Urteil des LSG Bayern vom 31.08.2006

LSG Bayern: anrechenbares einkommen, rente, erwerbsfähigkeit, minderung, deckung, abgeltung, gleichbehandlung, ergänzung, wehr, nationalität

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 31.08.2006 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Augsburg S 6 AS 263/05
Bayerisches Landessozialgericht L 7 AS 56/06
Bundessozialgericht B 11b AS 47/06 R
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 7. Februar 2006 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Arbeitslosengeldes II (Alg II) für den Zeitraum vom 01.01. bis 30.06.2005
streitig.
Der 1961 geborene Kläger ist britischer Staatsangehöriger und hat seinen Wohnsitz in Deutschland. Er bezieht wegen
einer Verletzung in Nordirland aus Großbritannien von der Veterans Agency eine Kriegsopferrente in Höhe von
umgerechnet monatlich 216,47 EUR. Mit Bescheid vom 03.07.2001 wurde ein Grad der Behinderung (GdB) von 30%
festgestellt. Auf seinen Antrag vom 11.10.2004 bewilligte ihm die Beklagten mit Bescheid vom 09.11. 2004 (in der
Fassung der Änderungsbescheide vom 04.03.2005 und 07.03.2005) für die Zeit vom 01.01. bis 30.06.2005 Alg II.
Dabei rechnete sie die englische Kriegsopferrente in Höhe von 68,47 EUR als Einkommen an.
Mit seinem Widerspruch vom 10.03.2005 machte der Kläger geltend, bei seiner Kriegsopferrente handele es sich um
eine zweckbestimmte Leistung im Sinne von § 11 Abs. 3 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II), sodass diese
nicht als Einkommen anzurechnen sei. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom
27.06.2005 mit der Begründung zurück, die Kriegsopferrente sei wie eine nach deutschem Recht für Schaden an
Leben, Körper oder Gesundheit gewährte Rente zu behandeln. Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Bundesversorgungsgesetz
(BVG) würde der Kläger bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 30 % eine monatliche Grundrente in
Höhe von 118,00 EUR erhalten. In dieser Höhe sei die Rente auch nicht als Einkommen nach § 11 Abs. 1 SGB II zu
berücksichtigen. Der verbleibende Betrag stelle jedoch anrechenbares Einkommen dar, um eine Gleichbehandlung
von Personen unterschiedlicher Nationalitäten zu gewährleisten.
Mit seiner am 21.07.2005 zum Sozialgericht Augsburg (SG) erhobenen Klage machte der Kläger geltend, die
englische Rente könne nicht mit einer deutschen Kriegsopferrente gleichgesetzt werden. Bei einer Kriegsopferrente
nach § 31 BVG handele es sich um eine Entschädigung für Dienste für den Staat der Bundesrepublik Deutschland.
Dagegen sei der Zweck der englischen Rente des Klägers allein auf die nationalen Interessen Englands bezogen. Der
Kläger habe die Rente von seinem Heimatland erhalten, weil er für dieses Land gesundheitliche Opfer er-bracht habe.
Entgegen der Auffassung der Beklagten lägen die Voraussetzungen des § 11 Abs. 3 Nr. 1 a SGB II vor. Die Rente sei
eine zweckgebundene Einnahme. Die englische Kriegsopferrente verfolge einen anderen Zweck als Leistungen nach
dem SGB II, weil diese nicht seiner Grundsicherung diene, diese werde vielmehr wegen des erbrachten Sonderopfers
gewährt.
Das SG hat die Beklagte mit Urteil vom 07.02.2006 unter Abänderung der angefochtenen Bescheide verurteilt, dem
Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für die Zeit vom 01.01. bis 30.06.2005 unter
Nichtberücksichtigung seiner britischen Kriegsopferrente als Einkommen in Höhe von 173,00 EUR zu gewähren. Im
Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, es handele sich bei der britischen
Kriegsopferrente um eine zweckbestimmte Einnahme. Es liege eine Zweckbestimmung i.S.d. § 11 Abs. 3 Nr. 1 a
SGB II vor. Da die Rente unter den gleichen bzw. vergleichbaren Voraussetzungen gewährt werde wie eine Rente
nach § 31 BVG, verfolge auch die britische Kriegsopferrente den Zweck, dass diese zum Ausgleich von Schäden
erbracht werde, für die die Allgemeinheit eine besondere Verantwortung trage. Die britische Kriegsopferrente diene
daher zum einen der Deckung eines schädigungsbedingten Mehrbedarfs, der durch Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhaltes nicht abgedeckt sei, und zum anderen der Abgeltung immateriellen Schadens. Bei einer
Anrechnung der britischen Kriegsopferrente auf das Alg II würde diese Zweckbestimmung verfehlt werden.
Zweckbestimmte Einnahmen blieben aber nur insoweit von der Einkommensanrechnung ausgenommen, soweit diese
die Lage des Empfängers nicht so günstig beeinflussten, dass daneben Leistungen nach dem SGB II ungerechtfertigt
wären. Wann eine entsprechende Besserstellung erreicht sei, sei nicht geregelt. Die Kriegsopferrente des Klägers sei
nicht in ganzer Höhe als privilegierte Einnahme anzuerkennen. Es seien aber nur Einnahmen in halber Höhe einer
monatlichen Regelleistung anrechnungsfrei. Ein Überschreiten dieser halben monatlichen Regelleistung beeinflusse
nämlich die wirtschaftliche Situation des Leistungsempfängers in der Regel so, dass daneben Leistungen nach dem
SGB II nicht mehr als gerechtfertigt erscheinen würden. Ein Überschreiten dieser Grenze setze daher einen
besonders gelagerten Fall voraus, aus dem sich eine Rechtfertigung für eine weitere Privilegierung ergebe. Einen
solcher besonderer Fall liege nicht vor. Eine höhere Privilegierung als die Hälfte des Regelsatzes (173,00 EUR)
komme daher nicht in Betracht. Den darüber hinausgehenden Betrag müsse sich der Kläger als Einkommen gemäß §
11 Abs. 1 Satz 1 SGB II anrechnen lassen, wovon noch gemäß § 11 Abs. 2 SGB II die entsprechenden Beträge
abzusetzen seien. Insoweit sei die Klage abzuweisen gewesen.
