Urteil des LSG Bayern vom 25.04.2007

LSG Bayern: berufskrankheit, steinkohle, ddr, verbrennung, braunkohle, krebs, wahrscheinlichkeit, reparatur, entstehung, merkblatt

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 25.04.2007 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Regensburg S 4 U 38/03
Bayerisches Landessozialgericht L 2 U 148/05
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 10. März 2005 wird
zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob beim Kläger eine Berufskrankheit nach der Ziff. 1301 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung
(BKV) anzuerkennen ist und hieraus Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren sind.
Der 1961 geborene Kläger ist ausgebildeter Betriebsschlosser. Er war von 1977 bis 1994 (mit Unterbrechung durch
den Wehrdienst) als Betriebsschlosser bei den V. (V.) beschäftigt. Von 1994 bis 31. Mai 2001 arbeitete er bei der
Müllkraftwerk S. Betriebsgesellschaft mbH (M.) als Schicht- bzw. Betriebsschlosser, anschließend bis 30. November
2001 als Wasseraufbereiter und seit 1. Dezember 2001 als Dreher.
Nach der Diagnose eines Blasenkarzinoms erfolgte eine Blasentumorresektion mit stationären Aufenthalten im
Klinikum St. M. A. vom 2. bis 4. Mai 2001 und vom 21. Mai bis 2. Juni 2001. Der histologische Befund ergab ein
nicht-invasives, papilläres Urothelcarcinom. Der Kläger begab sich ferner wegen einer reaktiven Depression in
nervenärztliche Behandlung. Das Krankenhaus der Barmherzigen Brüder R. diagnostizierte am 10. Juli 2001 daneben
rezidivierende Paraesthesien beider Beine bei exzessivem Nikotinabusus mit zwei bis drei Schachteln pro Tag.
Am 3. April 2002 ging eine ärztliche Anzeige über eine Berufskrankheit nach Nr. 1301 der Anlage zur BKV des
Betriebsarztes Dr. S. ein. Dieser äußerte den Verdacht, der Blasenkrebs könne durch berufliche Einwirkungen von
Asbest/Tricloraethylen/Säuren und Laugen im Rahmen von Reparaturarbeiten verursacht worden sein.
Der Technische Aufsichtsdienst (TAD) stellte am 12. Juli 2002 nach der Einholung von Arbeitsplatzbeschreibungen
der Arbeitgeber fest, die Ermittlungen hätten ergeben, dass weder im Müllkraftwerk noch in dem vorherigen Betrieb V.
Stoffe vorhanden gewesen seien, die eine Berufskrankheit verursachen könnten. Der Gewerbearzt Dr. D. ging in
seiner Stellungnahme vom 31. Juli 2002 ebenfalls davon aus, dass der Kläger keinen Umgang mit aromatischen
Aminen gehabt hatte.
Mit Bescheid vom 21. August 2002 lehnte die Beklagte daraufhin die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr.
1301 der Anlage zur BKV sowie die Gewährung von Leistungen ab.
Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens holte die Beklagte eine erneute Stellungnahme des TAD vom 25. November
2002 ein. Danach gäbe es weiterhin keine Hinweise darauf, dass in dem Müllkraftwerk aromatische Amine vorhanden
seien oder gewesen seien. Sie wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 8. Januar 2003 zurück.
Hiergegen legte der Kläger Klage zum Sozialgericht Regensburg ein. Aromatische Amine entstünden praktisch bei
jeder Verbrennung, ohne dass diese im Einzelnen nachweisbar seien. Als Betriebsschlosser habe er häufig im
Verbrennungsraum Reparaturen ausführen oder die Filter der Abgasreinigungsanlage wechseln müssen. Er sei häufig
einer starken Staubentwicklung, einer belästigenden Rauchentwicklung, belästigenden Gasen und Dämpfen sowie
chemischen Einflüssen ausgesetzt gewesen. Bis vor ca. fünf Jahren habe er auch im Müllbunker bzw. im Brennraum
noch ohne jeglichen Schutz gearbeitet.
Auf klägerischen Antrag nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) holte das Sozialgericht ein Gutachten des Arbeits-
und Sozialmediziners Prof. Dr. W. (Universität G.) ein. Auf Anregung des Gutachters nahm der TAD eine
Besichtigung vor Ort bei der Fa. M. vor. Die nochmaligen Recherchen ergaben erneut keinen Hinweis darauf, dass der
Kläger gegenüber krebserzeugenden aromatischen Aminen exponiert gewesen war. Dies gelte vor allem auch
hinsichtlich des Umgangs mit Gummi wie z.B. beim Aufvulkanisieren neuer Gummistreifen auf abgenutzte
Förderbänder.
