Urteil des LSG Bayern vom 30.10.2003

LSG Bayern: wiedereinsetzung in den vorigen stand, rücknahme der klage, venire contra factum proprium, brd, zusicherung, verzinsung, berufsausbildung, aufenthalt, nachzahlung, einreise

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 30.10.2003 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Regensburg S 12 KG 13/96
Bayerisches Landessozialgericht L 14 KG 21/00
I. Unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Regensburg vom 6. Dezember 2000, des Bescheids der Beklagten
vom 27. November 1995 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Februar 1996 und des Bescheides vom 26.
Januar 1998 wird die Beklagte verpflichtet, dem Kläger Kindergeld für zwei Kinder für die Zeit vom 15. August 1989
bis 31. Dezember 1990 zu zahlen sowie die Leistungen mit vier Prozent jährlich nach Fälligkeit, frühestens ab 1. Juni
1990, zu verzinsen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. II. Die Klagen gegen den Bescheid vom 26.
Januar 1998 auf höhere Verzinsung bzw. Zahlung eines Inflationsausgleichs sowie die auf Gewährung von
Kindergeldzuschlägen auch für die Jahre 1989 und 1990 werden abgewiesen. III. Die Beklagte hat dem Kläger die
Hälfte der außergerichtlichen Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens und ein Drittel der außergerichtlichen Kosten
des Berufungsverfahrens zu erstatten. IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch des Klägers auf Kindergeld- und Kindergeldzuschlag für zwei Kinder
im Zeitraum vom 15.08.1989 bis 31.12.1990 nebst Zinsen und "Inflationsausgleich".
Der Kläger, ein polnischer Staatsangehöriger, ist - nach längerem Zwischenaufenthalt in Österreich - am 15.08.1989
mit seiner Ehefrau und zwei Kindern in die Bundesrepublik Deutschland (BRD) zugezogen. Für ihn beantragte das
Landratsamt E. - Sozialhilfeverwaltung - am 25.10.1989 bei der Beklagten Kindergeld und Kindergeldzuschlag für die
1974 geborene I. und die 1977 geborene V ... Am 13.11.1989 gingen ferner bei der Beklagten ein vom Kläger
ausgefüllter Kindergeld-Formblattantrag und ein Antrag auf laufende Zahlungen des Kindergeldzuschlags für das Jahr
1989 auf der Grundlage eines voraussichtlichen Einkommens für das Jahr 1989 ein.
Mit bindend gewordenem Bescheid vom 09.01.1990 lehnte die Beklagte den Antrag ab, weil der Kläger als
Asylbewerber nur einen vorübergehenden Aufenthalt in der BRD und damit hier nicht den von § 1 Abs.1 Nr.1
Bundeskindergeldgesetz a.F. (BKGG a.F.) geforderten Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt habe. Im Falle einer
bindenden bzw. rechtskräftigen Feststellung des Asylrechts werde anheimgestellt, erneut Kindergeld und
Kindergeldzuschlag zu beantragen. Diese Leistungen würden dann bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen
rückwirkend von der Einreise an gewährt, wenn innerhalb von sechs Monaten nach Ablauf des Monats, in dem die
Feststellung des Asylrechts bindend bzw. rechtskräftig geworden sei, ein entsprechender Antrag gestellt werde.
Der Kläger hat in der Folgezeit neben der Gewährung des Asylrechts auch die Feststellung seiner Eigenschaft als
Vertriebener verfolgt (Antrag vom 29.05.1990), was im Verwaltungsverfahren und verwaltungsgerichtlichen Verfahren
bis zum Jahre 1995 ohne Erfolg blieb. Seine Duldung ist in der Zwischenzeit periodisch verlängert worden.
Am 19.07. und 30.07.1990 gestellte Anträge auf Kindergeld und Kindergeldzuschlag lehnte die Beklagte mit ebenfalls
bindend gewordenem Bescheid vom 27.08.1990 unter Wiederholung der früheren Begründung des Bescheids vom
09.01.1990 ab.
Ein weiterer Antrag auf Gewährung von Kindergeld und Kindergeldzuschlag vom 23.04.1991 unter Beifügung einer
Ausbildungsbescheinigung für das Kind I. (Berufsfachschule 1990/91 für Kinderpflege) und anderer Unterlagen wurde
von der Beklagten mit Bescheid vom 20.02.1992 abgelehnt, weil der Kläger - bei befristeter Duldung - weiterhin keinen
inländischen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in der BRD habe.
Mit dem vierten Antrag auf Bewilligung (nur) des Kindergelds (Eingang des formlosen Antrags bei der Beklagten am
28.07.1993 und des Formblattantrags am 17.08.1993) trug der Kläger vor, er habe nach wie vor nur eine Duldung,
Kindergeld hätte er aber schon seit seinem ersten Antrag erhalten müssen. Er und seine Familie wohnten seit
15.08.1989 in der BRD.
Dem Antrag waren Nachweise über Schul- und Berufsausbildung beider Töchter beigelegt. Zum Status des Klägers
teilte das Landratsamt E. der Beklagten mit, dass der Aufenthalt des Klägers derzeit vom 01.05. bis 30.11.1993
geduldet sei und von aufenthaltsbeendigenden Maßnahmen nach der derzeit geltenden Rechts- und Erlasslage bis auf
Weiteres nicht abgesehen werde.
