Urteil des LSG Bayern vom 04.12.2009
LSG Bayern: unfallversicherung, altersrente, arbeitsunfall, erwerbsfähigkeit, minderung, versicherter, berufskrankheit, härte, bayern, verfassungsrecht
Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 04.12.2009 (rechtskräftig)
Sozialgericht Augsburg S 3 R 616/08
Bayerisches Landessozialgericht L 1 R 304/09
Bundessozialgericht B 13 R 17/10 R
I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 26. März 2009 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Das Berufungsverfahren betrifft die Höhe einer Altersrente für schwerbehinderte Menschen nach dem
Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI).
Der 66-jährige Kläger bezieht seit März 1967 eine Unfallrente (Teilrente) von der Berufsgenossenschaft der
Bauwirtschaft (BG Bau), die auf ein Unfallereignis am 06.12.1966 im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung
zurückgeht. Die Unfallrente beruht nicht auf eigener Beitragsleistung; die Minderung der Erwerbsfähigkeit beträgt 20
v.H., der zu Grunde liegende Jahresarbeitsverdienst ab 01.07.2007 28.551,10 EUR und ab 01.07.2008 28.865,16
EUR.
Am 22.01.2008 beantragte der Kläger eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen ab April 2008. Mit
Rentenbescheid vom 13.03.2008 gewährte die Beklagte diese Rente ab 01.04.2008 in Höhe von monatlich 1.329,06
EUR netto. In Anlage 7 des Rentenbescheids führte die Beklagte die Anrechnung der Verletztenrente auf die
Altersrente gemäß § 93 SGB VI durch.
Mit Schreiben vom 02.04.2008 legte der Kläger Widerspruch ein. Er bemängelte, die Anrechnung der Unfallrente sei
verfassungswidrig, da das Gesetz für ihn eine Benachteiligung insoweit darstelle, als er zu dem Personenkreis zähle,
der einen Arbeitsunfall in jungen Jahren erlitten hätte. Zudem sei der Jahresarbeitsverdienst von der BG falsch
übermittelt worden. Mit Widerspruchsbescheid vom 03.04.2008 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet
zurück.
Am 25.08.2008 hat der Kläger beim Sozialgericht Augsburg Klage erhoben. Zur Begründung hat er lediglich
vorgetragen, der Jahresarbeitsverdienst sei nicht ordnungsgemäß ermittelt, so dass der tatsächliche
Auszahlungsbetrag falsch sei.
Mit Gerichtsbescheid vom 26.03.2009 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es
ausgeführt, der Bescheid vom 13.03.2008 entspreche den Vorgaben von § 93 SGB VI. Die Beklagte sei nicht befugt
gewesen, den Rentenzahlbetrag der Unfallrente sowie den zu Grunde liegenden Jahresarbeitsverdienst abweichend
von der BG Bau festzulegen. Im Übrigen habe der Kläger nicht substantiiert vorgetragen, was an der Berechnung
falsch sein sollte.
Berufung eingelegt hat der Kläger am 09.04.2009. Er hat das Rechtsmittel nicht begründet.
Einen Sachantrag hat der Kläger im Berufungsverfahren nicht gestellt. Es ist jedoch anzunehmen, dass er begehrt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 26. März 2009 aufzuheben und die Beklagte unter
Abänderung des Bescheids vom 13. März 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. Juli 2008 zu
verurteilen, ihm eine höhere Altersrente zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie hat von einer gesonderten Begründung abgesehen.
Mit Beschluss vom 22.07.2009 hat der Senat die Berufung nach § 153 Abs. 5 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) dem
Berichterstatter übertragen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie auf die Akten
des Sozialgerichts und des Bayerischen Landessozialgerichts verwiesen. Diese waren alle Gegenstand der
mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat zutreffend entschieden, dass der Kläger keinen
Anspruch auf eine höhere Altersrente für schwerbehinderte Menschen hat.
Der Senat war nicht gehindert, trotz des Ausbleibens des Klägers und seines Prozessbevollmächtigten mündlich zu
verhandeln und durch Urteil zu entscheiden. In der ordnungsgemäßen Ladung war ein korrekter Hinweis auf die Folgen
ihres Fernbleibens enthalten. Das rechtliche Gehör des Klägers ist gewahrt. Sein Prozessbevollmächtigter hat
unmittelbar vor der mündlichen Verhandlung schriftlich angekündigt, er werde nicht erscheinen.