Prof. Dr. W. gelangte in seinem Gutachten vom 19. März 2004 zu dem Ergebnis, dass, selbst wenn der Kläger am
Arbeitsplatz gegenüber aromatischen Aminen exponiert gewesen wäre, die außerberuflich relevante
Gefahrstoffeinwirkung durch langjähriges Zigarettenrauchen berücksichtigt werden müsse. Es sei nach der Anamnese
und der Aktenlage anzunehmen, dass der Kläger für die Dauer von 20 Jahren ca. 20 Zigaretten pro Tag geraucht
habe. Dies sei gut geeignet, das frühzeitige Auftreten eines Harnblasenkarzinoms zu erklären. Demgegenüber habe
eine spezifische Gefahrstoffeinwirkung von aromatischen Aminen am Arbeitsplatz nicht nachgewiesen werden
können, die geeignet wäre, wesentlich teilursächlich zur Verursachung des Urothelcarcinoms beizutragen. Die
arbeitsmedizinischen Voraussetzungen zur Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 1301 der Anlage zur BKV
seien nicht erfüllt.
Das Sozialgericht wies die Klage mit Urteil vom 10. März 2005 ab. Es folgte dabei den Stellungnahmen des TAD
sowie dem Gutachten des Prof. Dr. W ...
Zur Begründung der Berufung brachte der Kläger vor, die Feststellungen des TAD seien lückenhaft, so dass der
Gutachter von falschen Entscheidungsgrundlagen ausgegangen sei. Die Geschäftsleitung des Müllkraftwerkes habe
dem als Zeugen benannten D. B. untersagt, eine Liste über sämtliche im Müllkraftwerk vorkommende Gefahrstoffe
herauszugeben. Er sei als Betriebsschlosser häufig einer starken Staubentwicklung, belästigenden Rauchentwicklung,
belästigenden Gasen und Dämpfen sowie chemischen Einflüssen ausgesetzt gewesen. Dabei seien auch
aromatische Amine freigesetzt worden.
Der Senat hörte hierzu die vom Kläger benannten Zeugen H. , ehemals Meister bei V., und Dr. M. , Geschäftsführer
der M., schriftlich an. Der Zeuge N. H. gab am 10. September 2005 an, er wisse nichts vom Auftreten dieser
Gefahrstoffe. Er sei im Übrigen in dem Zeitraum 1994 bis 2002 nicht mehr in diesem Betrieb beschäftigt gewesen. Der
Zeuge Dr. J. M. erklärte am 14. September 2005 an, der Kläger sei im ehemaligen Kohlekraftwerk der V. in S. zu
Reparatur- und Wartungsarbeiten an den Kohlemühlen, in den Kohlebunkern und an den Fördereinrichtungen
eingesetzt gewesen. Ein Zusammenhang zwischen der Erkrankung des Klägers an Blasenkrebs und seiner
beruflichen Tätigkeit sei aufgrund der verwendeten Brikettkohle nicht auszuschließen. Messberichte oder Datenblätter
habe er jedoch nicht.
Der Kläger legte eine Erklärung seiner Ehefrau vor, wonach ihre mehrfache frühere Äußerung, ihr Mann rauche eine
Schachtel Zigaretten am Tag, falsch gewesen sei; er rauche tatsächlich sechs bis acht Zigaretten am Tag.
Nach Ansicht des TAD vom 9. Dezember 2005 ergäben sich aus den Angaben der Zeugen keine neuen
Gesichtspunkte für eine mögliche berufliche Exposition gegenüber krebserzeugenden aromatischen Aminen.
Ergänzend führte der TAD am 13. März 2006 aus, die in dem Kohlekraftwerk der V. verheizte Kohle aus der
ehemaligen DDR und der CSSR sei nach den vorliegenden Informationen Braunkohle und keine Steinkohle gewesen.
Nur Steinkohlebriketts würden unter Zusatz von Teer/-pech hergestellt und könnten bei der Verbrennung aromatische
Amine freisetzen. Im Übrigen werde das Risiko für die Entstehung eines Blasenkarzinoms bereits nach einem
Zigarettenkonsum von 17 Packungsjahren (124.100 Zigaretten) verdoppelt.