Mit Bescheid vom 28.10.1993 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.12.1993 wurde der Antrag "vom
09.08.1993" (nur) auf Kindergeld abgelehnt.
Im anschließenden Verfahren vor dem Sozialgericht München (S 6 KG 209/93), in dem der Kläger ab Juli 1995 von
einem bevollmächtigten Rechtsanwalt vertreten gewesen ist, begehrte der Kläger (nur) die Verurteilung der Beklagten
zur Zahlung des Kindergelds mit Rückwirkung, wobei er einen genauen Zeitpunkt für den Leistungsbeginn nicht nannte
und auch vom Anwalt kein Sachantrag mehr gestellt worden ist; allerdings führte der Kläger an, dass er und seine
Familie in der BRD seit 15.08.1989 wohnten und "die Duldung bis 17.02.1995" noch gelte und damit eben nicht mehr
als befristet behandelt werden könne (Schriftsatz vom 20.09.1994). Später legte er dem Sozialgericht das
rechtskräftige Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 19.04.1995 - 5 B 94.4158 vor, durch das erstmals
festgestellt wurde, dass der Kläger Deutscher im Sinne von Art.116 Abs.1, 2. Alternative des Grundgesetzes
(Umsiedler, deutscher Volkszugehöriger) sei.
Daraufhin übersandte die Beklagte dem Kläger persönlich mit Schreiben vom 10.08.1995 Formblätter und bat, um
über den Anspruch auf Kindergeld und Kindergeldzuschlag ab August 1989 sachgerecht entscheiden zu können, um
Vorlage eines Kindergeldantrags, einer Haushaltsbescheinigung, der Anträge auf Kindergeldzuschlag für die Jahre
1990 bis 1993 und um Nachweise für die Schul- und Berufsausbildung der Kinder für die Zeit ab Vollendung des 16.
Lebensjahres.
An das Sozialgericht erging der Schriftsatz der Beklagten vom 14.08.1995 mit folgendem Inhalt:"Aufgrund des
ergangenen Urteils des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes vom 19.04.1995 liegen nun die
Anspruchsvoraussetzungen auf Kindergeld dem Grunde nach vor, weil der Kläger als Deutscher/Vertriebener
anerkannt wurde. Der Kläger wurde mit Scheiben vom 10.08.1995 der Kindergeldkasse des Arbeitsamtes Ingolstadt
aufgefordert, noch verschiedene Unterlagen zur Bearbeitung des Kindergeldanspruches vorzulegen. Nach Vorlage
dieser Unterlagen wird unverzüglich über den Kindergeldanspruch entschieden und die Nachzahlung des Kindergeldes
veranlasst.
Da der Kläger nunmehr klaglos gestellt ist, wird empfohlen, den Bevollmächtigten zur Rücknahme der Klage zu
veranlassen. Die Kosten dieses Rechtsstreits werden dem Grunde nach übernommen."
Der Anwalt des Klägers nahm am 08.09.1995 "aufgrund der Zusage des Arbeitsamts Ingolstadt vom 14.08.1995" die
Klage zurück (Schriftsatz vom 07.09.1995).
Nachdem der Kläger die von der Beklagten übersandten Unterlagen ausgefüllt und mit Belegen zurückgegeben hatte,
hob die Beklagte mit zwei Bescheiden vom 27.11.1995 die Bescheide vom 09.01.1990, 27.08.1990, 20.02.1992 und
28.10.1993 teilweise auf. Sie gewährte Kindergeld für I. von Januar 1991 bis einschließlich Juli 1992 und lehnte die
Gewährung ab August 1992 ab, weil das Kind die Schulausbildung an der Berufsfachschule für Kinderpflege beendet
habe. Für V. wurde Kindergeld vom Januar 1991 bis einschließlich April 1993 bewilligt und die Weiterzahlung darüber
hinaus abgelehnt, weil das Kind zu diesem Zeitpunkt das 16. Lebensjahr vollendet habe und keine weiteren
Unterlagen über eine Ausbildung vorgelegt worden seien. Die Gewährung des Kindergelds für die Jahre 1989/1990
lehnte die Beklagte ab, weil bei Rücknahme eines Verwaltungsakts mit Wirkung für die Vergangenheit nachträglich
Sozialleistungen längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht würden (§ 44 des
Sozialgesetzbuches Teil X - SGB X). Dabei werde der Zeitpunkt der Rücknahme von dem Beginn des Jahres an
gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen werde.
Den Kindergeldzuschlag bewilligte die Beklagte für die Jahre 1991 und 1992 und teilte mit, dass über die Jahre 1993
und 1994 erst später entschieden werden könne. Die Nachzahlung des Kindergeldszuschlags für die Zeit von Oktober
1989 bis November 1990 (gemeint wohl Dezember 1990) komme wegen der vier-Jahres-Frist des § 44 SGB X nicht in
Betracht.
Mit dem hiergegen am 27.12.1995 eingelegten Widerspruch vom 21.12.1995 machte der Kläger geltend, "Kindergeld"
sei ab 15.08.1989 mit 20 % Zinsen und einem hundertprozentigen Aufschlag wegen Inflationsausgleichs zu zahlen,
schließlich hätten sich auch die Benzinpreise von 1989 bis heute verdoppelt. Für V. sei außerdem das Kindergeld bis
zum 01.01.1994 zu zahlen, weil sie in Berufsausbildung gestanden und kein eigenes Einkommen gehabt habe.
Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 06.02.1996 zurückgewiesen, weil die Ausgangsbescheide
vom 27.11.1995 hinsichtlich des Kindergelds und des Kindergeldzuschlags nicht zu beanstanden seien. Für V. ergebe
sich kein Kindergeldanspruch über April 1993 hinaus, weil jene sich nach zwischenzeitlich angestellten Ermittlungen
in Ausbildung befunden, aber ein über 750,- DM monatlich liegendes Einkommen aus Ausbildungsverhältnis erzielt
habe. Die Nachzahlung des Kindergelds für den Zeitraum von 1989 bis Dezember 1990 sei wegen der Frist des § 44
Abs.4 SGG X nicht möglich, weil die in den Jahren von 1990 bis 1993 ergangenen ablehnenden Bescheide
bestandskräftig geworden seien. Dasselbe gelte für den Kindergeldzuschlag. Der Widerspruchsbescheid wurde dem
Kläger laut Postzustellungsurkunde am 07.02.1996 zugestellt.
Mit Verfügung vom 15.02.1996 bewilligte die Beklagte noch Kindergeld für I. für die Zeit ab September 1995 wegen
Berufsausbildung.
Am 11.03.1996 erhob der Rechtsanwalt des Klägers beim Sozialgericht Regensburg Klage gegen die Bescheide vom
27.11.1995 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.02.1996 und stellte zugleich einen Antrag auf
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand; er habe innerhalb von 13 1/2 Jahren noch nie eine Rechtsbehelfsfrist
versäumt. Vor kurzem sei jedoch in seiner Kanzlei der neue Deckenputz, unter anderem auf Akten und Maschinen,
heruntergefallen, so dass mehrere Tage lang ein ordnungsgemäßer Betrieb nicht möglich gewesen und daher der vom
Kläger übersandte Widerspruchsbescheid zu spät aufgefallen sei. Im Mai 1996 teilte der Anwalt noch mit, dass er
versucht habe, in die Angelegenheit des Klägers Ordnung zu bringen und den Streitgegenstand näher abzuklären. Der
Kläger habe ihm jedoch jetzt die Vollmacht entzogen, so dass er nicht mehr tätig sein könne.
In der Folgezeit übersandte der Kläger dem Sozialgericht mehrmals Bündel ungeordneter Unterlagen aus vielerlei
Verfahren bei Behörden und Gerichten. Hieraus geht u.a. hervor, dass er sich auf den Ausweis über die Rechtstellung
als Deutscher beruft, der seit 23.05.1949 Geltung habe, so dass er auch während seines Aufenthalts ab 15.08.1989 in
der BRD als solcher zu behandeln sei.
Während des Klageverfahrens erteilte die Beklagte den Bescheid vom 26.01.1998, mit dem sie die mit Bescheiden
vom 27.11.1995 gewährten Leistungen (Kindergeld und Kindergeldzuschlag) für die Zeit ab 01.01.1991 mit 4 %
verzinste (173,- DM.) Aus zwei Schriftsätzen vom 02.02.1998 und 14.07.1998 ist ersichtlich, dass der Kläger die
Bewilligung von Kindergeld und Kindergeldzuschlag ab 01.01.1991 sowie die Verzinsung wahrgenommen hatte und,
wenn auch unter Angabe verschiedener Aktenzeichen (aber nicht dem des laufenden Klageverfahrens), Kindergeld
und Kindergeldzuschlag für die Zeit von Oktober 1989 bis Dezember 1990 nebst "gesetzlichen Zinsen" begehrte.
Hierzu berief er sich auf seine früheren Kindergeldanträge, Widersprüche und Klagen, so dass die Frist des § 44
Abs.4 SGB X nicht anwendbar sei, allenfalls die Verjährungsfrist des § 45 des Sozialgesetzbuches Teil I (SGB I) zu
laufen begonnen habe, aber der Fristlauf im Jahre 1993 durch Klageerhebung gehemmt worden sei. In einem weiteren
Schriftsatz vom 28.11.2000 betonte der Kläger nochmals, dass er Deutscher gewesen sei, was von Anfang an seit
1989 berücksichtigt werden hätte müssen. Jeder Deutsche müsse das Kindergeld erhalten. Selbstverständlich seien
auch Zinsen zu zahlen.
In der mündlichen Verhandlung am 06.12.2000, zu der der Kläger nicht erschienen ist, hat der Vorsitzende darauf
hingewiesen, dass ein konkreter Klageantrag, der in sich verständlich und schlüssig sei, bisher nicht gestellt worden
sei; offenbar käme es dem Kläger auf die Bewilligung des Kindergelds für den Zeitraum von August 1989 bis
einschließlich Dezember 1990 an.
Mit Urteil vom 06.12.2000 wurde die Klage abgewiesen, wobei auch die Kammer davon ausging, das das Begehren
des Klägers lediglich das Kindergeld vom 01.08.1989 bis 31.12.1990 betreffe. Das Sozialgericht sah die Klage als
zulässig an und hielt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht für notwendig, weil sich der Nachweis für die
Zustellung des Widerspruchsbescheids vom 06.02.1996 nicht in der Kindergeldakte der Beklagten befände. Auch die
Prozessfähigkeit des Klägers könne, u.a. auf der Grundlage eines in einem Strafverfahren eingeholten
psychiatrischen Gutachtens, nicht verneint werden. Die Klage sei allerdings nicht begründet. Bei einem
Überprüfungsantrag vom 14.08.1995 gemäß § 45 SGB X (Anmerkung des Senats: gemeint § 44 SGB X) sei bei einer
Rücknahme für die Vergangenheit allenfalls die Gewährung von Sozialleistungen für einen Zeitraum von bis zu vier
Jahren vor dem Jahr des Antrags (bzw. der Rücknahme) möglich, d.h. erst ab 01.01.1991.
