Urteil des LSG Bayern vom 06.08.2009
LSG Bayern: arbeitsausfall, persönliche dienstleistung, ärztliche behandlung, kurzarbeit, arbeitsentgelt, sicherstellung, anzeige, versorgung, krankheitsfall, vertragsarzt
Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 06.08.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Augsburg S 4 AL 150/03
Bayerisches Landessozialgericht L 9 AL 129/05
I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 3. März 2005 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist Kurzarbeitergeld.
Die Klägerin ist als Ärztin für Psychotherapie/Psychoanalyse Inhaberin einer vertragsärztlichen Praxis in A-Stadt mit
einer Angestellten. Wegen Erkrankung der Ärztin seit April 2002 verringerte sich die Arbeitszeit von 40 auf acht
Stunden wöchentlich. Am 16.01.2003 zeigte sie der Beklagten diese Herabsetzung der wöchentlichen Arbeitszeit an.
Mit Bescheid vom 24.01.2003 lehnte die Beklagte Kurzarbeitergeld ab; der Arbeitsausfall beruhe nicht auf
wirtschaftlichen Ursachen oder einem unabwendbaren Ereignis, das vorübergehend und unvermeidbar ist. Die
Erkrankung der Arbeitgeberin sei kein unabwendbares Ereignis.
Die Beklagte wies den dagegen eingelegten Widerspruch, mit dem sich die Klägerin auf ein Urteil des
Bundessozialgerichts vom 21.02.1991 berief, mit Widerspruchsbescheid vom 25.02.2003 zurück. Ein unabwendbares
Ereignis im Sinne der anzuwendenden gesetzlichen Regelung sei ein Ereignis, das unter den gegebenen, nach der
Besonderheit des Falles zu berücksichtigenden Umständen auch durch die äußerste, diesen Umständen
angemessene und vernünftigerweise zu erwartenden Sorgfalt weder abzuwehren noch in seinen schädlichen Folgen
zu vermeiden war. Während der langen Krankheitsphase wäre es der Klägerin zumutbar gewesen, eine andere Person
als vollwertige Vertretungskraft einzustellen, so dass der Praxisbetrieb hätte aufrecht erhalten werden können.
Die Klägerin hat hiergegen am 20.03.2003 beim Sozialgericht Augsburg (SG) Klage auf Zahlung von Kurzarbeitergeld
für ihre Arbeitnehmerin von Januar bis März 2003 erhoben. Auf ihre Anzeige der Kurzarbeit für April bis einschließlich
Mai 2003 hat die Beklagte am 11.06.2003 die Leistung mit der Begründung abgelehnt, Kurzarbeitergeld werde erst von
dem Kalendermonat an geleistet, in dem die Anzeige über den Arbeitsausfall eingegangen ist. Auch auf die Anzeige
vom 03.07.2003 über den Arbeitsausfall für den Monat Juni 2003 hat die Beklagte am 07.07.2003 einen ablehnenden
Bescheid mit der gleichen Begründung erlassen. Hiergegen hat die Klägerin jeweils Widerspruch eingelegt und mit
Schriftsatz vom 24.07.2003 die Klage auch auf die Bescheide vom 11.06.2003 und 07.07.2003 erweitert.
Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 03.03.2005 die Klage abgewiesen.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin vom 07.04.2005, mit der sie insbesondere geltend macht, ihre
Krankheit sei ein unabwendbares Ereignis, wie sich aus der Entscheidung des BSG vom 21.02.1991 ergebe. Sie
könne nicht darauf verwiesen werden, eine vollwertige Vertretungskraft einzustellen. Dies wäre für sie wirtschaftlich
nicht zumutbar gewesen. Ihre Tätigkeit in der Praxis sei aufgrund der besonderen Verhältnisse zu den behandelnden
Patienten unabdingbar.