Der Kläger wies nochmals darauf hin, dass nach den Angaben des Zeugen Dr. M. bei der verwendeten Brikettkohle
als Bindemittel Steinkohle und Teerpech verwendet worden seien. Dies gelte umso mehr, als Steinkohle aus der
ehemaligen DDR u.a. beim Schmieden verwendet worden sei. Er sei beim Schmieden eingesetzt gewesen. Hierzu
erklärte der TAD in einer Stellungnahme vom 23. November 2006, dass eine Exposition gegenüber aromatischen oder
sonstigen Aminen bei Schmiedearbeiten nicht erkennbar sei.
Mit Schreiben vom 11. April 2007 benannte der Kläger noch Herrn A. R. als weiteren Zeugen, der bestätigen könne,
dass der Kläger beim Schmieden aromatischen Aminen ausgesetzt gewesen sei, da es vor ca. 20 Jahren keine
Sicherheitseinrichtungen gegeben hätte und auch die Schwefel- und Stickstoffverbindungen nicht über einen
Rauchfang entweichen konnten.
Der Senat hörte in der mündlichen Verhandlung vom 25. April 2007 die Zeugen D. B. und W. K ... Der Zeuge B. ,
Fachkraft für Arbeitssicherheit und ein Cousin des Klägers, der am 19. September 2005 bereits schriftlich befragt
worden war, gab an, keine genaueren Angabe darüber machen zu können, ob und wo aromatische Amine aufgetreten
seien. Er arbeite eng mit dem Betriebsarzt zusammen. Ein Fall, bei dem aromatische Amine eine Berufskrankheit
verursacht hätten, sei ihm bislang nicht bekannt. In den Kaltreinigern und dem Waschbenzin seien nach seinen
Kenntnissen keine aromatischen Amine enthalten. Die früheren Materiallisten über die damals verwendete Kohle seien
nicht mehr vorhanden. Ihm sei ferner nicht bekannt, dass aus einem Drehrohrofen Gefahrstoffe ausgetreten wären.
Der Zeuge K. , technische Aufsichtsperson, legte dar, nach den Ermittlungen des TAD habe der Kläger keinen
Umgang mit aromatischen Aminen gehabt. Dies gelte sowohl für Verbrennungsprozesse als auch für das Schmieden,
Reinigen und Vulkanisieren. Nach seinen Erkenntnissen seien sowohl bei V. als auch im Müllkraftwerk nur Braunkohle
verbrannt worden. Auf die Niederschrift der Sitzung wird Bezug genommen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 10. März 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die
bestehende Blasenerkrankung (Blasenkarzinom) als Berufskrankheit nach Listen-Nr. 1301 der Anlage zur BKV
anzuerkennen und Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu erbringen; hilfsweise beantragte er, A. R. ,
der ebenfalls als Zeuge geladen war und sein Ausbleiben wegen seines Gesundheitszustandes entschuldigt hatte,
zumindest schriftlich zu dem Beweisthema aus dem Schriftsatz vom 11. April 2007 zu befragen. Ferner beantragt er,
Dr. S. , der die Berufskrankheitenanzeige erstattet hatte, schriftlich zu befragen, welche Erkenntnisse ihm über die
Einwirkung von krebserzeugenden Aminen auf den Kläger während seiner Berufstätigkeit vorgelegen haben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 10. März 2005 zurückzuweisen.
Im Übrigen wird gemäß § 136 Abs. 2 SGG auf den Inhalt der Akte der Beklagten sowie der Klage- und Berufungsakte
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 143, 151 SGG), jedoch unbegründet.
Berufskrankheiten sind nach § 7 Abs. 1 SGB VII Versicherungsfälle. Berufskrankheiten sind dabei Krankheiten, die
die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet
und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit
erleiden (§ 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Vorliegend betrifft der Rechtsstreit Nr. 1301 der Anlage zur BKV -
Schleimhautveränderungen, Krebs oder andere Neubildungen der Harnwege durch aromatische Amine. Eine solche
Berufskrankheit liegt beim Kläger nicht vor.
