Urteil des LSG Bayern vom 22.11.2006
LSG Bayern: arbeitslosenhilfe, arbeitslosigkeit, form, akte, leistungsbezug, scheidung, bestreitung, ergänzung, sozialversicherung, anforderung
Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 22.11.2006 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Augsburg S 4 AL 426/03
Bayerisches Landessozialgericht L 9 AL 480/05
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 10.11.2005 wird zurückgewiesen. II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der 1950 geborene Kläger war zuletzt bis 31.03.1997 als Bankangestellter versicherungspflichtig beschäftigt. Am
24.03.1997 meldete er sich arbeitslos. Er bezog in der Folge bis zur Erschöpfung des Anspruchs am 28.07.1999
Arbeitslosen- geld und weiter bis 14.10.2002 Arbeitslosenhilfe. Von 17.10. 2002 bis 02.02.2003 bezog der Kläger
Unterhaltsgeld.
Am 31.01.2003 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung von Überbrückungsgeld zur Aufnahme einer
selbständigen Tätigkeit als Handelsvertreter zum 03.02.2003. Auf Anforderung der Beklagten übermittelte die
Industrie- und Handelskammer für Augsburg und Schwaben eine positive fachliche Stellungnahme zur
Existenzgründung.
Mit Bescheid vom 19.02.2003 gewährte die Beklagte zunächst Überbrückungsgeld für sechs Monate in Höhe von
1.160,31 EUR monatlich als Zuschuss. Hierbei legte die Beklagte neben dem mo- natlichen Leistungssatz der
Arbeitslosenhilfe eine Sozialversicherungspauschale in Höhe von 42,30 % dieses Leistungssatzes zugrunde.
Am 16.03.2003 legte der Kläger gegen diese Entscheidung Wider- spruch ein, da zum einen bezüglich der Höhe der
vorbezogenen Arbeitslosenhilfe ein gerichtliches Verfahren anhängig und zum anderen die ungleiche Höhe des
Sozialversicherungszuschlags für Bezieher von Arbeitslosenhilfe und Arbeitslosengeld verfas- sungswidrig sei.
Nachdem im Rahmen eines sozialgerichtlichen Verfahrens bezüg- lich der Höhe der Arbeitslosenhilfe ein erhöhtes
Bemessungs- entgelt in Höhe von 959,56 EUR festgestellt worden war, bewil- ligte die Beklagte mit
Änderungsbescheid vom 25.06.2003 Über- brückungsgeld nunmehr in Höhe von 2.090,96 EUR monatlich. Auch
hierbei berechnete die Beklagte den Zuschlag in Form pauscha- lisierter Sozialversicherungsbeiträge aus einem
Prozentsatz von 42,30 des monatlichen Leistungssatzes. Mit Schreiben vom 29.06.2003 teilte der Kläger mit, dass
der Widerspruch auch gegen den Bescheid vom 25.06.2003 aufrecht erhalten werde.
Mit Widerspruchsbescheid vom 30.06.2003 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Sie führte
hierbei aus, das Überbrückungsgeld setze sich aus dem Betrag zusammen, den der Kläger zuletzt als
Arbeitslosenhilfe bezogen habe und den darauf entfallenden pauschalierten Sozialversicherungsbeiträgen. Letztere
errechneten sich nicht aus den vom Kläger tatsächlich zu entrichtenden Beiträgen, sondern pauschaliert aus dem
durchschnittlichen Gesamtsozialversicherungsbeitrag aller Bezieher von Arbeitslosenhilfe im ersten Halbjahr des
Vorjahres. Dies seien 42,30 % gewesen. Unter Berücksichtigung des wöchentlichen Zahlbetrags der Arbeitslosenhilfe
von 342,86 EUR ergebe sich für 30 Tage ein Betrag in Höhe von 1.469,40 EUR. Zuzüglich 42,30 % dieses Betrages
ergebe sich damit ein monatliches Überbrückungsgeld in Höhe von 2.090,96 EUR.
Gegen diese Entscheidung erhob der Kläger am 31.07.2003 Klage zum Sozialgericht Augsburg. Zur Begründung
wurde vorgetragen, dass dem Kläger bei Beantragung des Überbrückungsgeldes ein Zuschlag für die gesamten
Beiträge zur Sozialversicherung in Höhe von ca. 60 % in Aussicht gestellt worden sei. Es sei ein Verstoß gegen Art.3
Abs.1 Grundgesetz, wenn für Bezieher von Arbeitslosenhilfe lediglich pauschalierte Sozialversicherungsbeiträge in
Höhe von 42,30 %, für die Bezieher von Arbeitslosengeld hingegen pauschalierte Sozialversicherungsbeiträge in Höhe
von 68,50 % berücksichtigt würden. Zudem wurde beanstandet, dass die Arbeitslosenhilfe tagesgenau berechnet
würde, beim Überbrückungsgeld jedoch jeder Monat mit 30 Tagen und damit das Jahr nur mit insgesamt 360 Tagen
berücksichtigt werde. Am 01.09.2003 beantragte der Kläger die Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Die Beklagte
legte mit Schriftsatz vom 20.08.2003 ein Rundschreiben der Bundesanstalt für Arbeit an die Landesarbeitsämter vom
20.12.2002 vor, wonach der pauschale Zuschlag für Sozialversicherungsbeiträge nach § 57 Abs.4 SGB III für
Bewilligungen des Jahres 2003 für Arbeitslosenhilfeempfänger 42,3 % betragen hatte.
