Urteil des LSG Bayern vom 22.11.2000
LSG Bayern: falsche auskunft, erwerbsunfähigkeit, akte, beratungspflicht, meinung, papst, beweislast, unternehmer, mechaniker, merkblatt
Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 22.11.2000 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Augsburg S 10 LW 71/99
Bayerisches Landessozialgericht L 16 LW 22/00
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 22.05.2000 wird zurückgewiesen. II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über den Beginn der Rente bzw. die Zahlung der Rente für die Zeit vom 01.01.1988 bis
31.03.1999.
Der am ...1937 geborene Kläger war von Mai 1958 bis April 1971 Mitglied der Beklagten. Mit Bescheid vom
15.09.1971 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass er ab 01.05.1971 nicht mehr als landwirtschaftlicher Unternehmer
gelte. Er wurde auf die Möglichkeit der Weiterentrichtung von Beiträgen gemäß § 27 GAL (Gesetz über die
Alterssicherung der Landwirte) hingewiesen. Eine solche Erklärung hat der Kläger nicht abgegeben.
Mit Schreiben vom 25.03.1999 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass er in der Zeit seiner Mitgliedschaft insgesamt
156 Kalendermonate Beiträge zur Landwirtschaftlichen Alterskasse entrichtet habe. Nach § 13 ALG bestünde für ihn
Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, wenn er erwerbsunfähig nach den Vorschriften des Sechsten Buches
Sozialgesetzbuch (SGB VI) sei und das landwirtschaftliche Unternehmen abgegeben sei. Sofern er glaube, die
Voraussetzungen für den Bezug der Rente zu erfüllen, stehe es ihm frei, den Antrag zu stellen.
Der Kläger stellte daraufhin Antrag und teilte mit, von der LVA Schwaben Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu
beziehen.
Die Beklagte zog die Unterlagen der LVA Schwaben bei. Dort hatte der Kläger im Juni 1987 Rente beantragt. Wegen
der noch ausgeübten selbständigen Tätigkeit als Kfz-Mechaniker hatte die LVA zunächst Berufsunfähigkeitsrente ab
01.08.1987 gewährt und ab 01.08.1988 nach Aufgabe der selbständigen Tätigkeit Erwerbsunfähigkeitsrente.
Die Rentengewährung aus der gesetzlichen Rentenversicherung erfolgte wegen einer chronischen
Magenschleimhautentzündung, sowie einer mittelschweren Zuckererkrankung bei reduziertem Ernährungszustand. Im
Verfahren bei der LVA Schwaben hatte der Kläger nicht angegeben, früher Landwirt gewesen zu sein und Beiträge zur
Landwirtschaftlichen Alterskasse entrichtet zu haben.
Mit Bescheid vom 27.04.1999 gewährte die Beklagte Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab 01.04.1999. Sie stellte fest,
dass Erwerbsunfähigkeit seit 01.01.1988 vorliegt und auch das landwirtschaftliche Anwesen bereits 1976 abgegeben
wurde. Die Leistung beginne ab Antragstellung im April 1999, da die Rente nicht bis zum Ende des 3. Kalendermonats
nach Ablauf des Monats beantragt wurde, in dem die Voraussetzungen erfüllt waren.
Im Widerspruchsverfahren vertrat der Kläger die Auffassung, er sei seit Januar 1988 erwerbsunfähig. Aus diesem
Anlass habe er bei der Landwirtschaftlichen Alterskasse vorgesprochen und um eine Erwerbsunfähigkeitsrente
angefragt. Es sei ihm mündlich mitgeteilt worden, keinen Anspruch zu haben. Laut dem jetzigen Rentenbescheid wäre
ihm schon früher eine Rente zugestanden. Die verspätete Antragstellung sei somit nicht seine Schuld, sondern auf
eine falsche Information der Angestellten der Beklagten zurückzuführen.
Telefonisch teilte der Kläger weiter mit, er habe persönlich nach Eintritt der Erwerbsunfähigkeit ca. im Jahre 1988 bei
der LAK vorgesprochen und sei von einem Herrn Probst, Papst oder so ähnlich beraten worden. Die Vorsprache sei
erfolgt, nachdem ihn die LVA zur LAK verwiesen habe. Bei der LVA habe er wegen einer eventuellen Rentenerhöhung
durch die gezahlten LAK-Beiträge vorgesprochen. Der Mitarbeiter der LAK habe ihm mitgeteilt, dass er keinen
Anspruch auf Erwerbsunfähigkeitsrente habe, er könne erst mit 65 Jahren einen Rentenantrag stellen. Zeugen für die
Vorsprache habe er nicht.
