Urteil des LSG Bayern vom 09.07.1998

LSG Bayern: krankenversicherung, behandlungsfehler, ermessen, krankenkasse, beweismittel, vergiftung, begriff, fehlbehandlung, zahnarzt, schmerzensgeld

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 09.07.1998 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Augsburg S 6 Kr 137/94
Bayerisches Landessozialgericht L 4 KR 4/98
I. Die Klage gegen die Bescheide der Beklagten vom 13. April 1993 und 26. Mai 1994 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 15. April 1998 wird abgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist die Verpflichtung der Beklagten, den Kläger in einer Universitätsklinik untersuchen zu lassen.
Der bei der Beklagten als Rentner versicherte Kläger teilte mit dem Schreiben vom 21.05.1992 dem
Bundesversicherungsamt und dem weiteren Schreiben vom 26.10.1992 der Beklagten mit, er sei bei zahnärztlichen
Behandlungen gesundheitlich (übermäßige Schmerzen, Vergiftung) geschädigt worden und beantragte die Einholung
eines Gutachtens. Die Beklagte erwiderte nach einer Anfrage beim Medizinischen Dienst der Krankenversicherung
(MDK) mit Schreiben vom 13.04.1993, der MDK sei zu der gewünschten Begutachtung außerstande und vertrete die
Meinung, daß die erhobenen Vorwürfe im Wege eines Klageverfahrens zu klären seien. Der Kläger war in der weiteren
Eingabe an das Bundesversicherungsamt vom 07.09.1993 der Ansicht, die Fehlbehandlung sei durch ein Gutachten
aufzuklären. Nachdem er mit den Schreiben vom 23.11. 1993, 20.12.1993 und 22.03.1994 auf Einholung eines
Gutachtens durch eine Universitätsklinik drängte, erneuerte die Beklagte mit Schreiben vom 26.05.1994 ihr Angebot,
ein Gutachten aufgrund einer Untersuchung durch den MDK einzuholen und lehnte eine Untersuchung zu ihren Lasten
in der Universitätsklinik München ab.
Der Kläger bestand mit dem Schreiben vom 03.06.1994 wiederum auf einer Untersuchung durch eine
Universitätsklinik. Die Beklagte wies mit Bescheid vom 07.10.1994 den Widerspruch des Klägers gegen die
Ablehnung (Widerspruchsbescheid vom 08.12. 1993) der damals streitigen Kostenerstattung von Arzneimitteln ab,
ging aber auf die begehrte Untersuchung nicht ein.
Der Kläger hat mit der Klage vom 07.10.1994 beim Sozialgericht Augsburg (SG) u.a. geltend gemacht, nur ein
Gutachten einer Universitätsklinik könne die anläßlich einer zahnärztlichen Behandlung erfolgte Vergiftung
nachweisen. Das SG hat mit Urteil vom 06.09.1995 die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, ein
Anspruch auf Kostenerstattung für die geltend gemachten Arzneimittel bestehe mangels ärztlicher Verordnung nicht.
Über die beantragte Untersuchung als eigene Leistung der Beklagten entschied es nicht.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers vom 18.10.1995 mit der er wieder erhebliche gesundheitliche
Schäden durch eine vorsätzliche ärztliche Fehlbehandlung geltend macht und die Einholung eines Gutachtens einer
Universitätsklinik beantragt. Die Beklagte hat auf Anfrage des Senats am 24.11.1997 mitgeteilt, daß sie bezüglich der
Unterstützung des Klägers bei Behandlungsfehlern einen Widerspruchsbescheid nicht binnen zwei Monaten erteilen
werde. Der Senat hat insoweit in der mündlichen Verhandlung die Streitsache durch Beschluss abgetrennt und mit
Urteil vom 15.01.1998 (L U Kr 127/95) die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom
06.09. 1995 zurückgewiesen, soweit sie die Erstattung selbstbeschaffter Medikamente und Präparate betraf.
Mit Bescheid vom 15.04.1998 hat die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 13.04.1993
zurückgewiesen und in der Begründung ausgeführt, ein Anspruch auf Begutachtung in einer Universitätsklinik bestehe
nicht.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 13.04. 1993 und 26.05.1994 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 15.04.1998 zu verurteilen, ihn durch eine Universitätsklinik zahnärztlich begutachten zu
lassen.
Die Beklagte beantragt,
das Rechtsmittel zurückzuweisen.
Beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden die Akten der Beklagten und des SG.
Auf den Inhalt der beigezogenen Akten sowie die Sitzungsniederschrift wird im übrigen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat hat auf die Klage hin zu entscheiden, weil das SG sich mit der geltend gemachten Leistung im Urteil vom
06.09. 1995 nicht befaßt hat (Meyer-Ladewig, SGG, § 96, Anm. 7) und erst im Laufe des Berufungsverfahrens L 4 Kr
127/95 der Widerspruchsbescheid ergangen ist.
Die zulässige Klage ist abzuweisen.
Der Kläger kann nicht mit Recht verlangen, daß die Beklagte ihn auf ihre Kosten zur Abklärung etwaiger
zahnärztlicher Behandlungsfehler durch eine Universitätsklinik untersuchen läßt oder die Kosten hierfür erstattet. Die
Klage auf diese Leistung bzw. eine nochmalige Ausübung des Ermessens ist unbegründet.
