Urteil des LSG Bayern vom 22.10.2008

LSG Bayern: berufskrankheit, metallverarbeitender betrieb, firma, wahrscheinlichkeit, anerkennung, sicherheit, einwirkung, allergie, karzinom, nummer

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 22.10.2008 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Augsburg S 8 U 296/06
Bayerisches Landessozialgericht L 2 U 176/08
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 10. März 2008 wird
zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob eine Atemwegserkrankung des Klägers auf den Umgang mit Berufsstoffen
zurückzuführen und als Berufskrankheit (BK) festzustellen ist.
Der 1938 geborene Kläger wandte sich am 29.06.2005 an die Beklagte und machte geltend, seine Lungenerkrankung
sei auf seine Beschäftigung in der Zeit vom 13.03.1978 bis 31.12.1997 bei dem Holzbearbeitungsbetrieb der Firma M.
zurückzuführen. Er sei zunächst an Bronchitis, dann an Asthma und letztendlich an einem Lungenkarzinom erkrankt.
Zu seinem beruflichen Werdegang gab er an, von 1954 bis 1973 in der Türkei in der Landwirtschaft gearbeitet zu
haben, nach seinem Zuzug in die Bundesrepublik Deutschland von 1973 bis 1976 als Metallarbeiter in einer
Metallfabrik, von 1976 bis 1978 als Küchenhilfe und von 1978 bis 1993 als Verpacker und Bediener einer Farb- und
Lackiermaschine in der Holzbearbeitungsfirma M ... Bis zu seiner Verrentung im Jahre 2003 sei er arbeitslos
gewesen. Erste Beschwerden von Atemnot seien 1990 aufgetreten. Ein Bronchialkarzinom sei diagnostiziert worden.
Die Beklagte zog eine Auskunft der AOK aus deren Mitglieder- und Leistungsverzeichnis und Befundberichte der
behandelnden Ärzte bei. Dr. H. teilte am 15.08.2005 mit, der Kläger stehe seit 1995 in seiner Behandlung. Eine
chronisch obstruktive Bronchitis sei diagnostiziert und auf Rauchen zurückgeführt worden. 2003 sei auswärts ein
Lungenkarzinom festgestellt worden.
Auf Anfrage der Beklagten teilte die Metall-Berufsgenossenschaft über die Tätigkeit des Klägers von 1973 bis 1976
bei der Firma G. am 29.11.2005 mit, dort seien keine asbesthaltigen Produkte verwendet worden. Der Beratungsarzt
Dr. W. erklärte in einer Stellungnahme nach Aktenlage am 08.11.2005, es lägen zwei Atemwegserkrankungen vor,
nämlich ein Bronchialkarzinom und eine obstruktive Atemwegserkrankung. Eine berufliche Exposition gegenüber
krebserzeugenden Arbeitsstoffen habe nicht festgestellt werden können, insbesondere nicht gegenüber Asbest. Die
Atemwegserkrankung habe 1989 begonnen, ohne dass sich ein beruflicher Bezug herstellen lasse. Eine
Berufskrankheit der Nrn. 1315, 4104, 4301 und 4302 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKVO) sei nicht
wahrscheinlich. Die chronische Bronchitis sei berufskrankheitenunabhängig. Der gewerbeärztliche Dienst schloss sich
am 13.12.2005 dieser Auffassung an.
Mit Bescheid vom 17.01.2006 lehnte die Beklagte die Anerkennung der Lungenerkrankung als BK der Nrn.1315, 4301,
4302 und 4104 ab. Den dagegen ohne Begründung erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit
Widerspruchsbescheid vom 18.08.2006 zurück. Eine berufliche Exposition gegenüber krebserzeugenden
Berufsstoffen sei nicht nachgewiesen.
Dagegen erhob der Kläger beim Sozialgericht Augsburg Klage und gab an, er sei dem Dampf der Farbmischmaschine
ausgesetzt gewesen. Dies sei Ursache für seine Lungenerkrankung.
