Urteil des LSG Bayern vom 12.09.2001
LSG Bayern: hauptsache, akte, fälschung, anerkennung, lungentuberkulose, widerruf, wiederaufnahme, auflage, unverzüglich, zustand
Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 12.09.2001 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Augsburg S 11 V 12/98
Bayerisches Landessozialgericht L 15 V 25/01
I. Es wird festgestellt, dass die Berufung in dem Verfahren L 15 V 45/99 gegen den Gerichtsbescheid des
Sozialgerichts Augsburg vom 01.09.1999 am 22.05.2001 zurückgenommen und der Rechtsstreit damit in der
Hauptsache erledigt wurde. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht
zugelassen.
Tatbestand:
Bei dem am 1924 geborenen Kläger sind mit Bescheid vom 19.12.1980 als Schädigungsfolgen mit einer MdE um 50
v.H. anerkannt: "Verlust des linken Auges. Brustfellschwarte rechts mit Lungenfunktionsstörung. Narbe am linken
Knie." Wiederholt versuchte der Kläger durch zwei Instanzen der Sozialgerichtsbarkeit, die Anerkennung einer
chronisch obstruktiven Atemwegserkrankung als weitere Schädigungsfolge sowie die Erhöhung der
rentenberechtigenden MdE zu erstreiten. Der ablehnende Bescheid des Beklagten vom 05.01.1993 in der Fassung
des Widerspruchsbescheids vom 02.04.1993 wurde zuletzt jedoch vom Sozialgericht Augsburg durch Urteil vom
30.05.1996 (Az.: S 11 V 42/93) bestätigt. Aufgrund eines vor dem Landessozialgericht am 17.09.1997 (Az.: L 15 V
59/96) geschlossenen Überprüfungsvergleichs wurde vom Beklagten mit Bescheid vom 19.01.1998 in der Fassung
des Widerspruchsbescheids vom 30.03.1998 die Anerkennung eines "Zustands nach ausgedehnter, vorwiegend
rechtsseitiger Lungentuberkulose mit Pleuraschwarte ohne Anhalt auf Reaktivierung" nochmals abgelehnt. Das
anschließende Klageverfahren vor dem Sozialgericht Augsburg (Az.: S 11 V 12/98) endete am 01.09.1999 nach
Einholung eines Gutachtens nach Aktenlage von dem Internisten Dr.R. mit einem die Klage abweisenden
Gerichtsbescheid. Die nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) vom Kläger benannten Ärzte Dres. A. und W. hatten
mitgeteilt, dass nach Aktenlage keine Änderung in der Bewertung der Schädigungsfolgen zu erkennen sei. Dr.R. hatte
die langjährige toxische Einwirkung von Tabakteer als schädigungsfremden Grund für die Entstehung der Bronchitits
des Klägers gesehen.
Im Berufungsverfahren vor dem Bayer. Landessozialgericht (L 15 V 45/99) hat der Kläger an seiner Auffassung
festgehal- schädigungsbedingten Pleuraschwarte zu sehen sei. Mit Schriftsatz vom 17.04.2001 hat er vorgetragen,
verschiedene Schriftstücke in seiner BVG-Akte seien verfälscht, und Kopien der angeblich microverfilmten Unterlagen
verlangt. Im Erörterungstermin am 22.05.2001 ist dem Kläger zusammen mit seinem Prozessbevollmächtigten
Gelegenheit gegeben worden, die von ihm angezweifelten Aktenblätter einzusehen und sich zu überzeugen, dass kein
Grund zur Annahme von Fälschungen besteht. Nach seinen Angaben geht es dem Kläger um den Nachweis,
schädigungsbedingt nicht nur eine Pleuritis sondern eine Lungen-Tbc durchgemacht zu haben.
Nach Erörterung der Sach- und Rechtslage hat der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten, Rechtsanwalt A. ,
die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 01.09.1999 zurückgenommen. Wie sich
aus der Niederschrift ergibt, ist diese Erklärung von der Protokollführerin aufgenommen, vorgelesen und genehmigt
worden.
Am 05.06.2001 hat der Kläger zur Niederschrift beim Amtsgericht Landsberg erklärt, er widerspreche der Erklärung
seines Anwalts nach § 13 Abs.4 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X); er habe nicht mitbekommen, dass die
Rücknahme im Termin vorgelesen worden sei.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
festzustellen, dass die Berufung im Verfahren L 15 V 45/99 nicht wirksam zurückgenommen wurde, sowie den
Beklagten unter Aufhebung des Gerichtsbescheids des Sozialgerichts Augsburg vom 06.09.1999 sowie des
Bescheids des Beklagten vom 19.01.1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 30.03.1998 zu
verurteilen, als weitere Schädigungsfolge einen Zustand nach ausgedehnter, vorwiegend rechtsseitiger
Lungentuberkulose mit Pleuraschwarte ohne Anhalt auf Reaktivierung anzuerkennen und ihm Beschädigtenversorgung
nach einer MdE von mehr als 50 v.H. zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
festzustellen, dass die Berufung gegen des Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 01.09.1999 (L 15 V
45/99) am 22.05.2001 wirksam zurückgenommen und der Rechtsstreit damit in der Hauptsache erledigt worden ist.
