltern, lebensstellung, haushalt, anteil, hochzeit, zuwendung
Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 25.02.2005 (rechtskräftig)
Sozialgericht Augsburg S 4 AL 532/02
Bayerisches Landessozialgericht L 8 AL 376/04
Bundessozialgericht B 11a AL 115/05 B
I. Auf die Berufung des Klägers wird die Beklagte unter Aufhebung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts
Augsburg vom 24. August 2004 und der Bescheide vom 27. Juni 2002 sowie 26. August 2002 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 7. Oktober 2002 dem Grunde nach verurteilt, dem Kläger ab 18. Juli 2002
Arbeitslosenhilfe zu bewilligen. II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu
erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist der Anspruch auf Arbeitslosenhilfe (Alhi) ab 08.07.2002 dem Grunde nach streitig.
Der 1946 geborene Kläger ist verheiratet und hat drei Kinder. Er war vom 10.04.1977 bis 14.02.2000 als angelernter
Teileschlosser beschäftigt und bezog ab 09.05.2000 Arbeitslosengeld (Alg). Nach Beschäftigungen als Lackiererhelfer
vom 02. bis 27.07. und 27.08. bis 21.12.2001 bezog er bis zur Erschöpfung des Anspruches am 17.07.2002 Alg.
In seinem Antrag auf Alhi vom 07.05.2002 führte der Kläger mehrere Vermögenswerte auf. Am 21.05.2002 gab er
schriftlich an, seine Ersparnisse seien von ihm, seiner Frau und seinen Kindern gemeinsam erbracht worden; auch die
Kinder hätten alles, was sie verdienten, zu Hause abgegeben; zur Heirat hätte jedes der Kinder seinen Anteil
bekommen.
Er legte eine schriftliche Erklärung seines 1975 gebogeborenen Sohnes S. vor, wonach er von seinen Eltern
30.000,00 EUR erhalten habe. Die Tochter M. erklärte am 18.05.2002 schriftlich, von ihren Eltern für die Hochzeit und
die Feierlichkeiten 40.000,00 EUR erhalten zu haben. Der Sohn A. bestätigte am 18.05.2002 schriftlich, von seinen
Eltern 30.000,00 EUR erhalten zu haben.
Mit Bescheid vom 27.06.2002 lehnte die Beklagte den Antrag auf Alhi ab. Der Kläger und seine Ehegattin verfügten
über ein Vermögen in Höhe von 106.041,89 EUR, das verwertbar und dessen Verwertung zumutbar sei. Unter
Berücksichtigung eines Freibetrages für den Kläger in Höhe von 29.640,00 EUR und für die Ehefrau in Höhe von
25.480,00 EUR verblieben 50.921,89 EUR; dieser Betrag sei bei der Prüfung der Bedürftigkeit zu berücksichtigen.
Mit seinem Widerspruch wiederholte der Kläger seinen Vortrag, das Vermögen gehöre nicht ihm und seiner Frau allein,
sondern auch den Kindern, denen es als Aussteuergeld zurückgegeben worden sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 07.10.2002 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Der Einwand,
das Vermögen habe nicht ihm gehört, weil es sich um Aussteuergelder gehandelt habe, sei nicht nachgewiesen und
auch nicht glaubhaft. Die sog. Aussteuergelder seien nicht zum Zeitpunkt der Volljährigkeit ausbezahlt worden. Der
Kläger habe angegeben, die Kinder hätten ihren Anteil erhalten, als sie geheiratet hätten; dies widerspreche den
Angaben im Antragsformular, wo von einer Auszahlung von 100.000,00 EUR an die Tochter im März 2002 die Rede
sei. Der Kläger habe sein Vermögen offensichtlich zum Zwecke der Herbeiführung der Bedürftigkeit an die Kinder
übertragen. Es sei für ihn absehbar gewesen, dass der Anspruch auf Alg am 27.07.2002 ende und bei der
Beantragung von Alhi vorhandenes Vermögen berücksichtigt werde.
Mit seiner Klage hat der Kläger vorgetragen, das gemeinsame Vermögen sei im Mai 2002 in bar entsprechend dem
Produktivitätsanteil der Kinder am gemeinsamen Vermögen verteilt worden. Anlass für diesen Verteilungsvorgang sei
gewesen, dass im Mai schließlich alle Kinder das gemeinsame Elternhaus verlassen hätten; zuvor habe der Sohn A.
1997 geheiratet und einen eigenen Haushalt gegründet. Der Sohn S. sei im Jahr 2000 in einen eigenen Haushalt
gezogen, die Tochter habe im August 2001 geheiratet und sei in den Monaten danach in eine eigene Wohnung
gezogen. Beweis hierfür seien die Zeugnisse der Kinder, deren Zeugenvernehmung angeboten werde. Im Zeitpunkt
der Antragstellung am 13.06.2002 habe der Kläger über ein liquides Barvermögen in Höhe von ca. 2.500,00 EUR
verfügt.
