Urteil des LSG Bayern vom 12.05.1999

LSG Bayern: schulausbildung, unterbrechung, aufnahme einer erwerbstätigkeit, berufsausbildung, kündigung, beurlaubung, geburt, schulpflicht, krankheit, gleichstellung

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 12.05.1999 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Augsburg S 7 RJ 432/96
Bayerisches Landessozialgericht L 16 RJ 103/98
i. Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 15. Januar 1998 und der
Bescheid vom 29. August 1995 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Juli 1996 abgeändert und die
Beklagte verurteilt, der Klägerin ab 1. September 1995 bis 20. März 1996 Halbwaisenrente zu gewähren. ii. Die
Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des gesamten Rechtsstreits zu erstatten. iii. Die Revision
wird zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist infolge der Beschränkung des Antrags im Berufungsverfahren nurmehr streitig, ob die
Klägerin Anspruch auf Halbwaisenrente für die Zeit vom 01.09.1995 bis 20.03.1996 hat.
Die am 1977 geborene Klägerin bezog auf der Grundlage des Bescheides der Beklagten vom 02.10.1993 ab
11.06.1993 befristet wegen der Vollendung des 18. Lebensjahres im August 1995 bis 31.08.1995 Halbwaisenrente aus
der Versicherung des am 11.06.1993 verstorbenen Vaters. Wegen der Geburt des ersten Kindes L. im Mai 1994
unterbrach die Klägerin ihre Schulausbildung ab 8. März 1994 an der Freien Waldorfschule Augsburg und wurde von
der Schule bis auf weiteres befreit.
Am 04.08.1995 hat die Klägerin im Hinblick auf ihren Erziehungsurlaub und die Teilnahme am Fernlehrgang "Abitur"
bei der Studiengemeinschaft Darmstadt die Weitergewährung der Halbwaisenrente über den August 1995 hinaus
beantragt. Die Studiengemeinschaft Darmstadt hat mitgeteilt, daß die Dauer bzw. der Umfang der Ausbildung vom
Schüler selbst bestimmt werde. Die Regelstudienzeit betrage 42 Monate. Die wöchentliche Stundenzahl umfasse 10
bis 16 Stunden, wobei z.B. eine Woche auch nicht gearbeitet werden könne. Dies sei von seiten der
Studiengemeinschaft nicht kontrollierbar. Es finde kein regelmäßiger mündlicher Unterricht statt. Die Studien fänden
ausschließlich zu Hause statt.
Mit Bescheid vom 29.08.1995 wurde der Antrag auf Weitergewährung der Halbwaisenrente über den 31.08.1995
hinaus abgelehnt, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorlägen. Die Klägerin befinde sich nicht mehr in Schul- oder
Berufsausbildung. Der Fernlehrgang an der Studiengemeinschaft Darmstadt stelle keine Schul- oder Berufsausbildung
im Sinne des § 48 Abs.4 SGB VI dar (Hinweis auf Urteil des BSG vom 25.11.1976 - 11 RA 146/75).
Hiergegen richtet sich der Widerspruch. Der Schulvertrag mit der Freien Waldorfschule Augsburg bestehe noch. Der
Klägerin stehe auch nach dem 31.08.1995 Waisenrente zu, weil sie weiterhin eine Schulausbildung im Sinne von § 48
Abs.4 SGB VI absolviere. Die Klägerin habe durchgehend in einem Schulverhältnis gestanden und zwar auch in der
Zeit nach der Geburt des ersten Kindes. Sie sei lediglich von der Schulpflicht beurlaubt gewesen. Eine derartige
Beurlaubung sei rechtlich einem Erziehungsurlaub gleichzustellen. Die Vorschriften über die Regelung des
Erziehungsurlaubes seien analog auf die Beurlaubung einer Schülerin von der Schulpflicht anzuwenden. Lediglich die
sich aus dem Schulverhältnis ergebenden Rechte und Pflichten des Schülers und der Schule, d.h. die entsprechende
Anwesenheitspflicht und die Pflicht zur Vermittlung des Lehrstoffes, seien während der Zeit des Erziehungsurlaubes
suspendiert. Im übrigen sei darauf hinzuweisen, daß die Mutter der Klägerin weiterhin Kindergeld erhalte. Auf Anfrage
der Beklagten hat die Freie Waldorfschule Augsburg mitgeteilt, daß die Klägerin seit 14.09. 1983 ab der Klasse 1 bis
