Urteil des LSG Bayern vom 18.01.2006

LSG Bayern: eintritt des versicherungsfalls, rente, unfallfolgen, entschädigung, erwerbsfähigkeit, gutachter, minderung, fax, befund, vergleich

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 18.01.2006 (rechtskräftig)
Sozialgericht Augsburg S 5 U 5043/02 L
Bayerisches Landessozialgericht L 2 U 296/04
Bundessozialgericht B 2 U 3/06 AR
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 9. Juli 2004 wird
zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob dem Kläger und Berufungskläger eine Verletztenrente über den 30. September 2002 hinaus zu
gewähren ist.
Der 1952 geborene Kläger war Landwirt und Berufskraftfahrer. Er griff am 22. Mai 2001 bei Umlagern von Heu mit der
linken Hand in einen hydraulischen Kran und quetschte sich die Finger 2 bis 4 der linken Hand. Gemäß dem
Durchgangsarztbericht des Dr. W. vom 22. Mai 2001 erlitt er eine Riss-Quetschverletzung der linken Hand mit
Verdacht auf Beugesehnen- sowie Nervenverletzungen. Es erfolgte umgehend eine Versorgung durch die Ärzte für
Chirurgie und Handchirurgie Dres. B./ H. im Krankenhaus I ... Der Kläger wurde am 22. Mai 2001 operativ versorgt.
Nach dem Zwischenbericht vom 30. Mai 2001 werde bei diagnostizierten Teildurchtrennungen der Fingernerven N3,
N5, N6 und N7 Höhe PIP, Zerreißung der Beugesehnenscheide, Verletzung der Arterien und z.T. von
Gelenkkapselverletzungen eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) im rentenpflichtigen Bereich verbleiben. Nach
dem Durchgangsarztbericht der Dres. B./H. vom 30. August 2001 bestehen weiterhin eine erhebliche
Bewegungseinschränkung mit inkomplettem Faustschluss und Streckung, eine Schwellneigung und Schmerzen,
insbesondere in dem Mittelgelenken D2 bis D4. Die periphere Durchblutung, Motorik und Sensibilität seien regelrecht.
Die Tätigkeiten in der Landwirtschaft könnten nur mit erheblicher Anstrengung bewältigt werden. Eine weitere
Funktionsverbesserung sei nicht zu erwarten. Nach dem Zwischenbericht vom 29. August 2001 war ab 9. Juli 2001
wieder Arbeitsfähigkeit eingetreten.
Die Beklagte holte ein erstes Rentengutachten des Handchirurgen Dr. H. vom 12. November 2001 ein, wonach die
MdE vom Tag des Wiedereintritts der Arbeitsfähigkeit und bis auf Weiteres mit 20 v.H. eingeschätzt wird.
Mit Bescheid vom 17. Dezember 2001 erkannte die Beklagte den Unfall als Arbeitsunfall an und gewährte ab 9. Juli
2001 eine Rente als vorläufige Entschädigung nach einer MdE um 20 v.H.
Die Beklagte holte ein weiteres Rentengutachten zur Feststellung einer Rente auf unbestimmte Zeit der Chirurgin und
Handchirurgin Prof. Dr. W. vom 9. August 2002 ein. Nach der Quetschverletzung der linken Hand bestünden als
Unfallfolgen noch eine Bewegungseinschränkung sämtlicher Langfinger in der Beugung und Streckung, eine leichte
Einschränkung der Daumenabspreizung links gegenüber rechts, eine geringe Beeinträchtigung des Grobgriffs links,
eine Kraftminderung der linken Hand mit Muskelminderung am linken Unterarm, leichte Gefühlsstörungen an den
beugeseitigen Fingern 2 bis 4 sowie erklärbare subjektive Beschwerden. Die MdE betrage 10 v.H. Im Rahmen der
Anhörung vom 14. August 2002 holte die Beklagte eine Stellungnahme des Chirurgen und Handchirurgen Dr. A. vom
