Urteil des LSG Bayern vom 30.03.2007
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Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 30.03.2007 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Augsburg S 1 AS 329/06
Bayerisches Landessozialgericht L 7 AS 206/06
I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Augsburg vom 12. Juli 2006 und unter
Abänderung des Bescheides vom 20. Februar 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. April 2006
und der Änderungsbescheide vom 27. Juni 2006 verurteilt, der Klägerin auch für die Zeit ab 1. März bis 31. Juli 2006
monatliche Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 292,50 EUR zu zahlen. II. Die Beklagte hat der Klägerin
die außergericht- lichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der zu erstattenden Kosten der Unterkunft und Heizung (KdU) als Leistung zur
Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) - Alg II - für die Zeit vom 01.03.
bis 31.07.2006 streitig.
Die 1954 geborene Klägerin beantragte am 01.09.2004 für sich, ihre 1983 geborene Tochter L. und ihren 1992
geborenen Sohn T., bei dem ein GdB von 100 v.H. vom Versorgungsamt A. anerkannt war, Alg II. Nach der
vorgelegten Mietbescheinigung bewohnte die Familie eine 85 qm große Wohnung, Baujahr 1900. Die Beklagte
bewilligte mit Bescheid vom 28.10.2004 für die Zeit vom 01.01. bis 30.06.2005 Alg II in Höhe von monatlich 829,00
EUR und übernahm KdU in Höhe von 390,00 EUR. Nachdem sie zunächst mitgeteilt hatte, ab 01.07.2005 könnten nur
noch Kosten in Höhe von 375,00 EUR erstattet werden, teilte sie auf den Hinweis der Klägerin auf die schwere
Behinderung ihres Sohnes und damit verbundene Schwierigkeiten der Wohnungssuche mit Schreiben vom 22.04.2005
mit, man sehe davon ab, die Miete auf die angemessene Höhe zu begrenzen.
Am 04.08.2005 verstarb T. Mit Schreiben vom 11.08.2005 teilte die Beklagte der Klägerin mit, die bisherigen KdU
würden längstens bis 31.01.2006 erstattet. Danach wäre für sie und ihre Angehörigen eine Wohnfläche von 60 qm mit
einer Kaltmiete von 300,00 EUR angemessen; die Heizkosten würden anteilig auf diese Fläche berechnet und der
Höhe nach begrenzt. Sie übersandte eine Liste der einzelnen, offensichtlich zu ihren Zuständigkeitsbereich
gehörenden Wohnorte mit den jeweils ortsüblichen Quadratmeterpreisen.
Mit Bescheid vom 20.02.2006 bewilligte die Beklagte schließlich für die Zeit vom 01.03. bis 31.05.2006 Alg II in Höhe
von monatlich 528,00 EUR und übernahm KdU in Höhe von 183,00 EUR. Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein
und legte Unterlagen über eine Zeitungsannonce sowie eine Liste der Personen mit den Telefonnummern vor, mit
denen sie, offensichtlich auf Vermietungsannoncen hin, wegen einer Wohnung telefoniert hatte. Weiterhin legte sie
einen unter Angabe ihrer Telefonnummer verfassten Aushang vor, wonach sie dringend bis zum Februar oder später
eine Dreizimmerwohnung in G. suche, wenn möglich mit Garten oder Balkon.
Mit Widerspruchsbescheid vom 20.04.2006 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Die
durchschnittlichen Quadratmeterpreise aller Wohngeldbezieher in G. lägen nach einer aktuellen Feststellung der
Kommune zum 01.02.2006 bei 5,00 bis 5,30 EUR. Die Unterkunftskosten der Klägerin und ihrer Tochter wären somit
höchstens bis zu einem Betrag von monatlich 366,00 EUR angemessen. Die Klägerin habe einige wenige
Bemühungen um günstigere Wohnungen in G. und Umgebung belegt. Diese Bemühungen seien nicht ausreichend.
Die Klägerin könne sich nicht auf ihren bisherigen Wohnsitz G. und die Umgebung beschränken; auf dem
Wohnungsmarkt im Zuständigkeitsbereich der Beklagten würden Wohnungen bis zu einer Größe von 60 qm zu
angemessenen Mietpreisen angeboten.
Die Beklagte erließ später die Änderungsbescheide vom 27.06.2006, mit denen sie die Leistung weiter bewilligte und
die Erstattung der KdU weiterhin auf 183,00 EUR beschränkte.
