Urteil des LSG Bayern vom 24.07.2008
LSG Bayern: degenerative veränderung, operation, mrt, stadt, rente, arbeitsunfähigkeit, arbeitsunfall, erlass, passiven, behandlungsbedürftigkeit
Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 24.07.2008 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Regensburg S 4 U 128/06
Bayerisches Landessozialgericht L 2 U 375/07
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 12. September 2007 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger am 03.09.2001 lediglich eine Prellverletzung der linken Schulter
erlitten hat oder ob die im Januar 2003 operierte Ruptur der Supraspinatussehne im ursächlichen Zusammenhang mit
dem Ereignis stand. Der 1950 geborene Kläger war seit November 1989 als Stadtarbeiter im Bauhof der Stadt A-Stadt
beschäftigt. Der Arbeitgeber zeigte am 12.10.2001 den Unfall des Klägers vom 03.09.2001 an. Der Kläger sei beim
Abbauen des Greifers eines Baggers über die Staplergabel gestolpert und mit der linken Schulter an den Tieflöffel
gestoßen. Der Durchgangsarzt Dr.G. fand bei der Untersuchung am 04.09.2001 äußerlich keinen Befund, jedoch eine
eingeschränkte aktive Beweglichkeit der linken Schulter. Der Impingementtest war positiv. Arbeitsunfähigkeit wurde
bis 16.09.2001 attestiert. Bei der Nachschau am 07.09.2001 stellte Dr.G. ein oberflächliches Hämatom am
Deltamuskel fest. Die aktive Beweglichkeit hatte sich verbessert. Einen für 10.09.2001 geplanten Arbeitsversuch
befürwortete Dr.G ... Am 26.01.2002 wandte sich der Kläger an den Beklagten, weil er noch immer stark
eingeschränkt sei. Er könne den linken Arm nur zu 50 % einsetzen; vor dem Unfall sei er beschwerdefrei gewesen.
Über eine Behandlung der linken Schulter am 20.09.2002 berichtete der Orthopäde R ... Als Diagnose nannte er ein
Schulter-Engpass-Syndrom links; Arbeitsunfähigkeit attestierte er bis 18.09.2002. Der Beklagte zog ein
Magnetresonanztomogramm (MRT) der linken Schulter vom 10.10.2002 bei. Darin wurden degenerative Veränderung
und eine Risslücke beschrieben. Das Klinikum N. berichtete über eine Behandlung am 25.11.2002, da die
Beschwerden wieder zugenommen hätten. Dort wurde am 14.01.2003 ein athroskopischer Eingriff an der linken
Schulter vorgenommen. Im Gutachten vom 09.10.2003 führte der Orthopäde Dr.H. aus, bei dem
streitgegenständlichen Unfall sei es nur zu einer Schulterprellung gekommen, die nach kurzer Zeit, etwa nach acht bis
zehn Tagen, ausgeheilt war. Die unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) liege unter 10 v.H. Er monierte
die schlechte Qualität der ihm vorliegenden Röntgenaufnahmen vom 04.09.2001 und 18.01.2002. Mit Bescheid vom
11.11.2003 erkannte der Beklagte als Unfallfolge lediglich eine Schulterprellung links bei Vorschädigung des
Schultergelenks an. Den dagegen erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom
19.05.2004 zurück. Die dagegen erhobene Klage (S 4 U 169/04) nahm der Kläger zurück. Ein Gutachten war in
diesem Verfahren nicht eingeholt worden. Wegen eines Unfalls vom 28.08.1991, bei dem sich der Kläger eine
Verletzung des rechten Knies zugezogen hatte, gewährt ihm der Beklagte mit Bescheid vom 09.09.1997 Rente nach
einer MdE um 20 v.H. Am 26.09.2005 beantragte der Kläger die Überprüfung nach § 44 des Zehnten Buches des
Sozialgesetzbuches (SGB X), insbesondere Überprüfung, ob eine sogenannte Stützrente zustehe. Der Beklagte zog
einen Bericht des Krankenhauses A. vom 16.09.2005 bei. Dort war am 14.09.2005 eine arthroskopische
Acromioplastik der linken Schulter durchgeführt worden. Weiter zog der Beklagte Befunde und ein Gutachten des
Orthopäden Dr.H. vom 10.09.2005 bei, das zu einem vom Kläger geltend gemachten Unfallgeschehen vom
15.03.2005 erstattet worden war. Dabei hatte sich der Kläger an der rechten Schulter eine Verletzung zugezogen. Der
Beklagte erkannte mit Bescheid vom 10.10.2005 lediglich eine schmerzhafte Stauchung der rechten Schulter an,
nicht jedoch ein vorbestehendes Engpasssyndrom der rechten Schulter mit verschleißbedingten
Aufbraucherscheinungen. Eine Rente wurde nicht gewährt. Der Beklagte holte eine Stellungnahme des Dr.B. ein.
