Urteil des LSG Bayern vom 15.05.2009
LSG Bayern: aufgehoben und der Klägerin auf Antrag vom 28.02.2008 Prozesskostenhilfe (PKH) ohne Ratenzahlung unter gleichzeitiger Beiordnung von Rechtsanwalt R. S. gewährt., ärztliches gutachten, haus
Bayerisches Landessozialgericht
Beschluss vom 15.05.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Regensburg S 9 SB 112/08
Bayerisches Landessozialgericht L 15 SB 42/09 B PKH
Auf die Beschwerde der Klägerin vom 19.02.2009 wird der Beschluss des Sozialgerichts Regensburg vom 13.02.2009
- S 9 SB 112/08 - aufgehoben und der Klägerin auf Antrag vom 28.02.2008 Prozesskostenhilfe (PKH) ohne
Ratenzahlung unter gleichzeitiger Beiordnung von Rechtsanwalt R. S. gewährt.
Gründe:
I.
Die Klägerin und hiesige Beschwerdeführerin ist schwerbehindert im Sinne von §§ 2 Abs.2, 69 Abs.1 des
Sozialgesetzbuches - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX). Der Grad der Behinderung (GdB)
ist mit 100 höchstmöglich festgestellt. Streitig ist zwischen den Parteien die Feststellung der Merkzeichen "aG" und
"RF".
Der Beklagte und hiesige Beschwerdegegner hat mit dem streitgegenständlichen Änderungsbescheid des Zentrums
Bayern Familie und Soziales Region Oberpfalz vom 25.10.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des
Zentrums Bayern Familie und Soziales vom 28.01.2008 den GdB ab 06.08.2007 mit 100 festgestellt sowie die
Merkzeichen "G" und "B" zuerkannt. Hierbei sind nachstehende Gesundheitsstörungen berücksichtigt worden:
Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, muskuläre Verspannungen, Nervenwurzelreizerscheinungen, Wirbelgleiten,
Osteoporose im Kniegelenk beidseits (Einzel-GdB 60); künstlicher Teilgelenkersatz beider Schultergelenke,
Funktionsbehinderung beider Schultergelenke (Einzel-GdB 50); Schwerhörigkeit beidseits (Einzel-GdB 30); cerebrale
Minderdurchblutung mit funktionellen Auswirkungen (Einzel-GdB 30); Bluthochdruck (Einzel-GdB 20); Zuckerkrankheit
(Einzel-GdB10).
In dem sich anschließenden Klageverfahren hat das Sozialgericht Regensburg bereits ein ärztliches Gutachten
gemäß §§ 103, 106 Abs.3 Nr.5 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) eingeholt. Dr.J. W. hat mit internistischem
Fachgutachten vom 22.10.2008 die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" ab Oktober 2008 befürwortet, die
gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "RF" jedoch verneint.
Das entsprechende Vergleichsangebot des Beklagten vom 08.01.2009 ist von den Bevollmächtigten der Klägerin
bislang nicht angenommen worden. Diese haben mit Schriftsatz vom 28.01.2009 mitgeteilt, dass sie ihrer Mandantin
zwar empfohlen hätten, das Vergleichsangebot des Beklagten vom 08.01.2009 anzunehmen und auch die Klage
zurückzunehmen. Vorab werde aber gebeten, über die schriftsätzlich am 28.02.2008 beantragte Prozesskostenhilfe
zu entscheiden.
Das Sozialgericht Regensburg hat den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe mit Beschluss vom 13.02.2009
abgelehnt. Vorliegend sei es gemäß § 73a SGG in Verbindung mit § 121 Abs.2 der Zivilprozessordnung (ZPO) nicht
erforderlich, der Klägerin einen Rechtsanwalt ihrer Wahl beizuordnen. Der Rechtsstreit sei weder in tatsächlicher noch
in rechtlicher Hinsicht schwierig. Der Sachverhalt sei auch in keiner Weise besonders schwer von Amts wegen
aufklärbar gewesen. Auch habe der Beklagte zugunsten der Antragstellerin sämtliche Umstände zu beachten, die zu
einer Entscheidung über einen Anspruch erforderlich seien. Daneben habe der Beklagte die Interessen der
Sozialgemeinschaft zu wahren, zu der auch die Klägerin selbst gehöre.
Die hiergegen gerichtete Beschwerde vom 19.02.2009 ging am 20.02.2009 beim Sozialgericht Regensburg ein. Dieses
legte den Gesamtvorgang dem Bayerischen Landessozialgericht (BayLSG) zur Entscheidung vor.
Auf Anfrage des BayLSG vom 06.04.2009 übermittelten die Bevollmächtigten der Beschwerdeführerin eine aktuelle
Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse.