Sie beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Gerichtsbescheids des Sozialgerichts Augsburg vom 03.03.2005
sowie unter Aufhebung des Bescheids vom 24.01.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.02.2003 und
der Bescheide vom 11.06.2003 und 07.07.2003 zu verurteilen, Kurzarbeitergeld für die Monate Januar 2003 bis Juni
2003 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Eine telefonische Nachfrage habe ergeben, dass die Sprechstundenhilfe den Telefondienst aufrecht erhalten hat. Die
Patienten seien an eine Vertretung weitergeschickt worden. Das von der Klägerin genannte Urteil des BSG spreche
nicht für, sondern gegen die Auffassung der Klägerin. Ein Betriebsinhaber müsse danach mit Beginn der Kurzarbeit
eine andere Person mit der Wahrnehmung der betrieblichen Leitungsfunktion betrauen, um so Kurzarbeit zu
vermeiden. Die Klägerin hätte also einen Praxisvertreter für die Dauer der Erkrankung einstellen müssen.
Im Übrigen wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten des SG und der Beklagten sowie die Sitzungsniederschrift
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 151 Sozialgerichtsgesetz
- SGG). Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 500,00 Euro.
Die Berufung ist unbegründet.
Ein Anspruch auf Kurzarbeitergeld für die Arbeitnehmerin der Klägerin in der Zeit von Januar 2003 bis Juli 2003
besteht nicht. Denn es fehlt an einem erheblichen Arbeitsausfall i. S. d. § 170 Abs. 1 bis 4 Sozialgesetzbuch III (SGB
III).
Nach § 169 SGB III haben Arbeitnehmer Anspruch auf Kurzarbeitergeld, wenn 1. ein erheblicher Arbeitsausfall mit
Entgeltausfall vorliegt, 2. die betrieblichen Voraussetzungen erfüllt sind, 3. die persönlichen Voraussetzungen erfüllt
sind und 4. der Arbeitsausfall dem Arbeitsamt angezeigt worden ist. Ein Arbeitsausfall ist erheblich (§ 170 Abs. 1
SGB III), wenn 1. er auf wirtschaftlichen Gründen oder einem unabwendbaren Ereignis beruht, 2. er vorübergehend ist,
3. er nicht vermeidbar ist und 4. im jeweiligen Kalendermonat (Anspruchszeitraum) mindestens ein Drittel der den
Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer von einem Entgeltausfall von jeweils mehr als 10 % ihres monatlichen
Bruttoentgelts betroffen ist. Der Arbeitsausfall beruht auch auf wirtschaftlichen Gründen, wenn er durch eine
Veränderung der betrieblichen Strukturen verursacht wird, die durch die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung bedingt
ist (§ 170 Abs. 2 SGB III). Ein unabwendbares Ereignis ist gemäß § 170 Abs. 3 SGB III insbesondere gegeben, wenn
ein Arbeitsausfall auf ungewöhnliche, dem üblichen Witterungsverlauf nicht entsprechende Witterungsgründe
zurückzuführen ist. Ein unabwendbares Ereignis liegt auch vor, wenn ein Arbeitsausfall durch behördliche oder
behördlich anerkannte Maßnahmen verursacht ist, die vom Arbeitgeber nicht zu vertreten sind. § 171 Abs. 4 Satz 2
SGB III enthält eine Aufzählung der ausgeschlossen Ursachen.
Normzweck des Kurzarbeitergelds ist der teilweise Ausgleich des Arbeitsentgeltausfalls bei wirksamer Anordnung von
Kurzarbeit. Es handelt sich hierbei um eine Lohnausfallvergütung für das wegen des Arbeitsausfalls entfallende
Arbeitsentgelt, da es in der Regel neben dem im Betrieb noch tatsächlich zu zahlenden Arbeitsentgelt gewährt wird
und sich seine Bemessung nicht nach dem vor Einführung der Kurzarbeit erzielten Arbeitsentgelt, sondern nach dem
wegen der Kurzarbeit im Kalendermonat aktuell ausgefallenen Arbeitsentgelt richtet (Krodel in Niesel, SGB III, 4.