In der mündlichen Verhandlung vom 10.11.2005 akzeptierten die zwischenzeitlich mandierten Bevollmächtigen des
Klägers die Berechnung des Überbrückungsgeldes unter Zugrundelegung von 30 Monatstagen und beantragten
nurmehr, die Beklagte zur Zahlung eines höheren Überbrückungsgeldes unter Berücksichtigung eines Sozialzuschlags
von 68,50 % zu verurteilen. Mit Urteil und Beschluss vom 10.11.2005 wies das Sozialgericht die Klage als
unbegründet ab und lehnte gleichzeitig den Antrag auf Ge- währung von Prozesskostenhilfe im Hinblick auf die
fehlende Erfolgsaussicht ab. Das Sozialgericht führte aus, dass entsprechend dem Wortlaut des § 57 Abs.4 SGB III
die Beklagte zu Recht für den Kläger als Arbeitslosenhilfeempfänger pauschalierte Sozialversicherungsbeiträge in
Höhe von 42,30 % berücksichtigt habe.
Jeweils am 22.12.2005 legten die Bevollmächtigten des Klägers gegen das Urteil Berufung und gegen den
ablehnenden Prozessko- stenhilfe-Beschluss Beschwerde ein. Die Beschwerde gegen die Ablehnung von
Prozesskostenhilfe wurde vom Senat mit Beschluss vom 27.03.2006 aufgrund fehlender Erfolgsaussicht der Klage
zurückgewiesen (Az.: L 9 B 766/05 AL PKH).
Die Berufung wurde nicht begründet. Im Rahmen des PKH-Beschwer- deverfahrens war von Seiten der
Klägerbevollmächtigten vorgetragen worden, dass die Berücksichtigung eines unterschiedlichen Sozialzuschlages der
Arbeitslosenhilfe- und Arbeitslosengeld-Empfänger im Gesetz keine Grundlage finde. Eine solche Differenzierung sei
im Rahmen des Überbrückungsgeldes auch nicht gerechtfertigt, da auch die Aufwendungen des Selbständigen nicht
davon abhängen würden, ob dieser zuvor Arbeitslosengeld oder -hilfe bezogen habe. Die gesetzliche Regelung stelle
dementsprechend vielmehr darauf ab, in welcher Höhe Sozialversicherungsbeiträge insgesamt abgeführt wurden.
Der Kläger beantragt:
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Urteils des Sozialge- richts Augsburg vom 10.11.2005 sowie unter Abänderung
der Bescheide vom 19.02. und 25.06.2003 in Gestalt des Wider- spruchsbescheides vom 30.06.2003 verurteilt, dem
Kläger ein höheres Überbrückungsgeld unter Berücksichtigung eines Sozialzuschlages von 68,50 % zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verweist auf die ihrer Ansicht nach überzeugenden Ausführungen des erstinstanzlichen Urteils.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogene Verwal- tungsakte der Beklagten, die Akte des
Sozialgerichts Augsburg sowie die Berufungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist nicht begründet.
Zu Recht hat das Sozialgericht festgestellt, dass die Beklagte das Überbrückungsgeld zutreffend unter
Berücksichtigung eines pauschalierten Sozialversicherungsbeitrages als prozentualem Zuschlag zum Leistungsbetrag
der Arbeitslosenhilfe in Höhe von 42,30 % berechnet hat.
Gemäß § 57 Abs.1 SGB III können Arbeitnehmer, die durch Aufnah- me der selbständigen Tätigkeit die
Arbeitslosigkeit beenden oder vermeiden, zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur sozialen Sicherung in der Zeit
nach der Existenzgründung Über- brückungsgeld erhalten. Nach § 57 Abs.4 SGB III in der bis 31.12.2004 geltenden
Fassung setzt sich das Überbrückungsgeld zusammen aus einem Betrag, den der Arbeitnehmer als Arbeitslo-
sengeld oder Arbeitslosenhilfe zuletzt bezogen hat oder bei Ar- beitslosigkeit hätte beziehen können, und den darauf
entfal- lenden pauschalierten Sozialversicherungsbeiträgen. Nach Satz 2 dieser Vorschrift werden die pauschalierten
Sozialversicherungsbeiträge als prozentualer Zuschlag ermittelt, dem der jeweils im ersten Halbjahr des Vorjahres für
Bezieher von Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe insgesamt geleistete durchschnittliche
Gesamtsozialversicherungsbeitrag zugrunde zu legen ist.