Mit ihrer zum Sozialgericht Augsburg (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, sie habe sich nach
dem Tod ihres Sohnes bei allen Stellen als Wohnungssuchende gemeldet, habe in der A. Zeitung, in der G. Zeitung
annonciert und in Geschäften, Tankstellen usw. ihr Wohnungsgesuch ausgehängt. Leider habe sie nichts gefunden.
Von Seiten der Beklagten habe man ihr gesagt, dass sie Wohnungen bis in den Raum F. suchen solle; dies könne sie
aber nicht, da sich das Grab ihres 13-jährigen Sohnes in G. befinde. Sie sei nicht im Besitz eines Kfz, sondern auf
öffentliche Verkehrsmittel angewiesen.
Schließlich hat sie ein Schreiben der Sozialen Wohnungsbaugenossenschaft B. vom 28.04.2006 vorgelegt, wonach
zum 01.08.2006 eine 58,15 qm große Wohnung zu einer Gesamtmiete von 340,00 EUR frei sei. Die Klägerin hat am
10.05.2006 einen Mietvertrag für diese Wohnung abgeschlossen und ist zum 01.08.2006 eingezogen.
In der mündlichen Verhandlung vom 12.07.2006 hat die Vertreterin der Beklagten Kopien von Annoncen in
Tageszeitungen vorgelegt und geltend gemacht, hieraus ergebe sich, dass für den streitigen Zeitraum Wohnungen
nach den Vorgaben der Beklagten zur Verfügung gestanden hätten; auch hätte der Wunsch der Klägerin, in G.
wohnhaft zu bleiben, berücksichtigt werden können.
Mit Urteil vom 12.07.2006 hat das SG die Klage abgewiesen. Für zwei Personen sei eine Wohnungsgröße bis 60 qm
angemessen, wobei im Einzelfall angezeigt sein könne, davon nach unten abzuweichen. Für die angemessenen
Wohnkosten komme es auf das Produkt von angemessener Wohnfläche und angemessenem Quadratmeterpreis an.
Solche Wohnungen müssten auf dem Markt vorhanden sein, der Leistungsträger müsse aber nicht für den Einzelfall
den Nachweis erbringen, sondern die nachvollziehbaren regionalen Erfahrungswerte darlegen. Der Leistungsempfänger
könne das nur durch die substantiierte Darlegung widerlegen, dass eine derartige Unterkunftsalternative nicht
vorhanden gewesen sei, und dürfe sich dabei nicht nur auf den bisherigen Wohnsitz beschränken. Für den
Zuständigkeitsbereich der Beklagten habe ein Wohnungsmarkt mit den angesetzten Positionen bestanden.
In ihrer Berufungsbegründung macht die Klägerin weiterhin geltend, sie habe sich auf mehrere Inserate gemeldet und
auch selbst inseriert. Sie habe sich auch einen Wohnberechtigungsschein verschafft, aber trotzdem zunächst nicht
die passende Wohnung gefunden. Sie habe eine Dreizimmerwohnung gesucht, weil sie mit ihrer 22 Jahre alten
Tochten nicht in einem Zimmer schlafen könne. Die von der Beklagten vorgelegten Nachweise zeigten
Zweizimmerwohnungen von 46 bis 50 qm Größe auf. Sie hat Bestätigungen der GSW K. und der
Immobilienverwaltung der Stadt K. vorgelegt, wonach sie seit 05.09.2005 als Wohnungsuchende gemeldet gewesen
sei. Weiterhin hat sie einen Antrag auf Anmeldung bei der Gemeinnützigen Baugenossenschaft K. vorgelegt. Auf
Annoncen habe sie sich immer sofort gemeldet; wenn sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln die angebotenen
Wohnungen aufgesucht hätte, hätte sie jeden Tag jeweils 3,70 EUR zahlen müssen, was sie sich nicht leisten könne.
Sie beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Augsburg vom 12.07.2006 und unter
Abänderung des Bescheides vom 20.02.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.04.2006 und der
Änderungsbescheide vom 27.06.2006 zu verurteilen, ihr auch für die Zeit vom 01.03. bis 31.07.2006 monatliche
Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 292,50 EUR zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Die vorgelegten Nachweise über die Wohnungssuche der Klägerin seien unzureichend. Mit den von ihr geschalteten
zwei Zeitungsanzeigen habe sie sich um zu große Wohnungen bemüht. Sie sei auch verpflichtet gewesen, sich um
Wohnungen in den Nachbargemeinden zu bemühen, da die Gemeinde G. nur 3.775 Einwohner habe.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Verwaltungsunterlagen der Beklagten und der
Verfahrensakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -), ein
Ausschließungsgrund (§ 144 Abs.1 SGG) liegt nicht vor.
