Urteil des LSG Bayern vom 14.01.2010

LSG Bayern: versorgung, rollstuhl, krankenkasse, fortbewegung, behinderung, krankenfahrzeug, begriff, abgrenzung, fahren, hinderungsgrund

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 14.01.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Regensburg S 14 KR 265/08
Bayerisches Landessozialgericht L 4 KR 189/09
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozial-gerichts Regensburg vom 03.04.2009 wird
zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Versorgung der Klägerin mit einem elektrischen Krankenfahrzeug.
Die 1950 geborene Klägerin ist nicht berufstätig und wohnt in der Kleinstadt A-Stadt in einem Mehrfamilienhaus.
Aufgrund ihrer vielfältigen, teilweise toxisch bedingten Gesundheitsstörungen bewegt sie sich weitgehend mit einem
Handrollstuhl. Als Suchtkranke steht sie unter Betreuung. Die Allgemeinärztin Dr. L. verordnete am 26.04.2007 die
Versorgung mit einem Elektrorollstuhl. Dazu erstellte die Firma F. in B. einen Kostenvoranschlag über ca. 3.500,00
EUR für das batteriegetriebene, 6 km/h schnelle Modell "Scooter Cityliner 410". Die Beklagte, die bei der Klägerin die
ausreichende Fähigkeit für die Führung eines motorgetriebenen Fahrzeuges im Straßenverkehr verneint, lehnte mit
Bescheid vom 13.07.2007 die begehrte Rollstuhlversorgung ab. Auf den klägerischen Widerspruch hin veranlasste die
Beklagte eine medizinisch-psychologische Untersuchung der Klägerin durch den Technischen Überwachungsverein
Süd - TÜV-Süd -. Im Fahreignungsgutachten des Dipl.-Psych. und Fachpsychologen für Verkehrspsychologie G. hat
dieser aufgrund seiner Untersuchung vom 30.01.2008 festgestellt, dass die Klägerin außerstande sei, auch ein
fahrerlaubnisfreies Fahrzeug sicher zu führen. Es fehle an der nötigen geistigen und körperlichen Fähigkeit. Gestützt
auf dieses Gutachten wies die Beklagte den Widerspruch am 28.08.2008 zurück.
Die dagegen gerichtete Klage vom 18.09.2008 betont die ausreichende Fähigkeit zum Führen des Krankenfahrzeuges.
Das TÜV-Gutachten verkenne, dass die Klägerin ihren früheren Alkoholabusus aufgegeben habe. Dr. L. berichtete
dem Sozialgericht Ende Januar 2009 die Vielzahl der klägerischen Erkrankungen u.a. auch eine äthyltoxisch bedingte
Leberzirrhose mit organischer Persönlichkeitsveränderung. Sie sei wenig belastbar und nur kurze Strecken ohne
Hilfsmittel mobil, so dass über längere Strecken ein Rollstuhl benötigt werde. Das Sozialgericht hat mit
Gerichtsbescheid vom 03.04.2009 die Klage abgewiesen und dazu ausgeführt: Der Anspruch der Klägerin, mit
Hilfsmitteln versorgt zu werden, sei darauf gerichtet, eine Behinderung bei der Befriedigung von Grundbedürfnissen
des täglichen Lebens auszugleichen, wozu auch das Erschließen eines gewissen körperlichen und geistigen
Freiraumes gehöre. Dies stehe jedoch unter dem Gebot der Wirtschaftlichkeit, welches hier die Versorgung der
Klägerin mit dem begehrten Elektro-scooter verwehre. Es sei dem Gutachten des TÜV zu folgen, wonach die Klägerin
nicht in
der Lage sei, ein solches Fahrzeug sicher zu führen. Im Übrigen würde ein solcher Rollstuhl auch den Umfang des
zustehenden Basisausgleichs nicht überschreiten, weil hier die Arztbesuche mittels Hausbesuchen erfolgten und die
notwendige Versorgung durch eine Pflegekraft sicher gestellt werde.
Mit der nunmehr eingelegten Berufung verfolgt die Klägerin weiterhin ihr Ziel auf Erlangung des Elektrorollstuhles. Sie
hat gleichzeitig beantragt, ihr unter Gewährung von Prozesskostenhilfe Rechtsanwalt K. beizuordnen. Die im Mai 2009
abgegebene Ankündigung, eine aktuelle Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse kurzfristig
nachzureichen, ist nicht umgesetzt worden. Die Klägerin benutze gelegentlich einen elektrisch betriebenen Rollstuhl.
Gekauft hat ihr Betreuer aber noch keinen.