Der Kläger hat gegen das am 20.02.2006 zugestellte Urteil am 15.03.2006 Berufung eingelegt. Zur Begründung
wiederholt er im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen. Die britische Rente sei privilegiertes Einkommen. Es sei
seine Gesamtsituation zu berücksichtigen. Es liege ein Verstoß gegen das europäische Primär- und Sekundärrecht
(EWG-VO 1408/71) vor.
Der Kläger beantragt sinngemäß, das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 7. Februar 2006 abzuändern und die
Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 9. November 2004 in der Gestalt der Änderungsbescheide vom 4.
März 2005 und 7. März 2005 sowie des Widerspruchsbescheides vom 27. Juni 2005 zu verurteilen, ihm ab 1. Januar
2005 höhere Leistungen nach dem SGB II ohne Anrech-nung der britischen Kriegsopferrente zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie vertritt die Auffassung, als privilegiertes Einkommen sei nur die Kriegsopferrente zu sehen, die bei gleicher
Minderung der Erwerbsfähigkeit als Grundrente nach dem BVG gewährt würde.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf die beigezogenen Akten der Beklagten und die Gerichtsakten
beider Instanzen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist zulässig, weil sie vom SG zugelassen wurde und die übrigen
Zulässigkeitsvoraussetzungen vor-liegen.
Berufung wurde nur vom Kläger eingelegt. Zwar hat die Beklagte im Berufungsverfahren vorgetragen, als privilegiertes
Einkommen sei nur die Kriegsopferrente zu sehen, die bei gleicher Minderung der Erwerbsfähigkeit als Grundrente
nach dem BVG gewährt würde. Diese Formulierung ist aber nicht als Einlegung einer Berufung auszulegen; denn von
einem Leistungsträger kann erwartet werden, dass er dies hinreichend deutlich erklärt.
Die Berufung ist sachlich nicht begründet, weil dem Kläger für den streitigen Zeitraum kein Anspruch auf noch höhere
Leistungen nach dem SGB II zusteht.
Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II sind als Einkommen Einnahmen in Geld oder Geldeswert zu berücksichtigen.
Ausdrücklich ausgenommen von der Anrechnung als Einkommen ist nach dieser Vo-schrift unter anderem die
Grundrente nach dem BVG und nach den Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des BVG vorsehen. Zwar
bezieht der Kläger keine Grundrente nach dem BVG oder nach einem Gesetz, das das BVG für entsprechend
anwendbar erklärt, bei der britischen Rente handelt es aber um eine Rente, die aufgrund einer
Wehrdienstbeschädigung gezahlt wird. Auch das SG hat es nicht in Zweifel gezogen, dass die englische
Kriegsopferrente unter den gleichen (bzw. vergleichbaren) Voraussetzungen gewährt wird wie eine Rente nach § 31
BVG; denn auch nach englischem Recht erhält ein Wehr- bzw. Kriegsdienstleistender ab einer MdE von 30 vom
Hundert eine Grundrente. Damit verfolgt auch die britische Kriegsopferrente den Zweck, ebenso wie eine Rente nach
dem BVG, dem Ausgleich von Schäden zu dienen, für die die Allgemeinheit eine besondere Verantwortung trägt. Der
Senat schließt sich auch der Ansicht an, dass die britische Kriegsopferrente damit zum einem der Deckung eines
schädigungsbedingten Mehrbedarfs dient, der durch Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nicht abgedeckt
ist, und dass sie auch die Abgeltung immateriellen Schadens bezweckt. Die britische Kriegsopferrente ist daher einer
deutschen Rente nach § 31 BVG gleichzustellen.
Dem SG ist aber nicht in der Beurteilung zu folgen, dass es sich bei der gesamten britischen Kriegsopferrente um
eine privilegierte Einnahme im Sinne des § 11 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a handelt. Dies folgt daraus, dass § 11 Abs. Satz
1 SGB II lediglich die Grundrente nach dem BVG nicht als anrechenbares Einkommen bestimmt. Diese Regelung
wäre überflüssig, wenn es sich bei der gesamten Rente nach dem BVG nach § 11 Abs. 3 SGB II um privilegiertes
Einkommen handeln würde.
Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 BVG würde der Kläger bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30 vom Hundert eine
monatliche Grundrente in Höhe von 118,00 EUR erhalten. In dieser Höhe ist die Rente daher - wie von der Beklagten
zugestanden - nicht als Einkommen nach § 11 Abs. 1 SGB II zu berücksichtigen. Der verbleibende Betrag stellt
jedoch anrechenbares Einkommen dar. Dadurch wird sichergestellt, dass Personen unterschiedlicher Nationalitäten
gleichbehandelt werden. Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus dem Recht der Europäischen
Gemeinschaft; denn aus den Vorschriften des Gemeinschaftsrechts er-gibt sich nur ein Anspruch auf
Gleichbehandlung von Personen mit unterschiedlicher Nationalität.
Die Berufung des Klägers war daher zurückzuweisen. Da die Beklagte keine Berufung eingelegt hat, konnte zu ihren
Gunsten kein anderes Urteil ergehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung des Rechtsstreits zugelassen.