Mit dem Rechtsmittel der Berufung begehrt der Kläger sinngemäß die Bewilligung des Kindergelds und des
Kindergeldzuschlags bereits ab dem Zeitpunkt seiner Einreise in die BRD, weil er seit Geburt und damit auch bereits
bei Einreise Deutscher gewesen sei, so dass es auf die damaligen Duldungen wegen Antrags auf Asylrecht und
Ausstellung eines Vertriebenenausweises nicht ankomme und die Leistungen nicht wegen der wiederholten Duldungen
abgelehnt werden hätten dürfen. Die Leistungen seien zu verzinsen; im Vergleich zu den Zinsen bis 65 %, die er bei
Krediten hätte zahlen müssen, seien 20 % angemessen. Außerdem müsse die Beklagte einen Inflationsausgleich
bezahlen, denn der Geldwert sei seit 1989 gefallen.
Der Senat hat neben der aktuellen Klageakte des Sozialgerichts Regensburg (S 7/12 KG 13/96) die abgeschlossenen
Klageakten des Sozialgerichts Regensburg (S 7 Kg 48/95, 6/96, 27/96 und 28/96), des Sozialgerichts München (S 6
KG 209/93, 41/96 und 165/96) und des Bayerischen Landessozialgerichts (L 14 B 28/95 Kg) beigezogen und dann die
Beklagte darauf aufmerksam gemacht, dass mit deren Schriftsatz vom 14.08.1995 der Kläger im damaligen
Rechtsstreit vor dem Sozialgericht München S 6 Kg 209/93 zur Klagerücknahme veranlasst worden sei, weil er
klaglos gestellt werden sollte. In diesem Schreiben liege ein Anerkenntnis des Klageanspruchs dem Grunde nach und
auch eine Zusicherung, so dass für die Frist des § 44 Abs.4 SGB X kein Raum sei. Die Beklagte vertritt die
Auffassung, in dem genannten Klageverfahren sei das klägerische Begehren auf Gewährung des Kindergelds bereits
seit 1989 nicht ersichtlich, schon deswegen könne die Ankündigung einer Abhilfe vom 14.08.1995 nicht den Zeitraum
ab 1989 umfassen. Aber auch wenn das Klagebegehren so weitreichend gewesen sein sollte, könne nicht davon
ausgegangen werden, dass sich die Beklagte bei der Leistungsgewährung über jede formelle Voraussetzung habe
hinwegsetzen wollen. Dafür spreche auch die Anfrage an den Kläger vom 10.08.1995, in der - wohl aufgrund eines
Rechenfehlers - Unterlagen zurück (nur) bis 1990 angefordert worden seien.
Ein materiell-rechtlicher Anspruch möge dem Grunde nach, also nach den materiell-rechtlichen
Anspruchsvoraussetzungen seit 1989 gegeben sein, eine andere Frage sei es jedoch, ob er nach den formellen
Vorschriften verwirklicht werden könnte. Der Verwirklichung stünden für die Zeit vor Februar 1993 bindende Bescheide
aus den Jahren 1990 und 1992 entgegen. Der erneute Antrag vom 09.08.1993 hätte nach § 9 Abs.2 BKGG a.F. nur
bis Februar 1993 zurückwirken können. Obwohl der Kläger nie einen ausdrücklichen Antrag auf Überprüfung der
bindenden Bescheide nach § 44 SGB X gestellt gehabt habe, sei zu seinen Gunsten ein solcher Antrag in den
Kindergeldantrag vom 14.08.1995 hinein interpretiert und Kindergeld rückwirkend ab Januar 1991 gewährt worden.
Eine Auslegung des Schreibens vom 14.08.1995 als Anerkenntnis oder gar Zusicherung eines Kindergeldanspruchs
ab 1989 könne deswegen nicht vorgenommen werden. Als weiterer Grund komme hinzu, dass sich die Beklagte in
diesem Schreiben gerade nicht zeitlich oder der Höhe nach festgelegt habe.
Der Kläger beantragt (sinngemäß), unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Regensburg vom 06.12.2000 und
Abänderung der Bescheide vom 27.11.1995 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.02.1996 sowie des
Bescheids vom 26.01.1998 die Beklagte zu verurteilen, Kindergeld und Kindergeldzuschläge für zwei Kinder nebst
Zinsen von 20 % und Inflationsausgleich für den Zeitraum vom 15.08.1989 bis 31.12.1990 zu zahlen, weiterhin höhere
Zinsen und Inflationsausgleich für die vom 01.01.1991 bis 30.04. 1993 von der Beklagten bereits gewährten
Leistungen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen und die Klagen auf Kindergeld- zuschlag, höhere Verzinsung
und Inflationsausgleich abzuweisen.
Dem Senat lagen zur Entscheidung die Prozessakten beider Rechtszüge sowie die oben genannten beigezogenen
Akten vor. Zur Ergänzung des Tatbestandes im Einzelnen, insbesondere hinsichtlich des Vortrags des Klägers, wird
hierauf Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143 ff., 151 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -),
jedoch in der Hauptsache nur teilweise begründet.