Im vorliegenden Fall hat der Kläger unmittelbar vor Aufnahme seiner selbständigen Tätigkeit weder Arbeitslosengeld
noch Arbeitslosenhilfe, sondern Unterhaltsgeld bezogen. Gemäß § 57 Abs.4 Satz 1 SGB III ist damit an einen fiktiven
Leistungsbe- zug anzuknüpfen, das heißt, es ist der Betrag herzuziehen, den der Kläger bei Arbeitslosigkeit hätte
beziehen können. In Fol- ge der Erschöpfung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld wäre dies beim Kläger lediglich
Arbeitslosenhilfe in Höhe des von der Beklagten errechneten Betrages gewesen. Dieser insoweit nicht angegriffene
Grundbetrag ist um pauschalierte Sozialversicherungsbeiträge zu erhöhen. Bezüglich der Höhe der Pauschale trennt
das Gesetz, entgegen der Auffassung der Klägerbevollmächtigten, klar zwischen dem Bezug von Arbeitslosengeld
und Arbeitslosenhilfe. Dies ergibt sich eindeutig aus dem Wort- laut des § 57 Abs.4 Satz 1 SGB III, wonach sich das
Überbrü- ckungsgeld aus dem Betrag des zuletzt bezogenen Arbeitslosengeldes "oder" der Arbeitslosenhilfe und den
"darauf" entfallenen pauschalierten Sozialversicherungsbeiträgen zusammensetzt. Schon mit dieser Formulierung wird
deutlich, dass ein unmittelbarer Bezug zwischen der Art der Leistung und den Sozialversicherungsbeiträgen besteht.
Noch deutlicher wird dies durch § 57 Abs.4 Satz 2 SGB III. Danach werden die pauschalierten
Sozialversicherungsbeiträge als prozentualer Zuschlag ermittelt. Bei dieser Ermittlung ist nach dem Wortlaut der
Vorschrift "der jeweils im ersten Halbjahr des Vorjahres für Bezieher von Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe
insgesamt geleistete durchschnittliche Gesamtsozialversicherungsbeitrag zugrunde zu legen". Mit den Worten
"jeweils" und "oder" wird eindeutig klargestellt, dass die Ermittlung des pauschalierten Zuschlags nicht kumulativ für
beide Leistungen zusammen sondern jeweils alternativ für jede Leistungsart getrennt festzulegen ist. Es bestehen
insoweit keine Bedenken, wenn die Beklagte für den Kläger als fiktiven Arbeitslosenhilfe-Bezieher der Berechnung
des Überbrückungsgeldes den mit Rundschreiben der Bundesanstalt für Arbeit vom 20.12.2002 bekannt gegebenen
prozentualen Zuschlag in Höhe von 42,3 % zugrunde legt.
Soweit der Klägers dies für sachlich ungerechtfertigt hält, da die Aufwendungen des Selbständigen nicht von dem
vorherigen Leistungsbezug abhängen, ist dies nicht nachvollziehbar. Das Überbrückungsgeld nach § 57 Abs.1 SGB III
ist gerade keine Leistung zum Ausgleich der Aufwendungen für die Gründung einer eigenen Existenz, sondern soll für
eine Übergangszeit, in der die neu aufgenommene selbständige Tätigkeit noch keine vollen Einnahmen abwirft, den
Lebensunterhalt des vorher Arbeitslosen sichern (Niesel, Rdnr.1 zu § 57 SGB III). Es ist daher gerade auch im
Hinblick auf Art.3 GG sachlich gerechtfertigt, das Überbrückungsgeld an die Leistungen anzuknüpfen, die dem
Existenzgründer auch vorher zur Bestreitung seines Lebensunterhalts nach dem SGB III gezahlt wurden bzw. gezahlt
worden wären und damit nicht nur unter Berücksichtigung das zuletzt bezogenen Leistungsbetrags sondern auch beim
Sozialversicherungs-Zuschlag zu unterschiedlichen Ergebnissen für Bezieher von Arbeitslosengeld und
Arbeitslosenhilfe zu kommen.
Auch die konkrete Berechnung der Beklagten, wie sie dem Ände- rungsbescheid vom 25.06.2003 zugrunde liegt, ist
insoweit nicht zu beanstanden. Unter Berücksichtigung des sich aus einem wei- teren Verfahren vor dem Bayer.
Landessozialgericht ergebenden erhöhten Bemessungsentgelts in Höhe von 959,27 EUR in der Lei- stungsgruppe C
ergibt sich ein fiktiver Leistungsbetrag für die Arbeitslosenhilfe in Höhe von 342,86 EUR wöchentlich. Hochge- rechnet
auf 30 Tage ergibt sich damit ein monatlicher Lei- stungsbetrag in Höhe von 1.469,40 EUR. Der unter Berücksichti-
gung pauschalierter Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 42,30 % ermittelte Zuschlag beläuft sich auf 621,56
EUR. Damit ergibt sich ein monatlicher Überbrückungsgeld-Betrag in Höhe von 2.090,69 EUR.
Die Bescheide der Beklagten wie auch das erstinstanzliche Ur- teil sind damit rechtlich nicht zu beanstanden.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor. Weder wirft dieses Urteil
eine ent- scheidungserhebliche höchstrichterlich nicht geklärte Rechts- frage grundsätzlicher Art auf, noch weicht es
ab von einer Ent- scheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des
Bundes oder des Bundesverfassungsge- richts und beruht hierauf.