In der Sache erweist sich das Rechtsmittel als begründet.
Gemäß § 22 Abs.1 Satz 1 SGB II werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen
Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Gemäß Satz 2 werden Aufwendungen, die den
angemessenen Umfang übersteigen, so lange berücksichtigt, wie es dem alleinstehenden Hilfebedürftigen oder der
Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder
auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. Im vorliegenden Fall
hat die Klägerin Anspruch auf Übernahme der tatsächlichen KdU über diese sechs Monate hinaus, und zwar auch für
den hier streitigen Zeitraum 01.03. bis 31.07.2006.
Die Rechtmäßigkeit der Beschränkung der Erstattung der KdU auf das "angemessene" Maß setzt voraus, dass zum
einen die angemessenen Mietkosten abstrakt zutreffend ermittelt sind und zum anderen nachgewiesen ist, dass eine
andere bedarfsgerechte und kostengünstigere Wohnung konkret verfügbar und zugängig war (BSG, Urteil vom
07.11.2006, B 7b AS 18/06 R). Im vorliegenden Fall hat die Beklagte die angemessene Mietobergrenze schon deshalb
nicht korrekt ermittelt, weil sie von einer Wohnungsgröße von 60 qm ausgegangen ist. Maßgebend ist aber die
Wohnraumförderbestimmung 2003 des Bayer. Staatsministeriums des Innern vom 11.11.2006 - All MBl Nr 14/2002,
wonach für zwei Personen eine Wohnungsgröße bis zu 65 qm angemessen ist (BSG, a.a.O.). Hierauf hätte die
Beklagte die Klägerin hinweisen müssen. Nachdem sie den Kreis der angemessenen Wohnungen von der Größe her
zu Unrecht auf 60 qm beschränkt hat, hat sie auch die Wohnungssuche der Klägerin eingeschränkt, da sie es ihr
verwehrt hat, Wohnungen bis zu 65 qm zu suchen. Zudem ist wegen der größeren Quadratmeterzahl auch das mit
dem Quadratmeterpreis zu bildende Produkt größer.
In den von der Beklagten vorgelegten Annoncen finden sich keine Wohnungen, die exakt den
Angemessenheitsbedingungen entsprechen. Zwar weist die Beklagte zutreffend darauf hin, dass bei der Größe der
Gemeinde G. im Regelfall sich die Wohnungssuche nicht auf diesen Gemeindebereich beschränken darf; jedoch ist
dem berechtigten Interesse der Klägerin Rechnung zu tragen, im konkreten Fall in eine Wohnung zu ziehen, die es
zumutbar erscheinen lässt, das Grab ihres erst kürzlich verstorbenen Sohnes aufzusuchen.
Wegen dieses besonderen Umstandes, nämlich des Todes des Sohnes T., kann die Sechsmonatsregel des § 22
Abs.1 Satz 2 SGB II hier nicht strikt angewendet werden. Es ist nachvollziehbar, dass die Klägerin in den ersten
Monaten nach dem Tod des Sohnes wegen der seelischen Belastung und der mit dem Tod und der Beerdigung
verbundenen behördlichen Erledigungen in ihrer Wohnungssuche beschränkt war.
Zur Überzeugung des Senats hat die Klägerin sich bei Berücksichtigung der Gesamtumstände ausreichend um
alternativen angemessenen Wohnraum bemüht. Dass sie ihre Zeitungsannoncen auf Wohnungen erstreckt hat, die
das Maß des Angemessenen überschreiten, bedeutet nicht, das sie sich nur um solche Wohnungen bemüht hat.
Zudem zeigen ihre Anmeldungen bei den Wohnungsbaugesellschaften, dass sie sich auch nicht auf den
Gemeindebezirk G. beschränkt hat. Da letztlich schon im April 2006 ihre Wohnungssuche erfolgreich war, konnte von
ihr nicht mehr gefordert werden, weiterhin nach einer angemessenen Wohnung zu suchen, die unter Umständen einen
früheren Einzug und damit eine frühere Senkung der KdU zur Folge gehabt hätte.
Somit waren auf die Berufung der Klägerin das Urteil des SG vom 12.07.2006 aufzuheben und die Bescheide der
Beklagten vom 20.02.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.04.2006 und der Änderungsbescheide
vom 27.06.2006 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin auch für die Zeit vom 01.03. bis 31.07.2006
KdU von monatlich 292,50 EUR zu zahlen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.