Urteil des LSG Bayern vom 17.02.2006
LSG Bayern: verbot der zwangsarbeit, eigentumsgarantie, existenzminimum, gesetzesentwurf, sozialstaatsprinzip, heizung, wohnung, ergänzung, kontrolle, form
Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 17.02.2006 (rechtskräftig)
Sozialgericht Augsburg S 1 AS 69/05
Bayerisches Landessozialgericht L 7 AS 16/05
Bundessozialgericht B 11b AS 15/06 B
I. Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 16. Juni 2005 wird zurückgewiesen. II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch
Sozialgesetzbuch (SGB II), insbesondere die Verfassungsmäßigkeit des SGB II streitig.
Der 1949 geborene Kläger und seine 1956 geborene Ehefrau, die bis zum 31.12.2004 Arbeitslosenhilfe (Alhi) bezogen
hatten, beantragten am 08.03.2004 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Für eine 25 qm
große Wohnung zahlen die Kläger eine monatliche Warmmiete von 450,00 Euro. Die Nebenkosten - die Kläger
bewohnten die Wohnung bei Antragstellung seit dem 01.07.2004 - würden jährlich abgerechnet. Die Kfz-Versicherung
(ohne Teil-/Vollkasko) betrage vierteljährlich 60,93 Euro. Als selbständige Tätigkeit gaben die Kläger
"Bürodienstleistungen ab 01.08.2004 (Aufbau unter 15 Stunden wöchentlich mit 0,00 Euro Einkommen)" an.
Mit Bescheid vom 23.12.2004 bewilligte die Beklagte den Klägern für die Zeit vom 01.01. bis 31.03.2005 Leistungen in
Höhe von monatlich 1.063,00 Euro (Regelleistungen 622,00 Euro + Kosten für Unterkunft und Heizung 451,00 Euro).
Mit dem Widerspruch machten die Kläger geltend, der Bescheid beruhe auf dem SGB II, welches in erheblichen
Teilen als verfassungswidrig bezeichnet werden müsse. So lägen zahlreiche Verstöße gegen das Grundgesetz (GG)
vor. Insbesondere würden die Regelleistungen nicht den tatsächlichen Entwicklungen der Lebenshaltungskosten
entsprechen.
Mit Widerspruchsbescheiden vom 03.03.2005 wies die Beklagte die Widersprüche als unbegründet zurück. Die
Widersprüche seien teilweise zulässig, aber nicht begründet. Die Widersprüche seien zulässig, soweit sie sich gegen
den Abschluss einer "Eingliederungsvereinbarung", einen "Verstoß gegen vermögensrechtliche Ansprüche", gegen
"Arbeitsgelegenheiten", gegen die "Erbenhaftung" und gegen die "Verordnungsermächtigung bei Unterkunftskosten"
richte. Rechtsbeschwer sei durch den angefochtenen Bescheid nicht gegeben. Gegenstand des
Widerspruchsverfahrens seien nur individuelle Rechte und Pflichten, die ein Bescheid konkret zuteile oder fordere.
Diese Voraussetzungen seien nicht gegegen. Die Widersprüche seien im Übrigen unbegründet, weil der Bescheid mit
den bestehenden Gesetzen und Rechtsgrundsätzen im Einklang stehe bzw. Fehlerhaftigkeiten konkret nicht
vorgetragen und auch nicht erkennbar seien. Die vollziehende Gewalt sei an die Vorgaben des Gesetzgebers
gebunden, selbst wenn, wie die Kläger meinen würden, einzelne oder mehrere Teile des Gesetzes rechtswidrig seien.
Denn der Verwaltung komme eine Normverwerfungskompetenz nicht zu. Diese stehe ausschließlich dem
Bundesverfassungsgericht zu.
Im Weiteren wurde mit Bescheid vom 21.03.2005 nach Abklärung etwaiger Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit
Arbeitslosengeld II (Alg II) in bisheriger Höhe bis 30.09.2005 weiter bewilligt.
Mit ihren zum Sozialgericht Augsburg (SG) erhobenen Klagen, die in der mündlichen Verhandlung vom 16.06.2005 zur
gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden wurden, haben die Kläger erneut geltend gemacht, dass das
SGB II zumindest in Teilen nicht mit der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland in Übereinstimmung stehe. Es
werde auf eine gutachterliche Stellungnahme zur Vereinbarkeit ausgewählter Normen des 4. Gesetzes für moderne
Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003, erstellt von Rechtsanwalt U. S. , B. , erwiesen. Desweiteren
weise man auch auf die Ausführungen zu den verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Hartz IV-Gesetze von
Prof.Dr.U. K. hin. Beizuziehen sei auch der Vortrag von H. T ...