1) Vorliegend ist nicht von der vollständigen Unbegründetheit der Berufung deswegen auszugehen, weil die Klage -
entgegen der Ansicht des Sozialgerichts - verfristet und damit (vorerst) unzulässig gewesen ist. Der ablehnende
Widerspruchsbescheid vom 06.02.1996 ist laut Postzustellungsurkunde in der Kindergeldakte der Beklagten (Bl.169)
dem Kläger am 07.02.1996 zugestellt worden. Die Frist zur Einlegung der Klage von einem Monat begann mit dem
08.02.1996 und lief mit dem 07.03.1996 ab; die Klage ging beim Sozialgericht Regensburg erst am 11.03.1996 und
damit verspätet ein.
Dem Kläger war jedoch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil sein damaliger Bevollmächtigter
glaubhaft dargelegt hat, dass die Frist ohne Verschulden um einige Tage versäumt worden ist (§ 67 Abs.1 SGG).
2) Die Berufung ist insoweit begründet, als die Beklagte gemäß § 44 Abs.1 SGB X verpflichtet ist, die Bescheide vom
09.01.1990 27.08.1990 und 20.02.1992 sowie den Bescheid vom 28.10.1993 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 07.12.1993 auch insoweit zurückzunehmen, als die Bewilligung des Kindergelds für zwei Kinder im Zeitraum vom
15.08.1989 bis 31.12.1990 abgelehnt worden ist, und das Kindergeld nachzuzahlen.
Die genannten Bescheide waren - wenn auch bei Erlass für die Beklagte nicht offensichtlich - (anfänglich)
rechtswidrig, weil der Kläger Deutscher im Sinne des Artikel 116 GG ist, der zur Wohnsitznahme in der BRD (auf
Dauer) berechtigt ist sowie auch einen gewöhnlichen, d.h. nicht nur vorübergehenden Aufenthalt in der BRD begründen
kann. Die Eigenschaft als Deutscher wurde zwar erst im Jahre 1995 festgestellt, dies geschah aber nur mit
deklaratorischer und nicht mit konstitutiver Wirkung.
§ 44 Abs.4 SGB X schließt einen Anspruch des Klägers auf Kindergeld für die Jahre 1989/90 nicht aus. Ist ein
Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen und sind vorenthaltene Sozialleistungen
nachträglich zu erbringen, darf dies nur für vier Jahre vor dem Jahr erfolgen, in dem der Rücknahmebescheid
ergangen ist oder in dem der Betroffene einen Antrag gestellt hat. Vorliegend ist nicht, wie es die Beklagte und das
Sozialgericht getan haben, auf das Datum des Rücknahmebescheids vom 27.11.1995 bzw. den während des
Klageverfahrens S 6 Kg 209/93 von der Beklagten veranlassten Kindergeldantrag vom 14.08.1995 abzustellen; es
handelt sich hier nicht um einen Antrag, sondern ein Antragsformblatt, das der Kläger nur ausgefüllt hatte, weil die
Beklagte nunmehr rückwirkend Leistungen erbringen wollte und deswegen ergänzende Angaben benötigte.
Maßgebend sind vielmehr die bei der Beklagten am 28.07., 10.08. und 17.08.1993 eingegangenen Schreiben des
Klägers vom 26.07., 09.08. und 13.08.1993 sowie der Formblattantrag vom 09.08.1993. Mit diesen formlosen und
formgerechten Anträgen hat der Kläger eindeutig die Nachzahlung des Kindergelds "für vergangene Jahre" gefordert,
weil er Vertriebener sei, und darauf hingewiesen, dass ihm bereits auf seinen ersten im Jahre 1989 gestellten
Kindergeldantrag hin Kindergeld zugestanden hätte. Damit wurde eindeutig das Kindergeld ab Zuzug in die BRD am
15.08. 1989 gefordert und die bisherige Verfahrensweise der Beklagten als unrichtig hingestellt, mithin ein Antrag
gemäß § 44 SGB X gestellt. Ausgehend von einem Überprüfungsantrag aus dem Jahre 1993 wären Leistungen nur bis
zum 31.12.1988 ausgeschlossen und sind ab 01.01.1989 möglich.
Die Beklagte kann sich aus zwei Gründen nicht darauf berufen, dass der im Sommer 1993 gestellte
Überprüfungsantrag "verbraucht" gewesen ist, als der ablehnende Bescheid vom 28.10. 1993 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 07.12. 1993 mit Erklärung der Klagerücknahme am 08.09.1995 im Prozess S 6 Kg
209/93 bindend geworden ist.
Zum einen liegt im Schriftsatz der Beklagten vom 14.08.1995 (S 6 Kg 209/93) die bindende Zusicherung, Kindergeld
rückwirkend zu gewähren, wenn und solange beim Kläger zu "berücksichtigende" Kinder vorlägen, wobei insbesondere
für die Zeit nach dem 16. Lebensjahr, ab 27.04.1990 bei I. und ab 15.04. 1993 bei V. , die Unterlagen über die Schul-
oder Berufsausbildung nicht vollständig erschienen. Gerade weil die Beklagte auch die Kindergeldbewilligung
hinsichtlich I. angesprochen hat, war im Prozess ersichtlich, dass keine Begrenzung der Leistungen ab 01.01.1991
vorgesehen waren.