Im Widerspruchsbescheid wies die Beklagte darauf hin, dass sie an der verspäteten Rentenantragstellung keine
Schuld treffe. Die Beklagte habe keine Beratungs- und Auskunftspflicht verletzt, da aus den vorliegenden Unterlagen
nicht hervorgehe, dass sich der Kläger wegen einer Beratung oder Auskunft an die Beklagte gewandt habe. Weder die
persönliche Vorsprache bei der LAK noch bei der LVA lasse sich nachweisen. Eine Verpflichtung der Beklagten von
Amts wegen, den Kläger über Leistungsansprüche zu informieren, sei nicht gegeben, da der LAK nicht bekannt war,
dass bereits seit Januar 1988 Erwerbsunfähigkeit vorliege. Nur anlässlich einer Neuorganisation des Aktenlagers sei
die Akte in die Bearbeitung gelangt. Ohne den daraufhin erfolgten Hinweis hätte der Kläger vermutlich noch immer
keinen Antrag gestellt. Einer allgemeinen Mitteilungspflicht oder Hinweispflicht sei die Beklagte aber durch die auch
dem Kläger übersandte Mitteilungsschrift "Sicher schaffen, länger leben" nachgekommen.
Mit der Klage vom 23.12.1999 macht der Kläger Rente ab Januar 1988 geltend. Er ist der Auffassung, er habe damals
wegen der Erwerbsunfähigkeitsrente bei der Beklagten vorgesprochen und eine fehlerhafte Auskunft erhalten.
Mit Urteil vom 22.05.2000 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der
Kläger weder aus den im Widerspruchsbescheid dargestellten Gründen noch aus einem sozialrechtlichen
Herstellungsanspruch einen Anspruch auf eine frühere Rentenleistung habe. Weder sei ein Fehlverhalten der LVA
Schwaben noch ein Fehlverhalten der Beklagten nachgewiesen. Im Rahmen des BU-Verfahrens habe der Kläger zwar
an versteckter Stelle auf seine Beiträge zur Landwirtschaftlichen Alterskasse hingewiesen. Im späteren Verfahren
wegen Erwerbsunfähigkeit finde sich dagegen kein Hinweis mehr auf die frühere Tätigkeit als Landwirt. Da der Kläger
zu dieser Zeit noch als Kfz-Meister selbständig gewesen sei, habe dies die Gewährung von Erwerbsunfähigkeitsrente
ausgeschlossen. Die vom Kläger behauptete Falschauskunft sei in den Akten der Beklagten nicht dokumentiert und
er selbst habe die behauptete Vorsprache nicht beweisen können. Bei seinem Ausscheiden aus der LAK sei der
Kläger durch das Merkblatt auf die Voraussetzungen auch der Erwerbsunfähigkeitsrente hingewiesen worden. Eine
weitere Pflicht der Beklagten zur Beratung oder Auskunft habe nicht bestanden.
Mit der Berufung vom 06.06.2000 begehrt der Kläger die Zahlung der Rente von Januar 1988 bis März 1999. Er ist der
Meinung, er habe im Januar 1988 eine falsche Auskunft vom Sachbearbeiter erhalten und deshalb keinen Antrag
gestellt.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung aus den Gründen des angefochtenen Urteils zurückzuweisen. Sie ist der Meinung, der Kläger sei mit
Schreiben vom 25.03.1999 nur darauf hingewiesen worden, dass Anspruch auf Erwerbsunfähigkeitsrente bestünde,
wenn er erwerbsunfähig sei, denn weitere Aussagen habe die Beklagte nach ihrem Kenntnisstand nicht treffen
können. Eine Pflicht zu dieser Mitteilung bestand, da die Akte nicht in laufender Bearbeitung stand, nicht. Lediglich
zufällig, nämlich im Rahmen der Neuorganisation des Aktenlagers, sei die Akte durchgesehen worden. Hierzu sei die
Beklagte aber in keiner Weise verpflichtet gewesen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 22.05.2000 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 27.04.1999 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.11.1999 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente
wegen Erwerbsunfähigkeit schon ab 01.01.1988 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten der Beklagten sowie die Akten des Sozialgerichts Augsburg
und des Bayer. Landessozialgerichts Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 155 SGG), erweist sich jedoch als
unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rentenleistung in der Zeit von Januar 1988 bis März 1999, da die
Beklagte weder eine Auskunfts- oder Beratungspflicht gegenüber dem Kläger hatte noch nachgewiesen ist, dass sie
ihm eine falsche Auskunft bezüglich seines Rentenanspruchs erteilt hat. Sowohl nach den bis 31.12.1994 geltenden
Vorschriften des Gesetzes über die Altershilfe für Landwirte (GAL), § 10 Abs.2, wie auch nach den Vorschriften ab
01.01.1995, § 30 ALG i.V.m. § 99 ff. SGB VI ist Voraussetzung für Rentenleistungen aus der Alterssicherung der
Landwirte, dass diese beantragt werden. Einen solchen Antrag hat der Kläger aber erst im April 1999 gestellt, und da
dieser Antrag mehr als drei Monate nach Ende des 3. Kalendermonats nach Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen
gestellt wurde, beginnt die Rente nach § 30 ALG i.V.m. § 99 Abs.1 Satz 2 SGB VI von dem Kalendermonat an, an
dem diese Rente beantragt wurde.
Der Kläger kann aber auch keinen früheren Rentenbeginn aus einem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch ableiten.
Nach §§ 13, 14 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) sind die Versicherungsträger verpflichtet, aufzuklären und zu
beraten. Grundsätzlich ist für die Beratung aber erforderlich, dass sich der Versicherte mit einem Auskunfts- oder
Beratungsersuchen an den Träger wendet.