Dabei geht der Senat von folgendem Sachverhalt aus: Der Kläger ist seit Mai 2001 an einem Urothelcarcinom der
Harnblase (pTa, G1-2) erkrankt. Er arbeitete seit 1977 überwiegend als Betriebsschlosser bei V. und seit 1994 beim
MSB. Unter Bezugnahme auf diese Tätigkeiten wurde das Vorliegen einer Berufskrankheit nach Nr. 1301 der Anlage
zur BKV geltend gemacht. Ferner steht fest, dass der Kläger über viele Jahre hinweg Zigaretten rauchte. Zwar gab der
Kläger im Dezember 2005 an, täglich zwei bis sechs Zigaretten zu rauchen. Dies steht jedoch im Widerspruch zu
seinen Erstangaben. So ergab die Anamnese des Prof. Dr. W. , dass er täglich 15 bis 20 Zigaretten rauchte. Er
rauche seit dem 14. Lebensjahr, zunächst gelegentlich, seit dem 20. Lebensjahr regelmäßig zunächst ca. 10
Zigaretten pro Tag. Dem entspricht die Erstangabe seiner Ehefrau, die zunächst angegeben hatte, ihr Mann rauche
täglich 20 Zigaretten; sie korrigierte dies jedoch später auf sechs bis acht. Allerdings findet sich auch im Bericht der
arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen des Dr. S. (ohne Datum) in der Anamnese die Angabe, der Kläger
rauche 20 Zigaretten. Im August 1996 war ein Nikotinkonsum von 20 bis 30 Zigaretten vermerkt. Das Krankenhaus
der Barmherzigen Brüder R. diagnostizierte am 10. Juli 2001 u.a. einen exzessiven Nikotinabusus mit zwei bis drei
Schachteln pro Tag. Ein erheblicher Tabakkonsum ist danach nach Überzeugung des Senats unter Bezug auf die
klägerischen Erstangaben und die von mehreren Ärzten dokumentierte Anamnese mit ca. 20 Zigaretten täglich
anzunehmen. Wichtige chemische Verbindungen, die insbesondere Krebs oder andere Neubildungen der Harnwege
hervorrufen können, sind Beta-Naphthylamin, Benzidin und 4-Aminodiphenyl (Xenylamin), sogenannte aromatische
Amine. Diese Stoffe können - was hier in Betracht kommt - bei der Verbrennung von Steinkohle, aber auch beim
Zigarettenrauchen freigesetzt werden.
Eine schädliche Untergrenze für diese Arbeitsstoffe ist nicht bekannt (so z.B. auch Landessozialgericht
Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 18. November 2004, Az.: L 6 U 29/00). Eine Grenze, unterhalb der keine
kanzerogene Wirkung der aromatischen Amine zu erwarten ist, findet sich auch nicht in dem Merkblatt zur BK Nr.
1301 (Bek. des BMA vom 12. Juni 1963, BArbBl. 1 Fachteil Arbeitsschutz 1964, S. 129 f.). Bekannt ist dabei aber die
Möglichkeit einer langen Latenzzeit (s.a. Merkblatt, a.a.O.).
Der durch aromatische Amine verursachte Krebs ist weder klinisch, histologisch noch nach seinem Verlauf von
solchen Erkrankungen anderer Ursachen abzugrenzen (Merkblatt, a.a.O.). Zu Recht weist deshalb auch der vom
Kläger benannte Gutachter Prof. Dr. W. darauf hin, dass auch das Rauchen mit als ein wesentlicher Faktor für die
Entstehung des Harnblasenkrebses bekannt ist, da in Zigaretten u.a. aromatische Amine - hier auch 2-Naphthylamin -
enthalten sind. Das Risiko, durch Zigarettenrauchen an Krebs zu erkranken, erhöht sich mit der Zahl der täglich
gerauchten Zigaretten, einem frühen Beginn des Rauchens und der Zahl der Raucherjahre.
Vor diesem als gesichert geltenden rechtlich-wissenschaftlichen Hintergrund ist das Vorliegen einer Berufskrankheit
nach Nr. 1301 der Anlage zur BKV beim Kläger nicht nachgewiesen.
