Urteil des LSG Bayern vom 29.09.2004

LSG Bayern: stationäre behandlung, chirurg, zustand, unfallfolgen, diagnose, rente, neurologie, psychiatrie, verdacht, verminderung

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 29.09.2004 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Regensburg S 5 U 171/02
Bayerisches Landessozialgericht L 2 U 148/04
Bundessozialgericht B 2 U 12/04 BH
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 08.03.2004 wird
zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die 1941 geborene Klägerin stürzte laut Unfallanzeige vom 24.11.2000 am 19.09.2000 und verletzte sich dabei am
rechten Knie.
Der Durchgangsarzt, der Chirurg Dr.G. , diagnostizierte am 19.09.2000 eine Patellafraktur mit zwei quer verlaufenden
Frakturlinien. Vom 19.09. bis 09.11.2000 befand sich die Klägerin in stationärer Behandlung im Krankenhaus N. bei
Dr.G ... Am 21.09.2000 wurde die multifragmentäre Patellafraktur operativ versorgt. In der Nacht vor der Entlassung
klagte die Klägerin über Schmerzen, so dass eine Spaltung des Gipstudors notwendig wurde. Am 14.10.2000 wurde
nach Rückbildung der Beschwerden ein neuer Gipstudor angefertigt. Da die Klägerin erneut über Druckgefühl und
Schmerzen klagte, sowie über Parästhesien am Vorfuß, wurde eine flache Gipsschiene angelegt. Nach weiterer
Behandlung zeigten die Gefühlsstörungen eine Rückbildungstendenz. Am 13.12.2000 berichtete Dr.G. , die Klägerin
benutze zwei Unterarmgehstützen. Die Kniescheibe sei ohne auffällige Stufenbildung regelrecht aneinander adaptiert,
das Schraubenmaterial habe sich nicht auffällig gelockert, der Kalksalzgehalt sei nahezu regelrecht. Die
Entlassungsdiagnose lautete: Multifragmentäre Patellafraktur rechts. Als unfallfremde Diagnosen erwähnte Dr.G.
einen Zustand nach Bandscheibenoperation, nach Strumektomie, Unterleibsoperation, Nickelallergie und depressive
Verstimmung.
Vom 09.11. bis 09.12.2000 wurde die Klägerin im Klinikum L. zur Rehabilitation behandelt. Es habe sich ein guter
Rückgang der Schwellungs- und Schmerzsymptomatik erzielen lassen. Volle Belastung sei bereits gegeben, trotzdem
benutze die Klägerin zwei Unterarmstützen. Die pausenfreie Gehstrecke habe sich signifikant steigern lassen.
Dr.G. berichtete am 07.02.2001, vom 22.01. bis 03.02.2001 sei die Klägerin im Krankenhaus zur intensiven
krankengymnastischen Nachbehandlung stationär aufgenommen worden. Sie klage über weiter bestehende
Schmerzen. Am 21.03.2001 erklärte Dr.G. , die vereinbarte Belastungserprobung sei nur einmal erfolgt, da die
Klägerin angeblich wieder Beschwerden bekommen habe. Ein chirurgisches Korrelat sei nicht zu finden. Der
Mehrfragmentbruch sei ohne Stufenbildung fest knöchern durchbaut. Die Klägerin sei aus chirurgischer Sicht
arbeitsfähig. Die Klägerin teilte im Schreiben vom 29.03.2001 mit, sie habe insgesamt an fünf Tagen jeweils von
13.00 bis 15.00 Uhr gearbeitet.
Der beratende Arzt, der Chirurg Dr.L. , führte in der Stellungnahme vom 09.05.2001 aus, die Patellafraktur sei in sehr
guter Stellung knöchern ausgeheilt. Die Behandlung sei bis auf die Metallentfernung als abgeschlossen zu betrachten.
