Urteil des LSG Bayern vom 06.05.2005

LSG Bayern: venire contra factum proprium, freiwillige versicherung, auskunft, krankenkasse, mitgliedschaft, beendigung, australien, form, ehescheidung, anzeige

Bayerisches Landessozialgericht
Beschluss vom 06.05.2005 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Augsburg S 12 KR 54/01
Bayerisches Landessozialgericht L 4 KR 163/02
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 22. Januar 2002 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
I.
Die 1960 geborene Klägerin war ab 01.07.1991 bei der Beklagten familienversichert. Ihre Ehe wurde am 10.10.1995
rechtskräftig geschieden. Dennoch wurde sie bei der Beklagten weiterhin als familienversichert geführt. In der
Auskunft vom 07.10.1998 an die Beklagte verneinte die Klägerin die Fragen der Erwerbstätigkeit bzw. Ausübung einer
selbständigen Tätigkeit. In der weiteren Auskunft vom 08.06.1999 gab sie an, sie sei Hausfrau, über ihren Ehemann
familienversichert und erhalte ab Ende 1994 Sozialhilfe in Höhe von monatlich 1.063,00 DM. Sie erklärte am
29.06.1999 der Beklagten, sie wolle ab 10.10.1995 rückwirkend Mitglied der Kasse werden. Nach ihren Angaben hat
sie ihren geschiedenen Ehemann am 15.11.1999 wieder geheiratet. Sie ist mittlerweile Mitglied einer anderen
Krankenkasse.
Mit Bescheid vom 30.06.1999 stellte die Beklagte das Ende der Familienversicherung mit der Rechskraft des
Scheidungsurteils fest und forderte für die Durchführung der freiwilligen Versicherung vom 10.10.1995 bis 30.06.1999
in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung Beiträge in Höhe von insgesamt 10.320,60 DM. Der
Sozialhilfeträger (Landratsamt N.) lehnte mit Schreiben vom 27.07.1999 an die Beklagte eine Übernahme der
rückständigen Beiträge ab.
Mit Bescheid vom 15.09.1999 stellte die Beklagte das Ende der freiwilligen Mitgliedschaft wegen Nichtzahlung der
Beiträge zum 15.09.1999 fest. Der Gesamtrückstand der Beiträge in der ge- setzlichen Kranken- und
Pflegeversicherung wurde mit 11.295,70 DM angegeben. Die Beklagte erteilte am 31.01.2000 einem
Gerichtsvollzieher einen Vollstreckungsauftrag gegen die Klägerin.
Die Klägerin hat am 25.04.2000 beim Verwaltungsgericht A. deswegen Klage erhoben. Die Beklagte hat hierin die
Erhebung eines Widerspruchs gesehen und mit Bescheid vom 13.11.2000 den Bescheid vom 30.06.1999 insoweit
berichtigt, als sie das Ende der Familienversicherung zum 10.10.1995 und den Beginn der freiwilligen Mitgliedschaft
zum 11.10.1995 festgestellt hat; sie hat infolgedessen die Beitragsforderung um insgesamt 5,52 DM verringert.
Mit Widerspruchsbescheid vom 13.12.2000 hat die Beklagte den Widerspruch zurückgewiesen. Die Mitgliedschaft der
Klägerin habe mit dem Tag nach dem Ende der Familienversicherung begonnen (11.05.1995). Ab diesem Zeitpunkt
seien Beiträge zu entrichten. Entgegen der Behauptung der Klägerin hätten die Mitglieder der Geschäftsstelle in U.
nicht die Auskunft gegeben, sie sei weiterhin über ihren Ehemann versichert. Bei der Beendigung der
Familienversicherung wegen Rechtskraft eines Scheidungsurteils handle es sich um eine sehr einfache Sach- und
Rechtslage, die zum sog. "Tagesgeschäft" zähle und allein dadurch den qualifizierten Mitarbeitern der Geschäftsstelle
hinlänglich bekannt sei. Es lägen keine Anhaltspunkte für eine derartige Auskunft vor. Es stehe dem
Beitragsschuldner oder dem für ihn leistenden Dritten zu, bei der Beitragszahlung eine Zweckbestimmung hinsichtlich
der Verbuchung vorzunehmen. Werde keine Bestimmung getroffen, werde zunächst die fällige Schuld getilgt. Die
Klägerin habe entsprechend ihrem Vorbringen nach dem 10.10.1995 die laufenden Beiträge für die Mitgliedschaft ihres
Mannes gezahlt.