Dieser kam am 04.01.2006 zum Ergebnis, es lägen keine neuen Gesichtspunkte bezüglich des
Verletzungsmechanismus und der Schädigung der linken Schulter vor. Nach wie vor sei ein ursächlicher
Zusammenhang zwischen der Ruptur der Supraspinatussehne und den späteren operativen Eingriffen im Jahre 2005
nicht herzustellen. Mit Bescheid vom 13.03.2006 lehnte der Beklagte im Rahmen einer Überprüfung nach § 44 SGB X
eine Neufeststellung ab. Es bestehe kein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Ruptur der Supraspinatussehne
und dem Unfall vom 03.09.2001. Eine MdE von wenigstens 10 v.H. sei nicht zurückgeblieben. Stützrente könne
weder in Verbindung mit dem Unfall von 1991 noch mit dem Unfall vom 15.03.2005 gewährt werden. Der dagegen
erhobene Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 12.05.2006). Dagegen erhob der Kläger beim
Sozialgericht Regensburg Klage mit dem Antrag, den Beklagten unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide zur
Zahlung einer Rente nach einer MdE in Höhe von 30 v.H. zu verurteilen. Das Sozialgericht zog die vorhandenen
Röntgenaufnahmen und MRT-Bilder bei und beauftragte Prof.Dr.B., Schreiberklinik C-Stadt, mit der Erstattung eines
Gutachtens. In seinem Gutachten vom 27.09.2006 kam der Sachverständige zum Ergebnis, der alters- und
anlagebedingte degenerative und artikulär-ossäre Vorschaden im linken Schultergelenk mit schmerzhaftem
Impingementsyndrom sei durch die direkte Traumaeinwirkung am 03.09.2001 richtungweisend auf Dauer
verschlimmert worden. Verletzungsbedingt sei eine Behinderung der Innen- und Außenrotation sowie der Ab- und
Adduktionsbewegung entstanden. Ob der bei der späteren Operation im September 2005 gefundene Massendefekt auf
bereits vorhandene degenerative Veränderungen zurückzuführen sei, oder ob auch iatrogene Komponenten infrage
kämen, lasse sich im Nachhinein nicht mehr sicher beurteilen. Den unfallbedingten zusätzlichen Gelenkschaden im
linken Schulterbereich und linken Schultergelenk schätze er auf 10 v.H. ab der 27. Woche und ab 01.10.2006 auf 15
v.H. bis auf Weiteres. Der Beklagte bezog sich auf Stellungnahmen des Beratungsarztes Dr.B. vom 22.02.2007 und
04.05.2007. Man könne sich den Schlussfolgerungen des Prof.Dr.B. nicht anschließen. Die anlässlich der Operation
am 14.09.2005 beschriebenen ausgeprägten degenerativen Veränderungen ließen keine Rückschlüsse auf ein
Verletzungssubstrat zu. Auch der Operationsbericht vom 14.01.2003 bestätige eine Vorschädigung. Das im
Nachschaubericht vom 07.09.2001 erwähnte oberflächliche Hämatom beweise keine nachhaltige Verletzung der tiefen
Schulterstrukturen. Des Weiteren belege auch das MRT vom 10.10.2002 nur degenerative Veränderungen. Mit Urteil
vom 12.09.2007 wies das Sozialgericht die Klage ab. Es trat der Auffassung des Dr.B. bei und hielt das Gutachten
des Prof.Dr.B. nicht für überzeugend. Eine Verpflichtung des Beklagten zur Neufeststellung der Folgen des Unfalls