Gemäß § 66 SGB V können die Krankenkassen die Versicherten bei der Verfolgung von Schadensersatzansprüchen,
die bei der Inanspruchnahme von Versicherungsleistungen aus Behandlungsfehlern entstanden sind und nicht nach §
116 SGB X auf die Krankenkassen übergehen, unterstützen. Der Gesetzgeber hat diese Vorschrift in das SGB V
eingefügt, da die übermäßige Technisierung und damit einhergehende Spezialisierung und Arbeitsteilung im
Gesundheitswesen Gefahren für die Versorgung der Versicherten enthalten. Ärztliche Behandlungsfehler sind nicht
auszuschließen (BT-Drucks.11/2237, S.189). Es liegt im Ermessen der Krankenkasse, bei der Unterstützung
zwischen verschiedenen Verwaltungsmaßnahmen unter Zweckmäßigkeitserwägungen auszuwählen (Peters,
Handbuch der Krankenversicherung, § 66, Rdziff.3). Die Gerichte üben hier lediglich eine Rechtskontrolle aus, d.h. sie
prüfen nicht die Zweckmäßigkeit derartiger Verwaltungsakte (Meyer-Ladewig, a.a.O, § 54, Anm. 29).
Der Inhalt der Leistung ist schon durch den Begriff Unterstützung und die Begrenzung auf Schadensersatzansprüche,
die nicht nach § 116 SGB X auf die Krankenkassen übergehen, eingeschränkt. Schmerzensgeldforderungen (§ 847
BGB) gehen nach geltendem Recht (§ 116 SGB X) nicht auf Sozialversicherungsträger über, da diese
Schmerzensgeld nicht gewähren können. Unterstützung bedeutet nicht die Übernahme der Kosten der
Rechtsverfolgung (BT-Drucks. a.a.O.). Die Krankenkasse kann auch nur zu einer Unterstützung mit den
Beweismitteln verpflichtet sein, die sich aus der Inanspruchnahme von Versicherungsleistungen ergeben, also ihr
bekannt und in ihren Akten dokumentiert sind. Unerheblich ist aber, ob die privatrechtlichen
Schadensersatzansprüche auf vertraglicher oder gesetzlicher Haftung beruhen, ob sie eine Erfolgsaussicht haben und
ob die Rechtsverfolgung gerichtlich oder außergerichtlich sein soll.
Die Beklagte hat ihr Ermessen (§ 39 Abs. 1 SGB I) in nicht zu beanstandender Weise ausgeübt und den Kläger trotz
anfänglicher Bedenken durch einen Zahnarzt des MDK begutachten lassen, der einen Hinweis auf einen
zahnärztlichen Behandlungsfehler nicht festgestellt hat und eine weitere Untersuchung wegen der ungenauen,
unzureichenden und widersprüchlichen Angaben des Klägers nicht durchführen konnte. Da § 66 SGB V eine
Ermessensvorschrift ist, hat der Kläger keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten durch einen bestimmten Arzt
oder eine bestimmte Klinik.
Ferner ist hier zu berücksichtigen, daß der Begriff Unterstützung schon aus haushaltsrechtlichen Gründen Ausgaben
grundsätzlich ausschließt. Die gesetzliche Krankenversicherung darf ihre Mittel nur zur Erfüllung der öffentlich-
rechtlichen Aufgaben verwenden. Im Rahmen des § 66 SGB V handelt es sich aber um die Unterstützung privater
Interessen. Die gesetzliche Krankenversicherung ist selbst an der Verfolgung von Schadensersatzansprüchen, die
nicht unter den Regelungsbereich des § 116 SGB X fallen, grundsätzlich wirtschaftlich nicht interessiert (Peters,
a.a.O., Rdziff.14), so daß sie eventuelle damit verbundene Kosten gering zu halten hat. Es bestehen dagegen keine
Bedenken, daß die Beklagte, wenn der Kläger einen entsprechenden Wunsch äußert, die in ihren Akten noch
befindlichen Unterlagen über frühere Behandlungen dem Kläger kostenlos zugänglich macht (Kasseler Kommentar-
Höfler, § 66 SGB X, Rdnr.8).
Das Verhalten der Beklagten, zunächst den MDK mit der Begutachtung zu beauftragen, ist gleichfalls nicht zu
beanstanden. Denn zum einen ist der Medizinische Dienst zur Objektivität im Rahmen der ärztlichen Berufsausübung
verflichtet, da dessen Ärzte bei der Wahrnehmung ihrer medizinischen Aufgaben nur ihrem ärztlichen Gewissen
unterworfen und somit weisungsfrei sind (§ 275 Abs.5 SGB V). Zum anderen fallen durch die Einholung von
Gutachten des Medizinischen Dienstes keine zusätzlichen Kosten an (§ 281 SGB V; Kasseler Kommentar-Hess, §
281 SGB V, Rdnr.2). Schließlich ist die Ausübung des Ermessens auch insoweit einwandfrei, als die Beklagte
zunächst abzuklären versucht hat, ob ein Anfangsverdacht besteht und dem Kläger eine weitere Begutachtung durch
den Medizinischen Dienst angeboten hat. Hiervon hat der Kläger aber nicht Gebrauch gemacht.
Im vorliegenden Fall ist der Senat nicht verpflichtet, den Kläger im Rahmen der Ermittlungspflicht begutachten zu
lassen. Denn die Einholung von Gutachten (§§ 103, 106 SGG) ist nicht eine dem Versicherten zustehende Leistung,
sondern ein Beweismittel zur Überprüfung abgelehnter Leistungsbegehren, für deren Erbringung
Sozialversicherungsträger zuständig sind. Derartige Beweismittel sind auch deswegen nicht einzuholen, da im
vorliegenden Fall für die schadensersatzrechtliche Inanspruchnahme der behandelnden Zahnärzte der Rechtsweg zur
Sozialgerichtsbarkeit nicht gegeben ist (§ 51 SGG). Für eine isolierte Einholung eines Sachverständigengutachten als
Vorbereitung für einen etwaigen Zivilprozeß fehlt das Rechtsschutzbedürfnis.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs.2 Nr.1, 2 SGG).