Aufl., § 169, Rdnrn. 2, 4).
Die Verringerung der Arbeitszeit in der klägerischen Praxis beruht nicht auf wirtschaftlichen Gründen. Hierunter fallen
nur solche allgemeinen Ursachen, die von außen auf den Betrieb einwirken, auf deren Eintritt der Betrieb bzw. die für
ihn verantwortlich Handelnden keinen Einfluss haben. Der Begriff der wirtschaftlichen Ursachen schließt alle
Arbeitsausfälle ein, die sich auf die Gesamtheit der laufenden Produktions- und Konjunkturvorgänge, aus den
Veränderungen des Wirtschaftskreislaufs und damit aus der Teilnahme des Betriebs am Wirtschaftsleben ergeben.
Anknüpfungspunkt für die Bestimmung einer wirtschaftlichen Ursache ist nach dem Wortlaut der Vorschrift die
allgemeine wirtschaftliche Entwicklung. Dies sind insbesondere konjunkturelle und strukturelle Störungen der
Gesamtwirtschaftslage, wie z. B. Arbeitsmangel wegen Konjunkturschwankungen (Rezession, sinkende
Absatzmöglichkeiten), ferner Mangel an Rohstoffen, Kapital, Transportmöglichkeiten (Krodel, a. a. O., § 170, Rdnrn.
16, 17 mit Nachweisen der Rechtsprechung des BSG). Damit sind Unglücksfälle, Unfälle und andere unabwendbare
Ereignisse keine wirtschaftlichen Ursachen in diesem Sinne (BSG vom 15.12.2005, BSGE 96,14 ff.).
Nach § 170 Abs. 3 SGB III ist eine andere Voraussetzung für den maßgeblichen Arbeitsausfall ein unabwendbares
Ereignis. Auch hier muss es sich um von außen auf den Betrieb einwirkende, als solche vom Betrieb nicht
abzuwendende Umstände handeln. Gemeint ist ein objektiv feststellbares Ereignis, das auch durch die äußerste,
nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt für den vom Arbeitsausfall betroffene Betrieb, d. h. einen
Arbeitgeber bzw. dessen Repräsentanten, nicht abzuwenden war. Das Ereignis muss den Betrieb unmittelbar in seiner
Möglichkeit treffen, die Arbeit der/des Arbeitnehmers anzunehmen. Hierzu gehören in erster Linie die
Produktionsfähigkeit des Betriebs einschränkende Unglücksfälle. Dies kann auch ein Krankheitsfall sein (Krodel,
a.a.O., § 170, Rdnrn. 21, 22, 25 m. w. N. der Rechtsprechung des BSG).
Voraussetzung für ein unabwendbares Ereignis ist jedoch ferner, dass der Arbeitsausfall nicht vermeidbar gewesen ist
(§ 170 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 4 S. 1 SGB III). Hieran fehlt es im vorliegenden Fall. Unvermeidbar ist ein Arbeitsausfall nur,
wenn im Betrieb alle zumutbaren Vorkehrungen getroffen wurden, um den Eintritt des Arbeitsausfalls verhindern. Es
handelt sich hierbei um Mitwirkungs- und Schadensminderungsobliegenheiten, wobei von dem objektiven Maßstab
auszugehen ist, was von einem sorgfältigen Unternehmer an Vorsorgemaßnahmen und ständigen
Anpassungsmaßnahmen erwartet werden kann (BSG vom 15.12.2005, a. a. O.). Dies bedeutet auch, dass im
Krankheitsfall des Betriebsinhabers eine Verpflichtung zur Gegensteuerung besteht, wie z. B. durch Einstellung eines
Vertreters.