Die Beklagte führte am 17.08.2007 eine Betriebsbesichtigung bei der Firma M. durch. Dabei konnte eine Exposition
gegenüber Isocyonaten ausgeschlossen werden. Die Berufsgenossenschaft Metall erklärte am 03.09.2007, bei seiner
Tätigkeit an einer automatischen Punktschweißanlage in ihrem Mitgliedsbetrieb sei der Kläger nur gering gegenüber
Schweißrauch exponiert gewesen, aber nicht gegenüber Nickeloxid und/oder ChromVI-oxid.
Nach Anhörung wies das Sozialgericht mit Gerichtsbescheid vom 10.03.2008 die Klage ab. Zur Begründung verwies
es gemäß § 136 Abs.3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf die Begründung der angefochtenen Bescheide.
Dagegen legte der Kläger Berufung ein, zunächst ohne diese zu begründen und nach Hinweis des Senats auf § 102
Abs.2 SGG, dass er nach wie vor davon überzeugt sei, seine Atemwegserkrankung und das Bronchialkarzinom seien
auf die eingeatmete giftige Luft während seiner Berufstätigkeit bei der Firma M. zurückzuführen.
Der Senat beauftragte Prof. Dr. F., Internist, Arbeitsmediziner, Lungen- und Bronchialheilkunde, Allergologie,
Umweltmedizin, ehemaliger Vorstand des Instituts für Arbeits- und Umweltmedizin der Universität B-Stadt mit der
Erstattung eines Gutachtens nach Aktenlage. Am 25.07.2008 legte der Sachverständige dar, der Kläger leide
zweifellos an einer mittelgradigen obstruktiven Atemwegserkrankung, die sich zeitweise stark verschlechtere, aber
andererseits auf therapeutische Maßnahmen gut anspreche. Aufgrund der radiologischen und histologischen
Untersuchungen ab 2003 habe lediglich der Verdacht auf das Vorliegen eines Bronchialkarzinoms bestanden. Nach
inzwischen zweijährigem unveränderten Verlauf seit der Diagnosestellung, spreche die Konstanz des Befundes gegen
ein Karzinom. Ein Karzinom sei damit nicht bewiesen. Hinsichtlich der Exposition des Klägers zwischen 1973 und
1976 (metallverarbeitender Betrieb) bestehe kein Anhalt, dass der Kläger in Kontakt mit Arbeitsstoffen gekommen sei,
die ein Bronchialkarzinom verursachen könnten. Die aktenkundige Exposition während der versicherten Tätigkeit des
Klägers bei der Firma M. sei nicht mit Wahrscheinlichkeit geeignet, die vorhandene obstruktive Atemwegserkrankung
zu verursachen oder wesentlich mit zu verursachen. Insoweit sei auch zu beachten, dass der Kläger bis 1993
Raucher gewesen sei, was nach Ansicht seines behandelnden Arztes Dr. H. Ursache der Atemwegserkrankung sei.
Am ehesten sei noch eine BK der Nr.1315 zu diskutieren. Bei Lackierarbeiten zwischen 1978 und 1993 sei der Kläger
vermutlich Isocyanatverbindungen ausgesetzt gewesen. Erkrankungen nach dieser Nummer seien aber nur auf
Schadstoffeinwirkungen ursächlich zurückzuführen, die in höheren Dosen stattgefunden haben, als es bei der eintägig
pro Woche aktenkundigen Exposition des Klägers der Fall sein könne. Die Anerkennung einer Berufskrankheit, gleich
welcher Nummer, könne er nicht empfehlen.
Der Kläger hat sich hierzu nicht geäußert. Die Beklagte sieht sich durch das Gutachten von Prof. F. in ihrer
Auffassung bestätigt.
Der Kläger beantragt (sinngemäß), die Beklagte unter Aufhebung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts
Augsburg vom 10.03.2008 sowie des Bescheides vom 17.01.2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom
18.08.2006 zu verurteilen, eine Atemwegserkrankung und ein Lungenkarzinom als Berufskrankheit der Nrn.1315,
4104, 4301 und 4302 festzustellen und ihm Rente nach einer MdE von mindestens 20 v.H. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom
10.03.2008 zurückzuweisen.