zum 07.03.1994 (Klasse 11) die Freie Waldorfschule Augsburg besucht habe. Das Schulverhältnis sei nicht durch
eine Kündigung beendet, sondern lediglich durch die Geburt des ersten Kindes unterbrochen worden. Die Mutter der
Klägerin habe um Verständnis dafür gebeten, daß die Klägerin später wieder ihre Schullaufbahn fortsetzen wolle. Dies
sei dann nicht eingetreten, da die Klägerin ein zweites Kind erwartet habe und die Mutter mit Schreiben vom
20.03.1996 die endgültige Kündigung des Erziehungsvertrages vorgenommen habe. Mit Widerspruchsbescheid vom
04.07.1996 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Schulausbildung im Sinne von § 48 Abs. 4 SGB VI sei die
Ausbildung u.a. an allgemeinbildenden öffentlichen und privaten Schulen. Der Besuch einer derartigen schulischen
Einrichtung sei "Schulausbildung", sofern die Zeit und Arbeitskraft des Auszubildenden durch die Ausbildung
überwiegend in Anspruch genommen werden. Die überwiegende Beanspruchung durch die Schulausbildung sei zu
bejahen, wenn die Ausbildung einen Zeitaufwand von mehr als 20 Stunden wöchentlich erfordere. Dies sei bei der
Studiengemeinschaft Darmstadt nicht gegeben, weil die wöchentliche zeitliche Belastung 10 bis 16 Stunden betrage
und keine Kontrollmöglichkeit bestehe. Es finde auch kein regelmäßiger mündlicher Unterricht statt. Die Studienzeit
finde ausschließlich zu Hause, fern jeglicher schulischer Einrichtung und Kontrolle, statt. Trotz des Fortbestehens
eines Schulverhältnisses, welches durch die Beurlaubung unterbrochen worden sei, liege Schulausbildung weder in
der ursprünglichen schulischen Einrichtung vor noch durch den Fernunterricht. Auch eine Gleichstellung eines
möglichen Erziehungsurlaubes mit der Schulausbildung oder einer möglichen Unterbrechung durch Krankheit sei nicht
anzunehmen.
Hiergegen richtet sich die Klage vom 19.07.1996. Die Klägerin habe über die Geburt ihres Kindes hinaus eine
Schulausbildung bei der Freien Waldorfschule Augsburg mindestens bis zum 20.03. 1996 durchlaufen. Sie sei
lediglich von der Schulpflicht beurlaubt gewesen. Eine Gleichstellung der Beurlaubung von der Schulpflicht mit dem
Erziehungsurlaub sei möglich. Für eine vergleichbare Behandlung müsse die Klägerin auch nicht Arbeitnehmerin im
Sinne des Bundeserziehungsgeldgesetzes sein. Wegen der Funktionsgleichheit von Kindergeld und Waisenrente
könnten für die hier zu entscheidenden Rechtsfragen auch die zum Kindergeld entwickelten Grundsätze herangezogen
werden. Dies werde insbesondere auch durch das Urteil des Bundessozialgerichts vom 27.06.1973 (SozR RVO §
1262 Nr.34) bestätigt. Das BSG habe ausdrücklich entschieden, daß der Kinderzuschuß gemäß § 1262 RVO zur
Rente des Versicherten für eine Zeit zwischen der Vollendung des 18. und des 25. Lebensjahres auch dann zu zahlen
sei, wenn das Kind die Schulausbildung wegen einer Schwangerschaft vorübergehend aussetzen müsse.
Mit Schreiben vom 26.09.1996 hat der Klägervertreter eine Bestätigung der Abendrealschule für Berufstätige der Stadt
Augsburg vom 19.09.1996 übersandt, wonach die Klägerin seit 17.09. 1996 die Klasse 2 der Abendrealschule
besuche. Die Beklagte hat daraufhin mit Bescheid vom 28.11.1996 der Klägerin ab 01.10. 1996 wiederum
Halbwaisenrente gewährt.
Mit Urteil vom 15. Januar 1998 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Entscheidung der Beklagten sei weder in
rechtlicher noch in tatsächlicher Hinsicht zu beanstanden. Die Beklagte liege mit ihrer Entscheidung im wesentlichen
mit der Rechtsprechung und dem einschlägigen Schrifttum im Einklang, so daß der Bevollmächtigte der Klägerin mit
seinen Ausführungen nicht zum Zuge kommen könne.
Hiergegen richtet sich die Berufung. Der Klägervertreter wiederholt im wesentlichen die bisherigen Ausführungen.