Mit Urteil vom 16.06.2005 hat das SG die Klage abgewiesen. In sozialgerichtlichen Verfahren sei es nicht
vorgesehen, dass die abstrakte Prüfung der Verfassungswidrigkeit einer gesetzlichen Neuregelung unmittelbar von
Leistungsempfängern vom Gericht abverlangt werden könne. Eine Verfassungswidrigkeit sei nur zu prüfen, soweit
eine Regelung im Bescheid vorliege, die die Kläger betreffe. Nur bezüglich dieser Leistung sei gegebenenfalls die
Verfassungswidrigkeit zu prüfen. Die Ausführungen der Kläger zur Verfassungswidrigkeit seien daher unmaßgeblich,
weil diese Fragen in keiner Weise Thema des Bewilligungsbescheides seien. Mit dem Bewilligungsbescheid seien
Leistungen nach §§ 20 und 22 SGB II bewilligt worden. Die Leistungen für Unterkunft und Heizung seien nach § 22
SGB II in beantragter Höhe bewilligt worden. Die Annahme der Kläger, dass aus Art.14 GG ein gesicherter Anspruch
auf Leistungen in Höhe zumindest der zuletzt bezogenen Alhi bestehe, sei unzutreffend.
Sozialversicherungsrechtliche Positionen könnten der Eigentumsgarantie des Art.14 GG unterstehen, insbesondere
soweit sie auf eigener Beitragszahlung beruhen würden. Dies sei nur bei dem Alg I nach dem Dritten Buch
Sozialgesetzbuch (SGB III) der Fall, nicht aber bei der Alhi. Den versicherungsrechtlichen Anspruch auf Alg I hätten
die Kläger bereits ausgeschöpft. Die Alhi sei aus Bundesmitteln finanziert worden (§ 363 Abs.1 SGB III a.F.). Der
Anspruch auf Alhi habe somit nicht der Eigentumsgarantie des Art.14 GG unterstanden. Das gleiche gelte für die
Nachfolgeregelung des SGB II. Die bisherige Regelung der Alhi habe jeder Zeit durch den Gesetzgeber durch eine
Neuregelung ersetzt werden können. Die Regelleistung nach § 20 Abs.2 und 3 SGB II sei ebensowenig
verfassungswidrig. Das Gesetz sehe auch eine ausreichende Regelung zur Anpassung der Höhe der Regelleistung für
die Zukunft vor (§ 20 Abs.4 SGB II). Jede Sozialleistung sei in einen übergreifenden Solidarzusammenhang und in die
Veränderungen der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und Produktivität, eingebunden. Das Existenzminimum könne
ebenfalls nur aus diesen Vorgaben begründet werden. Eine objektive Grenze ergebe sich nur nach unten. "Nach oben"
sei das, was das Existensminimum umfasse, objektiv nicht allgemein gültig festzulegen, sondern von den
Möglichkeiten der jeweiligen Gesellschaft abhängig. Die vom Gesetzgeber getroffene Regelung sei vom Gericht nicht
darauf zu überprüfen, ob sie die gerechteste und zweckmäßigste Lösung darstelle.
Mit der Berufung machen die Kläger erneut geltend, dass der Regelsatz zur Existenzsicherung, mindestens 19 v.H.,
unter dem für das Jahr 2005 gültigen Existenzminimum liege und somit keine vollumfängliche Deckung durch das
Grundgesetz gegeben sei. Im Übrigen verweisen sie auf ihre bisher bereits erfolgten Stellungnahmen zur
Verfassungswidrigkeit des SGB II.
Die Kläger beantragen sinngemäß, den Bescheid vom 23.12.2004 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom
03.03.2005 und den Bescheid vom 21.03.2005 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihnen ab 01.01.2005
höheres Arbeitslosengeld II zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte schließt sich der Auffassung des SG in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils vom
16.06.2005 an.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Verwaltungsunterlagen der Beklagten und der
Verfahrensakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -); ein
Ausschließungsgrund (§ 144 Abs.1 SGG) liegt nicht vor.
In der Sache erweist sich das Rechtsmittel als unbegründet.
Zu Recht hat das SG Augsburg mit Urteil vom 16.06.2005 die Klage abgewiesen, da der Bescheid vom 23.12.2004 in
der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 03.03.2005 und der Bescheid vom 21.03.2005 nicht zu beanstanden
sind.