Der Orthopäde Dr.K. stellte am 26.06.2001 die Diagnose: Posttraumatische Retropatellararthrose. Am 10.07.2001
wurde die Metallentfernung durchgeführt. Der postoperative Verlauf war, wie Dr.G. erklärte, komplikationslos. Bis zur
Entlassung sei die Klägerin ohne Krücken voll mobilisiert gewesen. Am 27.07. 2001 klagte die Klägerin über
anhaltende Beschwerden im Kniegelenk. Die Beweglichkeit sei aktiv und passiv eingeschränkt, sie sei aber aufgrund
der mangelnden Mitarbeit und einer gewissen Uneinsichtigkeit der Klägerin nicht sicher zu beurteilen. Der Chirurg
Dr.B. stellte auf dem Röntgenbild vom 09.08.2001 einen Zustand nach Patellafraktur und Metallentfernung fest mit
leichten Unregelmäßigkeiten an der Patellarückfläche. Im Gutachten vom 22.08.2001 führte der Chirurg Dr.N. aus, es
bestünden eine Muskelminderung im Ober- und Unterschenkelbereich, Röntgenveränderungen im Sinne einer
Retropatellararthrose mit Verminderung des Mineralsalzgehaltes und verminderter Knochenstruktur bei noch
sichtbaren Schraubenkanälen und knöcherner Ausziehung am distalen Patellapol, Bewegungseinschränkung,
hyperästhetischem Areal präpatellar und subjektiven Beschwerden. Die Kniegelenkssymptomatik sei auf den Unfall
zurückzuführen, die ziehenden Schmerzen, die vom Großzeh zum Unterschenkel angegeben würden, könnten nicht
mit der Verletzung in Verbindung gebracht werden. Die MdE sei mit 20 v.H. zu bewerten. Der Chirurg Dr.L. erklärte in
der Stellungnahme vom 12.09.2000, die MdE sei in Höhe von 20 v.H. ab 20.03.2001 bis zum Ende des zweiten
Unfalljahres zu gewähren. Im Befundbericht vom 18.09.2001 kam der Neurologe Dr.Z. zu dem Ergebnis, es bestehe
kein Hinweis auf eine unfallabhängige neurogene Läsion.
Die Beklagte gewährte mit Bescheid vom 26.09.2001 wegen der Folgen des Arbeitsunfalls Rente als vorläufige
Entschädigung nach einer MdE von 20 v.H. Als Folgen des Arbeitsunfalles wurden anerkannt:
Bewegungseinschränkung im rechten Kniegelenk, Muskelminderung im Ober- und Unterschenkelbereich rechts,
röntgenologische Veränderungen im Sinne einer Retropatellararthrose mit Verminderung des Mineralsalzgehaltes und
der Knochenstruktur nach zweifachem Kniescheibenbruch rechts.
Mit Widerspruch vom 25.10.2001 wies die Klägerin auf die starken Schmerzen und Bewegungseinschränkungen hin.
Eine Arthroskopie vom 17.10.2001 zeigte leichte Unregelmäßigkeiten der retropatellaren Gelenkfläche, jedoch keine
Chondromalazie. Der übrige Gelenksbefund sei komplett unauffällig gewesen. Die Schmerzsymptomatik ließe sich
nicht auf die intraartikulären Veränderungen zurückführen. Dr.L. wies in der Stellungnahme vom 05.12.2001 darauf hin,
es gebe keinen nachvollziehbaren Grund, die Schmerzen an der Großzehe bis zum Unterschenkel der Patellafraktur
zuzuordnen. In der Stellungnahme vom 20.12.2001 führte er aus, ein hyperästhetisches Areal präpatellar sei keine
wesentliche Unfallfolge. Der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr.K. erklärte nach Untersuchung am 13.11.2001, es
handele sich um ein recht komplexes Beschwerdebild. Einerseits lägen unfallbedingte Schmerzen vor, zum anderen
schienen auch vertebragene Beschwerden eine Rolle zu spielen (164).
Am 07.02.2002 wurde die Klägerin ambulant in der Unfallklinik M. untersucht. Prof.Dr.B. gab an, aufgrund des
klinischen und röntgenologischen Untersuchungsbefundes sei das diffuse Beschwerdebild nicht zu erklären. Es
bestehe sicher kein Zusammenhang mit der Kniescheibenfraktur. Er verwies auf die Möglichkeit eines
Bandscheibenrezidivs. Im Bericht vom 28.02.2002 stellte der Orthopäde Dr.H. die Diagnose: Zustand nach
Patellafraktur, Verdacht auf posttraumatische Algodystrophie.