Mit Gerichtsbescheid vom 24.08.2004 hat das SG die Klage abgewiesen. Den Vortrag des Klägers, das von der
Beklagten in Ansatz gebrachte Vermögen gehöre seinen Kindern, weise das Gericht als Schutzbehauptung zurück.
Nach den Unterlagen sei das infrage stehende Vermögen kurze Zeit vor Beantragung der Alhi auf einem Bankkonto
gutgeschrieben worden, das auf den Kläger bzw. seine Ehefrau gelautet habe. Nur diese beiden seien
verfügungsberechtigt gewesen. Auch seien die Angaben des Klägers im Verwaltungs- und Klageverfahren
widersprüchlich; während er zunächst vorgetragen habe, den Betrag von 100.000,00 EUR seiner Tochter anlässlich
deren Heirat im März 2002 als Aussteuer übertragen zu haben, habe er kurze Zeit später ausgeführt, das Vermögen
von 100.000,00 EUR sei auf seine drei Kinder verteilt worden. Der Kläger habe keine geeigeneten schriftlichen
Nachweise vorgelegt, die seine Angaben bestätigen könnten.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers, der auf sein bisheriges Vorbringen Bezug nimmt.
Er beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts Augsburg vom 24.08.2004
und der Bescheide vom 27.06. und 26.08.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.10.2002 zu
verurteilen, ihm ab 18.07.2002 Arbeitslosenhilfe zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Verwaltungsunterlagen der Beklagten und der
Verfahrensakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -), ein
Ausschließungsgrund (§ 144 Abs.1 SGG) liegt nicht vor.
Das Rechtsmittel erweist sich auch in der Sache als begründet.
Der Kläger hat Anspruch auf Alhi ab 18.07.2002.
Unstreitig erfüllt der Kläger die Voraussetzungen des § 190 Abs.1 Nr.1 - 4 SGB III, da er ab dem streitigen Zeitraum
arbeitslos war, sich arbeitslos gemeldet hatte, keinen Anspruch auf Alg hatte, jedoch in der Vorfrist von einem Jahr (§
192 Satz 1 SGB III) Alg bezogen hatte. Entgegen der Auffassung der Beklagten und des SG war der Kläger ab dem
streitigen Zeitraum auch bedürftig im Sinne des § 190 Abs.1 Nr.5 SGB III. Er verfügte ab 18.07.2002 über kein
Vermögen, das nach der Arbeitslosenhilfe-Verordnung (AlhiV) vom 13.12.2001 (BGBl.I S.3734), erlassen aufgrund der
Ermächtigung des § 206 Nr.1 - 4 SGB III, bei der Prüfung der Bedürftigkeit zu berücksichtigen gewesen wäre. Gemäß
§ 1 Abs.1 AlhiV 2002 ist das gesamte verwertbare Vermögen 1. des Arbeitslosen und 2. seines nicht dauernd
getrennt lebenden Ehegatten, seines Lebenspartners oder einer Person, die mit ihm in eheähnli cher Gemeinschaft
lebt (Partner), zu berücksichtigen, soweit der Wert des Vermögens den Freibetrag übersteigt. Gemäß § 1 Abs.2 AlhiV
ist Freibetrag ein Betrag von 520,00 EUR je vollendetem Lebensjahr des Arbeitslosen und seines Partners. Danach
würde von vornherein ein Vermögen von 55.120,00 EUR unberücksichtigt bleiben, wollte man davon ausgehen, dass
am 18.07.2002 und/oder später noch ein dem Kläger und seiner Ehefrau zurechenbares Vermögen vorhanden war.
Der Kläger und seine Ehefrau konnten vor dem 28.07.2002 den Restbetrag des festgestellten Vermögens in Höhe von
50.921,89 EUR an die Kinder als Aussteuergelder übertragen, ohne dass dies der Annahme von Bedürftigkeit
entgegensteht. Zur Überzeugung des Senats ist durch die vorgelegten schriftlichen Erklärungen der Kinder
ausreichend bewiesen, dass der Kläger und seine Ehefrau zumindest einen Betrag in dieser Höhe an die drei Kinder
übertragen haben. Der Senat sah keinen Anlass, an der Richtigkeit dieser Erklärungen zu zweifeln. Der Hinweis der
Beklagten auf die Eintragung in dem Alhi-Antrag bezüglich einer Übertragung von 100.000,00 EUR im März 2002 steht
bei genauer Prüfung nicht im Widerspruch zu den vorgelegten Erklärungen der drei Kinder; soweit bezüglich dieser
Übertragung in dem Alhi-Antrag die "Hochzeit" erwähnt ist, findet sich diese Eintragung unter der Rubrik
"Verwendungszweck" und bedeutet nicht zwangsläufig, dass dieser Betrag in voller Höhe ausschließlich an die
Tochter übertragen worden ist. Wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar erläuterte, war vielmehr
die Hochzeit der Tochter der Anlass, im März 2002 den Betrag von 100.000,00 EUR zu übertragen, und zwar an die
drei Kinder.