Ergänzend zum Sachverhalt wird auf die Berufungsakte des vorangegangenen Verfahrens (L 15 V 45/99) sowie den
Inhalt der streitgegenständlichen Akte des Bayer. Landessozialge- richts Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die vom Kläger eingelegte Berufung war zwar gemäß den §§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, der
Rechtsstreit L 15 V 45/99 ist jedoch durch die im Erörterungstermin am 22.05.2001 erfolgte Berufungsrücknahme in
der Hauptsache erledigt. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 01.09.1999 ist somit rechtskräftig.
Die Zurücknahme der Berufung bewirkt, wenn sie - wie hier - ordnungsmäßig protokolliert wurde (§§ 156 Abs.1, 153
Abs.1, 122 SGG iVm §§ 159, 160 - insbesondere 160 Abs.3 Nr.8 -, 162 Abs.1, 163, 165 Zivilprozessordnung - ZPO -),
den endgültigen Verlust des Rechtsmittels der Berufung (§ 156 Abs.2 Satz 1 SGG; BSGE 19, 120). Danach ist ein
Antrag auf eine Sachentscheidung nicht mehr zulässig (BSGE 14, 138; BSG, 25.04.1980, 9 RV 16/79).
Als bedingungsfeindliche Prozesshandlung im Sinne des § 102 SGG kann eine Berufungsrücknahme nicht wegen
Willensmängeln nach §§ 119 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) angefochten werden (vgl. Meyer-Ladewig aaO Rdnr.7
c zu § 102).
Auch eine Wiederaufnahme des rechtskräftig beendeten Berufungsverfahrens nach §§ 179, 180 SGG iVm §§ 578 ff.
ZPO ist im vorliegenden Fall nicht möglich, da weder Nichtigkeits- noch Restitutionsgründe vorliegen; sie wurden auch
vom Kläger nicht geltend gemacht. Nur unter diesen Voraussetzungen wäre jedoch ein Widerruf einer Klage- oder
Berufungsrücknahme nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG SozR 1500 § 102 Nr.2)
ausnahmsweise zulässig (vgl. auch Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, 6. Auflage Rdnr.12 vor § 60).
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers, der den Kläger bereits in der ersten Instanz vertreten hat und kraft
wirksamer, bei den Akten befindlicher schriftlicher Prozessvollmacht gemäß § 73 Abs.4 SGG iVm §§ 81, 84 ZPO zu
allen den Rechtsstreit betreffenden Prozesshandlungen ermächtigt war, hat in der nichtöffentlichen Sitzung des
Bayer. Landessozialgerichts ausweislich der Niederschrift am 22.05.2001 (vgl. § 122 SGG iVm § 160 Abs.3 Nr.8
ZPO) erklärt, dass die Berufung zurückgenommen wird. Nach § 202 SGG iVm § 269 Abs.2 ZPO wurde damit das
Rechtsmittel wirksam zurückgenommen und der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt (§ 102 Satz 2 SGG). Diese
eindeutige Erklärung wurde laut offensichtlich vollständiger Niederschrift auch vorgelesen und genehmigt (§ 122 SGG
iVm § 162 Abs.1 Satz 3 ZPO).
Nach § 122 SGG iVm § 165 ZPO werden die für die mündliche Verhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten nur
durch das Protokoll bewiesen. Gegen seinen diese Förmlichkeiten betreffenden Inhalt ist nur der Nachweis einer
Fälschung zulässig. Somit kann der Kläger mit seiner Behauptung, die Berufungsrücknahme sei nicht vorgelesen
worden, nicht durchdringen. Den Nachweis einer Fälschung des Protokolls hinsichtlich des Vermerks "vorgelesen und
genehmigt" hat der Kläger nicht erbracht.
Der Kläger kann auch nicht nach § 13 Abs.4 Satz 2 SGB X der Rücknahmeerkärung seines Prozessbevollmächtigten
widersprechen. Rechtsanwalt A. war der Prozessbevollmächtigte des Klägers und nicht nur Beistand im Sinne des §
13 Abs.4 SGB X bzw. § 73 Abs.5 SGG, der grundsätzlich nicht für, sondern nur neben dem Kläger auftritt. Ein
Widerspruchsrecht des Klägers ist im vorliegenden Fall daher nicht gegeben; im Übrigen hätte der Kläger nicht
unverzüglich, d.h. bis zum Schluss des Erörterungstermins widersprochen.
Somit ist lediglich festzustellen, dass die Berufung im Verfahren L 15 V 45/99 wirksam zurückgenommen worden ist.
Einer Entscheidung in der Sache selbst bedarf es nicht, da der Rechtsstreit in der Hauptsache bereits erledigt ist (§
156 SGG).
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs.2 SGG liegen nicht vor.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 193, 183 SGG.