Die Beklagte meint zwar, dass diese Begrenzung damals beabsichtigt gewesen sei, weil in ihrem Schreiben vom
10.08.1995 unmittelbar an den Kläger nur (ein Kindergeldantrag und) die Formblätter für die Kindergeldzuschläge 1990
bis 1993 übersandt worden seien, wobei vermutlich ein Fehler bei der Berechnung der Vierjahresfrist unterlaufen sei
und nur die Formblätter von 1991 bis 1993 angefordert hätten werden sollen. Die Beklagte übersieht jedoch, dass das
Formblatt für den Kindergeldzuschlag 1989 bereits vom Kläger mit Erstantrag eingereicht worden ist und der
Sachbearbeiter dies gesehen hat, ihm also kein Versehen unterlaufen ist, sondern er insoweit besonders sorgfältig
war. Im Übrigen ergibt sich aus dem späteren und allein maßgebenden Schriftsatz der Beklagten vom 14.08.1995 im
Prozess keinerlei zeitliche Beschränkung des materiell-rechtlichen Kindergeldanspruchs durch Ausschluss,
Verjährung oder sonstige Tatbestände; auch war noch im August 1995 der im Jahre 1993 gestellte Antrag gemäß § 44
SGB X mangels Bindungswirkung des ablehnenden Bescheids vom 28.10.1993, der sich auf die Zeit ab 15.08.1989
bezog, nicht verbraucht; die Rücknahme der Klage gegen den Bescheid vom 28.10.1993 erfolgte ja erst im September
1995.
Überdies hatte die Beklagte den Kläger klaglos stellen wollen, d.h. beabsichtigte, dem klägerischen Begehren in
vollem Umfang abzuhelfen. Das Klagebegehren bezog sich auf einen Kindergeldanspruch bereits ab 15.08.1989. Dies
geht zwar nicht aus den im Verfahren S 6 Kg 209/93 gefertigten Schriftsätzen des Klägers ausdrücklich hervor. Jener
hatte darin nur kundgetan, dass er auch für die Vergangenheit das Kindergeld begehre, und hat in der Begründung
seine Einreise in die BRD am 15.08.1989 erwähnt. Bereits damit war aber der Klageanspruch eindeutig und auch für
die Beklagte offensichtlich auf Leistungsansprüche ab 15.08. 1989 ausgerichtet. Dies ergibt sich nicht erst durch
Auslegung in dem Sinne, dass im Zweifelsfall das weitestgehende Klagebegehren (Leistungen "zum frühestmöglichen
Zeitpunkt" bzw. "in größtmöglichem Umfang") anzunehmen ist. Vielmehr wurde die Klage gegen den Bescheid vom
28.10.1993 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.12.1993 erhoben, in dem ein Antrag gemäß § 44 SGB X
hinsichtlich Leistungen ab dem Jahre 1989 abgelehnt worden ist. Soweit war der Kläger beschwert, und die Klage
richtete sich mangels ausdrücklicher Einschränkung gegen die beschwerenden Verwaltungsakte in vollem Umfang;
auch die "Klaglosstellung" kann sich nur auf eine vollständige Abhilfe beziehen.
Der Umfang der Zusicherung der Beklagten vom 14.08.1995 (rückwirkend ab 15.08.1989) war damit eindeutig
bestimmt und stand der erst künftig möglichen Anwendung der Frist des § 44 Abs.4 SGB X, nämlich falls der Kläger
aufgrund der Zusicherung die Klage zurücknehmen sollte, entgegen.
In einem ähnlichen Fall eines Asylbewerbers, dem die Beklagte in einem ablehnenden Bescheid den "Hinweis"
geschlossen gegeben hat, bei Zuerkennung des Asylrechts könnte bei Antrag binnen sechs Monaten nach
Zuerkennung rückwirkend Leistungen gewährt werden, hat das BSG im Urteil vom 08.12.1993 - 10 RKg 19/92 -
entschieden, dass hierin eine die Berufung der Beklagten auf Verjährung hindernde Zusicherung im Sinne von § 34
SGB X liege. Die Hinweise hätten für den Kläger erhebliche Bedeutung gehabt und seine Disposition maßgeblich
beeinflussen können. Dies habe auch der Zielrichtung der Beklagten entsprochen, den Kläger von der Einlegung eines
Rechtsbehelfs und der Stellung weiterer aus der Sicht der Beklagten zweckloser Anträge abzuhalten.
Eine ähnliche Lage ist im jetzigen Rechtsstreit gegeben. Die abgegebene Zusicherung war nur vom Inhalt her
wesentlich deutlicher formuliert und zielte darauf ab, dass der Kläger bis zur näheren Überprüfung der Angelegenheit
und bis zur Erteilung der Abhilfebescheide oder sogar darüber hinaus nicht weiter prozessieren, sondern die
Angelegenheit von vornherein entgültig geregelt und bereinigt werden sollte.