5. September 2002 ein, der eine Einschätzung der MdE mit 10 v.H. für angemessen hielt.
Mit Bescheid vom 24. September 2002 entzog die Beklagte daraufhin die als vorläufige Entschädigung gewährte
Rente mit Ablauf des Monats September 2002 und lehnte eine Rente auf unbestimmte Zeit ab, weil die Folgen des
Arbeitsunfalls keinen rentenberechtigenden Grad der MdE um mindestens 20 v.H. mehr begründeten. Als Unfallfolgen
wurden anerkannt: "die Bewegungseinschränkung sämtlicher Langfinger in der Beugung und Streckung, die leichte
Einschränkung der Daumenabspreizung links gegenüber rechts, die geringe Beeinträchtigung des Grobgriffs links, die
Kraftminderung der Hand mit Muskelminderung am Unterarm sowie die leichten Gefühlsstörungen an den Beugeseiten
des zweiten bis vierten Fingers nach Quetschung der linken Hand mit Weichteilschäden." Den Widerspruch wies die
Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 14. November 2002 zurück.
Dagegen hat der Kläger Klage beim Sozialgericht Augsburg erhoben und sinngemäß beantragt, den Bescheid der
Beklagten vom 24. September 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. November 2002 abzuändern
und ihm eine Verletztenrente auf unbestimmte Zeit über den 30. September 2002 nach einer MdE um mindestens 20
v.H. zu gewähren. Das Sozialgericht hat den Chirurgen Dr. Z. mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. Dieser
stellte in seinem Gutachten vom 12. Juli 2003 fest, dass als Unfallfolgen ab 1. Oktober 2002 noch ein inkompletter
Faustschluss sowie eine leichtgradige Gefühlsverminderung beugeseitig an den Mittel- und Endgliedern der Finger 2
bis 4 links bestehe. Im Vergleich zu den Befunden im Ersten Rentengutachten ergäben sich keine wesentlichen
Änderungen im Sinne einer Befundbesserung oder -verschlechterung. Die MdE werde mit 10 v.H. eingestuft. Wenn
der Verlust der Finger 2 bis 4 im Mittelgelenk im Allgemeinen mit einer Dauer-MdE um 25 v.H. und im Endgelenk mit
einer Dauer-MdE um 10 v.H. bewertet werde, so liege hier ein deutlich geringerer Schaden infolge wesentlich
geringerer Beeinträchtigung der Greiffunktionen und einer - für die tägliche Arbeit - ausreichenden Tastfunktion vor.
Im Rahmen eines klägerischen Antrags auf Begutachtung gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erklärte der
beauftragte Gutachter Dr. H. mit Schreiben vom 7. November 2003, er habe dem Kläger telefonisch mitgeteilt, er
komme zu genau demselben Ergebnis wie die Gutachten von Frau Prof. W. und Herrn Dr. Z ... Der Kläger zog
daraufhin seinen Antrag nach § 109 SGG zurück.
Mit Gerichtsbescheid vom 9. Juli 2004 wies das Sozialgericht die Klage ab. Es folgte dabei weitgehend dem
gerichtlichen Sachverständigen Dr. Z. sowie der Vorgutachterin Prof. Dr. W ... Bis auf den inkompletten Faustschluss
seien die Greiffunktionen der vom Unfall betroffenen Hand nicht wesentlich beeinträchtigt. Die von den Gutachtern
festgelegte MdE in Höhe von 10 v.H. finde ihre Bestätigung in den Vergleichswerten der maßgeblichen Literatur. Dort
werde beispielsweise für den Verlust der Endglieder an drei Fingern einer Hand eine MdE in Höhe von 10 v.H.
angegeben. Im Vergleich hierzu liege keinesfalls ein größerer Schaden vor.
Dagegen hat der Kläger Berufung eingelegt und zur Begründung vorgebracht, er könne mit seiner linken Hand nie
wieder arbeiten, weder als Berufskraftfahrer noch als Landwirt. Die Hand werde zusehends schwächer und die Finger
steifer; er könne die Hand nicht mehr oder nur unter Schmerzen belasten.
Ein Fax des Klägers vom 18. Januar 2006 ging erst nach der mündlichen Verhandlung bei Gericht ein. Auf die
Niederschrift der Sitzung vom 18. Januar 2006 wird im Übrigen verwiesen.