Die Klägerin hat hiergegen am 17.01.2001 Klage beim Sozialgericht Reutlingen erhoben, das sich mit Beschluss vom
05.02.2001 für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das örtlich zuständige Sozialgericht Augsburg (SG)
verwiesen hat. Auf Anfrage des SG hat die Klägerin Kopien von Kontoauszügen über Zahlungen an die Beklagte für
die Zeit von Juni bis September 1997 und Februar bis September 1998 sowie April 1999 vorgelegt. Ihr Ehemann habe
sich im Oktober 1995 bei der Beklagten über den weiteren Verlauf der Versicherung beraten lassen. Ihm sei mitgeteilt
worden, die Klägerin sei "automatisch weiterversichert", wenn die Beiträge eingehen würden. Dies sei ihr auf ihre
eigene Nachfrage hin von der Beklagten auch im Oktober 1995 bestätigt worden. Die Beklagte hat mitgeteilt, sie habe
1996 und 1997 die Kosten dreier stationärer Behandlungen übernommen. Ihre Auskünfte über die Telefongespräche
mit der Beklagten seien nur in Bezug auf die Versicherung während des geplanten Auslandsaufenthalts des Ehegatten
denkbar. Hätte sie erwähnt, dass die Ehe bereits rechtskräftig geschieden wurde, hätte sie eine anders lautende
Auskunft erhalten.
Das SG hat in der mündlichen Verhandlung am 22.01.2002 den Ehemann der Klägerin und den Zeugen S.
einvernommen. Der Ehemann hat erklärt, er habe keine Beiträge gezahlt und sei mit seiner Frau zusammen versichert
gewesen. Er sei aufgrund eines Gesprächs in der Geschäftsstelle der Beklagten der Meinung gewesen, seine Frau sei
weiterhin versichert, wenn die Beiträge bezahlt würden. Der Zeuge S. , der bei dem Telefongespräch der Klägerin mit
der Geschäftsstelle der Beklagten anwesend gewesen ist, hat keine Angaben zu den Einzelheiten des
Telefongesprächs gemacht.
Das SG hat mit Urteil vom 22.01.2002 die Klage abgewiesen. Die Familienversicherung der Klägerin habe am
10.10.1995 mit der Rechtskraft des Scheidungsurteils geendet. Die Klägerin habe, wenn auch verspätet, von ihrem
Beitrittsrecht zur freiwilligen Versicherung Gebrauch gemacht. Sie habe sich ursprünglich auch nicht dagegen
gewendet, dass ein Ende der Familienversicherung im Oktober und der gleichzeitige Beitritt zur freiwilligen
Versicherung festgestellt worden sei. Aufgrund der Aussagen der Klägerin und der Zeugen sei das Gericht jedoch
nicht davon überzeugt, dass die Klägerin die Auskunft erhalten habe, dass nichts zu veranlassen sei und dass für
eine Mitgliedschaft von ihr selbst Beiträge gezahlt worden seien. Es habe vielmehr den Eindruck, dass die Klägerin
und die Zeugen nicht die Wahrheit gesagt haben. Wenn im Oktober 1995 die Scheidung erwähnt worden wäre, dann
wäre zu erwarten gewesen, dass die betreffende Bedienstete der Beklagten der Klägerin einen Antrag auf
Weiterversicherung zugesandt hätte. Wäre der Beklagten die Scheidung bereits 1995 bekannt gewesen, dann hätte ihr
Ehemann im Jahr 1999 keine Versichertenkarte für eine Familienversicherung über die Klägerin erhalten können. Die
vom Konto der Klägerin abgebuchten Beträge seien nicht für ihr eigenes Versicherungsverhältnis gezahlt worden,
sondern für die Beiträge für die weiterlaufende Versicherung ihres Ehemannes.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin vom 06.08. 2002, die nicht begründet worden ist. Der Ehemann der
Klägerin hat auf die Erinnerung der Berufungsbegründung am 03.01.2005 angegeben, seine Ehefrau sei mit
unbekannter Adresse nach Australien verzogen. Das Einwohnermeldeamt P. hat auf mehrmalige Anfrage des Senats
jedoch mitgeteilt, dass die Klägerin unter der bisherigen Adresse in P. weiterhin gemeldet sei; über einen Aufenthalt in
Australien sei nichts bekannt.
Die Beteiligten wurden zur Zurückweisung der Berufung durch Beschluss gehört.
Beigezogen wurden die Akten der Beklagten und des SG, auf deren Inhalt im Übrigen Bezug genommen wird.
II.
Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Der Senat
entscheidet gemäß § 153 Abs.4 SGG durch Beschluss, da er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine
mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Entsprechend dem Trennungsbeschluss entscheidet der Senat nicht
über die Beiträge zur gesetzlichen Pflegeversicherung.
Die Berufung ist unbegründet. Das SG hat zu Recht die Klage abgewiesen. Die Klägerin ist verpflichtet, für die Dauer
ihrer freiwilligen Versicherung bei der Beklagten vom 10.10.1995 bis 15.09.1999 Beiträge zu zahlen. Denn gemäß §§
250 Abs.2, 252 Satz 1 Sozialgesetzbuch V (SGB V) tragen die freiwilligen Mitglieder den Beitrag allein und sind zur
Zahlung an die Krankenkasse verpflichtet.
