Urteil des LSG Bayern vom 26.04.2002

LSG Bayern: körperpflege, ernährung, ambulante behandlung, geistig behinderter, versorgung, wohnung, form, kontaktaufnahme, gutachter, psychiatrie

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 26.04.2002 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Regensburg S 2 P 91/99
Bayerisches Landessozialgericht L 7 P 13/00
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 29.02.2000 wird zurückgewiesen. II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Bewilligung von Leistungen nach Pflegestufe III streitig.
Die am 1988 geborene Klägerin leidet an einem Autismus-Syndrom. Sie hatte bis 31.03.1995 Pflegegeld gemäß § 57
SGB V a.F. bezogen. Ab 01.04.1995 erhielt sie Pflegegeld nach Pflegestufe II.
Am 25.01.1999 wurde für sie die Bewilligung von Leistungen nach Stufe III beantragt. In dem aufgrund eines
Hausbesuches am 21.05.1999 erstellten Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Bayern
(MDK) vom 08.07.1999 heißt es, es bestehe ein nächtlicher Grundpflegebedarf, und zwar in Form einer einmaligen
Aufsicht bei der Toilette. Im Übrigen sei für die Körperpflege ein Hilfebedarf von 65 Minuten, für die Ernährung von 70
Minuten, für Mobilität von 65 und für die hauswirtschaftliche Versorgung von 60 Minuten erforderlich.
Mit Bescheid vom 13.07.1999 lehnte die Beklagte die Gewährung höherer Leistungen ab. In ihrem Widerspruch
machte die Klägerin geltend, es sei bei ihr eine Nahrungsmittelallergie nachgewiesen, weiterhin lägen
Wahrnehmungsstörungen vor; durch einen hochgradigen Dopaminüberschuss sei der Tag-/Nachtrhythmus gestört. Für
die Grundpflege würden mindestens 240 Minuten benötigt. Sie legte einen vom "Bundesverband Hilfe für das
autistische Kind, Vereinigung zur Förderung autistischer Menschen e.V." verfassten Bericht vor, der die Situation
autistischer Kinder beschreibt.
Nachdem die Mutter der Klägerin einer erneuten Untersuchung durch den MDK nicht zustimmte, stellte dieser in
einem nach Aktenlage verfassten Gutachten vom 25.10.1999 fest, es ergebe sich nach Abzug des Zeitwertes für ein
gesundes, gleichaltriges Kind ein täglicher Grundpflegebedarf von 160 Minuten, für die hauswirtschaftliche Versorgung
von 60 Minuten. Daraufhin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 03.11.1999 den Widerspruch als
unbegründet zurück.
Mit ihrer zum Sozialgericht Regensburg (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, es sei rund um die
Uhr Aufsicht und Betreuung erforderlich. Auch der Pflegedienst habe Leistungen nach Stufe III empfohlen. Sie hat
einen Bericht des Klinikums L. über eine vom 19. bis 30.10.1998 durchgeführte ambulante Behandlung vorgelegt.
Das SG hat in der mündlichen Verhandlung am 29.02.2000 die Angaben der Mutter der Klägerin zu dem Hilfebedarf
bei den einzelnen Verrichtungen bei der Körperpflege, der Ernährung, der Mobilität und der hauswirtschaftlichen
Versorgung zu Protokoll genommen; bezüglich der Einzelheiten wird auf das Protokoll Bezug genommen.
Mit Urteil vom 29.02.2000 hat es die Klage abgewiesen. Unstreitig bestehe bei allen Verrichtungen der Körperpflege,
der Ernährung sowie im Bereich der Mobilität ein Hilfebedarf. Soweit in dem MDK-Gutachten ein Hilfebedarf beim
Stehen und Gehen von 25 Minuten angenommen worden sei, bestehe insoweit nach Angaben der Mutter in der
mündlichen Verhandlung kein Hilfebedarf, da die Klägerin innerhalb der Wohnung selbständig gehen und stehen
könne. Der von der Mutter angegebene tägliche Hilfebedarf von 160 bis 220 Minuten im Bereich der Körperpflege sei
für das Gericht nicht nachvollziehbar, ebensowenig, dass für die Aufforderung und Überwachung beim Kämmen ein
Zeitbedarf von 15 bis 20 Minuten bestehe. Das Gericht halte die Einschätzung des MDK, bei der Klägerin bestehe im
Bereich der Grundpflege ein Zeitbedarf von ca. 200 Minuten pro Tag, für zutreffend, wobei noch ca. 25 Minuten wegen
der Angabe der Mutter bezüglich des Stehens und Gehens innerhalb der Wohnung abgezogen werden müssten. Damit
werde der für die Pflegestufe III erforderliche Hilfebedarf von 240 Minuten nicht erreicht, selbst wenn man angesichts
des Alters der Klägerin wohl von einem Abzug eines Mehrbedarfs gegenüber einem gleichaltrigen, gesunden Kind
absehen müsse.
Mit der Berufung macht die Mutter der Klägerin geltend, die Empfehlung des Pflegedienstes und ihre
Tagebuchangaben müssten berücksichtigt werden.
