Urteil des LSG Bayern vom 25.07.2003
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Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 25.07.2003 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Augsburg S 2 AL 187/99
Bayerisches Landessozialgericht L 8 AL 65/00
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 27.01.2000 wird zurückgewiesen. II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist das Erlöschen des Anspruches auf Arbeitslosenhilfe (Alhi) streitig.
Der 1958 geborene Kläger kam am 11.10.1990 als Aussiedler aus der früheren Sowjetunion und jetzigen Ukraine in die
Bundesrepublik Deutschland. Er war hier vom 21.01.1991 bis 22.08.1993 als Monteur beschäftigt und bezog ab
18.09.1993 Arbeitslosengeld (Alg). Vom 11.07.1994 bis 10.01.1995 nahm er an einer Maßnahme - Übungswerkstatt
Metall - sowie einem Deutschlehrgang teil und erhielt ab 11.01.1995 erneut Alg und ab 01.02.1995 Alhi, unterbrochen
durch die Teilnahme an einer praxisorientierten Fortbildung "Installationstechnik" vom 11.01. bis 01.03.1996, als deren
Ergebnis festgestellt wurde, dass er den Anforderungen einer Umschulung zum Metallfacharbeiter nicht gewachsen
sei. Vom 09.12.1996 bis 07.02.1997 nahm er an einer Berufsvorbereitungs- und Trainingsmaßnahme teil und bezog
anschließend wiederum Alhi. Mit Bescheid vom 13.07.1998 wurde die Leistung ab 01.08.1998 für ein weiteres Jahr
bewilligt.
Mit Bescheid vom 02.09.1998 stellte die Beklagte den Eintritt einer Sperrzeit von zwölf Wochen ab 22.07.1998 mit der
Begründung fest, der Kläger habe trotz Belehrung über die Rechtsfolgen ein ihm vom Arbeitsamt unterbreitetes
zumutbares Arbeitsangebot nicht angenommen bzw. das Zustandekommen eines Beschäftigungsverhältnisses ohne
wichtigen Grund vereitelt. Die Bewilligung der Leistung werde für die Zeit vom 22. bis 31.07.1998 aufgehoben, der
Kläger habe die erbrachten Leistungen in Höhe von 562,60 DM zu erstatten. Der gegen diesen Bescheid eingelegte
Widerspruch blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 28.10.1998). Die hiergegen erhobene Klage (S 2 AL
637/98) wies das Sozialgericht Augsburg (SG) insoweit mit Urteil vom 28.10.1999 ab. Im anschließenden
Berufungsverfahren L 8 AL 366/99 erklärte die Beklagte in der mündlichen Verhandlung am 09.08.2001 ein
Teilanerkenntnis dahingehend, dass sie dem Kläger für die Zeit vom 01.08. bis 13.10.1998 Alhi zahle. Der Kläger
nahm dieses Teilanerkenntnis an und im Übrigen die Berufung zurück.
Am 26.10.1998 waren dem Kläger schriftlich sechs Arbeitsangebote unterbreitet worden, jeweils unter Hinweis auf die
auf der Rückseite des schriftlichen Angebotes enthaltene Rechtsfolgenbelehrung "R 2". Ein Arbeitsverhältnis kam
nicht zustande. Die Firma P. GmbH vermerkte in ihrer schriftlichen Rückantwort, der Kläger habe sich am 02.11.1998
vorgestellt. Er werde nicht eingestellt, weil man ihn aus folgenden Gründen für nicht geeignet halte: "Ziemlich
aufmüpfiges Verhalten beim Vorstellungsgespräch!" Der Kläger gab demgegenüber an, sich am 26.10.1998 schriftlich
beworben und am 02.11.1998 vorgestellt zu haben. Im Augenblick bestehe keine Einstellungsmöglichkeit, man habe
ihn auf der Warteliste eingetragen.
Mit Bescheid vom 17.12.1998 hob die Beklagte die Bewilligung der Alhi ab 03.11.1998 mit der Begründung auf, der
Anspruch sei erloschen. Trotz Belehrung über die Rechtsfolgen habe der Kläger das Zustandekommen eines
Beschäftigungsverhältnisses für eine Arbeit als Metallhilfsarbeiter bei der Firma P. GmbH vereitelt. Seit der
Entstehung des Anspruchs habe er Anlass zum Eintritt von Sperrzeiten mit einer Gesamtdauer von mindestens 24
Wochen gegeben (Sperrzeitbescheid vom 02.09.1998). Die zu Unrecht erhaltenen 1.552,00 DM habe er zu erstatten.
Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache zu haben und
rhetorisch nicht so begabt zu sein; diese Schwierigkeiten könnten nicht dahingehend interpretiert werden, dass es ihm
am Willen fehle, eine Arbeitsstelle anzunehmen. Er sei auch nicht aufdringlich gewesen.- er keine Schweißkenntnisse
vorweisen könne und auch kein Auto besitze, weshalb er für einen Einsatz in einer Leiharbeitsfirma nur eingeschränkt
geeignet sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 08.03.1999 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Seine
Verhaltensweise habe dazu geführt, dass der Arbeitgeber Zweifel am Arbeitsinteresse bekommen habe. Weder das
Fehlen eines Pkw noch der Qualifikation als Schweißer wären ein Einstellungshindernis gewesen.
Das vom Kläger angerufene Sozialgericht Augsburg (SG) hat in der mündlichen Verhandlung am 28.10.1999 den
Geschäftsstellenleiter der Beklagten H. als Zeuge vernommen und anschließend die mündliche Verhandlung vertagt.
In der mündlichen Verhandlung am 27.01.2000 hat es die Zeugin M. von der Firma P. GmbH vernommen; bezüglich
ihrer Aussage wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.
Mit Urteil vom 27.01.2000 hat es die Klage abgewiesen. Durch sein Verhalten beim Vorstellungsgespräch am
02.11.1998 habe der Kläger erneut den Sperrzeittatbestand der Arbeitsablehnung erfüllt. Die Zeugin habe plastisch
und nachvollziehbar geschildert, dass sich der Kläger beim Vorstellungsgespräch als "Problemkandidat" dargestellt
habe, insgesamt so aufgetreten ist, dass die Gründe für eine fehlende Eignung deutlich geworden seien. Er habe die
fehlenden Fachkenntnisse und das fehlende Auto betont, obwohl es um eine Helferstelle gegangen und ein Auto zwar
vorteilhaft, aber nicht Voraussetzung gewesen sei.
Mit seiner Berufung macht der Kläger geltend, er habe von der Firma P. GmbH keinen Arbeitsvertrag bekommen, weil
die vorgesehene Stelle inzwischen besetzt gewesen sei. Es stehe ihm zu, sich persönlich oder schriftlich zu
bewerben. Er habe von dem Arbeitsvermittler H. am 26.10.1998 um 14.00 Uhr sechs Arbeitsangebote erhalten und
sich noch am selben Tag bei diesen Firmen persönlich vorstellen sollen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 27.01.2000 und den Bescheid der Beklagten vom 17.12.1998 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.03.1999 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
In dem Erörterungstermin am 11.04.2003 sind als Zeugin erneut die frühere Frau M. , jetzige B. , und der
Arbeitsvermittler H. vernommen worden; bezüglich der Aussagen wird auf das Protokoll Bezug genommen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Verwaltungsunterlagen der Beklagten und der
Verfahrensakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-), ein
Ausschließungsgrund (§ 144 Abs.1 SGG) liegt nicht vor.
In der Sache erweist sich das Rechtsmittel als unbegründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen, da die
Entscheidung der Beklagten, die Bewilligung der Alhi wegen Erlöschens des Anspruches ab 03.11.1998 aufzuheben,
rechtmäßig ist.