Die Feststellung dieser Berufskrankheit setzt einerseits das Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen im
Sinne der haftungsbegründenden Kausalität, andererseits der medizinischen Voraussetzungen im Sinne der
haftungsausfüllenden Kausalität voraus. Das Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen sowie einer
Erkrankung, die wesentlich ursächlich auf die belastende versicherte Tätigkeit zurückgeführt werden kann, bedürfen
des vollen Beweises. Ferner ist im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung mit der erforderlichen hinreichenden
Wahrscheinlichkeit festzustellen, dass die Krebserkrankung des Klägers durch die berufliche Einwirkung der
aromatischen Amine wesentlich mitverursacht worden ist. Die hinreichende Wahrscheinlichkeit setzt voraus, dass
nach der geltenden ärztlichen-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen Zusammenhang spricht und
ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung ausscheiden. Beim vernünftigen Abwägen aller Umstände
müssen die auf eine berufskrankheitbedingte Verursachung hinweisenden Faktoren so stark überwiegen, dass hierauf
die Entscheidung gestützt werden kann (BSG Urteil v. 2. Februar 1978, Az.: 8 RU 66/77, BSGE 45, 285 ff.; vgl. auch
Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl 2003, S. 119 m.w.N.). Nicht ausreichend
ist die bloße Möglichkeit eines Zusammenhangs.
Der medizinische Sachverständige Prof. Dr. W. gelangte zu der Auffassung, dass der langjährige inhalative
Zigarettenkonsum bei einer Latenz von ca. 20 bis 25 Jahren das frühzeitige Auftreten eines Harnblasenkarzinoms
erklärt. Durch das Rauchen einer Zigarette wird im Hauptstrom mindestens 1,0 ng 2-Naphthylamin und 2,4 ng 4-
Aminobiphenyl freigesetzt. Das relative Risiko für das Auftreten von Tumoren der ableitenden Harnwege steigt
proportional mit der Intensität des Zigarettenkonsums. Die Dosis von 10 bis 20 Zigaretten pro Tag bei bis zu 20
Packungsjahren verdoppelt in etwa das relative Risiko für das Erleiden eines Harnblasenkarzinoms im Vergleich zu
nicht rauchenden Männern des gleichen Alters (vgl. Jarrer u.a., Außerberufliche Risikofaktoren für Tumoren der
ableitenden Harnwege, DMW 1996, 325 ff.). Selbst wenn der Kläger am Arbeitsplatz gegenüber aromatischen Aminen
exponiert gewesen wäre, kann die Krebserkrankung ohne Weiteres auf den außerberuflichen Einfluss des
Nikotinkonsums zurückgeführt werden mit der Folge, dass eine berufliche Verursachung nicht hinreichend
wahrscheinlich ist.
Im Übrigen ist nicht nachgewiesen, dass beim Kläger daneben auch berufliche Faktoren eine wesentliche (Mit-
)Ursache für die Entstehung des Harnblasenkarzimons darstellten. Der Senat unterstellt als zutreffend, dass der
Kläger bei seiner Tätigkeit als Betriebsschlosser häufig einer starken Staubentwicklung, einer belästigenden
Rauchentwicklung, belästigenden Gasen und Dämpfen sowie chemischen Einflüssen ausgesetzt war. Es fehlt hierbei
aber bereits der Nachweis des Vorliegens der arbeitsmedizinischen Voraussetzungen für das Vorliegen der
beantragten Berufskrankheit Nr. 1301 der Anlage zur BKV, d.h. des nachhaltigen beruflichen Kontakts des Klägers
mit aromatischen Aminen. Die Ermittlungen des TAD ergaben, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit kein derartiger
Kontakt im Rahmen der vom Kläger bei den V. und dem Müllkraftwerk ausgeübten Tätigkeiten bestand. Dies wurde
auch durch die Aussage des Zeugen B. bestätigt. Dieser konnte aufgrund seiner Tätigkeit als Fachkraft für
Arbeitssicherheit über die Gefahrstoffe im Betrieb bei der Exposition gegenüber Stäuben, Gasen und Rauch nicht
bestätigen, dass der Kläger bei seinen Tätigkeiten aromatischen Aminen ausgesetzt gewesen ist.
Im Rahmen des Umgangs des Klägers mit Gummi, insbesondere bei der Reparatur von Förderbänden, konnte der
Kläger nur mit sog. sekundären aromatischen Aminen in Kontakt kommen, die nicht als krebserzeugend eingestuft
sind. In den Zeiträumen nach 1970 war die Belastung durch aromatische Amine in der Gummiindustrie nur mehr
äußerst gering. Nach 1980 war das krebserzeugende ß-Naphthylamin (BNA) als Verunreinigung im damals häufig
eingesetzten Alterungsschutzmittel Phenyl-ß-Naphthylamin (PBN) nur noch bis max. 3 ppm anzunehmen. In den
Gummiförderbändern wie auch in den Gummilösungen waren überhaupt keine PBN-haltigen Komponenten enthalten.
Bei den in Gummimischungen verwendeten Alterungsschutzmitteln und Vulkanisationsbeschleunigern war nach der
Betriebsakte des TAD unter Bezugnahme auf Angaben der Fa. Bayer aus dem Jahre 1979 schon vor 1980 der Gehalt
an BNA auf 2 ppm gesunken. Eine Exposition des Klägers ist auch insoweit ausgeschlossen, da die Moleküle fest in
der Matrix der vernetzten polymeren Gummimoleküle eingebunden sind. Da in den Gummimischungen keine
krebserzeugenden aromatischen Amine enthalten waren, sind diese auch in dem Rauch, der beim
Vulkanisierungsprozess entsteht, nicht vorhanden gewesen. Nach den Ermittlungen des TAD war auch in dem
verwendeten Klebstoff, der nach dem Ablexen vor dem Vulkanisieren auf die Förderbände aufgetragen wurden, in
keiner der Komponenten ein krebserzeugendes aromatisches Amin vorhanden.
Soweit der Kläger darauf hinweist, dass aromatische Amine bei jeder Verbrennung entstünden, ist auch dies vom TAD
unter Hinweis auf die Fachliteratur widerlegt, da aromatische Amine leicht durch Verbrennung zerstört werden und im
Übrigen eine Verbrennung in Sondermüllbeseitigungsanlagen erfolgt. Der Zeuge K. wies aus seiner fachlichen Sicht
darauf hin, dass bei Verbrennungsprozessen keine krebserzeugenden aromatischen Amine auftreten, weil diese
Stoffe in Luftsauerstoff sofort abreagieren. Der Kläger hätte damit nur bei Schwelbränden diesen Stoffen ausgesetzt
gewesen sein können.
Ein Schwelbrand liegt auch beim Schmieden nicht vor, da hierbei ein vollständiger Verbrennungsprozess benötigt
wird. Insoweit ist lediglich ergänzend darauf hinzuweisen, dass die Verwendung von Steinkohle z.B. aus der
ehemaligen DDR oder der CSSR ebenfalls nicht nachgewiesen ist. Im ehemaligen Kohlekraftwerk der V., wo der
Kläger zu Reparatur- und Wartungsarbeiten an den Kohlemühlen, in den Kohlebunkern und an den Fördereinrichtungen
eingesetzt war, wurde in den 80er-Jahren Brikettkohle aus der ehemaligen DDR und CSSR verbrannt. Dr. M. gab an,
als Bindemittel für Brikettkohle werde üblicherweise Steinkohlenteerpech verwendet. Es handelte sich dabei um
Hartbraunkohle und Brikettkohle. Braunkohlebriketts werden üblicherweise jedoch nur durch Strangpressen mit einem
Druck von etwa 1000 bar ohne Zusatz von Bindemitteln hergestellt (s.a. Ullmanns, Encyklopädie der technischen
Chemie, 4. Aufl., 1977, Bd. 14: Keramische Farben bis Kork, S. 325, auch unter Bezugnahme auf die Gewinnung von
Braunkohle und Briketts in der DDR). Nur Steinkohlebriketts werden unter Zusatz von Teer/-pech hergestellt.
Materiallisten aus der damaligen Zeit über die bezogene Kohle existieren nicht mehr, wie der Zeuge B. bestätigte. Der
Zeuge K. wies darauf hin, dass die DDR nur Braunkohle exportiert habe. Es habe sich um ein Braunkohle-
Müllkraftwerk gehandelt. Aber selbst wenn tatsächlich Steinkohle zum Schmieden verwendet worden sein sollte,
wären die Schmiedekohle in der Esse einschließlich der flüchtigen Bestandteile wie Teer verbrannt und die Stoffe über
einen Rauchfang entwichen. Der Zeuge K. erläuterte, dass beim Schmieden für das Schmiedefeuer nur Kokskohle
verwendet wurde und noch wird, bei der aromatische Amine bereits in der Kokerei ausgegast wurden. Eine Exposition
gegenüber aromatischen Aminen ist auch bei Schmiedearbeiten nicht erkennbar.
Sowohl der Zeuge B. als auch der Zeuge K. gaben an, dass in dem beim Reinigen verwendeten Lösemittel im
Waschbenzin bzw. Kaltreiniger keine aromatischen Amine enthalten waren. Die Reiniger enthielten zwar den Stoff
"Tri", das jedoch keinen Blasenkrebs verursacht.