vom 03.09.2001 habe nicht bestanden. Dagegen hat der Kläger Berufung eingelegt und sich im Wesentlichen auf die
Beurteilung des Prof.Dr.B. gestützt. Die Stellungnahmen des Dr.B. seien nur nach Aktenlage abgegeben und darüber
hinaus parteigebunden. Hierauf hätte das Sozialgericht seine Entscheidung nicht stützen dürfen. Der Senat hat die
Röntgenaufnahmen beigezogen und Dr.F., Orthopäde in C-Stadt, mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. Am
04.02.2008 führte der Sachverständige aus, allein die vom Kläger geschilderte direkte Krafteinwirkung in Form einer
Prellung beschreibe einen Unfallhergang, der nach der wissenschaftlichen Lehrmeinung nicht geeignet ist, die
Rotatorenmanschette zu verletzen. Die Beurteilung werde durch schlechte Qualität der angefertigten
Röntgenaufnahmen erschwert. Insgesamt könne unter Würdigung der Erstbefunde, des Unfallhergangs und der
eindeutig diagnostizierten degenerativen Veränderung ein Zusammenhang zwischen dem Ereignis vom 03.09.2001
und der am 14.01.2003 operierten linken Schulter mit den verbliebenen Defiziten nicht begründet werden. Das
Gutachten des Prof.Dr.B. stehe nicht in Übereinstimmung mit den Richtlinien der wissenschaftlichen Lehrmeinung.
Der Kläger hat hierzu erwidert, die Feststellungen des Dr.F. seien ihm völlig unverständlich. Der Kläger beantragt, den
Beklagten unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Regensburg vom 12.09.2007 und des Bescheids vom
13.03.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.05.2006 zu verurteilen, den Bescheid vom 11.11.2003
zurückzunehmen und ihm Rente nach einer MdE um mindestens 20 v.H. wegen der Folgen des Unfalls vom
03.09.2001 zu gewähren. Der Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts
Regensburg vom12.09.2007 zurückzuweisen. Im Übrigen wird gemäß § 136 Abs.2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf
den Inhalt der beigezogenen Akten des Beklagten sowie des Sozialgerichts zu den Aktenzeichen S 4 U 128/06 und S
4 U 40/06 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 143, 151 SGG), aber unbegründet. Nach § 44 SGB X kann die Wirkung
eines bindenden Bescheides beseitigt werden, wenn sich erweist, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht
unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und soweit
deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Eine solche Neufeststellung würde voraussetzen,
dass sich der Bescheid vom 11.11.2003, mit dem der Beklagte Leistungen wegen der Folgen des Unfalls vom
03.09.2001 auf Dauer abgelehnt hatte, rechtswidrig ist. Mit diesem Bescheid erkannte der Beklagte zwar den Unfall
als Arbeitsunfall an, jedoch lediglich mit der Folge einer Prellverletzung, die innerhalb von acht bis zehn Tagen
ausgeheilt war. Nicht als Folge des Unfalls wurde die Schädigung tieferer Strukturen der linken Schulter angesehen,
die zur Operation am 14.01.2003 führten und aus der eine weitreichende Einschränkung des linken Armes resultiert.