II.
Die Beschwerde der Beschwerdeführerin ist gemäß den §§ 73a, 172 ff. SGG in Verbindung mit § 127 Abs.2 Satz 2
ZPO zulässig und begründet.
Das Sozialgericht Regensburg hat mit Beschluss vom 13.02.2009 - S 9 SB 112/08 - grundsätzlich zutreffend darauf
abgestellt, dass in Verfahren nach dem Schwerbehindertengesetz (nunmehr: SGB IX) die Beiordnung eines
Rechtsanwalts gemäß § 121 Abs.2 ZPO regelmäßig nicht erforderlich ist. Dies entspricht der ständigen
Rechtsprechung des BayLSG (vgl. zuletzt Beschluss vom 03.11.2008 - L 15 B 899/08 SB PKH -).
Die Beiordnung eines Rechtsanwalts kommt in Verfahren wie dem vorliegenden nur in Ausnahmefällen in Betracht.
Das Bundesverfassungsgericht hat seinen Beschluss vom 18.12.2001 - 1 BvR 391/01 - mit Beschluss vom
22.06.2007 - 1 BvR 681/07 - fortgeführt. Ob die Beiordnung eines Rechtsanwalts erforderlich im Sinne des § 121
Abs.2 ZPO erscheine, beurteile sich nicht nur nach Umfang und Schwierigkeit der Sache, sondern auch nach der
Fähigkeit des Beteiligten, sich mündlich und schriftlich auszudrücken. Entscheidend sei, ob ein Bemittelter in der
Lage des Unbemittelten vernünftigerweise einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt
hätte. Davon sei regelmäßig dann auszugehen, wenn im Kenntnisstand und in den Fähigkeiten der Prozessparteien
ein deutliches Ungleichgewicht bestehe. Bewertungsmaßstab für die Frage der Beiordnung eines Rechtsanwalts sei,
ob die besonderen persönlichen Verhältnisse dazu führten, dass der Grundsatz der "Waffengleichheit" zwischen den
Parteien verletzt sei. Angesichts dessen hätte es insbesondere eines Eingehens auf die Frage bedurft, ob die
festgestellten Beeinträchtigungen des Beschwerdeführers zu einem derartigen Ungleichgewicht zwischen den Parteien
führten und wie weit dieses Ungleichgewicht gegebenenfalls durch andere gerichtliche Maßnahmen - etwa nach § 186
des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) - behoben werden könnte.
Hiervon ausgehend ist darauf hinzuweisen, dass die 1926 geborene Klägerin nicht nur an einer altersbedingten
Schwerhörigkeit beidseits leidet, sondern u.a. auch eine "cerebrale Minderdurchblutung mit funktionellen
Auswirkungen", bewertet mit einem Einzel-GdB von 30. Die Zusammenschau vor allem der vorstehend genannten
Funktionsstörungen ergibt, dass hier ein Ausnahmefall vorliegt, der es gebietet in Beachtung des Grundsatzes der
"Waffengleichheit", wie er von dem Bundesverfassungsgericht entwickelt worden ist, der Beschwerdeführerin für das
Verfahren vor dem Sozialgericht Regensburg Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter gleichzeitiger Beiordnung
von Rechtsanwalt R. S. zu bewilligen. Denn die genannten Funktionsstörungen wirken sich auf die
Kommunikationsfähigkeit der Beschwerdeführerin entscheidungserheblich aus.
Die Beschwerdeführerin ist auch bedürftig im Sinne von § 115 ZPO. Sie bezieht zwei Altersrenten in Höhe von
insgesamt 804,63 EUR netto. Das selbst genutzte Haus in A-Stadt ist noch mit 44.909,51 EUR beliehen. Die
monatliche Belastung aus Fremdmitteln beläuft sich auf 319,00 EUR. Zuzüglich Heizungskosten und übrigen
Nebenkosten verwendet die Beschwerdeführerin 408,00 EUR monatlich auf das Haus. Ihr verbleiben somit lediglich
396,63 EUR monatlich für die übrigen Lebenshaltungskosten.
Auch wenn der Beklagte mit Vergleichsangebot vom 08.01.2009 sich bereit erklärt hat, die zur zweckentsprechenden
Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen Aufwendungen des Klageverfahrens (ohne Vorverfahren zu 4/10 zu
erstatten, würde ohne die Bewilligung von Prozesskostenhilfe dennoch ein Teil der Rechtsanwaltskosten ungedeckt
sein.
Dieser Beschluss ergeht kostenfrei und ist nicht anfechtbar (§§ 177, 193 SGG).