Ein MRT vom 21.03.2002 zeigte einen Zustand nach Patellafraktur mit knöcherner Deformation der Patella,
Signalirreregularitäten am retropatellaren Gelenkknorpel im Sine einer Chondromalaia patellae.
Die Beklagte änderte mit Bescheid vom 26.03.2002 den Bescheid vom 26.09.2001 insoweit ab, als als Folge des
Arbeitsunfalls das "hyperästhetische Areal präpatellar" und die "Belastungsbeschwerden im Bereich des rechten
Kniegelenks" anerkannt wurden.
Den Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 06.05. 2002 zurück.
Zur Begründung der Klage vom 27.05.2002 hat die Klägerin geltend gemacht, einen Zusammenhang zwischen der
Berührungsempfindlichkeit mit Schmerzen im Großzeh und vorderen und unteren Schienbeinbereich, der
herabgesetzten Berührungsempfindlichkeit der beiden daneben liegenden Zehen, des Fußrückens und des
Schienbeinbereichs mit Kältegefühl mit der Verletzung vom 19.09.2000 sei nicht mit Sicherheit auszuschließen. Ihre
Beschwerden würden eher schlimmer. Sie hat einen Bericht des Neurologen Dr.T. vom 7.05.2002 übersandt, der
erklärt hat, da eine aktuelle Kompressionssymptomatik im Peronaeusausbreitungsgebiet nicht bestehe, sei von einem
Restbefund auszugehen. Weiter hat sie den Operationsbericht (vermutlich vom 21.09.2000) übersandt, in dem
ausgeführt wird, dass eine Schraube gebrochen und durch eine andere Schraube ersetzt worden sei. Außerdem hat
die Klägerin einen Bericht des Klinikums St. M. , A. übersandt, in dem Dr.B. ausführte, die Schmerzsymptomatik
lasse sich nicht auf die Veränderungen an der retropatellaren Gelenkfläche zurückführen, sondern sei als Restzustand
nach Patellafraktur werten. Radiologisch könne man an einen Morbus Sudeck denken. Der Orthopäde Dr.H. hat die
Diagnosen gestellt: sensible Peronäusschädigung, Zustand nach Patellafraktur.
Im Gutachten vom 25.07.2002 hat der Chirurg Dr.T. erklärte, die leichten degenerativen Veränderungen am rechten
und linken Kniegelenk seien vom Unfall unabhängig. Wegen der Unfallfolgen sei eine MdE um 20 v.H. gegeben.
Aufgrund des neurologischen Befundes von Dr.T. vom 7.05.2002 werde davon ausgegangen, dass die
Missempfindungen am Fuß mit Wahrscheinlichkeit Folge einer postoperativen Druckschädigung seien. Es bestehe
der Verdacht auf Aggravation.
Der Neurologe Dr.K. hat am 08.08.2004 erklärt, es finde sich kein Hinweis auf eine unfallbedingte neurogene
Schädigung. Der Orthopäde Dr.E. hat im September/Oktober 2002 angegeben, die Klägerin klage über erhebliche
Beschwerden im Bereich des Kniegelenks, die nicht allein auf den retropatellaren Gelenkknorpelschaden
zurückzuführen seien, sondern es sei sicherlich eine neurologische Mitursache gegeben. Dr.T. hat am 12.08.2002 die
Diagnosen gestellt: sensibler Restbefund einer Peronäus-Schädigung rechts, z.B. Folge einer Druckschädigung. Dr.H.
hat am 05.12.2002 ausgeführt, die Klägerin insistiere auf ihren Beschwerden und sei von ihrer Diagnose
Hyperästhesie nicht abzubringen. Sicherlich spiele auch eine gewisse Somatisierungsstörung eine Rolle. Am
19.12.2002 erklärt Dr.H. , er habe die Klägerin noch einmal darauf hingewiesen, dass ihre Beschwerden nicht als
Unfallfolgen zu werten seien. Im Gutachten vom 16.04.2003 hat Dr.T. die MdE auf 10 v. H. eingeschätzt. Es bestehe
Aggravation.