Der Senat stützt sich auf das in seinem Auftrag von Dr.F. erstattete Gutachten vom 04.02.2008. Danach ist ein für
einen Rotatorenmanschettenriss geeigneter Unfallhergang eindeutig auszuschließen. Beweisend hierfür ist, dass der
Durchgangsarzt bei seiner Nachschau am 07.09.2001 über dem Deltamuskel ein oberflächliches Hämatom feststellen
konnte. Damit ist eindeutig eine Prellverletzung abgelaufen. Nach der derzeit geltenden wissenschaftlichen
Lehrmeinung ist eine Prellverletzung kein geeigneter Verletzungsmechanismus für das Entstehen eines Risses der
Supraspinatussehne. Ein geeigneter Unfallhergang ist nur dann anzunehmen, wenn die Sehne einer
Zugbeanspruchung mit unnatürlicher Längendehnung ausgesetzt war. Ein solcher Ablauf wird vom Kläger zu keinem
Zeitpunkt beschrieben. Vielmehr gab er stets an, mit der linken Schulter gegen einen harten Gegenstand geprallt zu
sein. Auch die unmittelbar nach dem Unfall erhobenen Befunde des Durchgangsarztes sprechen gegen einen
traumatischen Zusammenhang. Ein frischer Riss der Rotatorenmanschette führt zum sofortigen Schmerzmaximum,
das zur Einstellung der Arbeit zwingt und in der Regel den Arzt am selben oder nächsten Tag aufsuchen lässt.
Danach klingt der Schmerz allmählich ab. Typische Symptome sind eine Pseudoparalyse sowie eine freie passive
Beweglichkeit bei unauffälliger Muskulatur. Der Durchgangsarztbericht enthält keine Hinweise auf eine eindeutige
Pseudoparalyse. Die aktive Abduktion war bis 80 % möglich und die Armvorhebung sogar bis 150 %. Eine
Beschreibung der passiven Beweglichkeit fehlt. Ein gewichtiges Argument gegen einen unfallbedingten Riss ist der
vom Durchgangsarzt beschriebene positive Impingementtest. Die Erstsymptome sind damit nicht typisch für eine
traumatische Ruptur im Bereich der Rotatorenmanschette. Die schlechte Qualität der einen Tag nach dem Unfall
angefertigten Röntgenaufnahmen lässt zwar keine Rückschlüsse auf eine Vorerkrankung zu, jedoch das MRT vom
10.10.2002. Die Tatsache, dass der Kläger bereits am 10.09.2001 einen vom Durchgangsarzt befürworteten
Arbeitsversuch unternahm, dass keine weitere Arbeitsunfähigkeitszeit und eine weitere Behandlungsbedürftigkeit erst
ab dem 20.09.2002 dokumentiert ist, lässt vermuten, dass dazwischen ein relativ beschwerdearmes Intervall lag. Eine
deutliche Verschlechterung war demzufolge erst ab Oktober 2002 bis zur Operation am 14.01.2003 eingetreten.
Ebenso wie im MRT fanden sich bei der Operation deutliche Hinweise auf ein knöchernes Engpasssyndrom. Dieses
bewirkt einen mechanischen Reiz der Rotatorenmanschette und in der Konsequenz führt es zu Läsionen in diesem
Bereich. Bei der Operation konnte unter Sicht auch kein Anhalt für eine traumatische Verletzung entdeckt werden. Der
Senat schließt sich den Feststellungen des Sachverständigen Dr.F. an. Er hält, wie vor ihm das Sozialgericht, die
Meinung des Prof.Dr.B. nicht für überzeugend. Diese orientiert sich zum Teil an einer veralteten medizinischen
Literatur und berücksichtigt die Unfallmechanik nicht. Damit kommt der Senat zum Ergebnis, dass ein Anspruch auf
Neufeststellung gemäß § 44 SGB X nicht gegeben ist und die Berufung des Klägers zurückzuweisen ist. Die
Kostenentscheidung stützt sich auf § 193 SGG. Die Revision war nicht zuzulassen (§ 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG).