Urteil des LSG Bayern vom 14.09.2001
LSG Bayern: arbeitsunfähigkeit, krankengeld, berufsunfähigkeit, bfa, wartezeit, verkäuferin, erwerbstätigkeit, gonarthrose, satzung, geschäft
Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 14.09.2001 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Augsburg S 6 KR 151/98
Bayerisches Landessozialgericht L 4 KR 107/99
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 28. Juli 1999 wird zurückgewiesen. II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die am 1940 geborene Klägerin war bei der Beklagten als selbständige Einzehandelskauffrau freiwillig versichert mit
Anspruch auf Krankengeld ab dem 22. Tage der Arbeitsunfähigkeit. Zuvor war sie von 1956 bis 1980 als Verkäuferin
versicherungspflichtig beschäftigt, übte von 1980 bis 30.09.1990 die Tätigkeit als Inhaberin eines
Lebensmittelgeschäfts in Augsburg aus und war hierbei u.a. im Verkauf tätig.
Sie erlitt am 11.05.1990 in ihrem Geschäft einen Sturz; der Durchgangsarzt und Chirurg Dr.L. stellte im Bericht vom
gleichen Tage eine Prellung beider Kniegelenke fest und erteilte eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Zeit
vom 11. bis 18.05.1990.
Auf den Rentenantrag vom 30.04.1990 wurde die Klägerin auf Veranlassung der BfA durch den Internisten Dr.K. und
den Orthopäden Dr.H. am 30.05. bzw. 20.06.1990 untersucht. Dr.H. stellte bei ihr bezüglich der Tätigkeit als
Verkäuferin eine erheblich eingeschränkte Belastungsfähigkeit der Kniegelenke fest und vertrat die Auffassung, dass
sie in diesem Beruf nicht mehr arbeiten könne. Mit Bescheid vom 24.07.1990 stellte die BfA fest, dass die Klägerin
ab 30.04.1990 erwerbsunfähig sei, lehnte aber Rente wegen Berufsunfähigkeit bzw. Erwerbsunfähigkeit wegen
Fehlens der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen ab.
Für die Zeit vom 02. bis 07.07.1990 stellte der Allgemeinarzt Dr.R. Arbeitsunfähigkeit wegen Lumbago fest. Er
diagnostizierte im ärztlichen Bericht vom 09.07.1990 an die BG für den Einzelhandel zahlreiche Erkrankungen
(chronisches LWS-Syndrom mit fortgeschrittener Spondylarthrose und Bandscheibenschaden; schwere
Ileosakralgelenksarthrose beidseits, Gonarthrose rechts, schwere Stammvarikosis beidseits, arterielle Hypertonie,
obstruktive Atemwegserkrankung, euthyreote Struma II, chronische Migräne). Dr.W. bescheinigte der Klägerin
Arbeitsunfähigkeit vom 09.08. bis 17.08.1990 wegen Herzinsuffizienz.
Aufgrund der am 18.03.1991 festgestellten Arbeitsunfähigkeit erhielt die Klägerin ab 26.03.1991 Krankengeld. Sie
wurde von der Beklagten am 25.07.1991 aufgefordert, eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme zu beantragen.
Die Klägerin unterzog sich vom 05.11. bis 03.12.1991 zu Lasten der BfA einer Heilbehandlung in der Reha-Klinik W. in
B. und erhielt Übergangsgeld vom 05.11. bis 08.12.1991. Sie teilte am 29.03.1993 der Beklagten mit, sie habe seit
09.05.1992 keinen gewerblichen Einzelhandel mehr.
Am 12.06.1992 forderte die Beklagte die Klägerin erneut auf, einen Antrag auf Rehabilitation bei der BfA zu stellen.
Sie teilte der Klägerin am 12.02.1993 mit, der Höchstanspruch auf Krankengeld innerhalb der maßgebenden
Dreijahresfrist vom 26.10.1991 bis 25.10.1994 sei am 23.04.1993 wegen Herzinsuffizienz, Gonarthrose beidseits,
psychischem Erschöpfungszustand, Fettleber, Adipositas permagna erschöpft; Krankengeld werde letztmalig für
diesen Tag gezahlt.
Die Klägerin gab in der Rentenstreitsache vor dem Sozialgericht Augsburg (S 13 An 114/94) unter Bezugnahme auf
ein Urteil des Landgerichts Augsburg vom 20.06.1991 zu Protokoll, dass das Mietverhältnis für das Ladenlokal in der
L.passage A. mit Wirkung zum 01.10.1990 beendet worden sei. Die BfA stellte am 17.11.1995 fest, dass der
Versicherungsfall der Berufsunfähigkeit am 30.04.1990 eingetreten ist und die Klägerin einen Rentenanspruch ab
09.12.1991 hat.
Die Klägerin ließ am 22.12.1995 telefonisch durch ihren Bevollmächtigten Krankengeld vom 30.04.1990 bis November
1991 beantragen. Die Beklagte lehnte diesen Antrag während des Telefon- Widerspruch einlegen.
Auf die Klage vom 24.10.1996 erklärte sich die Beklagte in der mündlichen Verhandlung am 13.05.1998 vor dem SG
Augsburg (S 6 KR 93/96) im Rahmen eines gerichtlichen Vergleichs bereit, über den Widerspruch innerhalb einer Frist
von vier Monaten zu entscheiden.
Die Beklagte holte eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung in Bayern ein (Dr.M.),
die zum Ergebnis gelangte, mit Ausnahme der festgestellten kurzen Zeiten der Arbeitsunfähigkeit könne
Arbeitsunfähigkeit in der Zeit vom 11.05.1990 bis 18.03.1991 nicht angenommen werden.
Daraufhin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11.09.1998 den Widerspruch mit der Begründung zurück,
für die Zeit vom 30.04.1990 bis 25.03.1991 bestehe kein Anspruch auf Krankengeld. Durchgehende Arbeitsunfähigkeit
sei in diesem Zeitraum nicht erwiesen. Soweit Arbeitsunfähigkeit festgestellt worden sei, sei die Wartezeit nicht erfüllt
worden. Der Anspruch auf Krankengeld für das Jahr 1990 sei mittlerweile verjährt.
Die Klägerin hat am 22.09.1998 beim Sozialgericht Augsburg (SG) Klage auf die Zahlung von Krankengeld für die Zeit
vom 30.04.1990 bis 31.08.1990 erhoben. Das SG hat mit Urteil vom 28.07.1999 die Klage unter Bezugnahme auf den
Widerspruchsbescheid abgewiesen und weiter zur Begründung ausgeführt, aus der anerkannten Berufsunfähigkeit ab
30.04.1990 ergebe sich nicht Arbeitsunfähigkeit im Beruf als selbständige Einzelhandelskauffrau. Die Klägerin habe
auch bis 30.09.1990 gearbeitet. Aufgrund der vorliegenden ärztlichen Feststellungen sei Arbeitsunfähigkeit nicht
nachgewiesen und der Anspruch auf Krankengeld ruhe, da die Arbeitsunfähigkeit der Beklagten nicht gemeldet worden
sei.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin vom 20.08.1999, mit der sie Krankengeld vom 30.04. bis 01.09.1990
geltend macht.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Augsburg vom 28.07.1999 sowie des Bescheides vom
22.12.1995 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.09.1998 zu verurteilen, ihr für die Zeit vom 30.04.1990 bis
01.09.1990 Krankengeld zu bezahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhanldung gemacht wurden die Akten der Beklagten und des SG.
Auf den Inhalt dieser Akten und die Sitzungsniederschrift wird im Übrigen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§ 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -); der Wert des
Beschwerdegegenstandes übersteigt 1.000,00 Deutsche Mark (§ 144 Abs.1 Satz 1 Nr.1 SGG).
Die Berufung ist unbegründet.
Die Klägerin hat im streitigen Zeitraum vom 30.04. bis 01.09.1990 keinen Anspruch auf Krankengeld.
Gemäß § 44 Abs.1 Satz 1 Sozialgesetzbuch V (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn die
Krankheit sie arbeitsunfähig macht oder sie auf Kosten der Krankenkasse stationär in einem Krankenhaus, einer
Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung (§ 23 Abs.4, §§ 24, 40 Abs.2 und 41 SGB V) behandelt werden. Der
Anspruch auf Krankengeld entsteht gemäß § 46 Satz 1 Nr.2 SGB V von dem Tag an, der auf den Tag der ärztlichen
Feststellung der Arbeitsunfähigkeit folgt. Die Satzung kann für freiwillig Versicherte den Anspruch auf Krankengeld
ausschließen oder zu einem späteren Zeitpunkt entstehen lassen (§ 44 Abs.2). Von dieser Möglichkeit hat die
Beklagte durch die Regelung in § 29 Abs.1 ihrer Satzung Gebrauch gemacht.
Nach allgemeiner Meinung liegt Arbeitsunfähigkeit vor, wenn der Versicherte seine zuletzt ausgeübte Erwerbstätigkeit
oder eine ähnlich geartete Tätigkeit nicht mehr oder nur auf die Gefahr hin, seinen Zustand zu verschlimmern,
verrichten kann (Höfler in Kasseler Kommentar, § 44 SGB V, Rdnr.10 mit weiteren Nachweisen auf die ständige
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts).
Die Arbeitsunfähigkeit unterscheidet sich von der Berufsunfähigkeit im Sinne des § 43 Abs.2 SGB VI a.F. u.a.
dadurch, dass die Arbeitsunfähigkeit sich auf die zuletzt ausgeübte Erwerbstätigkeit bezieht. Darunter ist die
unmittelbar vor Eintritt der jeweiligen Arbeitsunfähigkeit ausgeübte Beschäftigung zu verstehen. Die Berufsunfähigkeit
nimmt dagegen Bezug auf die zuletzt ausgeübte versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit. Nur der
pflichtversichert ausgeübte Beruf bestimmt das versicherte Risiko.
Die Klägerin war zwar in der Zeit vom 11.05. bis 18.05.1990, vom 02.07. bis 07.07.1990 und vom 09.08. bis
17.08.1990 im insgesamt streitigen Zeitraum arbeitsunfähig. Dies wird von der Beklagten nicht verkannt. Daraus ergibt
sich aber nicht ein Anspruch auf Krankengeld, da die Klägerin mit einer Wartezeit von 21 Tagen bei der Beklagten
freiwillig versichert ist. Im vorliegenden Fall kann wegen § 46 Satz 1 Nr.2 SGB V in den oben genannten Abschnitten
der Arbeitsunfähigkeit ein Krankengeldanspruch jeweils nach dem Tage der ärztlichen Feststellung entstehen. Damit
kommen von den gegebenen Zeiten der Arbeitsunfähigkeit insgesamt nur 20 Tage für einen Krankengeldanspruch in
Betracht. Die Klägerin hat insoweit also die Wartezeit nicht erfüllt.
Für die übrige Zeit innerhalb des streitigen Zeitraums ist Arbeitsunfähigkeit nicht nachgewiesen. Denn es fehlt bereits
an entsprechenden ärztlichen Feststellungen (§ 46 Satz 1 Nr.2 SGB V). Die behandelnden Ärzte haben eine
weitergehende Arbeitsunfähigkeit nicht bescheinigt. Auf den Durchgangsarztbericht des Dr.L. vom 11.05.1990 wurde
von diesem Arzt Arbeitsunfähigkeit vom 11. bis 18.05.1990 wegen der Zerrung der Kniegelenkskapsel am linken Knie
bescheinigt, jedoch nicht darüber hinaus. Diese Zeit der Arbeitsfähigkeit fällt in die Wartezeit. Auch aus den
Rentengutachten von Dr.H. und Dr.K. ergeben sich keine Nachweise auf das Bestehen von Arbeitsunfähigkeit. Denn
ihre Beurteilungen über das Leistungsvermögen beziehen sich nicht auf die Tätigkeit der Klägerin als selbständige
Geschäftsfrau, sondern auf die Beschäftigung als Verkäuferin. Beiden Berufsbildern liegt eine verschiedenartige
Tätigkeit zugrunde; denn die Klägerin war als Inhaberin des Geschäfts in der Lage, selbständig über die Art und Weise
sowie Dauer der Berufstätigkeit z.B. durch Einlegen von zusätzlichen Pausen zu bestimmen.
Auch die Stellungnahme des MDK (Dr.M.) ergibt keinen Nachweis der Arbeitsunfähigkeit im noch streitigen Zeitraum.
Im Übrigen hat der Senat auch zu berücksichtigen, dass die Klägerin in einem anderen Verfahren vor dem SG (S 5 An
205/90) am 19.02.1991 zu Protokoll des Gerichts erklärt hat, dass sie nach der Stellung des Rentenantrags im April
1990 noch in ihrem Geschäft tätig gewesen ist. Allein aus der Tatsache, dass die Klägerin mit Bescheid der BfA vom
23.12.1991 rückwirkend ab 01.01.1990 Rente wegen Berufsunfähigkeit auf der Grundlage eines am 30.04.1990
eingetretenen Versicherungsfalles erhält, lässt sich nicht auf einen Anspruch auf Krankengeld schließen, da das
Krankengeld und die Rente wegen Berufsunfähigkeit verschiedene berufliche Bezugsfelder haben.
Ob für einen etwaigen Anspruch auf Krankengeld im Jahr 1990 Verjährung eingetreten ist, kann damit offen bleiben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs.2 Nrn.1, 2 SGG).