Dies ergibt sich auch aus dem von den Beteiligten genannten Urteil des BSG vom 21.02.1991 zum früheren Recht
des § 64 Arbeitsförderungsgesetz (DBlR 3827, AFG/§ 64). Entgegen der Klägerin kommt es jedoch darauf an, wenn
ein unabwendbares Ereignis bejaht wird, ob der Arbeitsausfall unvermeidbar gewesen ist. Dieses Merkmal besagt,
dass alle Maßnahmen ergriffen werden müssen, die die Kurzarbeit zu verhindern vermögen. Dies gilt sowohl
hinsichtlich der Entstehung als auch in Bezug auf das Fortbestehen des Arbeitsausfalls. Dem Betrieb darf nicht die
Verantwortung dafür abgenommen werden, dass er vor Beginn und während des Arbeitsausfalls alles in seiner Kraft
Stehende unternimmt, um den Arbeitsausfall zu vermeiden oder zu beheben. Damit ist die Möglichkeit der
Gegensteuerung vor allem seitens des Arbeitgebers gegen einen an sich zu einem Arbeitsausfall führenden
Geschehensablauf angesprochen. Unterlässt der Betriebsinhaber es also, geeignete und wirtschaftlich zumutbare
Maßnahmen anzuordnen und durchzuführen, die den Arbeitsausfall mit Wahrscheinlichkeit abgewendet hätten, so
entfällt die Gewährung von Kurzarbeitergeld. Dies gilt auch für den Fall der Krankheit. Fehlt es an zumutbaren
Vorkehrungen, ist der Arbeitsausfall innerbetrieblich bedingt und nicht unvermeidbar.
Die vertragsärztlichen Vorschriften sehen für einen Arbeitsausfall des zugelassenen Vertragsarztes geeignete
Maßnahmen vor, die die Klägerin aber, nach ihren eigenen Angaben, nicht durchgeführt hat. Auch wenn die (vertrags-
)ärztliche Behandlung eine persönliche Dienstleistung ist (vgl. §§ 15 Abs.1, 28 Abs.1, 95 Abs.3 Sozialgesetzbuch V),
sieht das Vertragsarztrecht Maßnahmen zur Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung für den Fall der
Verhinderung des Vertragsarztes wegen Krankheit vor. Gemäß § 32 der Zulassungsverordnung für Ärzte (Ärzte-ZV)
besteht unbeschadet der Verpflichtung, dass der Vertragsarzt die vertragsärztliche Tätigkeit persönlich in freier Praxis
auszuüben hat, u. a. bei Krankheit die Möglichkeit der Vertretung bis zu drei Monaten (Absatz 1 dieser Vorschrift).
Aus Gründen der Sicherstellung kann der Vertragsarzt auch einen Vertreter oder Assistenten beschäftigen, wenn dies
z. B. zur Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung erfolgt. § 32 b Ärzte-ZV lässt auch die Anstellung eines
ganztags beschäftigten Arztes oder zwei halbtags beschäftigter Ärzte desselben Fachgebiets zu. Es ist nicht
ersichtlich und auch von der Klägerin nicht vorgetragen worden, dass sie derartige Maßnahmen zur Aufrechterhaltung
des gesamten Praxisbetriebs ergriffen hat. Vielmehr hat sie (nach den Ermittlungen der Beklagten) ihre
Sprechstundenhilfe angewiesen, die Patienten auf die Behandlung durch einen anderen Arzt zu verweisen. Damit hat
sie nicht die von der Rechtsprechung geforderten Maßnahmen zur Gegensteuerung des Arbeitsausfalls getroffen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG. Es handelt sich hierbei um eine kostenprivilegierte Streitigkeit,
weil die Klägerin als Arbeitgeberin den Sozialleistungsanspruch ihrer Arbeitnehmerin im Wege der gesetzlichen
Prozessstandschaft geltend macht (§ 323 Abs. 2 Sozialgesetzbuch III).
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1, 2 SGG).