Der Kläger beantragt sinngemäß, die Beklagte unter Aufhebung des Gerichtsbescheids des Sozialgerichts Augsburg
vom 9. Juli 2004 und unter Abänderung des Bescheides vom 24. September 2002 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 14. November 2002 zu verurteilen, ihm eine Verletztenrente auf unbestimmte Zeit über
den 30. September 2002 nach einer MdE um mindestens 20 v.H. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 9.
Juli 2004 zurückzuweisen.
Im Übrigen wird gemäß § 136 Abs. 2 SGG auf den Inhalt der Akte der Beklagten und der Klage- und Berufungsakte
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 143, 151 SGG), aber unbegründet.
Der Senat konnte trotz Ausbleibens des Klägers in der mündlichen Verhandlung entscheiden, da er ordnungsgemäß
geladen war und in der Ladung auf die Folgen des Nichterscheinens hingewiesen wurde (§§ 153 Abs. 1, 111 Abs. 1 S.
2, 110 Abs. 1 S. 2 SGG). Insbesondere lag bis zum Ende der mündlichen Verhandlung keine Entschuldigung des
Klägers vor. Ein Fax über das krankheitsbedingte Nichterscheinen ging erst um 12:23 Uhr nach dem Schluss der
mündlichen Verhandlung um 12:09 Uhr ein. Im Übrigen ist dem klägerischen Schreiben zu entnehmen, dass er sich
nicht gegen eine Entscheidung trotz Abwesenheit wendet.
Nicht streitig ist das Vorliegen eines Arbeitsunfalls nach §§ 7 Abs. 1, 8 Abs. 1 des Siebten Buchs des
Sozialgesetzbuchs (SGB VII) im Ereignis vom 22. Mai 2001. Zu entscheiden ist jedoch über die Frage, ob aufgrund
der Unfallfolgen über den 30. September 2002 hinaus noch eine Verletztenrente nach einer MdE um mindestens 20
v.H. zu gewähren ist.
Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall
hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, haben Anspruch auf eine Rente, § 56 Abs. 1 S. 1 SGB VII. Die
Minderung der Erwerbsfähigkeit richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und
geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des
Erwerbslebens, § 56 Abs. 2 S. 2 SGB VII. Es ist auf den Maßstab der individuellen Erwerbsfähigkeit des Verletzten
vor Eintritt des Versicherungsfalls abzustellen (BSG vom 26. November 1987, BSGE 21, 63, 66, SozR 2200 § 581
(RVO) Nr. 27; vom 30.05.1988, a.a.O., Nr. 28). Bei der Bewertung der MdE gilt der Grundsatz der abstrakten
Schadensbemessung (BSG vom 25. August 1965, BSGE 23, 253). Vergleichsgröße ist dabei das gesamte Gebiet
des allgemeinen Erwerbslebens, also der sogenannte allgemeine Arbeitsmarkt (BSG vom 4. August 1955, BSGE 1,
174).
Vorliegend erreicht die MdE nicht ein Ausmaß von 20 v.H., sondern lediglich von 10 v.H., so dass eine
Verletztenrente nach § 56 Abs. 1 S. 1 SGB VII ausscheidet. Dies steht zur Überzeugung des Senats aufgrund des
schlüssigen chirurgischen Gutachtens des Dr. Z. vom 3. August 2003 sowie des Gutachtens der Frau Prof. Dr. W. im
Verwaltungsverfahren fest.