Soweit die Beklagte in dieser Übertragung eine Schenkung sieht, könnte dem Kläger kein Rückübertragungsanspruch
nach § 528 Abs.1 BGB entgegengehalten werden. Denn § 1624 Abs.1 BGB bestimmt, dass nicht als Schenkung gilt,
was einem Kinde mit Rücksicht auf seine Verheiratung oder auf die Erlangung einer selbständigen Lebensstellung zur
Begründung oder zur Erhaltung der Wirtschaft oder Lebensstellung von dem Vater oder der Mutter zugewendet wird
(Ausstattung), auch wenn eine Verpflichtung nicht besteht; als Schenkung gilt eine Übertragung nur soweit, als die
Ausstattung das den Umständen, insbesondere den Vermögensverhältnissen des Vaters oder der Mutter
entsprechende Maß übersteigt. Zwar könnte die Übertragung von 100.000,00 EUR an die Kinder als übermäßig
anzusehen sein, als Schenkung mit der Folge eines Rückübertragungsanspruches nach § 528 Abs.1 BGB wäre
dennoch nur der übermäßige Anteil an der übertragenen Summe anzusehen, während der Teil, der nicht als
übermäßige Schenkung zu gelten hat, über § 1624 Abs.1 BGB geschützt ist. Der hier interessierende Betrag von
50.921,89 EUR, verteilt auf die drei Kinder, wäre keine übermäßige Ausstattung, nachdem den Eltern immer noch ein
Betrag in Höhe der Freibeträge nach § 1 Abs.2 AlhiV verblieben wäre.
Für die Anerkennung als Ausstattung im Sinne des § 1624 Abs.1 BGB kommt es nicht darauf an, ob die Ehe erst
geschlossen werden soll oder schon geschlossen ist, ob die Lebensstellung erst geschaffen werden soll oder schon
begründet ist, solange die notwendige Zwecksetzung gegeben ist (vgl. von Sachsen Gessaphe in Münchener
Kommentar, BGB, Rdnr.5 zu § 1624). Nebenzweck kann z.B. auch die Gleichstellung eines Kindes mit anderen
bisher bevorzugten Abkömmlingen sein. Bei Unaufklärbarkeit des Zweckes einer größeren elterlichen Zuwendung liegt
die Deutung als Ausstattung nahe (a.a.O.).
Davon ausgehend kann die Beklagte nicht schlüssig einwenden, der Sohn A. habe bereits 1997 und die Tochter erst
im August 2001 geheiratet sowie der Sohn S. schon im Jahre 2000 einen eigenen Haushalt bezogen. Es bleibt den
Eltern unbenommen, einen geeigneten Zeitpunkt abzuwarten, um den Kindern gleichzeitig die Ausstattung zukommen
zu lassen; wesentlich ist, dass die Zuwendung der Begründung bzw. Festigung der eigenständigen Lebensstellung
dient.
Unerheblich ist insoweit auch, dass der Zeitpunkt für die Ausstattung möglicherweise von der mit der
Geltendmachung des Alhi verbundenen Prüfung der Bedürftigkeit beeinflusst war. Gegen den Vorwurf einer
"missbräuchlichen" Herbeiführung der Bedürftigkeit ist einzuwenden, dass § 1624 BGB eine Wertentscheidung des
Gesetzgebers enthält, den Kindern als Unterform des Unterhaltsanspruches eine gefestigte Rechtsposition auf eine
entsprechende Ausstattung zu verschaffen, die auch die Beklagte zu respektieren hat.
Somit war die Beklagte unter Aufhebung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts Augsburg vom 24.08.2004 und
der Bescheide vom 27.06.2002 sowie 26.08.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.10.2002 dem
Grunde nach zu verurteilen, dem Kläger ab 18.07.2002 Arbeitslosenhilfe zu bewilligen; die Beklagte hatte nach Erlass
des Ablehnungsbescheides vom 27.06.2002 auf einen erneuten Antrag des Klägers hin einen weiteren
Ablehnungsbescheid vom 26.08.2002 erlassen, der ebenfalls aufzuheben war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.