Die Klägerin beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 03.04.2009 und den Bescheid der
Beklagten vom 13.07.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.08.2008 aufzuheben und die Beklagte
zu verurteilen, sie mit einem Elektrorollstuhl zu versorgen und vorweg Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von
Rechtsanwalt K. zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Im Übrigen wird zur weiteren Darstellung des Tatbestandes auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze bzw. den der
beigezogenen Akten Bezug genommen. Die Beklagte habe sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung
einverstanden erklärt. Den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe hat der Senat vorweg abgelehnt.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten, die nicht der Zulassung nach § 144
SGG bedarf, ist zulässig, jedoch unbegründet, denn die Beklagte ist nicht verpflichtet, die Klägerin mit dem begehrten
Fahrzeug zu versorgen.
Die dazu notwendigen Voraussetzungen, wie sie in § 27 in Verbindung mit § 33 SGB V gesetzlich geregelt sind,
werden von der Klägerin nicht erfüllt. § 33 SGB V gibt vor, unter welchen Bedingungen von der Krankenkasse
Hilfsmittel bereitzustellen sind, um krankheitsbedingte Behinderungen auszugleichen. Dass es sich hier bei dem
streitigen Rollstuhl um ein solches (mittelbares) Hilfsmittel handelt, ist unstreitig und liegt auf der Hand.
Richtigerweise hat das Sozialgericht darauf hingewiesen, dass solche Hilfsmittel dazu dienen, die Grundbedürfnisse,
hier der Fortbewegung, dem behinderten Menschen zu ermöglichen. Wobei der Umfang der Versorgung, wie er in § 33
SGB V normiert ist, durch die Vorschriften des SGB IX nicht erweitert werden. Grundsätzlich ist dem Grundbedürfnis
auf Fortbewegung schon dann genüge getan, wenn ein Selbstfahrerrollstuhl im Nahbereich bewegt werden kann (vgl.
BSG vom 22.04.2009 - B 3 KR 54/08 B, veröffentlicht in Juris). Dies ist bei der Klägerin der Fall, so dass von daher
schon es zweifelhaft erscheint, ob daneben noch ein elektrisch betriebenes Krankenfahrzeug beansprucht werden
kann. Damit würde ein noch größerer Raum eröffnet bzw. weiter entfernt liegende Ziele selbständig zu erreichen,
ermöglicht (BSG v. 12.08.2009 - B 3 KR 8/08 R veröffentlich in Juris). Die Abgrenzung liegt hier aber in dem
gesetzlichen Begriff, dass ein solches Hilfsmittel auch "erforderlich" sein muss. D.h. nicht alles, was wünschenswert
ist, um eine bestehende Behinderung auszugleichen, ist auch von der Krankenkasse zu leisten. Erforderlich kann ein
Hilfsmittel immer nur dann sein, wenn es überhaupt geeignet ist, den Versicherten bei der Bewältigung seiner
Grundbedürfnisse, hier also zu weiter entfernt liegenden Zielen selbständig zu gelangen, zu unterstützen. Dies
bedeutet für den erwünschten Selbstfahrrollstuhl, dass der Versicherte selbst imstande sein muss, mit diesem
Hilfsmittel bestimmungsgemäß umzugehen. Das heißt, die Klägerin müsste in der Lage sein, die Technik des
Fahrens mit einem solchen Rollstuhl zu beherrschen, aber darüber hinaus auch die Straßenverkehrsregeln insoweit
einzuhalten, als sie für das Fahren mit einem führerscheinfreien Fahrzeug gelten. Daran scheitert es aber, wie das
Gutachten des TÜV deutlich gemacht hat. Der Senat sieht auch keinen Hinderungsgrund, diesem Gutachten nicht zu
folgen, steht es doch in Korrelation zu den Feststellungen über das vorhandene Krankheitsbild der Klägerin. Dieses
ergibt sich nicht aus den persönlichen Angaben der Klägerin über ihre Trinkgewohnheiten, sondern aus den
vorhandenen Krankheiten, welche durch die toxische Schädigung verschiedener Körperorgane, aber auch der
inzwischen eingetretenen Bewusstseinsveränderungen geprägt sind, so dass hier eine sichere Teilnahme am
Straßenverkehr, um den es der Klägerin geht, nicht mehr gewährleistet ist. Daran ändert auch nichts der klägerische
Vortrag, dass sie sich mit einem gelegentlich zur Verfügung stehenden Rollstuhl außer Hause fortbewege.
Mangels Erfüllung der Voraussetzungen für den Anspruch auf die Versorgung mit einem Elektrorollstuhl und vor dem
Hintergrund der oben zitierten Rechtsprechung des BSG muss die Berufung erfolglos bleiben.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.