Betroffen sind vorliegend vor allem die Finger 2 bis 4 der linken Hand. Die Greiffunktion ist gemäß den Feststellungen
des medizinischen Sachverständigen Dr. Z. nur durch den inkompletten Faustschluss beeinträchtigt. Alle anderen
Funktionen können im Hinblick auf das gesamte Gebiet des Erwerbslebens ohne nennenswerte Einbußen
durchgeführt werden. Die gute Greiffunktion der Hand wird durch die seitengleiche Beschwielung, auch der Mittel- und
Endglieder der betroffenen Finger, bestätigt. Die Tastfunktion ist durch die leichtgradige beugeseitige
Gefühlsverminderung der Langfinger zwar gestört, allerdings in sehr geringem Umfang. Der Gutachter bezieht sich
hierbei auch auf den neurologischen Befund des Vorgutachters und damals behandelnden Handchirurgen Dr. H. in
dessen Gutachten vom 12. November 2001. Danach ist der neurologische Befund insgesamt unauffällig gewesen, die
genähten Nerven 3, 5 und 6 zeigten lediglich eine sehr minimale Minderung der Sensibilität. Der geringe
Nervenschaden bedingt gemäß dem Gutachter Dr. Z. keine messbare MdE. Diese Einschätzung deckt sich auch mit
dem Ergebnis des handchirurgischen Gutachtens der Frau Prof. Dr. W. vom 9. August 2002 und der Stellungnahme
des behandelnden Handchirurgen und als Gutachter nach § 109 SGG benannten Dr. H. , der sich gemäß seinem
Schreiben vom 7. November 2003 der Bewertung der beiden Vorgutachter anschloss.
Auch unter Berücksichtigung der Fachliteratur (Schönberger/ Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7.
Aufl. 2003, S. 644, 645) ist eine MdE mit 10 v.H. angemessen. Es liegt hier ein deutlich geringerer Schaden als der
Verlust der Finger 2 bis 4 im Mittelgelenk bzw. im Endgelenk vor. Der Verlust der Finger im Mittelgelenk rechtfertigt
grundsätzlich eine Dauer-MdE von 25 v.H., der Verlust im Endgelenk von 10 v.H.
Aus den dargelegten Gründen vermag der Senat auch nicht den Schilderungen des Klägers in seinem Schriftsatz vom
14. Februar 2005 zu folgen, wonach er seine linke Hand nicht mehr bzw. nur mehr unter Schmerzen belasten könne.
Auch scheidet eine besondere berufliche Betroffenheit des Klägers mit der Folge einer Erhöhung der MdE gemäß § 56
Abs. 2 S. 3 SGB VII aus. Es ist nicht nachvollziehbar, dass er den Beruf des Landwirts, für den Versicherungsschutz
bei der Beklagten besteht, unfallbedingt nicht mehr ausüben könnte. Darüber hinaus handelt es sich bei der Regelung
des § 56 Abs. 2 S. 3 SGB VII um eine Ausnahme von dem Grundsatz der abstrakten Schadensberechnung, die sich
nach den Anforderungen des allgemeinen Arbeitsmarktes richtet. Eine zumutbare Verweisbarkeit auf eine annähernd
gleichwertige Tätigkeit steht daher einer Erhöhung der MdE entgegen (BSG SozR 3-2200 § 581 RVO Nr. 6). Die
Voraussetzungen liegen demnach nur bei Versicherten vor, die einen sehr spezifischen Beruf mit einem relativ engen
Bereich ausüben. Hierzu gehört weder der Beruf des Landwirtes noch der eines Berufskraftfahrers.
Zutreffend hat das Sozialgericht in seiner Entscheidung vom 9. Juli 2004 ausgeführt, dass die zunächst gewährte
Rente als vorläufige Entschädigung gemäß § 62 SGB VII nach einer MdE um 20 v.H. nicht für die Entscheidung über
die Gewährung einer Verletztenrente auf Dauer von Bedeutung ist. Innerhalb der ersten drei Jahre nach dem
Versicherungsfall kann der Vomhundertsatz der MdE jederzeit ohne Rücksicht auf die Dauer der Veränderung neu
festgestellt werden, § 62 Abs. 1 S. 2 SGB VII. Bei der erstmaligen Feststellung der Rente auf unbestimmte Zeit kann
der Vomhundertsatz der MdE abweichend von der vorläufigen Entschädigung festgestellt werden, auch wenn sich die
Verhältnisse nicht geändert haben, § 62 Abs. 2 S. 2 SGB VII.
Der Senat kommt daher zum Ergebnis, dass die Beklagte zu Recht die (vorläufige) Gewährung der Rentenleistung mit
Ablauf des Monats September 2002 einstellte. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des
Sozialgerichts Augsburg war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil Gründe nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.