Hierzu hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 16.11.1998 Stellung genommen. Die Rentenversicherungsträger würden
die Auffassung vertreten, daß sich ein Kind oder eine Waise für die Dauer des Erziehungsurlaubes im Anschluß an
die Zeiten der Beschäftigungsverbote nach §§ 3, 6 Mutterschutzgesetz nicht in Berufsausbildung im Sinne des § 48
Abs.4 SGB VI befinde, sondern es sich bei der Inanspruchnahme von Erziehungsurlaub um eine leistungshindernde
tatsächliche Unterbrechung der Berufsausbildung handele. Diese leistungshindernde Unterbrechung sei wegen der
unterschiedlichen Sachverhalte auch nicht vergleichbar mit der unschädlichen Unterbrechung der Ausbildung bei
Krankheit während des Ausbildungsverhältnisses oder mit der teilweise unschädlichen Unterbrechung zwischen zwei
Ausbildungsabschnitten oder Ausbildungen. Diese Auffassung habe auch durch das Urteil des Bundessozialgerichts
vom 29.04.1997, Az.: 5 RJ 84/95, keine Änderung erfahren. Entgegen der dort vertretenen Auffassung knüpfen die
von der Rechtsprechung des BSG bisher als rentenunschädlich betrachteten Unterbrechungstatbestände nicht an die
Unzumutbarkeit der Aufnahme einer Beschäftigung während der Unterbrechungszeiträume, sondern vielmehr an die
Unvermeidbarkeit dieser Unterbrechungen an. Die Versichertengemeinschaft habe nicht für jede unverschuldete
Unterbrechung der Ausbildung einzustehen, sondern nur für diejenige, die generell unvermeidbar,
ausbildungsorganisationsbedingt typisch und dementsprechend häufig vorkomme. Der im zitierten Urteil erfolgten
Gleichsetzung einer Unterbrechung der Berufsausbildung durch die Inanspruchnahme von Erziehungsurlaub mit den
bisher von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts als rentenunschädlich beurteilten unvermeidbaren
Zwischenzeiten zwischen zwei Ausbildungsabschnitten werde von seiten der Rentenversicherungsträger nicht gefolgt.
Die Unterbrechung einer Berufsausbildung durch die Inanspruchnahme von Erziehungsurlaub erfülle weder die von der
Rechtsprechung vorausgesetzte Unvermeidbarkeit einer auf ausbildungsorganisationsbedingten Gründen beruhenden
Zwischenzeit, noch bewege sie sich - in der Regel - auch nur annähernd im zeitlichen Rahmen des § 2 Abs.2 Nr.2
BKKG. Auf Anfrage des Senats hat die Freie Waldorfschule mitgeteilt, daß ein schriftlicher Antrag auf Unterbrechung
des Schulverhältnisses für J. von Seiten der Mutter nicht vorliege. Die Absprachen mit den Klassenbetreuern und der
Schulführung seien mündlich erfolgt, da über einen weiteren Verbleib noch Unklarheit geherrscht habe. Bis zum
Beginn des neuen Schuljahres sei die Situation so weit geklärt worden, daß die Klägerin im Schuljahr 1995/96, ein
Jahr zurückgestuft, in die 12. Klasse einsteige. Dem Schreiben liegt auch die Kündigung der Mutter der Klägerin vom
20.03.1996 bei.
Mit Beschluss vom 12.04.1999 wurde der Klägerin für das Verfahren vor dem Bayer. Landessozialgericht
Prozeßkostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt beigeordnet.
Die Klägerin stellt den Antrag,
das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 15.01.1998 und die Bescheide der Beklagten vom 29.08.1995 und
04.07.1996 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr vom 01.09.1995 bis 20.03.1996 Halbwaisenrente zu
gewähren.
Der Vertreter der Beklagten beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten und der Beklagtenakte verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig und auch begründet.
Entsprechend sind das Urteil des SG und der Bescheid der Beklagten vom 29.08.1995 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 04.07.1996 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin ab 1. September
1995 bis 20. März 1996 Halbwaisenrente zu gewähren.
Gemäß § 48 Abs.4 Satz 1 Nr.1 SGB VI wird eine Halb- oder Vollwaisenrente grundsätzlich bis zur Vollendung des 18.
Lebensjahres geleistet. Sie wird weitergehend gemäß § 48 Abs.4 Nr.2 SGB VI bis zur Vollendung des 27.
Lebensjahres geleistet, wenn die Waise sich u.a. in Schulausbildung befindet.