Im Übrigen ist der Einwand des § 44 Abs.4 SGB X auch wegen arglistigen Verhaltens ausgeschlossen. Als die
Beklagte ihre Zusicherung mit Schriftsatz vom 14.08.1995 abgab, war § 44 Abs.4 SGB X zu diesem Zeitpunkt nicht
anzuwenden, weil der im Sommer 1993 gemäß § 44 SGB X gestellte und Leistungen ab 1989 ermöglichende
Überprüfungsantrag noch "offen" gewesen ist und die ablehnenden Bescheide noch streitgegenständlich gewesen
sind. Eine ordnungsgemäße Klaglosstellung hätte beinhaltet, dass die Beklagte einen abhelfenden Bescheid
(Kindergeldbewilligung ab 15.08.1989) erteilen hätte können und müssen, und der Kläger erst anschließend die Klage -
weil erst bei Ergehen des Abhilfebescheids Klaglosstellung eintritt und eine Beschwer nicht mehr besteht -
zurückgenommen hätte. Dadurch, dass die Beklagte sinngemäß in vollem Umfang die (künftige) Klaglosstellung für
die Zeit ab August 1989 versprach und gleichzeitig den Kläger dadurch zur Klagerücknahme veranlasste, ist erst der
Fall eingetreten, dass bei nunmehr bindend gewordenen Bescheiden erstmals § 44 Abs.4 SGB X Leistungen für die
Jahre 1989 und 1990 ausschließen könnte. Wenn sich die Beklagte nunmehr auf die Klagerücknahme beruft und die
zugesicherten Leistungen teilweise nicht mehr erbringt, handelt sie gegen ihr früheres Verhalten (venire contra factum
proprium) und auch arglistig. Nur nebenbei wäre noch anzuführen, dass in einem solchen Fall dem Kläger auch ein
sozialrechtlicher Herstellungsanspruch zustehen würde, der zwingend zur Gewährung des Kindergelds von August
1989 bis Dezember 1990 führen müsste.
Der Senat konnte die Beklagte zur Leistung des Kindergelds verurteilen, weil jener kein Ermessen mehr zustand, ob
und inwieweit Leistungen rückwirkend zu erbringen sind. Ihr Ermessen (§ 44 SGB X, § 20 Abs.5 BKGG a.F.) war auf
Null geschrumpft. Abgesehen davon, dass laut damaliger Verwaltungspraxis und ehemaligen Dienstanweisungen die
aufgrund einer unrichtigen Rechtshandhabung nicht erbrachten Leistungen nachträglich - im Rahmen des § 44 Abs.4
SGB X - ohne Einschränkung gezahlt und nicht durch Ausübung eines Ermessens zeitlich eingeschränkt werden
sollen (Selbstbindung der Verwaltung), hatte die Beklagte in ihrer verbindlichen Zusage vom 14.08.1995 diesbezüglich
auch keine Einschränkungen vorgesehen.
3) Dem Kläger stehen jedoch Ansprüche auf Kindergeldzuschläge für die Jahre 1989 und 1990 nicht zu, insoweit sind
Leistungen gemäß § 44 Abs.4 SGB X ausgeschlossen.
Im Gegensatz zu drei früheren Verwaltungsverfahren, in denen der Kläger die Bewilligung des Kindergelds und des
Kindergeldzuschlags beantragt und diesbezügliche ablehnende Entscheidungen der Beklagten erhalten hat, hatte er
im Sommer 1993 nur die Gewährung des Kindergelds beantragt. Die Beklagte hat mit Bescheid vom 28.10.1993 in
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.12.1993 auch nur das Kindergeld abgelehnt. Streitgegenständlich im
sozialgerichtlichen Verfahren S 6 Kg 209/93 war ebenfalls lediglich das Kindergeld. Ebenso ist in der verbindlichen
Zusage der Beklagten vom 14.08.1995 nur das Kindergeld angeführt. Damit sind bei einem erneuten Begehren der
Kindergeldzuschläge im Jahre 1995 Leistungen bis 31.12.1990 kraft Gesetzes ausgeschlossen.
Allein in der im August veranlassten Übersendung von Formblattanträgen für die Jahre 1990 bis 1993 für den
Kindergeldzuschlag, die außerhalb des Prozesses unmittelbar an den Kläger erfolgte, liegt keine Zusicherung,
Leistungen auch für die Jahre 1989 und 1990 zu erbringen.
Beim Kindergeldzuschlag handelt es sich um einen auf jeweils ein Kalenderjahr begrenzten Anspruch, der gesondert
vom Kindergeld für jedes einzelne Kalenderjahr zu beantragen ist (§ 11a Abs.7 BKGG a.F.). Der Kläger hat im Jahre
1993 bei der Beklagten und dem Sozialgericht München Kindergeldzuschläge nicht nachträglich für die Jahre ab 1989
geltend gemacht.
Insoweit kann auch nicht der nicht vorgebrachte, aber mögliche Einwand des Klägers weiter helfen, er habe um die
Notwendigkeit gesonderter Anträge nicht gewusst und geglaubt, dass mit dem Kindergeld auch der
Kindergeldzuschlag beantragt sei. Erhebliche Zweifel daran würden sich bereits daraus ergeben, dass der Kläger von
1990 bis 1992 wiederholt Kindergeld und Kindergeldzuschlag geltend gemacht und diesbezüglich auch gesondert
Formblätter ausgefüllt hat. Im Übrigen war er im Klageverfahren S 6 KG 209/93 anwaltlich vertreten, so dass es auf
die Kenntnis seines sach- und fachkundigen Anwalts ankommt, der im Übrigen auch ohne Weiteres erkennen musste,
dass im Prozess die Kindergeldzuschläge nicht streitgegenständlich waren und die verbindliche Zusage der Beklagten
sich lediglich auf das Kindergeld bezog.