Im Übrigen nimmt der Senat gemäß § 136 Abs.2 SGG auf den Inhalt der Akte der Beklagten sowie der Gerichtsakten
erster und zweiter Instanz Bezug.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 143, 151 SGG), aber unbegründet.
Nach dem Ergebnis der vom Senat durchgeführten Beweisaufnahme hat der Kläger keinen Anspruch auf Feststellung,
dass seine Atemwegserkrankung bzw. ein Lungenkarzinom eine Berufskrankheit der Nrn.1315, 4104, 4301 und 4302
der Anlage zur BKVO ist. Da es zunächst um die Frage geht, ob überhaupt eine Berufskrankheit vorliegt, ist die
richtige Klageart eine Feststellungsklage (vgl. BSG vom 07.09.2004 - B 2 U 446/03 R, zuletzt BSG vom 30.10.2007 -
B 2 U 4/06 R). Einen solchen Antrag auf Feststellung entnimmt der Senat dem Schreiben des Klägers vom
20.05.2008.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung seiner Atemwegserkrankung als Berufskrankheit der Nrn. 1315,
4104, 4301 und/oder 4302 der Anlage zur BKVO. Anspruchsgrundlage ist § 9 Abs.1 Satz 1 des Siebten
Sozialgesetzbuches (SGB VII) gem. § 214 Abs. 3 SGB VII i.V.m. der Berufskrankheitenverordnung. Nach § 9 Abs.1
Satz 1 SGB VII sind BKen solche Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung
des Bundesrates bezeichnet hat und die Versicherte in Folge einer Tätigkeit erleiden, die Versicherungsschutz nach
§§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründet. Die Feststellung einer BK setzt voraus, dass der Versicherte im Rahmen der
versicherten Tätigkeit schädigenden Einwirkungen im Sinne der BKen ausgesetzt war, die geeignet sind, einen
entsprechenden Gesundheitsschaden zu bewirken. Dabei müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die
durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich ihrer Art und ihres Ausmaßes mit an Sicherheit
grenzender Wahrscheinlichkeit bewiesen sein. Für die Anerkennung einer BK ist demnach ein
Ursachenzusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und den schädigenden Einwirkungen und zwischen
diesen Einwirkungen und der Erkrankung erforderlich. Ein Zusammenhang ist hinreichend wahrscheinlich, wenn nach
herrschender ärztlich-wissenschaftlicher Lehrmeinung mehr für als gegen ihn spricht und ernste Zweifel hinsichtlich
einer anderen Ursache ausscheiden.
Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben lässt sich eine Berufskrankheit der Nr.4104 der Anlage zur BKVO beim
Kläger nicht feststellen. Danach gelten Lungenkrebs oder Kehlkopfkrebs dann als Berufskrankheit, wenn sie in
Verbindung mit einer Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose), oder in Verbindung mit durch Asbeststaub
verursachten Erkrankungen der Pleura oder bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Asbestfaserstaub-Dosis
am Arbeitsplatz von mindestens 25 Faserjahren aufgetreten ist. Es ist bereits nicht mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit nachgewiesen, dass beim Kläger überhaupt eine Lungenkrebserkrankung vorliegt. Der Senat stützt
sich insoweit auf die Ausführungen von Prof. Dr. F. in seinem Gutachten vom 25.07.2008. Die Untersuchungen im
Jahre 2003, die zur Verdachtsdiagnose eines Bronchialneoplasmas führten, sind nach Auffassung des
Sachverständigen nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit geeignet, eine Krebserkrankung
nachzuweisen. Auch spricht der Krankheitsverlauf seither, nämlich ein zweijähriger Verlauf ohne Chemotherapie und
ohne Fortschreiten der Erkrankung, gegen das Vorhandensein eines Bronchialkarzinoms. Jedoch scheitert die
Anerkennung einer BK der Nr.4104 auch bei unterstelltem Bronchialkarzinom daran, dass eine Asbestose nicht
nachgewiesen werden konnte. Die röntgenologisch erkennbaren winzigen kalkdichten Strukturen knapp unterhalb des
Zwerchfells sind nicht asbestosetypisch. Eine Exposition des Klägers zwischen 1973 und 1976 gegenüber
Asbestfasern ist nicht nachgewiesen. Eine Asbestexposition bei der Firma M. in der Zeit zwischen 1978 und 1993 ist
nicht ersichtlich. Mit einer Krebserkrankung, die durch andere Berufsstoffe hervorgerufen sein könnte, wie in den
Nrn.4105 bis 4110 der Anlage zur BKVO aufgeführt, braucht sich der Senat nicht zu befassen, weil hierüber keine
Verwaltungsentscheidung vorliegt. Lediglich ergänzend weist er darauf hin, dass nach dem Gutachten von Prof. F.
keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, das behauptete Bronchialkarzinom beruhe auf Einwirkung von Holzstäuben,
Holzschutzmitteln oder anderen krebserregenden Stoffen.
Die Erkrankung des Klägers lässt sich auch nicht unter die Nr.1315 der Anlage zur BKVO einordnen. In dieser
Vorschrift werden Erkrankungen durch Isocyanate erfasst. Als typisches Krankheitsbild wird eine obstruktive
Atemwegserkrankung genannt (Merkblatt, Bundesarbeitsblatt 3/04 S.32). Grundsätzlich kann die Tätigkeit des
Klägers während der Zeit zwischen 1978 und 1993, während der er Umgang mit Holzlacken hatte, als gefährdende
Tätigkeit im Sinne der Nr.1315 angesehen werden. Zwar war der Kläger nach den Feststellungen des TADs nur einmal
pro Woche einer gefährdenden Schadstoffeinwirkung ausgesetzt, jedoch käme, so Prof. Dr. F., auch eine geringe
Exposition in Betracht, um eine allergisierende Wirkung auszulösen. Allerdings konnte in einem Test an der
Universitätsklinik Ulm im Jahre 2004 eine Allergie ausgeschlossen werden. Eine Allergie des Klägers auf Isocyanate
ist damit äußerst unwahrscheinlich. Eine Berufskrankheit nach der Nr.1315 scheidet damit aus.
Der Kläger leidet zwar an einer obstruktiven Atemwegserkrankung, so dass sich die Prüfung, ob eine Berufskrankheit
vorliegt, insbesondere auf die Berufskrankheiten der Nrn. 4301 und 4302 erstrecken muss. In Nr. 4301 wird eine durch
allergisierende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankung genannt. Weitere Ausführungen hierzu können
unterbleiben, da wie bereits dargelegt, eine Allergie auf Berufsstoffe zu keinem Zeitpunkt nachgewiesen wurde. Damit
konzentriert sich die Überprüfung auf die BK der Nr. 4302, die durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe
verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen erfasst. In diesem Zusammenhang sind für den Senat die
Feststellungen von Prof. F. zur Einwirkung von Holzstäuben maßgeblich. Danach sind Holzstäube normalerweise
nicht toxisch und werden überwiegend durch den Reinigungsmechanismus der Luftwege eliminiert. Eine obstruktive
Atemwegserkrankung, die ausschließlich durch Holzstäube verursacht wird, gibt es grundsätzlich nicht. Auch Stäube
von Eichen- oder Buchenholz wirken sich nur in der Nasenhaupt- und in den Nasennebenhöhlen aus.
Der Senat macht sich diese Ausführungen zu eigen und kommt zum Ergebnis, dass keine der BKen, über die die
Beklagte in den angefochtenen Bescheiden entschieden hat, mit Wahrscheinlichkeit beim Kläger vorliegt. Dieser hat
demnach keinen Anspruch auf Feststellung seiner Lungen- und Atemwegserkrankung als BK. Seine Berufung gegen
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 10.03.2008 war zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe im Sinne des § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG nicht vorliegen.