Nach Anhörung der Klägerin hat die Beklagte mit Bescheid vom 24.06.2003 die Rente mit Ablaufs des Monats Juni
2003 entzogen. Die Erwerbsfähigkeit werde jetzt nicht mehr in rentenberechtigendem Grad gemindert. Dieser
Bescheid gelte als mitangefochten gemäß § 96 SGG.
Der vom SG zum ärztlichen Sachverständigen ernannte Chirurg Dr.M. hat im Gutachten vom 10.09.2003
zusammenfassend ausgeführt, als objektivierbare Unfallfolgen bestünden Bewegungseinschränkung am rechten
Kniegelenk, Muskelminderung am rechten Oberschenkel, Narbenbildungen sowie röntgenologische Zeichen einer
retropatellaren Knorpelschädigung. Hinweise für neurologische Schädigungen ergäben sich nicht. Es bleibe somit
ungeklärt, wodurch die massive Schmerzsymptomatik verursacht sein könnte. Die Weichteilverhältnisse seien bis auf
die Narben regelrecht. Es lägen kein Schwellungszustand vor, keine Entzündungszeichen, kein Gewebsschwund.
Auch der kernspintomografische Befund vom 21.03.2002 zeige keine Befunde, die die Diagnose eines Morbus
Sudeck stützen würden. Möglicherweise stehe das Schmerzsyndrom mit den Bandscheibenschäden in
Zusammenhang. Da ein Bewegungsausmaß bei Streckung und Beugung von 0/130¬ vorliege und stabile
Bandverhältnisse gegeben seien, sei die MdE mit 10 v.H. einzuschätzen.
Der vom SG gleichfalls zum ärztlichen Sachverständigen ernannte Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr.G. hat im
Gutachten vom 11.08.2003 ausgeführt, auf neurologischem Gebiet fänden sich keine objektiven Unfallfolgen.
Subjektiv geklagte Gefühlsstörungen seien atypisch begrenzt und würden tendenziell vorgebracht. Gefühlsstörungen
an der Fußaußenkante und der ASR-Verlust seien unfallunabhängige Folgen eines Bandscheibenleidens, nämlich
leichte radikuläre Reststörungen nach Bandscheibenoperation 1976.
Eine Ganzkörperskelettszintigraphie vom 22.03.2002 erbrachte keinen Hinweis auf einen Morbus Sudeck oder eine
Arthritis am Fuß.
Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 08.03.2004 abgewiesen und sich dabei auf die überzeugenden
Ausführungen von Dr.M. und Dr.G. gestützt. Es bestünden keine bisher unerkannten Unfallfolgen neurologischer Art,
und die anerkannten Unfallfolgen seien von der Beklagten angemessen und ausreichend berücksichtigt.
Zur Begründung der Berufung vom 15.04.2004 verweist die Klägerin auf Nervenverletzungen und Nervenschäden. Die
Arbeitsunfallfolgen hätten sich ausgebreitet, zweimal den gesamten Körper durchwandert und sich zum dritten Mal
verschlimmert. Es seien Lähmungen im Gesicht, an den Fingern und am linken Bein entstanden. Außerdem
bestünden Schmerzen, Temperaturunterschiede und Farbwechsel am Körper. Die Klägerin übersandte einen Bericht
von Prof.Dr.S. über eine stationäre Behandlung vom 21.04. bis 28.04.2002 mit den Diagnosen: Zustand nach
Patellafraktur rechts, Hoffahypertrophie, lokale Synovialitis, degenerative Knorpelschäden. Die Röntgenaufnahmen
zeigten sowohl am linken als auch am rechten Kniegelenk eine medial betonte Gonarthrose und eine deutliche
Retropatellararthrose.
Die Klägerin stellt den Antrag, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 08.03.2004 aufzuheben und
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 26.09.2001 sowie des Bescheides vom 26.03.2002 in Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 06.05.2002 sowie unter Aufhebung des Bescheides vom 24.06. 2003 zu
verurteilen, ihr wegen der Folgen des Arbeitsunfalles vom 19.09.2000 eine Verletztenrente nach einer MdE von
mindestens 30 v.H. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den wesentlichen Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten sowie der
Klage- und Berufungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, sachlich aber nicht begründet.
Von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe wird abgesehen, da die Berufung aus den Gründen der
angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückgewiesen wird (§ 153 Abs.2 SGG).
Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.