§ 93 SGB VI regelt das Zusammentreffen einer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung mit Leistungen aus
der Unfallversicherung. Soweit für den vorliegenden Fall von Bedeutung, lautet die Norm in der maßgebenden
Fassung wie folgt:
(1) Besteht für denselben Zeitraum Anspruch 1. auf eine Rente aus eigener Versicherung und auf eine Verletztenrente
aus der Unfallversicherung oder 2. ... , wird die Rente insoweit nicht geleistet, als die Summe der
zusammentreffenden Rentenbeträge vor Einkommensanrechnung den jeweiligen Grenzbetrag übersteigt. (2) Bei der
Ermittlung der Summe der zusammentreffenden Rentenbeträge bleiben unberücksichtigt 1. ... , 2. bei der
Verletztenrente aus der Unfallversicherung a) ein der Grundrente nach § 31 in Verbindung mit § 84a Satz 1 und 2 des
Bundesversorgungsgesetzes entsprechender Betrag, bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 20 vom Hundert
zwei Drittel der Mindestgrundrente, bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 10 vom Hundert ein Drittel der
Mindestgrundrente, und b) ... (3) Der Grenzbetrag beträgt 70 vom Hundert eines Zwölftels des
Jahresarbeitsverdienstes, der der Berechnung der Rente aus der Unfallversicherung zugrunde liegt, vervielfältigt mit
dem jeweiligen Rentenartfaktor für persönliche Entgeltpunkte der allgemeinen Rentenversicherung; ...
Mindestgrenzbetrag ist der Monatsbetrag der Rente ... (4) ... (5) Die Absätze 1 bis 4 werden nicht angewendet, wenn
die Rente aus der Unfallversicherung 1. ... 2. ausschließlich nach dem Arbeitseinkommen des Unternehmers oder
seines Ehegatten oder Lebenspartners oder nach einem festen Betrag, der für den Unternehmer oder seinen
Ehegatten oder Lebenspartner bestimmt ist, berechnet wird. ...
Die von der Beklagten durchgeführte Berechnung steht mit den gesetzlichen Vorgaben in Einklang.
Als Grundprinzip nahm die Beklagte in Übereinstimmung mit § 93 Abs. 1 SGB VI bei ihrer Berechnung in Anlage 7
des Bescheids vom 13.03.2008 an, die Rente sei nur insoweit zu zahlen, als sie zusammen mit der Leistung aus der
Unfallversicherung den maßgebenden Grenzbetrag nicht übersteige. Die Anrechnung war durchzuführen, weil ein
Tatbestand des § 93 Abs. 5 SGB VI, insbesondere Nummer 2, nicht vorliegt. Die Beklagte hat die einzelnen hierfür
erforderlichen Berechnungsfaktoren zutreffend ermittelt und ist zu einem richtigen Endergebnis gelangt. Als
Rechengrößen fließen die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung vor Einkommensanrechnung, die
Verletztenrente vor Einkommensanrechnung sowie der Grenzbetrag ein.
In einem ersten Schritt berechnete die Beklagte die Summe der Rentenbeträge. Sie zog richtiger Weise die nach den
Vorschriften des SGB VI errechnete Rente in Höhe von 1.712,17 EUR heran. Insoweit bestehen weder tatsächliche
noch rechtliche Probleme; spezielle Regelungen existieren nur (§ 93 Abs. 2 Nr. 1 SGB VI), soweit Entgeltpunkte der
knappschaftlichen Rentenversicherung vorhanden sind; das ist hier nicht der Fall. Korrekt addierte die Beklagte zu
diesem Betrag die bereinigte Leistung aus der Unfallversicherung in Höhe von 237,90 EUR. Die Bereinigung der
Unfallrente erfolgte, indem von der bewilligten monatlichen Leistung (317,23 EUR) zwei Drittel der Mindestgrundrente
nach dem Bundesversorgungsgesetz bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 v.H. (119 EUR, zwei Drittel
davon 79,33 EUR) subtrahiert wurden. Die Beklagte musste und durfte keine eigene Berechnung der richtigen
Verletztenrente durchführen (vgl. BSGE 36, 168 ). Die Summe der Rentenbeträge beläuft sich somit mit in der Tat auf
1.950,07 EUR.
Im zweiten Schritt ermittelte die Beklagte den Grenzbetrag. Sie teilte im Bescheid in Einklang mit den gesetzlichen
Vorgaben mit, dieser errechne sich aus dem Jahresarbeitsverdienst, welcher der Berechnung der Leistung aus der
Unfallversicherung zugrunde liege, und dem Rentenartfaktor für die persönlichen Entgeltpunkte. Den
Jahresarbeitsverdienst nahm sie mit 28.551,10 EUR an, wie es ihr von der BG Bau mitgeteilt worden war. Auch das
war korrekt. Denn die Beklagte musste den tatsächlich von der BG Bau herangezogenen Jahresarbeitsverdienst
heranziehen und nicht den - vielleicht abweichenden - rechtlich gebotenen (vgl. BSG SozR 4-2600 § 93 Nr. 5 RdNr.
17; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 15.10.2008 - L 8 R 197/07; Wehrhahn in: Kasseler Kommentar
Sozialversicherungsrecht, § 93 SGB VI RdNr. 24 ). 70 v.H. eines Zwölftels davon ergeben 1.665,48 EUR. Da der
Rentenartfaktor 1,0 beträgt, ist die Beklagte gerade auf diese 1.665,48 EUR als Grenzbetrag gekommen.
Dass der Arbeitsunfall sehr lange zurückliegt, gereicht dem Kläger im Rahmen der Berechnung des Grenzbetrags
zwar zum Nachteil, entspricht aber den gesetzlichen Regelungen und verletzt nicht Verfassungsrecht. § 82 des
Sozialgesetzbuchs Siebtes Buch (SGB VII) normiert eine Regelberechnung, wonach der Gesamtbetrag der
Arbeitsentgelte des Versicherten in den letzten zwölf Kalendermonaten vor dem Monat, in dem der Versicherungsfall
eingetreten ist, als Jahresarbeitsverdienst maßgebend ist; die Sonderregelung des § 84 SGB VII findet keine
Anwendung, weil keine Berufskrankheit vorliegt. Abgestellt wird also auf den individuellen Arbeitsverdienst vor dem
Versicherungsfall regelmäßig ohne Berücksichtigung der noch zu erwartenden Karriereschritte, also auch ohne
Berücksichtigung der zu erwartenden Gehaltsentwicklung im Laufe des zukünftigen Berufslebens (LSG Nordrhein-
Westfalen, Urteil vom 15.10.2008 - L 8 R 197/07).
Verfassungsrechtliche Bedenken, insbesondere im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG, bestehen dagegen nicht. So ist es
sozialpolitisch legitim, bei Zusammentreffen zweier Sozialleistungen die Summierung zu einer Gesamthöhe als
sachlich nicht gerechtfertigt anzusehen, da der Empfänger - ungeachtet seiner diese Höhe rechtfertigenden
Eigenleistungen für die verschiedenen Versichertengemeinschaften - weit mehr erhält, als ihm die Sozialversicherung
in ihrer Gesamtheit von ihrem Grundgedanken her verschaffen soll (vgl. BSG SozR 4-2600 § 93 Nr. 5 RdNr. 13/14;
LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 15.10.2008 - L 8 R 197/07).
Hinsichtlich der konkreten Höhe der Anrechnung ist zunächst daran zu erinnern, dass der Jahresarbeitsverdienst
gemäß § 95 Abs. 2 SGB VII durchaus in gewisser Weise dynamisiert ist. Nur erfolgt keine Berücksichtigung eines
tatsächlichen oder fiktiven beruflichen Aufstiegs. Dennoch liegt darin, dass im vorliegenden Fall ein sehr früher
Zeitpunkt des Unfalleintritts zu berücksichtigen ist, keine Härte, die den Kläger unbillig gegenüber anderen
Doppelbeziehern von Rentenleistungen benachteiligen würde. Vielmehr ist es systemgerecht, dass ein Versicherter,
der in jungen Jahren mit einem niedrigen Jahresarbeitsverdienst einen Arbeitsunfall erleidet, infolge dieses zu Grunde
gelegten Jahresarbeitsverdienstes eine niedrigere Unfallrente sowie einen niedrigeren Anrechnungsgrenzbetrag erzielt
als ein Versicherter, der in späten Jahren kurz vor Bezug der Altersrente mit einem hohen Jahresarbeitsverdienst
einen Arbeitsunfall erleidet. Der allgemeine Gleichheitssatz ist nicht verletzt (LSG Bayern, Urteil vom 28.07.2006 - L
16 R 399/05). Die Entscheidung des Gesetzgebers, diejenigen Versicherten zu privilegieren, die bei hohem
Einkommen auch hohe Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt haben, ist verfassungsrechtlich
unbedenklich (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 15.10.2008 - L 8 R 197/07).
Gesetzlich garantiert ist immerhin der Mindestgrenzbetrag nach § 93 Abs. 3 Satz 2 SGB VI in Höhe des
Monatsbetrags der Rente der gesetzlichen Rentenversicherung. Da er höher war als der gemäß § 93 Abs. 3 Satz 1
SGB VI errechnete Grenzbetrag, war er heranzuziehen. Die Differenz zwischen der Summe der Rentenbeträge und
dem Grenzbetrag bezifferte die Beklagte zutreffend mit 237,90 EUR. Dieser Betrag war seinerseits von der Rente aus
der gesetzlichen Rentenversicherung abzusetzen, was monatlich 1.474,27 EUR ergab.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass der Kläger auch im Berufungsverfahren ohne
Erfolg geblieben ist.
Die Revision wurde nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.