Hinsichtlich der Frist des § 44 Abs.4 SGB X handelt es sich um eine Ausschlussfrist kraft Gesetzes, die nicht wie bei
der Verjährungsfrist (§ 45 SGB I) durch (zeitweises) Geltendmachen des Anspruchs gehemmt wird. Eine
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Ablauf der Ausschlussfrist ist nicht zulässig; abgesehen davon sieht der
Senat auch kein Hindernis, das den Kläger an der rechtzeitigen Geltendmachung des Kindergeldzuschlags
(spätestens im Jahr 1993 für das Jahr 1989 und im Jahr 1994 für das Jahr 1990) gehindert hätte. Es trifft zwar zu,
dass seine Vertriebeneneigenschaft lange Jahre umstritten gewesen und erst im Jahre 1995 geklärt und definitiv
festgestellt worden ist. Tatsächlich hat der Kläger aber bereits von 1989 bis 1992 Ansprüche auf Kindergeldzuschläge
geltend gemacht, diese aber nur nicht weiter verfolgt. Die diesbezüglichen ablehnenden Bescheide der Beklagten
sind, ggf. nach Einlegung und Rücknahme einer Klage, bindend geworden. Der Kläger hätte Rechtsbehelfe und
Rechtsmittel einlegen und im Übrigen bei der Beklagten und später beim Sozialgericht das Ruhen des Verfahrens bis
zur Abklärung der Vertriebeneneigenschaft beantragen können.
4) Der Zinsbescheid vom 26.01.1998, den die Beklagte dem Sozialgericht Regensburg im damaligen Rechtsstreit
nicht vorgelegt hatte, ist zum Gegenstand des damaligen sozialgerichtlichen Verfahrens geworden (§ 96 SGG). Ein
Begehren des Klägers auf Verzinsung - in erster Instanz aber nur auf "die gesetzlichen Zinsen" - ist ebenfalls
aktenkundig. Der Senat änderte daher in seinem Urteil den Bescheid vom 26.01.1998 dahingehend ab, das die
Beklagte die von Oktober 1989 bis Dezember 1990 zu erbringenden Kindergeldleistungen ab 01.06.1990 (Ablauf von
sechs Kalendermonaten nach Formblattantrag im November 1989) mit 4 % zu verzinsen hat (§ 44 Abs.1 und 2 SGB
I). Im Übrigen war die Klage gegen diesen Bescheid abzuweisen. Ein höherer Zinssatz, der im bürgerlichen Recht bei
entsprechenden Nachweisen als "Verzugsschaden" geltend gemacht werden kann, ist bei Sozialleistungen nicht
vorgesehen und unzulässig.
5) Einen "Inflationsausgleich" hatte der Kläger mit seinem Widerspruch vom 21.(27.)12.1996 noch im
Verwaltungsverfahren geltend gemacht, nicht dagegen im sozialgerichtlichen Verfahren erster Instanz, hingegen
wiederum im Berufungsverfahren. Sein Vortrag hierzu ist allgemeiner Art, und daher sowohl auf die von der Beklagten
bereits ab 01.01.1991 gewährten Leistungen als auch auf die nach Ansicht des Klägers noch zu gewährenden
Leistungen zu beziehen, wobei es hier nur noch um das nach- zustehende Kindergeld gehen kann.
Die erstmals in zweiter Instanz erhobene Klage wegen Inflationsausgleichs sah der Senat zwar als zulässig an (§ 99
Abs.3 Nr.2 SGG), weil es bei gleichem Klagegrund um eine Erweiterung der Hauptsache bzw. der Nebenforderung
ging. Zumindest aber erschien dem Senat, wenn dennoch eine Klageänderung im Sinne von § 99 Abs.1 SGG
vorliegen sollte, die Klageänderung sachdienlich. Hierüber konnte ohne weiteren Aufwand entschieden und damit der
gesamte Streitkomplex abgeschlossen werden, wohingegen sonst unter Berücksichtigung des bisherigen Verhaltens
des Klägers weitere Streitigkeiten zu befürchten waren.
Die Klage wegen Inflationsausgleich ist unbegründet, und zwar auch, soweit die Berufung des Klägers hinsichtlich des
Kindergeldbegehrens Erfolg hatte. Einen Wertausgleich bei verspätet gezahlten Sozialleistungen sieht das Gesetz
nicht vor; für den Ausgleich ist wie in anderen Rechtsgebieten nur die Verzinsung vorgesehen, wobei im Sozialrecht
die "Entschädigung für den Wertverlust" nicht vollkommen sein kann, weil die Verzinsung auf 4 % jährlich beschränkt
ist und damit die Geltendmachung eines nachgewiesenen konkreten höheren "Schadens" (höhere Verzugszinsen und
Verzugschaden bei Verschulden des Schuldners, vgl. §§ 285 ff. BGB) ausgeschlossen ist. Der Kläger kann nicht die
wertmäßige Berechnung der nachzuzahlenden Kindergeldleistungen entsprechend der Kaufkraft geltend machen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Hierbei wurde berücksichtigt, dass das Begehren des Klägers in
erster Instanz etwa zur Hälfte Erfolg hätte haben müssen, aber er mit seinem erweiterten Begehren in zweiter Instanz
zum größeren Teil unterlegen ist.
Anhaltspunkte für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.