Da die Klägerin trotz Erinnerung die Berufung nicht begründet hat, nimmt der Senat gemäß § 153 Abs.2 SGG
zunächst auf die Entscheidungsgründe im angefochtenen Urteil Bezug und weist ergänzend auf Folgendes hin:
Auch wenn nach objektiver Beendigung der Familienversicherung mit der rechtskräftigen Scheidung am 10.10.1995
für die Klägerin eine Beitrittsmöglichkeit zur freiwilligen Versicherung gemäß § 9 Abs.1 Nr.2 SGB V bestanden hat, ist
fraglich, ob im Zeitpunkt der Anzeige des Beitritts zur freiwilligen Versicherung am 29.06.1999 die Frist von drei
Monaten für die Anzeige des Beitritts bereits abgelaufen war. Denn das Bundessozialgericht (BSG) hat im Urteil vom
07.12.2000 (SozR 3-2500 § 10 Nr.19) die Auffassung geäußert, dass in den Fällen der rückwirkenden Beendigung der
Familienversicherung § 9 Abs.2 Nr.2 SGB V in der Form anzuwenden sein dürfte, dass die Dreimonatsfrist erst mit
der Bekanntgabe des entsprechenden Bescheides beginnt, nicht jedoch bereits zu dem in der Vergangenheit
liegenden Zeitpunkt des Beginns der Rückwirkung. Denn ein Anlass für die Ausübung jenes Gestaltungsrechts
besteht erst mit der Entscheidung der Krankenkasse über die rückwirkende Beendigung der Familienversicherung. Bei
Erlass eines die Versicherung - auch rückwirkend - beendenden Verwaltungsakts obliege es dann der Krankenkasse,
den Betroffenen auf die erläuterte Möglichkeit hinzuweisen; anderenfalls stünde den Betroffenen unter Umständen der
sozialrechtliche Herstellungsanspruch zur Seite.
Da die Klägerin im streitigen Zeitraum der freiwilligen Versicherung Sachleistungen der Beklagten in Anspruch
genommen hat, wäre ihr Einwand gegen die Beitragszahlungsverpflichtung, eine Versicherung sei nicht rückwirkend
zustande gekommen, als rechtsmissbräuchlich zurückzuweisen (venire contra factum proprium).
Der Senat ist - wie das SG - nicht davon überzeugt, dass die Klägerin die Beiträge für die freiwillige Versicherung
bereits gezahlt hat. Denn schon ihre Angaben im erstinstanziellen Verfahren sind unschlüssig und stehen in
Widerspruch zu ihren Angaben im Verwaltungsverfahren. Sie hat am 07.10.1998 und 08.06. 1999 der Beklagten die
Auskunft gegeben, sie sei noch über ihren Ehemann familienversichert, obwohl sie bereits seit dem 10.10.1995 von
ihm rechtskräftig geschieden war. Da die Klägerin mit dieser Angabe eine Fortsetzung der beitragsfreien
Familienversicherung (§ 3 Satz 3 SGB V) erreichen wollte, hätte kein Anlass für sie bestanden, Beiträge an die
Beklagte zu zahlen. Der Senat ist vielmehr davon überzeugt, dass die Klägerin solange wie möglich den Irrtum der
Krankenkasse bestehen und die beitragfreie Familienversicherung aufrechterhalten lassen wollte. Es ist auch nicht
ersichtlich, dass die Krankenkasse gegenüber der Klägerin einen Bescheid über die Höhe der Beiträge zur freiwilligen
Versicherung erlassen hat. Die von der Klägerin vorgelegten Kontoauszüge sind nicht geeignet, die Zahlung von
Beiträgen für eine eigene freiwillige Versicherung der Klägerin bei der Beklagten zu belegen, zumal sie auch nicht den
gesamten streitigen Zeitraum betreffen. Auffällig ist auch, dass die an die Beklagte angewiesenen Zahlungen der
Höhe nach nicht mit den von der Beklagten in den Bescheiden vom 30.06. 1999 und 15.09.1999 angebenen
Beitragshöhe übereinstimmen.
Soweit sich die Klägerin auf eine angebliche Auskunft der Beklagten im Oktober 1995 über eine "automatische
Weiterversicherung" beruft, kann die Klägerin daraus nicht mit Recht beanspruchen, sie sei im streitigen Zeitraum
weiterhin über ihren Ehemann familienversichert gewesen. Eine Zusicherung ergibt sich hieraus nicht, da es an der
schriftlichen Form fehlt (§ 34 Abs.1 Satz 1 Sozialgesetzbuch X). Im Übrigen ist diese allgemein gehaltene
Rechtsauskunft der Beklagten über die Familienversicherung als solche für den vorliegenden Fall ohne Bedeutung, da
die Beklagte nach ihren glaubwürdigen Angaben erst im Juni 1999 von der Ehescheidung der Klägerin im Oktober
1995 schriftlich erfahren hat. Der Senat hält es aufgrund der vom SG durchgeführten Beweisaufnahme für
unwahrscheinlich, dass die Krankenkasse der Klägerin bzw. ihrem Ehemann in Kenntnis der Ehescheidung mitgeteilt
haben sollte, dass die Familienversicherung weiterhin bestehe. Denn es handelt sich hierbei um eine rechtlich einfach
gelagerte Frage, die ohne weiteres zutreffend beantwortet werden kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs.2 Nrn.1, 2 SGG.