Die Klägerin hat sich im streitgegenständlichen Zeitraum vom 01.09.1995 bis 20.03.1996 noch in Schulausbildung
befunden. Die Schulausbildung der Klägerin ist mit der Beurlaubung vom Schulbesuch ab 8. März 1994 weder
endgültig noch vorläufig beendet worden, vielmehr wurde lediglich die Verwirklichung der Rechte und Pflichten aus
dem Erziehungsvertrag mit der Waldorfschule ausgesetzt. Die vorliegende Fallkonstellation zeichnet sich dadurch
aus, daß die Klägerin bei fortbestehendem Erziehungsvertrag mit der Waldorfschule Augsburg im
streitgegenständlichen Zeitraum vom 01.09.1995 bis 20.03.1996 die Waldorfschule wegen der Geburt des ersten
Kindes im Mai 1994 nicht besucht hat. Die Frage, ob sich eine Waise während einer tatsächlichen Unterbrechung der
Schulausbildung oder auch während Übergangszeiten in einer Schulausbildung befindet, kann nicht rein begrifflich,
sondern nur im Wege einer an Sinngehalt und Normzweck orientierten Auslegung der Vorschrift beantwortet werden
(vgl. BSG in SozR 3-2200 § 1267 Nr.1). Demzufolge sind etwa Zeiten einer vorübergehenden, wenngleich längeren
Krankheit (BSG SozR Nr.16 zu § 1267 RVO) ebenso als Berufsausbildung gewertet worden wie die Zeit zwischen
dem Ende des Ausbildungsverhältnisses im Sinne des Berufsbildungsgesetzes und der Prüfung (BSG SozR 2200 §
1267 Nr.19). Darüber hinaus hat sich die ausdehnende Auslegung vor allem in zwei Richtungen bewegt: Zum einen ist
ein in einer Ausbildungsordnung nicht vorgeschriebenes Vorpraktikum als Berufsausbildung angesehen worden, wenn
es Ausbildungscharakter hat, von einer Ausbildungsstätte bei Beginn des Vorpraktikums ein Ausbildungsvertrag
vorliegt oder eine Zusage erteilt worden ist und wenn insgesamt von nicht nur wenigen Ausbildungsstätten ein
Vorpraktikum verlangt, gewünscht oder empfohlen wird (vgl. BSG SozR 5870 Nr.53 zu § 2 Abs.2 Satz 1 BKGG); zum
anderen hat die Rechtsprechung eine nicht vermeidbare Zwischenzeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten, so
insbesondere zwischen Abitur und nächstmöglicher Immatrikulation an einer Hochschule unschädlich sein lassen (vgl.
BSG SozR Nrn.38, 42 zu § 1267 RVO; SozR 2200 § 1262 Nrn.26, 36). Nach der genannten Rechtsprechung kann ein
Waisenrentenanspruch danach unter bestimmten Voraussetzungen sowohl während der Zeit der Unterbrechung einer
Ausbildung als auch während einer sogenannten Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungen bzw.
Ausbildungsabschnitten bestehen. Der Unterschied zwischen diesen beiden Fallgruppen besteht darin, daß es bei
einer Unterbrechung zu einem Auseinanderfallen der formell-rechtlichen und der tatsächlichen Lage kommt, indem das
Ausbildungsverhältnis rechtlich zwar weiterhin fortbesteht, die Waise jedoch aus tatsächlichen Gründen - z.B. wegen
Krankheit oder Schwangerschaft - der Ausbildung nicht nachgeht. Übergangszeiten sind dagegen dadurch
charakterisiert, daß für diesen Zeitraum auch formell-rechtlich kein Ausbildungsverhältnis vorliegt, da es sich um eine
nicht zu vermeidende ausbildungsfreie Zeit zwischen zwei Ausbildungen oder Ausbildungsabschnitten handelt. Die
vorliegende Fallgestaltung ist im Hinblick auf den fortbestehenden Erziehungsvertrag mit der Waldorfschule Augsburg
der ersten Fallgruppe zuzurechnen.
Bei einer zeitweisen Befreiung vom Schulbesuch ist dann noch von einer Schulausbildung i.S. von § 48 Abs. 4 Nr. 2
SGB VI auszugehen, wenn das Schulausbildungsverhältnis zumindest formell-rechtlich noch fortbesteht, ein
beidseitiger durchgehender Wille zur Fortsetzung der Schulausbildung nach der Unterbrechung vorliegt und die
Aufnahme einer Berufstätigkeit während des Unterbrechungszeitraums unzumutbar ist. Die genannten
Voraussetzungen sind im Falle der Klägerin gegeben.
Das Schulausbildungsverhältnis der Klägerin mit der Waldorfschule bestand bis 20.03.1996 formell-rechtlich fort und
wurde erst durch die Kündigung der Mutter der Klägerin am 20.03.1996 beendet. Vorher ist insbesondere nicht von der
Waldorfschule ausdrücklich oder konkludent der Erziehungsvertrag beendet worden.