Schließlich ist nicht ersichtlich, dass der Kläger im Rahmen von Arbeiten an einem Drehrohrofen Gefahrstoffen
ausgesetzt war. Es handelte sich nach den Angaben des Zeugen B. um einen geschlossenen Ofen, in dem Oxide
getrocknet werden. Über dabei austretende Gefahrstoffe ist nichts bekannt.
Die Aussagen der vom Senat vernommenen Zeugen B. und K. sind glaubwürdig. Dies gilt auch für die Aussage des
Zeugen B. , der zwar mit dem Kläger verwandt ist, jedoch nach Ansicht des Senats seine Angaben aufgrund seines
fachlichen Wissens machte.
Dem Antrag des Klägers auf Anhörung des Zeugen A. R. zu der Frage, ob der Kläger beim Schmieden aromatischen
Aminen ausgesetzt gewesen sei, da vor ca. 20 Jahren keinerlei Sicherheitseinrichtungen vorhanden gewesen seien
und auch die Schwefel- und Stickstoffverbindungen nicht über einen Rauchfang entweichen konnten, brauchte der
Senat nicht zu folgen. Der Schmiedeprozess wurde vom Zeugen K. eingehend dargelegt. Aufgrund des starken
Verbrennungsvorgangs im Schmiedefeuer, der umgehenden Abreaktion von aromatischen Aminen bei Verbindung mit
Sauerstoff und der Ausgasung der Stoffe in der Kokerei ist eine Exposition des Klägers beim Schmiedevorgang
auszuschließen. Angabe zu den Sicherheitseinrichtungen bzw. dem Rauchfang sind deshalb für die hier in Frage
stehende Exposition des Klägers gegenüber aromatischen Aminen ohne Belang.
Auch eine Einvernahme des Betriebsarztes Dr. S. zu der Frage, welche Erkenntnisse ihm über die Einwirkung von
krebserzeugenden Aminen auf den Kläger während seiner Berufstätigkeit vorliegen, war aus verschiedenen Gründen
nicht erforderlich. Dr. S. zeigte den Verdacht der Berufskrankheit auf Anraten des behandelnden Arztes Dr. S. an und
stellte alle seine Unterlagen der Beklagten zur Verfügung. Aus diesen medizinischen Unterlagen ergibt sich nicht mit
hinreichender Wahrscheinlichkeit ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Blasenkarzinom und der beruflichen
Tätigkeit des Klägers. Als ursächlich sah Dr. S. die Reparaturarbeiten des Klägers an. Hierbei ist aus den dargelegten
Gründen eine nachhaltige Exposition ausgeschlossen. Allerdings konkretisierte der Kläger selbst im Laufe des
Verfahrens die Möglichkeiten, bei denen er mit aromatischen Aminen in Kontakt gekommen sein könnte. Dabei
kommen, wie dargelegt, neben den Reparaturarbeiten vor allem auch die Schmiedearbeiten in Frage. Aber selbst
wenn der Senat unterstellt, dass nach Ansicht des Dr. S. der Kläger bei seinen beruflichen Tätigkeiten aromatischen
Aminen ausgesetzt gewesen sei, ist eine Expositionsmöglichkeit aufgrund der Zusammensetzung des
Ausgangsstoffes sowie der Analyse des jeweiligen Prozessablaufes und der hierbei auftretenden chemischen
Reaktionen nicht gegeben. Dies wird durch die einzelnen Stellungnahmen des TAD sowie durch die Aussagen des
Zeugen K. , aber auch des Zeugen B. belegt, der im Übrigen nach eigenen Angaben eng mit dem Betriebsarzt
zusammenarbeitet und dem bislang ein Fall, bei dem aromatische Amine eine Berufskrankheit verursacht hätten,
nicht bekannt war. Schließlich weist Prof. Dr. W. darauf hin, um einen beruflichen Zusammenhang in Relation zu der
außerberuflich konkurrierenden Gefahrstoffeinwirkung durch inhalativen Zigarettenrauch setzen zu können, sei eine
exakte sicherheitstechnische Dosisabschätzung erforderlich. Es wird vom Kläger weder vorgetragen noch ist
erkennbar, dass Dr. S. über eine derartige Dosisabschätzung verfügt.
Die Kostenfolge stützt sich auf § 193 SGG.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Gründe nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.