Der vom Gericht zum Sachverständigen bestellte Facharzt für Allgemeinmedizin, Rehabilitationswesen, Sozialmedizin
Dr.Z. hat die Klägerin am 23.06.2001 zu Hause begutachtet. In seinem schriftlichen Gutachten vom 26.08.2001 hat er
den Hilfebedarf bei der Körperpflege auf täglich 52 bis 103 Minuten, bei der Ernährung auf 27 bis 50 Minuten und bei
der Mobilität auf 8 bis 16 Minuten eingeschätzt. Beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung bestehe kein
Hilfebedarf, da Arztbesuche nur einmal pro Jahr stattfänden. Hinsichtlich der hauswirtschaftlichen Versorgung bestehe
ein Hilfebedarf von 60 Minuten.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Regensburg vom 29.02.2000 und des Bescheides der
Beklagten vom 13.07.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.11.1999 zu verurteilen, ab Mai 1999
Leistungen nach Pflegestufe III zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Verwaltungsunterlagen der Beklagten und der
Verfahrensakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, (§§ 143, 151 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -), ein
Ausschließungsgrund (§ 144 Abs.1 SGG) liegt nicht vor.
In der Sache erweist sich das Rechtsmittel als unbegründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen, da die
Klägerin gegenwärtig keinen Anspruch auf höhere Leistungen hat.
Gemäß § 15 Abs.1 Satz 1 Nr.3 SGB III sind Pflegebedürftige der Pflegestufe III (Schwerstpflegebedürftige) Personen,
die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität täglich rund um die Uhr, auch nachts, der Hilfe bedürfen und
zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfe bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen. Gemäß § 15 Abs.3 Nr.3
muss der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson
für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, wöchentlich im
Tagesdurchschnitt mindestens fünf Stunden betragen, wobei auf die Grundpflege mindestens vier Stunden entfallen
müssen. Ein solcher Hilfebedarf bei der Grundpflege, d.h. gemäß § 14 Abs.4 im Bereich der Körperpflege, der
Ernährung und der Mobilität, von mindestens vier Stunden täglich ist gegenwärtig nicht erforderlich. Dies ergibt sich
zur Überzeugung des Senats aus den Gutachten des MDK vom 08.07. und 25.10.1999 und insbesondere dem
Gutachten des Dr.Z. vom 23.07.2001. Dieser hat die Klägerin eingehend begutachtet und zusätzlich eine
Stellungnahme des Arztes für Neurologie und Psychiatrie und Dipl. Psychologen Dr.L. eingeholt, der die Klägerin in
der Zeit vom 19.02. bis 17.09.1999 behandelt hat. Der Gutachter hat schlüssig und überzeugend festgestellt, dass die
Klägerin zum Untersuchungszeitpunkt weder unbeeinflussbar noch losgelöst von der Wirklichkeit gewesen ist,
vielmehr war sie einer Kontaktaufnahme auf der personellen Ebene zugänglich. Hieraus ist zu schließen, dass die
Ausprägung des autistischen Syndroms zumindest phasenweise eher gering ist.
Im Bereich der Körperpflege ist bei der Ganzkörperwäsche ein durchschnittlicher Hilfebedarf von 20 bis 25 Minuten
anzunehmen, bei der Teilwäsche Hände/Gesicht von 11 bis 22 Minuten und für das Duschen von 15 bis 20 Minuten.
Die Beaufsichtigung und Hilfe bei der Zahnpflege erfordert 5 bis 10 Minuten, beim Kämmen 5 Minuten, bei der Blasen-
und Darmentleerung 0 bis 18 Minuten bzw. 1 bis 3 Minuten, so dass sich für den Pflegekomplex Hygiene ein
gesamter Hilfebedarf von 52 bis 103 Minuten ergibt. Die mundgerechte Zubereitung der Nahrung erfordert 5 bis 10
Minuten und die Hilfe bei der Nahrungsaufnahme 22 bis 40 Minuten, insgesamt somit im Bereich der Ernährung 27 bis
50 Minuten. Hilfe bei der Mobilität ist beim Aufstehen in einem Umfang von 1 bis 2 Minuten, ebenso beim
Zubettgehen, erforderlich, für das Ankleiden sind 4 bis 8 Minuten und für das Auskleiden 2 bis 4 Minuten anzusetzen.
Der gesamte Hilfebedarf bei der Grundpflege beträgt somit zwischen 85 und 169 Minuten. Ausgehend von einem
maximalen Hilfebedarf von 169 Minuten ist der für einen Anspruch auf Leistungen nach Stufe III erforderliche
Hilfebedarf in der Grundpflege von 240 Minuten deutlich nicht erreicht.
Ein anderes Ergebnis lässt sich auch aus den Angaben der Mutter der Klägerin nicht schlüssig begründen. Diese
beziehen sich in erster Linie auf das Erfordernis einer ständigen Beaufsichtigung der Klägerin zur Vermeidung einer
Selbst- oder Fremdgefährdung. Jedoch zählt diese allgemeine Aufsicht nicht zu dem Hilfebedarf nach § 14, 15 SGB
III. Berücksichtigt werden kann nur ein Hilfebedarf bei den in § 14 Abs.4 SGB III aufgezählten Verrichtungen im
Bereich der Körperpflege, der Ernährung, der Mobilität und der hauswirtschaftlichen Versorgung. Dieser
Verrichtungskatalog ist abschließend und einer Erweiterung auf die allgemeine Beaufsichtigung geistig Behinderter
nicht zugänglich (BSG, Urteil vom 26.11.1998, B 3 P 13/97 R, SozR 3-3300, § 14 Nr.8).
Somit war die Berufung gegen das zutreffende Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 29.02.2000 zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.1 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.