Der Kläger war bis Mai 1971 beitragspflichtiges Mitglied bei der Beklagten. Zu diesem Zeitpunkt ist er von der
Beklagten durch den Hinweis auf die Möglichkeit einer Weiterversicherung und das Merkblatt ausreichend über die
Leistungsvoraussetzungen zum damaligen Zeitpunkt aufgeklärt worden. Eine konkrete Beratungspflicht bestand
damals nicht, da nicht erkennbar war, wann der Kläger erwerbsunfähig werden wird. Bei Antragstellung 1988 bei der
LVA Schwaben, als er die selbständige Kfz-Mechanikertätigkeit noch ausgeübt hat, hat der Kläger zwar angegeben,
auch Beiträge zur Landwirtschaftlichen Alterskasse entrichtet zu haben, aber es ist aus den Akten der LVA nicht
erkennbar, dass er diesbezüglich um eine Auskunft nachgesucht hat. Außerdem ist festzustellen, dass zum Zeitpunkt
der selbständigen Tätigkeit auch ein Anspruch auf Leistungen aus der Alterskasse noch nicht bestanden hat, da
hierfür Erwerbsunfähigkeit im Sinne der RVO (§ 1247 RVO) erforderlich war (§ 2 GAL in der damals geltenden
Fassung). Das GAL ist später geändert worden und es bedurfte der Erwerbsunfähigkeit im Sinne des SGB VI ab In-
Kraft-Treten des SGB VI am 01.01.1992. Sowohl nach der RVO als auch nach §§ 43, 44 SGB VI ist aber nicht
erwerbsunfähig, wer eine selbständige Tätigkeit ausübt. Da der Kläger bereits vor dem 01.10.1972 nicht mehr
beitragspflichtiger Landwirt war, musste er nicht die Voraussetzungen des § 2 Abs.2 Buchst.b des GAL erfüllen, d.h.,
es war nicht erforderlich, dass er mindestens bis zur Vollendung des 60. Lebensjahres oder bis zum Eintritt der
Erwerbsunfähigkeit mit Ausnahme der Zeiten des Bezugs eines vorzeitigen Altersgeldes oder eines
Hinterbliebenengeldes und für mindestens 60 Kalendermonate Beiträge als landwirtschaftlicher Unternehmer oder
nach § 27 an die Landwirtschaftlicher Alterskasse gezahlt hat. Für ihn galt vielmehr nach Art.2 § 1 6.
Änderungsgesetz GAL eine Übergangsregelung; in diesen Fällen wurde auf das Erfordernis der ununterbrochenen
Beitragszahlung verzichtet. Das heißt, der Kläger hatte also bei Eintritt der Erwerbsunfähigkeit tatsächlich nach den
Vorschriften des GAL einen Rentenanspruch, nämlich ab diesem Zeitpunkt, ab dem er die selbständige Tätigkeit als
Kfz-Mechaniker aufgegeben hat und erwerbsunfähig nach § 1247 Abs.2 Satz 2 RVO war. Zu diesem Zeitpunkt hat er
aber weder gegenüber der LVA Angaben über seine frühere Tätigkeit als Landwirt gemacht, noch ist nachgewiesen,
dass er bei der LAK vorgesprochen hat. Seine Einlassungen hierzu sind nicht nachgewiesen. Für diese
anspruchsbegründenden Umstände wäre er aber beweispflichtig. Die Angaben des Klägers sowohl bezüglich der
Auskunft als auch des Zeitpunkts sind vage. Verständlicherweise kann er auch den Namen eines Bediensteten nicht
nennen. Der von ihm angegebene Herr Probst oder Papst war nach Auskunft der Beklagten nur bis 1981 beschäftigt,
also im fraglichen Zeitpunkt nicht mehr Mitarbeiter bei der Beklagten. Da der Kläger sich für seinen sozialrechtlichen
Herstellungsanspruch auf einen Beratungsmangel bei der Beklagten beruft, ist er für das Vorliegen dieses
Beratungsfehlers beweispflichtig. Diese objektive oder materielle Beweislast besagt, dass jeder die Beweislast für die
Tatsachen trägt, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen. Der Beteiligte muss daher die Folgen
tragen, wenn eine Ungewissheit wegen der für ihn günstigen Tatsachen verblieben ist (vgl. Jens Meyer-Ladewig,
Sozialgerichtsgesetz mit Erläuterungen, § 103 Anm.19a). Bei fehlenden Hinweisen in den Aktenunterlagen und ohne
die Möglichkeit, andere Beweismittel zu würdigen bzw. Zeugen zu hören, konnte nicht festgestellt werden, dass die
Beklagte falsch beraten hat oder überhaupt zur konkreten Beratung verpflichtet gewesen ist. Die grundsätzliche
Voraussetzung zur Anwendung des sogenannten sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ist somit nicht gegeben.
Der Kläger kann daher auch aus diesem Grund keine frühere Rentenleistung beanspruchen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
Gründe, gemäß § 160 Abs.2 Ziffer 1 und 2 SGG die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.