Denn den Klägern stehen höhere Leistungen nach dem SGB II nicht zu.
Die Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts findet ihre rechtliche Grundlage in § 20 SGB II. Nach der
Begründung zum ersten Gesetzesentwurf zu § 20 SGB II soll die Regelleistung das "soziokulturelle
Existenzminimum" abdecken. Bei den Regelleistungen handelt es sich um Pauschalen, die vom Gesetzgeber in § 20
Abs.2 SGB II fixiert und gemäß dem in Abs.4 beschriebenen Anpassungsverfahren verändert werden. Waren die
Pauschalen früher gerichtlicher Kontrollen geöffnet (vgl. BVerwGE 69, 146), ergibt sich nach dem SGB II ein
differenziertes Bild. Wie nicht zuletzt Art.100 Abs.1 GG zeigt, endet die auf die Höhe bezogene gerichtliche Kontrolle
an dem im Gesetz genannten Beträgen. Qualifiziert demnach ein Gericht künftig die durch § 20 Abs.2 SGB II fixierten
Regelleistungen als verfassungswidrig und damit unangemessen niedrig, fehlt ihm eine darauf bezogene
Verwerfungskompetenz (vgl. Eicher/Spellbrink SGB II, Grundsicherung für Arbeitssuchende, Kommentar, § 20
Rdnr.7). Nach dem Gesetzesentwurf soll durch die Fixierung in Regelleistungen die Eigenständigkeit und
Eigenverantwortung des Leistungsempfängers gestärkt werden. Insgesamt ist somit ein Abweichen von der gesetzlich
fixierten Höhe der Regelleistung nicht möglich.
Was das von den Klägern weiter angeführte "Verbot der Zwangsarbeit" anbelangt, so ist darauf hingewiesen, dass in §
15 SGB II keine Verletzung des Zwangsarbeitsverbotes des Art.12 Grundgesetz zu sehen ist. Nach der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist als Arbeitszwang nur die Verpflichtung anzusehen, eine
bestimmte Tätigkeit auszuüben, sofern die Verpflichtung zu einer Verletzung der Menschenwürde führe oder führen
könnte. § 15 SGB II überlässt jedoch dem Hilfeempfänger die Entscheidung, sich dem Sanktionssystem des SGB II
zu unterwerfen, sofern er keine Bereitschaft zeigt, Bemühungen zur Arbeitsuche zu unternehmen. Die gesetzliche
Möglichkeit der Kürzung der Leistungen stellt keine Ausübung von Zwang im Sinne des Art.12 GG dar. Dass der
Staat die Gewährung einer Leistung von zumutbaren Eigenbemühungen zur Sicherung des eigenen Lebensunterhalts
abhängig macht, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Auch der Vortrag der Kläger, dass sie durch die
Zahlung von Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung einen vermögenrechtlichen Anspruch erworben hätten, der durch
Art.14 GG geschützt sei, führt zu keiner Änderung der Entscheidung. Denn die Kläger haben zuletzt bis zum
31.12.2004 Alhi bezogen. Die Regelungen über die Alhi fallen aber nicht unter den Schutz der Eigentumsgarantie
gemäß Art.14 GG. Diese Feststellung hat das BSG in ständiger Rechtsprechung für die zum 01.01.2000 abgeschaffte
sogenannte originäre Alhi getroffen (vgl. BSG, Urteil vom 14.09.2003, Az.: B 11 AL 15/03 R m.w.N.). Auch die
sogenannte Anschluss-Alhi war eine Fürsorgeleistung des Staates und keine durch die Eigentumsgarantie nach Art.14
GG geschützte Rechtsposition.
Dem steht auch nicht das Sozialstaatsprinzip gemäß Art.20 Abs.1 GG entgegen. Denn der Gesetzgeber hat bei der
Erfüllung seiner aus dem Sozialstaatsprinzip folgenden Verpflichtung, für eine gerechte Sozialordnung zu sorgen,
einen weiten Gestaltungsspielraum. Grundsätzlich fällt es in seine Entscheidungsbefugnis, in welchem Umfang
soziale Hilfe unter Berücksichtigung der vorhandenen Mittel und anderer gleichrangiger Staatsaufgaben gewährt
werden kann und soll.
Der Senat folgt im Übrigen den Ausführungen des SG in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils und
sieht gemäß § 153 Abs.2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.
Somit war die Berufung der Kläger gegen das Urteil des SG Augsburg vom 16.06.2005 zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.