Sowohl die Waldorfschule als auch die Klägerin hatten im streitgegenständlichen Zeitraum von Anfang an
durchgehend bis 20.03.1996 den Willen, die schulische Ausbildung fortzusetzen. Die Waldorfschule hat keinerlei
Maßnahmen zur Beendigung des Erziehungsvertrages mit der Klägerin vor dem 20.03.1996 getroffen und der
Klägerin, wie sich dem Aktenvermerk vom 21.09.1994 und dem Schreiben vom 24.06.1996 entnehmen läßt, eine
Möglichkeit zur Wiederaufnahme des Schulverhältnisses eingeräumt. Auch von einem Willen der Klägerin, die
Schulausbildung bei der Waldorfschule fortzusetzen, ist bis zum Tag der Kündigung des Erziehungsvertrages
auszugehen. Der fortbestehende Ausbildungswille der Klägerin zeigt sich u.a. darin, daß sie während des
Unterbrechungszeitraums einen Fernlehrgang "Abitur" aufgenommen und - wenngleich auch nicht mehr an der
Waldorfschule - die Schulausbildung ab 17.09.1996 an einer Abendrealschule wieder fortgesetzt hat. Jedenfalls kann
nicht bereits zu Beginn des Schuljahres 1995/96, als die Klägerin entgegen der ursprünglichen Absicht nicht in der 12.
Klasse die Schulausbildung in der Waldorfschule fortsetzte, ein fortbestehender Wille zur Schulausbildung an der
Waldorfschule verneint werden. Die Entscheidung, die Schulausbildung nicht mehr an der Waldorfschule forzuführen
ist erst mit der Kündigung des Erziehungsvertrages am 20.03.1996 gefallen.
Der Klägerin war die Aufnahme einer Berufstätigkeit während des streitgegenständlichen Unterbrechungszeitraumes
vom 01.08.1995 bis 20.04.1996 auch nicht zumutbar.
Das BSG hat hierzu (Urteil vom 29.04.1997, Az.: 5 RJ 84/95) bereits entschieden, daß nach Sinn und Zweck der
Gewährung von Erziehungsurlaub und Erziehungsgeld für die Zeit der Unterbrechung der Berufsausbildung wegen
Kindererziehung eine Berufsaufnahme nicht zumutbar ist. Gleiches gilt für den Fall der Unterbrechung einer
Schulausbildung wegen Kindererziehung. Die Klägerin hat vorliegend zwar keinen Erziehungsurlaub in Anspruch
nehmen können, weil sie keine Arbeitnehmerin bzw. eine gleichgestellte Person ist, sie hat im streitgegenständlichen
Zeitraum aber Anspruch auf Erziehungsgeld gehabt. Das Bundeserziehungsgeldgesetz verfolgt den Zweck, es zu
ermöglichen bzw. zu erleichtern, daß sich ein Elternteil der Betreuung und Erziehung des Kindes in der für die ganze
spätere Entwicklung entscheidenden ersten Lebensphase des Kindes widmet. Entsprechend der möglichen
Anspruchsdauer bis zur Vollendung des 24. Lebensmonats des Kindes gemäß § 4 Abs.1 Satz 2 BErzGG ist daher
von einer "Unzumutbarkeit" der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit auszugehen.
Für eine Begrenzung der Unterbrechungszeitraumes auf höchstens vier Monate in analoger Anwendung von § 2 Abs.
2 Nr. 2 BKGG ist vorliegend schon deswegen kein Raum, weil keine Übergangszeit zwischen zwei
Ausbildungsmaßabschnitten, sondern ein jedenfalls formell-rechtlich fortbestehendes Schulausbildungsverhältnis
vorliegt.
Die gleichzeitige Gewährung von Erziehungsgeld und Halbwaisenrente stellt auch keine unzulässige
Leistungskumulation dar, weil die Zweckrichtung der beiden Sozialleistungen unterschiedlich ist. Während der
Halbwaisenrente vor allem eine unterhaltssichernde Funktion zukommt, handelt es sich beim Erziehungsgeld um eine
familienpolitisch motivierte Leistung, die die Betreuung und Erziehung des Kleinkindes in der ersten Lebensphase
fördern soll.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG ist die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Die
Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen bei einer Unterbrechung der Schulausbildung wegen Kindererziehung
noch ein "Sich-in-Schulausbildung-Befinden" i.S. von § 48 Abs. 4 Nr. 2a SGB VI vorliegt, ist höchstrichterlich noch
nicht abschließend geklärt.