Das Erlöschen des Anspruches stellt eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen,
die bei Erlass des Bewilligungsbescheides vorgelegen haben, dar, weshalb die Beklagte gem. § 48 Abs.1 Satz 2 Nr. 4
SGB X i.V.m. § 330 Abs.3 Satz 1 SGB III diesen Verwaltungsakt rückwirkend ab dem Zeitpunkt des Erlöschens
aufzuheben hatte, weil der Kläger zumindest wissen mußte, ohne die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem
Maße zu verletzten, dass der Anspruch auf Alhi ganz weggefallen bzw. erloschen ist. Der Kläger hatte nämlich im
Sinne des § 147 Abs.1 Nr.2 SGB III nach der Entstehung des Anspruches auf Alhi Anlass für den Eintritt von
Sperrzeiten mit einer Dauer von insgesamt 24 Wochen gegeben. Der Eintritt einer Sperrzeit von zwölf Wochen war
ihm mit Bescheid vom 02.09.1998 mitgeteilt worden; der Bescheid wurde bestandskräftig, soweit er die Feststellung
des Eintritts der zwölfwöchigen Sperrzeit beinhaltete, da der Kläger insoweit die Berufung gegen das seine Klage
abweisende Urteil des SG vom 28.10.1999 zurücknahm. Es liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der
Bescheid vom 02.09.1998 rechtswidrig war, so dass dieser gemäß § 44 SGB X aufzuheben wäre. Dass der Kläger
aufgrund des vorangegangenen Bewilligungsbescheides und der fehlenden Aufhebung für die Zeit ab 01.08.1998 einen
Zahlungsanspruch hatte, steht dem Eintritt einer Sperrzeit und ihrer bescheidmäßigen Feststellung nicht entgegen
(vgl. BSG SozR 3-4100 § 119 Nr.15; SozR 3-1300 § 24 Nr.16).
Der Kläger war in dem schriftlichen Arbeitsangebot vom 26.10.1998 darüber belehrt worden, dass für den Fall, dass er
ohne wichtigen Grund die Arbeit nicht annehme oder das Zustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses
verhindere, sein Anspruch auf Leistungen vollständig erlischt, wenn er nach Entstehung des Anspruches Anlass zum
Eintritt mehrerer Sperrzeiten mit einer Dauer von zusammengerechnet 24 Wochen gegeben und über den Eintritt der
einzelnen Sperrzeit jeweils einen schriftlichen Bescheid erhalten hat. Deshalb musste er im Sinne des § 48 Abs.1
Satz 2 Nr.4 SGB X wissen, dass aufgrund seines Verhaltens ab 03.11.1999 der Anspruch erloschen ist.
Der Kläger hat durch sein Verhalten auf das schriftliche Arbeitsangebot vom 26.10.1998 hin - erneut - Anlass für den
Eintritt einer Sperrzeit von zwölf Wochen gem. § 144 Abs.1 Nr.2 SGB III gegeben, weil er trotz Belehrung über die
Rechtsfolgen die vom Arbeitsamt unter Benennung des Arbeitgebers und der Art der Tätigkeit angebotene
Beschäftigung nicht angenommen hat. Als Nichtannahme gilt auch ein vorwerfbares Verhalten, das den Arbeitgeber
veranlasst, von einer Einstellung des Arbeitslosen abzusehen. Dem Kläger war die Stelle eines Metallhilfsarbeiters in
verschiedenen Bereichen angeboten worden. Die ursprünglich vorgesehene Helferstelle war laut Aussage der Zeugin
M. , jetzige B. , bereits besetzt, als der Kläger sich am 02.11.1998 vorstellte. Dies ist darauf zurückzuführen, dass er,
entgegen der ausdrücklichen Weisung des Arbeitsvermittlers, nicht unmittelbar nach Unterbreitung des Angebotes
telefonischen Kontakt mit dem Arbeitgeber aufnahm, um einen Vorstellungstermin zu vereinbaren. Schriftliche
Bewerbungen sind bei Helferstellen nicht üblich und führen zu einer zeitlichen Verzögerung, während demgegenüber
die Arbeitgeber, wie im vorliegenden Fall laut Aussage der Zeugin B. auch die Firma P. GmbH, an einer sofortigen
Arbeitsaufnahme interessiert sind. Der Kläger hatte keinen trifftigen Grund, die Weisung des Arbeitsvermittlers nicht
zu befolgen und sich zunächst schriftlich zu bewerben mit der Folge, dass ein Vorstellungsgespräch erst nach sieben
Tagen zustande kam. Sein Hinweis, ein Rechtsanwalt habe ihm im Zusammenhang mit einem früheren Verfahren
erklärt, er dürfe sich auch schriftlich bewerben, geht ins Leere, da er sich entsprechend den zutreffenden Weisungen
der Bediensteten der Beklagten zu verhalten hat und es sich zurechnen lassen muss, wenn er dem unzutreffenden
Rat Dritter Gehör schenkt. Jedenfalls kann darin kein wichtiger Grund im Sinne des § 144 Abs.1 SGB III gesehen
werden, der sein Verhalten rechtfertigen könnte.
Wie die Zeugin B. ausgesagt hat, bestand unabhängig davon am 02.11.1998 weiterhin die Möglichkeit des
Zustandekommens eines Beschäftigungsverhältnisses, da noch weitere Helferstellen zu besetzen waren. Jedoch
auch insoweit hat der Kläger das Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses durch sein Verhalten vereitelt. Von ihm
als Arbeitslosen war zu verlangen, dass er sich zur Annahme einer der angebotenen Stellen bedingungslos bereit
erklärt und nicht seinerseits den Wunsch nach anderen Stellen äußert. Nach Aussage der Zeugin hat er aber den
Wunsch geäußert, als Facharbeiter vermittelt zu werden, obwohl er keinen Facharbeiterbrief vorweisen konnte,
sondern die Anerkennung seiner in der früheren Heimat erworbenen Qualifikation von der IHK gerade abgelehnt
worden war, was sich aus den vom Kläger vorgelegten Unterlagen ergab. Weiterhin hatte der Kläger keinen Grund,
von sich aus anzuführen, dass er über kein Kfz verfügt, nachdem dies von seiten des Arbeitgebers nicht Bedingung
war. Diese Umstände im Zusammenhang mit der Tatsache, dass er sich zunächst schriftlich bewarb, was auch die
Zeugin als unüblich darstellte, erweckten den Eindruck, dass er am Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses
nicht wirklich interessiert war, weshalb trotz Arbeitskräftebedarf von einer Einstellung abgesehen wurde.
Demgegenüber kann der Kläger nicht mit seinem Einwand durchdringen, er sei wegen nicht ausreichender
Sprachkenntnisse mißverstanden worden. Die geschilderten Umständen lassen nicht erkennen, dass dies ein
Zustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses verhindert hat.
Der Kläger ist über die eintretende Rechtsfolge des Erlöschens des Anspruches zutreffend und ausreichend belehrt
worden. Dem steht nicht entgegen, dass ihm am selben Tag fünf weitere Arbeitsangebote mit der gleichen
Rechtsfolgenbelehrung unterbreitet wurden. Ob durch sein Verhalten im Zusammenhang mit diesen anderen
Angeboten ebenfalls die Rechtsfolge des § 147 Abs.1 Nr.2 SGB III eingetreten ist, kann dahinstehen. Jedenfalls kann
eine Unklarheit über den Eintritt dieser Rechtsfolge nicht daraus hergeleitet werden, dass der Kläger sich verpflichtet
gefühlt haben könnte, jedes der Angebote annehmen zu müssen. Denn auch ohne ausdrückliche Erläuterung eröffnete
ihm die Beklagte mit Unterbreitung der sechs Arbeitsangebote sozusagen sechsfach die Möglichkeit, seine
Arbeitslosigkeit zu beenden. Er war somit besser gestellt als ein Arbeitsloser, dem nur ein Arbeitsangebot mit der
entsprechenden Belehrung unterbreitet wird. Seine Verpflichtung bestand darin, alles zu tun, um ein Zustandekommen
eines Beschäftigungsverhältnisses zu ermöglichen und mit einem einstellungsbereiten Arbeitgeber einen
Arbeitsvertrag abzuschließen.
Bei der angebotenen Helferstelle hat es sich um eine zumutbare Beschäftigung im Sinne des § 121 Abs.3 Satz 3
SGB III gehandelt. Angesichts der Dauer der Arbeitslosigkeit des Klägers wäre ihm die Beschäftigung nur dann nicht
zumutbar gewesen, wenn das daraus erzielte Nettoeinkommen unter Berücksichtigung der mit der Beschäftigung
zusammenhängenden Aufwendungen niedriger als die Alhi gewesen wäre. Dies wäre im vorliegenden Fall nicht der
Fall gewesen.
Somit war die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 27.01.2000 zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision wurde gem. § 160 Abs.2 Nr.1 SGG zugelassen, weil der Senat die Frage für klärungsbedürftig hält, ob
mehrere Arbeitsangebote, die am gleichen Tag unterbreitet werden, unterschiedliche Rechtsfolgenbelehrungen
enthalten müssen.